Die Komponistin Hannah Eisendle hat mit ihrem Orchesterstück “heliosis” (2021), das unter anderem bei den “BBC Proms”1 aufgeführt wurde, international Furore gemacht. Wir treffen sie zum Gespräch in Klagenfurt – wo sie am Stadttheater als Kapellmeisterin und Korrepetitorin engagiert ist – sozusagen zwischen “Tosca” und “Sister Act”. Sie selbst hat mit “Elektrische Fische” ein Musiktheaterstück (nicht nur) für junge Menschen vorgelegt, das ab 15. Februar 2025 im französischen Saal der Wiener Staatsoper zu sehen sein wird.
Sie sind Pianistin, Komponistin und Dirigentin. Wie bringen sie das unter einen Hut, bzw. gibt es da Synergieeffekte?
Hannah Eisendle: Man sagt oft über mich, ich sei auf allen Kirtagen unterwegs; der Meinung bin ich auch. Ich mag das, weil sich die unterschiedlichen Bereiche gegenseitig beflügeln und inspirieren. In meiner Tätigkeit am Stadttheater Klagenfurt leite ich beispielsweise eine Produktion, dirigiere Proben und Vorstellungen, arbeite mit Sänger:innen und begleite Proben am Klavier. Ich habe mit allen Departments am Theater zu tun, es gibt viel zu koordinieren, damit schlussendlich so ein “Gesamtkunstwerk” auf die Bühne kommt. All diese Erfahrungen fließen in meine Kompositionen ein, auch die zur Aufführung gelangenden Werke, ob ich es will oder nicht. Das merkt dann niemand, ich aber weiß es natürlich und mir gefällt es, dass diese Welten sich auf diese Weise verschränken.
Ihr Werk “Elektrische Fische” kommt demnächst an die Wiener Staatsoper (Premiere 15. 2. 2025, Neue Staatsoper im Künstlerhaus). Eine Jugendoper, in der es um ein Mädchen geht, das im Ausland in die Schule geht …
Hannah Eisendle: Genau, dieses Mädchen muss mit seiner irischen Familie in ein kleines Dorf in Norddeutschland ziehen, ist sehr unzufrieden mit der Situation und schmiedet einen Plan, wieder zurück nach Hause, nach Irland zu gelangen. Das Meer spielt eine wichtige Rolle, steht es ja einerseits für die Verbindung zum Zuhause, andererseits aber auch für die Entfernung.
Die Musiker sind auch szenisch auf der Bühne eingebunden…
Hannah Eisendle: Dass alle Mitwirkenden auf der Bühne sind, ist das Besondere an dieser Oper. Normalerweise sind ja Instrumentalist:innen nicht Teil der Szene. Alle Mitwirkenden heißt: Klarinette/Bassklarinette, Cello, Perkussion (v. a. Vibraphon) und eine Tenor- und Sopranstimme, ergänzt durch Elektronik. Da alle miteinander auf der Bühne agieren, müssen die Instrumentalist:innen auswendig spielen, was ich schon im Kompositionsprozess mitbedacht habe, indem ich an einigen Stellen etwas Improvisationsspielraum gelassen habe. Das Ziel in den von mir dirigierten Proben war, mich selbst in dieser Rolle überflüssig zu machen, also ein kammermusikalisches Setting zu etablieren, bei dem das Ensemble auch mit wechselndem räumlichen Abstand zurechtkommt.
Sind sie musikalisch-kompositorisch auf das Thema Jugendoper eingegangen? Haben Sie da Rücksichten genommen?
Hannah Eisendle: Einerseits ja, in dem Sinn, dass musikalisch wie szenisch schnelle Wechsel stattfinden und durch die Perkussion starke rhythmische, treibende Akzente gesetzt werden. Andererseits finde ich es wichtig, vor allem junges Publikum auch zu fordern und vorauszusetzen, dass Interesse vorhanden ist, Neues wahrzunehmen, also das Werk nicht zu simpel zu gestalten.
„es war wie ein Tunnel, und ich habe einfach gemerkt: ich brauche etwas Wilder-Kreativeres”
In der Neuen Staatsoper im Künstlerhaus wird ja besonders einem jungen Publikum Musiktheater schmackhaft gemacht. Ist auch in Ihnen schon früh der Gedanke gereift, Musik zu Ihrem Beruf zu machen?
Hannah Eisendle: Mein erster Kontakt mit Musik kam dadurch zustande, dass bei mir Zuhause immer wieder Oper gelaufen ist. Meine Eltern sind zwar nicht Musikausübende aber sie waren immer sehr interessiert. Dadurch war ich auch schon als kleines Kind in der Oper und war fasziniert von dieser Art des Geschichtenerzählens. Zu Hause gab es auch ein Klavier und dieses Klavier hat mich von Anfang an “gehabt”, es übte einen unwiderstehlichen Sog auf mich aus. Ich wollte lange Pianistin werden, bis es mir irgendwann zu “schwarz-weiß” wurde, zu einsam auch – es war wie ein Tunnel und ich habe gemerkt: ich brauche etwas Wilder-Kreativeres, auch die Zusammenarbeit mit anderen Menschen. Eigentlich war es nur als Übergang gedacht, Komposition zu studieren, aber da öffneten sich plötzlich alle Türen, es kamen Farben ins Schwarz-Weiß und ich hab plötzlich gemerkt: das gefällt mir! – Ein kreativer Spielplatz, an dem ich alles ausprobieren kann, auch mit unterschiedlichen Medien, mit Film, mit Installationen, Instrumenten, Tanz. Schließlich hat mir auch das Dirigieren meiner eigenen Stücke viel Freude bereitet, so dass sich schlussendlich herausgestellt hat, dass diese Kombination von Musik machen und sich Musik ausdenken genau das Richtige für mich ist. Ich bin die In-Sich-Gekehrte, die komponiert und sich kreativ etwas ausdenkt, aber ich muss auch Musik machen mit Leuten, Musik erarbeiten.
„Vom Whiskyglas bis zur Polarexpedition – alles wird niedergeschrieben”
Die Titel Ihrer Stücke wecken oft starke Assoziationen: “crushed ice” (2020), “sleep deprivation” (2021), oder auch “heliosis” (2021) – ist das ein inspiratorischer Anstoß für Sie selbst, eine Vorgabe für das Publikum, oder geht es um eine tatsächliche Übersetzung in Musik?
Hannah Eisendle: Alle drei Aspekte sind zutreffend. Es ist auf jeden Fall eine Inspiration für mich: ich fange meistens nicht mit Musik an beim Komponieren, sondern suche mir etwas, das meine Phantasie anregt. Bei “crushed ice” z. B. hab ich mich mit Polarexpeditionen beschäftigt, mit den physikalischen Eigenschaften von Eis, mit der Behandlung des Themas in der Kunst, mit Eis in allen möglichen Facetten, also sozusagen vom Whiskyglas bis zur Polarexpedition. Alles wird niedergeschrieben, durchgedacht, mehrfach, mehrmals, und dann beginne ich – angereichert mit all diesen Informationen – zu komponieren. Es sind oft Stimmungen, Bilder, Szenarien, Geschichten, die ich dann vertone. Ich will nicht sagen, dass es wie eine symphonische Dichtung ist, sondern es handelt sich um Inspirationen, die oft auch Metaphern für emotionale Zustände sind. Meistens komponiere ich also den Kompositionsprozess selbst, das heißt den Zustand, in dem ich mich befinde, wenn ich komponiere.
Was das Publikum angeht: ich wähle meistens Titel, die zwar etwas vorgeben, aber trotzdem genug Interpretationsspielraum lassen. Ich möchte dem Publikum nichts aufzwingen, aber ich habe schon das Ziel, Bilder zu evozieren. Ich denke, dass es vor allem bei zeitgenössischer Musik hilft, wenn wir eine zusätzliche Assoziation haben.
Sie scheinen keine Scheu zu haben, sich ästhetisch in verschiedene Richtungen zu wenden. “heliosis” würde ich als als Collage bezeichnen, in der verschiedene Stile angerissen werden. Andere Stücke, z. B. “come apart” (für Bassflöte, Kontrabass und Klavier, 2018) haben damit weniger zu tun.
Hannah Eisendle: Das ist anders, das stimmt. Auch bei “come apart” habe ich übrigens den Kompositionsprozess thematisiert. Dieses Auseinanderfallen (come-apart), als würde man selbst auseinanderfallen und versuchen, sich wieder Stück für Stück zu finden und zu ordnen. Was in allen Werken einen wichtigen Stellenwert einnimmt, ist die rhythmische Komponente. Der Rhythmus ist das, was antreibt. Ich bin auf jeden Fall keine Melodiekomponistin. Meist gehe ich nicht von einer Melodie aus, sondern von einer Stimmung, einer Grundfarbe in einem Ensemble/Orchester oder von einem Rhythmus, den ich dann unterschiedlich ausgestalte.
„Komponieren ist wie Therapie.”
Wie bei “heliosis”…
Hannah Eisendle: Auch bei “heliosis”(2021) – zu Deutsch “Sonnenstich” – war der Kompositionsprozess vordergründig: desorientiert zu sein, eine Mischung zwischen strengem Korsett und Loslassen. Es sind meistens Themen, die mich selbst beschäftigen, welche ich dann übersetze in Bilder oder Szenarien und dann wieder rückübersetze. Begonnen hat das mit dem Film „drawing a blank“ (2017). Mir ist damals schlichtweg nichts eingefallen und dann dachte ich mir, dieser Zustand ist gerade so vorherrschend, ich “verkomponiere” genau diesen Zustand. Nach und nach habe ich gemerkt, dass das eigentlich in jedem Stück mein Hauptthema ist, das aktuelle Befinden, das übersetzt wird. Eine Komposition ist oft wie eine Therapie, in der ich etwas verarbeite und mit dem fertigen Stück fürs Erste auch wieder abschließe. Diese Höhen und Tiefen des Komponierens haben mich immer sehr interessiert, ich habe viel dazu gelesen und tausche mich gerne mit anderen Komponist:innen darüber aus. Es gibt ja jene, die gerne komponieren und andere, bei denen das nicht der Fall ist. Ich gehöre eher zu jenen, die sagen: ich mag komponieren eigentlich nicht. Es fällt mir schwer, es ist immer ein sehr intensiver Prozess, aber ich weiß, dass ich es auch brauche. Es würde mir fehlen.
Passiert das dann zeitlich sehr gerafft, schreiben Sie das Stück in Einem, wenn möglich?
Hannah Eisendle: Wiegesagt, ich beginne mit zahlreichen Notizbüchern und muss mich dann wahnsinnig überwinden, die erste Note zu schreiben. Da ist das Stück eigentlich schon da, es ist bereits alles im Kopf, aber dieses Konkretisieren, diese erste Note wirklich hinzuschreiben ist eine immense Herausforderung für mich – denn wenn ich sie hinschreibe, dann bleibt sie so. Ich gehöre nicht zu jenen, die sie am nächsten Tag wieder löschen. Deshalb hat es auch so etwas Offizielles. Ich habe anscheinend eine innere Uhr, die weiß, wann der Moment da ist, dass diese erste Note hingeschrieben werden muss.
Das heißt, Sie gehen über längere Zeit “schwanger” mit dem Stück, und dann setzen irgendwann sozusagen die Wehen ein und es gibt kein Zurück mehr.
Hannah Eisendle: Genau, es ist vergleichbar mit einer Schwangerschaft, ähnelt aber auch dem Erwachsenwerden: Der Anfang macht immer großen Spaß, es ist als befände man sich auf einem Spielplatz, man hat eine Fülle neuer Ideen, und dann kommt der Ernst des Lebens, und man muss – die erste Note hinsetzen.
Abgesehen davon, dass man das Handwerk aus dem Effeff beherrschen muss – worauf kommt denn sonst noch an, um erfolgreich zu sein?
Hannah Eisendle: Ich lehre ja an der Gustav-Mahler-Privatuniversität und spreche auch mit Studierenden über dieses Thema. Selbstverständlich muss man gut sein, sein Handwerk beherrschen und klare Ideen haben. Man muss auch wissen, was man will von der Musik und in welche Richtung man sich bewegen möchte. Es gilt, jede Möglichkeit zu nutzen, um Kontakte zu knüpfen und Leute zu Aufführungen eigener Werke einzuladen. Aber schlussendlich reicht eine Person am richtigen Ort, zum richtigen Zeitpunkt. Bei mir war das jedenfalls so. Der Intendant des RSO hat ein Stück von mir im Radio gehört und mich darauf hin mit einer Komposition beauftragt – „heliosis“ (2021) fand große Resonanz, war 2023 bei den BBC-Proms vom RSO unter der Leitung von Marin Alsop zu hören und wird seither weltweit aufgeführt.
Abschließend noch ein Ausblick, Ihre Tätigkeit am Stadttheater Klagenfurt endet im kommenden Frühjahr…
Hannah Eisendle: Ja, zum Abschluss meiner Tätigkeit am Stadttheater Klagenfurt dirigiere ich am 10. April 2025 ein Symphoniekonzert, bei dem auch „heliosis“ aufgeführt wird. Das Konzert steht unter dem Motto “Elementargewalten”, passend zu meiner Vorliebe, mich von der Natur inspirieren zu lassen. Es ist mein letzter Arbeitstag, ein schöner Ausklang. Wohin es dann genau geht, weiß ich noch gar nicht. Es gibt mehrere Optionen. Auf jeden Fall stehen einige größere Kompositionsprojekte bevor ebenso wie Konzerte und Opernprojekte. Beispielsweise habe ich im Johann–Strauss-Jahr die musikalische Leitung von Wiener Blut unter der Leitung von Nikolaus Habjan inne. Ich freue mich zunächst einfach mal auf eine intensive Zeit, in der ich freiberuflich als Dirigentin und Komponistin arbeite.
Dann wünschen wir gutes Gelingen und weiterhin viel Erfolg!
Philipp Tröstl
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Links:
Hanna Eisendle
- Sommerkonzertreihe in der Londoner Albert Hall. ↩︎