Während die meisten Menschen momentan den Großteil ihrer Zeit gezwungenermaßen zu Hause verbringen, liegt das kulturelle und musikalische Leben nicht zur Gänze auf Eis. Immer mehr Musikangebote wandern ins Netz aus: Die FM4 Stay at Home Sessions übertragen etwa jeden Abend online ein kurzes Video aus dem Archiv, Konzerthäuser streamen vergangene Konzertabende, Bands geben YouTube-Konzerte als Tour-Ersatz.
Mit HOMESTAGE entsteht in diesen Tagen außerdem ein neues, digitales Festival, das nicht als Alternative zu einem analog geplanten Angebot ins Internet verlegt wird, sondern von der Agentur RAUMPIONIERE und dem Konzeptbüro VISIONISTAS dort geboren wurde. Von 27. bis 29. März streamen lokale Künstler*innen jeweils von 17 bis 21 Uhr auf der Facebook-Seite von HOMESTAGE FESTIVALS Live-Performances aus ihrem Zuhause ins Zuhause des Publikums – mit dabei sind etwa MIRA LU KOVACS, YASMO, JAMES CHOICE, SIGRID HORN, LUKAS LAUERMANN, LYLIT und KEROSIN 95. Verbunden ist das Festival mit einer Crowdfunding-Kampagne , in deren Rahmen das Publikum auf freiwilliger Basis “ideelle” Tickets kaufen kann. Die Endsumme wird unter allen beteiligten Künstler*innen gleichmäßig verteilt. Organisatorin Stefanie Summerauer (VISIONISTAS) gab in einem Skype-Interview Einblicke in das Festival.
Gab es den Plan, ein digitales Festival zu organisieren, schon länger oder ist diese Idee aus der Not der Coronakrise heraus entstanden?
Stefanie Summerauer: Die Idee ist tatsächlich daraus entstanden. Wir als Veranstalter*innen sind selbst von der Krise betroffen, da Events ausfallen und wir merken, wie massiv die Kulturszene davon betroffen ist. Weil unter anderem Honorare ausfallen und niemand weiß, wie lange dieser Zustand dauern wird. In einem Skype-Call den wir, das Konzeptbüro Visionistas, mit der Agentur Raumpioniere abgehalten haben, ist die Idee dieses Festivals entstanden. Wir alle waren von dem Konzept sofort hellauf begeistert und haben es innerhalb von einem Tag umgesetzt. Die Idee war, ein Streaming mit Spenden zu verbinden. Da die Raumpioniere bereits eine Crowdfunding Plattform betreiben, hat sich das sehr gut angeboten.
Wie organisiert ihr euch momentan? Habt ihr davor auch schon zusammengearbeitet?
Stefanie Summerauer: Nein, gar nicht. Wir kennen uns privat von früher. Das Visionistas Konzeptbüro gibt es seit einem Jahr. Wir wollten schon länger mit den Raumpionieren zusammenarbeiten und jetzt hat sich das sehr gut ergeben. Die Zusammenarbeit ist so gut, als würden wir schon ewig miteinander arbeiten. Wir kommunizieren und organisieren uns über Slack, Skype und Dropbox-Paper.
Was ist das Ziel des Festivals?
Stefanie Summerauer: Wir wollen Kunst- und Kulturschaffende in dieser Zeit unterstützen. Die Einnahmen des Crowdfundings werden solidarisch zu gleichen Teilen auf alle teilnehmenden Künstler*innen aufgeteilt. Dadurch profitieren sowohl Newcomer als auch bereits etablierte Künstler*innen.
Es wird Acts in den Sparten Konzert, Performance, Kabarett und Lesungen geben. Welche kuratorischen Auswahlkriterien gab es? Wie war da der Prozess?
Stefanie Summerauer: Wir haben zuerst Kontakte aktiviert, die wir bereits hatten. Wie man sich wahrscheinlich vorstellen kann, ist es eine Herausforderung, ein Line-up in so kurzer Zeit auf die Beine zu stellen. Sehr viele Künstler*innen waren aber sofort von der Idee begeistert und haben schnell zugesagt. Die Kommunikation mit allen Beteiligten ist sehr unkompliziert und von allen Seiten unterstützend. Schließlich haben wir das Festival dann kuratiert und darauf geachtet, dass das Line-up stimmig ist und das Gesamtkonzept passt. Es geht ein bisschen in die Indie-Pop-Richtung, wir haben aber beispielsweise auch zwei Cellisten dabei. Zwischendurch wird es immer wieder ein bisschen Auflockerung geben, etwa in Form von Lesungen, damit ein guter Mix da ist.
Welche Acts kannst du besonders empfehlen? Worauf freust du dich?
Stefanie Summerauer: Besonders freu ich mich auf Musiker*innen wie Mira Lu Kovacs, Kerosin95, YUNGER und LYLIT. Außerdem bin ich schon gespannt auf die Performance von Barbis Ruder, und die Lesung von Angela Lehner aus ihrem Debütroman „Vater Unser“ kann ich sehr empfehlen. Grundsätzlich bin ich aber vom gesamten Line-up total begeistert und werde mir auch selbst alle Live-Sessions ansehen.
Wie funktioniert die technische Abwicklung?
Stefanie Summerauer: Die Künstler*innen sind als Redakteur*innen auf der Facebook-Seite hinterlegt und steigen jeweils zu ihren Timeslots ein um live zu gehen.
Gibt es Vorgaben, wie das Setting zu sein hat, oder ist das jedem und jeder Künstler*in selbst überlassen?
Stefanie Summerauer: Wir lassen da sehr viel Freiheit. Die Künstler*innen sind in großer Selbstverantwortung, weil niemand da ist, der sie hier großartig unterstützen kann. Wir haben für die Künstler*innen aber die Möglichkeit geschaffen vorab einen Soundcheck zu machen. Eine Technikerin und ein Techniker geben in Timeslots am Vormittag Tipps und Feedback zu Bild und Ton.
Wie funktioniert die Finanzierung über Crowdfunding in eurem Fall genau?
Stefanie Summerauer: Es gibt ideelle Tickets zu kaufen. Das sind Ticketpakete, mit denen man die Künstler*innen unterstützen kann. Der Stream ist aber grundsätzlich öffentlich für alle zugänglich.
Wie ist der aktuelle Stand des Crowdfundings? Habt ihr schon viele “Tickets” verkauft?
Stefanie Summerauer: Ja, es läuft gut. Das ist meine erste Crowdfunding-Erfahrung und normalerweise ist der Zeitraum ja viel länger – in unserem Fall sind es nur acht Tage. Unser erstes Ziel von 7.000 Euro haben wir bereits erreicht. Im Idealfall hätten wir gerne 15.000 Euro, damit es sich für alle gut auszahlt.
Haben alle Künstler*innen diesem neuen, solidarischen Finanzierungsmodell zugestimmt?
Stefanie Summerauer: Ja. Wir wissen jetzt ja auch noch nicht, wie viel am Ende rauskommt. Im Idealfall, wenn alle mithelfen, kommt viel zusammen und jeder bekommt mehr. Meine Einschätzung ist, dass dieses Modell durch den Solidaritätsgedanken zum jetzigen Zeitpunkt sehr gut funktioniert. Einfach, weil alle in derselben Situation sind und jeder Troubles hat, damit umzugehen. Da die Veränderungen von heute auf morgen kamen leiden viele Künstler*innen nicht nur finanziell, sondern oft auch emotional darunter. Da spielt nicht nur der finanzielle Aspekt eine Rolle, sondern es steht auch ganz stark die Solidarität und der Zusammenhalt untereinander im Vordergrund.
Werden digitale Festivals auch in der Zukunft Bestand haben oder handelt es sich eher um eine Notlösung? Das Live-Erlebnis ist zwar gegeben, aber der Kontakt zwischen Künstler*innen und Publikum und unter dem Publikum fehlt.
Stefanie Summerauer: Ich glaube schon, dass es Bestand haben kann. Die Frage ist nur, in welcher Form. Der persönliche Kontakt und das Erleben, das Spüren vor Ort sind das Um und Auf, deswegen geht man auf Konzerte, sonst könnte man sich ja gleich daheim ein Video ansehen oder Musik anhören. Wir arbeiten bereits an Ideen, wie die Homestage Festivals auch weiterhin stattfinden können, um eine Ergänzung zu klassischen Festivals zu werden. Auf alle Fälle gibt es Bedarf dafür, denn durch Live-Streaming kann nochmal ein viel breiteres Publikum erreicht werden.
Wird es Folgeveranstaltungen geben? Der Name “Homestage-Festivals” im Plural lässt das vermuten.
Stefanie Summerauer: Genau. Die Idee war, eine eigene Marke aufzubauen. Wir haben verschiedenste Ideen, wie wir das fortführen können und da entstehen sicher noch ein paar coole Sachen.
Die jetzige Zeit ist finanziell natürlich katastrophal für Musiker*innen, Musikschaffende, Veranstalter*innen und andere Beteiligte der Musikwirtschaft. Was wird bleiben? Kann diese Zeit auch eine Chance sein?
Stefanie Summerauer: Ich denke, vor allem der Solidaritätsgedanke und der Zusammenhalt werden bleiben. Ich hoffe zumindest, dass dieser Solidaritätsgedanke auch unter Kunstschaffenden weiterhin bestehen bleibt. Man merkt, dass gerade alle etwas näher zusammenrücken und zusammenarbeiten. Es ist ein neues Miteinander. Wenn wir zusammenarbeiten und solidarisch denken, können wir viel Größeres schaffen, als es uns als Einzelkämpfer*innen möglich wäre.
Zum Abschluss: Euer Team besteht aus der Agentur Raumpioniere und euch, den Visionistas. Was macht ihr?
Stefanie Summerauer: Visionistas ist ein Konzeptbüro mit dem Fokus auf soziale Verantwortung. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Unternehmen dazu anzuregen, sich aktiv für sozialpolitische Themen in der Öffentlichkeit einzusetzen. Das machen wir mit Events und mit Kommunikation. Beispielsweise haben wir gemeinsam mit dem Vorarlberger Unterwäscheunternehmen SKINY das Every Body. Festival umgesetzt. Das Every Body In. Festival war eine Veranstaltung zum Thema Bodypositivity. Die Raumpioniere bewegen sich im urbanen Kontext, machen unter anderem Events im öffentlichen Raum, Publikationen, Online- und Offlinepartizipation und Konzeptentwicklung für Städte, Gemeinden und Unternehmen.
Wo ist da euer persönlicher Konnex zur Musik?
Stefanie Summerauer: Meine Partnerin bei Visionistas und ich haben zuvor schon die Tram Sessions in Wien organisiert, das waren Konzerte in Straßenbahnen. Wir hätten auch heuer ein großes Festival geplant, nämlich das Lake’n’Life Festival am Weißensee mit Fokus auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Das mussten wir jetzt um ein Jahr verschieben. Aber wir sind der Kulturszene generell sehr nahe und engagieren uns deswegen in diesem Bereich.
Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für das erste Homestage-Festival!
Anna Lischka
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Homestage Festival – Line-up
Freitag, 27.3.2020:
17:00: Moderation Faris Rahoma
17:15: James Choice
17:45: Puneh Ansari
18:15: Clemens Sainitzer
18:45: YUNGER
19:45: Martin Spengler
20:15: Sigrid Horn
Samstag, 28.3.2020:
17:00: Moderation Faris Rahoma
17:15: Kerosin 95
17:45: Angela Lehner
18:15: Kristoff
19:00: Hosea Ratschiller
19:30: Squalloscope
20:15: Lukas Lauermann
20:45: LYLIT
22:00: Susanne Schuda
Sonntag, 29.3..2020:
17:00: Moderation Faris Rahoma
17:15: Wenzel Beck
18:05: Barbis Ruder
18:45: Christoh
19:20: YASMO
19:45: Mira Lu Kovacs
20:15: Aida Loos
20:45: LEMO
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Links:
Crowdfunding: https://www.raumpioniere.at/homestagefestivals#rewards
Homestage-Festivals auf Facebook: https://www.facebook.com/homestagefestivals/?ref=br_rs
Visionistas: https://visionistas.at
Raumpioniere: https://raumpioniere.at/de