„Manchmal kann sich ein Problem im Nachhinein als Glücksfall herausstellen“ – NUSCHIN VOSSOUGHI (THEATER AM SPITTELBERG) im mica-Interview

Vor genau 15 Jahren aus dem einstigen JURA SOYFER THEATER hervorgegangen, hat sich das im siebenten Wiener Gemeindebezirk beheimatete THEATER AM SPITTELBERG als eine der bedeutendsten Institutionen des Wiener Musiklebens etabliert. Untrennbar mit der Geschichte des Theaters verbunden ist NUSCHIN VOSSOUGHI, die seit Anbeginn höchst erfolgreich die Geschicke des Hauses leitet und es zu einem nicht mehr wegzudenkenden Teil der Wienerlied und Weltmusikszene machte. Die Direktorin des THEATER AM SPITTELBERG im Gespräch mit Michael Ternai.

15 Jahre sind eine lange Zeit. Wie sind Ihre Gefühle, wenn Sie auf die Geschichte des Theaters am Spittelberg blicken?

Nuschin Vossoughi: Ich muss sagen, dass die Zeit im Nu vergangen und jede Erinnerung noch sehr frisch ist. Ich bin einfach unendlich froh, dass wir einen langen Atem bewiesen haben und es uns wirklich gelungen ist, das Haus zu etablieren. Was definitiv kein leichtes Unterfangen war, denn es gab genug Kämpfe zu bestreiten.

War Ihnen eigentlich schon im Vorhinein klar, wohin die Reise gehen soll? Wie sahen Ihre Erwartungen aus?

Nuschin Vossoughi: Ich muss gestehen, zu Beginn wusste ich nicht wirklich, was mich erwartet. Was ich wusste, war, dass man mit der Bühne aufgrund ihrer Machart sehr viel anfangen kann und dass ich auf jeden Fall etwas mit Schwerpunkt Musik machen will. Ich wollte das Theater als ein offenes Haus für alle Generationen und alle Musikrichtungen gestalten. Das Schöne war, dass ich freie Hand hatte und meine Ideen und Konzepte wirklich umsetzen konnte.

Theater am Spittelberg (c) Flora Huebl

„Es ist nicht ausreichend, immer nur dasselbe Programm zu fahren“

Begonnen hat das Theater am Spittelberg als zweimonatige Sommerbühne. Mittlerweile erstreckt sich das Programm von Anfang Mai bis Weihnachten. Eine notwendige Erweiterung?

Nuschin Vossoughi: Ja, das Programm ist im Laufe der Zeit immer mehr geworden. Begonnen haben wir als zweimonatige Sommerbühne. Nach und nach sind dann andere Konzertreihen hinzugekommen, das Wienerlied-Festival Wien im Rosenstolz, die „Landpartie“ von Wien im Rosenstolz, die vor allem die neue österreichische Volksmusik im Programm hat, und das internationale A-cappella-Festival Voice Mania im Herbst. Mit der neuesten Reihe „Wintertainment“ verlängert unsere Saison jetzt bis Weihnachten. „Wintertainment“ ist quasi ein Best-of des Sommertheaters. Parallel zum Musikprogramm findet zudem auch ein sonntägliches Kinderprogramm statt, das ebenfalls großen Anklang findet.

Generell ist es so, dass man sich einfach immer weiterentwickeln und Neues anbieten muss, um das Publikum anzuziehen. Es ist nicht ausreichend, immer nur dasselbe Programm zu fahren. Aktuell komme ich gerade auf den Geschmack von Musikerinnen- und Musiker-Sessions. Es ist ungemein spannend, zu beobachten, wie Musikerinnen und Musiker auf der Bühne zum Spielen zusammenkommen und sich zum ersten Mal kennenlernen. Genau aus solchen Dingen entstehen zumeist aufregende neue Projekte. 

Wie Sie eingangs erwähnt haben, waren in den 15 Jahren einige Kämpfe zu bestreiten und Schwierigkeiten zu überwinden. Welcher Art waren diese?

Nuschin Vossoughi: Das Theater ist ja in einer sehr engen Gasse angesiedelt. Da ergeben sich aus der Natur der Sache gewisse Reibungsflächen zwischen den Beteiligten, uns, den Künstlerinnen und Künstlern, dem Publikum, den Nachbarinnen und Nachbarn.  Aber manchmal kann sich ein Problem im Nachhinein als Glücksfall herausstellen. So war der Umbau vor acht Jahren ein solcher. Diesem war eine längere Zeit der Unsicherheit vorangegangen. Damals hatte das Theater ja noch kein Dach und so schallte es bei einem Konzert über den gesamten Bezirk. Irgendwann war es dann so weit, dass nach den Veranstaltungen regelmäßig die Polizei, der Bezirksvorsteher und die Anrainerinnen und Anrainer vor der Tür standen. Besonders hartnäckig war einer der Nachbarn, der uns permanent angezeigte und somit quasi dafür mitverantwortlich war, dass letztlich die Entscheidung für einen Umbau getroffen wurde.
Das Schöne an der ganzen Geschichte war, dass der Wille und das Verständnis, das Haus weiterzuführen, eigentlich immer von allen Seiten da war. Das Kulturamt entschloss sich damals dazu, das Haus umzubauen und gründlich und umfassend zu sanieren, was sich letzten Endes als die beste Lösung von allen herausstellte, denn ab diesem Zeitpunkt ging es mit dem Theater wirklich bergauf. Das Publikum schätzt das Haus und auch die Hausherren, die MA 34, sind stolz, waren wir doch das erste Theater-Projekt der MA34 (Bau- und Gebäudemanagement).

Auf jeden Fall gibt es seit dem Umbau keine Lärmprobleme mit den Nachbarinnen und Nachbarn. Auch weil wir die Konzerte zeitlich vorgezogen haben. Sie beginnen in der Regel um 19:30 Uhr und enden spätestens um 22 Uhr.

Natürlich ergeben sich immer wieder neue Probleme, denn je etablierter ein Haus ist, desto genauer wird auch hingeschaut. Man muss einfach viele, viele Dinge beachten. Es gibt die Behörden, das Marktamt, die vielen Interessengemeinschaften, mit denen man reden und mit denen man verhandeln muss. Was nicht immer einfach ist. Aber ich denke, dass wir mit allen ein gutes Einvernehmen haben und so eigentlich immer eine Lösung finden. 

War die musikalische Ausrichtung des Theaters, diese Fokussierung auf Gruppen aus Wien und Umgebung, eigentlich von Anfang an klar? 

Nuschin Vossoughi: Die hat sich einfach aus den finanziellen Gegebenheiten ergeben. Ich kann es mir einfach nicht leisten, große internationale Künstlerinnen und Künstler einzuladen. Dafür reicht mein Budget nicht. So ein Konzert ist ja immer verbunden mit Kosten für die Flüge, die Abholung, die Übernachtung, das Catering usw. Das wäre einfach zu teuer. Aus diesem Umstand heraus hat sich in logischer Konsequenz der musikalische Schwerpunkt auf das, was in Wien vom Wienerlied bis zur Weltmusik passiert, gerichtet. Und das war auch gut so. Denn für die Wiener Musik, die sich in den letzten Jahren total entfaltet hat, ist das Theater zu einer bedeutenden Spielstätte geworden.

Das Theater hat einige Künstlerinnen und Künstler von Beginn an auf ihrem Karriereweg begleitet. Inwieweit ist die Förderung junger Künstlerinnen und Künstler Teil Ihres Konzepts?  

Nuschin Vossoughi: Für mich ist die Förderung junger Künstlerinnen und Künstler sehr wichtig. Man muss sich als Initiatorin schon auch einmal über etwas trauen. Jede Künstlerin und jeder Künstler startet einmal. Ein Ernst Molden hat genauso irgendeinmal angefangen wie ein Nino aus Wien. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich bei einigen solcher Anfänge mit dabei sein konnte. Die Künstlerinnen und Künstler bedanken sich damit, dass sie dem Haus treu bleiben. Und das empfinde ich einfach als sehr schön.

Theater am Spittelberg / Bühne (c) Pressefoto

„Es ist für sie, glaube ich, wie eine Art Heimkommen“

Einige dieser Künstlerinnen und Künstler, wie etwa der erwähnte Ernst Molden, sind inzwischen sehr bekannt und feiern allerorts Erfolge. Ist es schwer geworden, sie zu einem Auftritt im Theater am Spittelberg zu überreden?

Nuschin Vossoughi: Nein, ich kann schon behaupten, dass sie sehr gerne wieder zurückkommen. Es ist für sie, glaube ich, wie eine Art Heimkommen. Und auch ich freue mich jedes Jahr, sie wiedersehen und begrüßen zu können.

Wie sieht es heute aus? Ist es für Sie immer noch möglich, junge und noch weniger bekannte Talente in diesem Ausmaß zu fördern? Wie risikobereit sind Sie in Bezug auf junge Gruppen? Sagen Sie sich auch einmal: „Okay, heute wird es halt nicht so voll werden.“

Nuschin Vossoughi: Das würde ich gerne und ich tue es auch hin und wieder. Dahingehend habe ich auch eine Idee entwickelt. Ich habe den Nino aus Wien als Kurator gebeten, einen Abend zu gestalten, in dessen Rahmen er junge, noch unbekannte Musikerinnen und Musiker aus Wien, die er selbst schätzt, dem Publikum vorstellt. Ich glaube, so könnte die Förderung der jungen Künstlerinnen und Künstler in Zukunft gut funktionieren. Ich will auf jeden Fall schauen und auch weiterhin alles dafür tun, dass neue junge Talente nachkommen und die Möglichkeit erhalten, sich zu präsentieren.

Was macht eigentlich den besonderen Reiz aus, im Theater am Spittelberg zu spielen?

Nuschin Vossoughi: Die Nähe zum Publikum und die Möglichkeit, sich ungezwungen mit diesem auszutauschen, sind sicher Gründe dafür, dass die Künstlerinnen und Künstler so gerne hier spielen. Dazu kommt auch die programmatische Freiheit, die sie hier genießen. 

Wie sieht es mit dem Publikum aus? Ist es altersmäßig durchmischt? Wie sehr strömt die junge Generation ins Theater? 

Nuschin Vossoughi: Die Realität ist, dass sich die Jugend den Eintritt nicht leisten kann. Daher gibt es solche Sachen wie zum Beispiel ein Singer-Songwriter-Festival, das vor Kurzem Kidcat Lo-fi organisiert hat. Ich habe ihr die Bühne bereitgestellt, sie unterstützt und ihr auch sonst alles gegeben, was sie benötigt hat. Eine Karte im Theater am Spittelberg muss normalerweise zwischen 18 und 25 Euro kosten, damit sich ein Abend rentiert. Bei einer solchen Veranstaltung mache ich bewusst Abstriche. Für eine Regiekarte zahlt man 10 Euro, die Freundinnen und Freunde der Künstlerinnen und Künstler auch nicht viel mehr. Die teuerste Karte kostete dieses Mal 15 Euro. Ich leiste mir so eine Veranstaltung. Man muss kompromissbereit sein, um die Jugend in das Haus zu bekommen.

Wie sehr erfüllt es Sie mit Stolz, einen Ort geschaffen zu haben, von dem musikalisch so viel hinausgeht? 

Nuschin Vossoughi: Doch, darauf bin ich schon stolz. Vor allem auch darauf, dass aus dem Theater Impulse hinausgehen. Ich glaube, dass wir eine der wenigen Bühnen hier in der Stadt sind, die ein täglich abwechselndes Programm haben und das von Anfang Mai bis zum 23. Dezember auch beinhart durchziehen. Allein die täglich wechselnden Gruppen, die ganze Abwicklung, die Technik und so weiter stellen immer wieder eine Herausforderung dar. Aber ich denke, dass wir da recht flott unterwegs sind.

Bedingt durch die Größe kann man hier auch sehr gut Neues ausprobieren. Und das machen auch viele Künstlerinnen und Künstler. Sie probieren hier ihre neuen Programme aus und bringen sie von hier dann zu den Premieren in die großen Häuser. Das Theater eignet sich für so etwas ganz wunderbar, auch weil unser Publikum ein sehr offenes ist. 

Das Theater ist nun 15 Jahre alt. Wie lange können Sie Ihrer Vorstellung nach den Job noch weitermachen?  

Nuschin Vossoughi: Solange ich gesund bin und laufen kann. Und ich laufe immer noch sehr gerne, vor allem durchs Theater. Inhaltlich geht mir der Stoff nicht aus. Ich liebe es immer noch, Ideen zu entwickeln und Projekte voranzutreiben. Darüber, dass das einmal nicht mehr so sein könnte, mache ich mir keine Sorgen. Sorgen würde ich mir machen, wenn einmal das Publikum ausbliebe. Ich brenne einfach immer noch viel zu sehr, und das jeden Abend. Wenn diese Euphorie einmal nicht mehr da sein sollte, dann, glaube ich, ist es der richtige Moment aufzuhören.

Vielen Dank für das Gespräch. 

Michael Ternai

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