„Man könnte es auch ‚Stoner-Shoegaze-Schlager‘ nennen“ – BAITS im mica-Interview

„Vier Dilettanten mit einem Händchen für Hooks“, steht auf ihrer FACEBOOK-Seite. Fans von 90er-Jahre-Sound und 60er-Jahre-Vibe stehen auf ihre Musik. Die Wiener Band BAITS greift für ihre Single „Coming After Me“ vier Akkorde, spuckt Blut und weiß, dass sich alles andauernd verändert. Sicher ist: Im Herbst erscheint das erste Album von BAITS auf „Numavi Records“. SONJA MAIER, CHRISTOPHER HERNDLER und FAZO erklärten Christoph Benkeser, was die Erinnerung an MTV und KURT COBAIN für sie ausmacht, welche Privilegien sie sich erarbeitet haben und wie es funktioniert, ein radiotaugliches Album mit dem größtmöglichen Rotzanteil zu produzieren.

Ihr habt gerade die erste Single für das kommende erste Album auf „Numavi Records“ veröffentlicht. Baits gibt es bereits seit 2014. Warum habt ihr euch für das Albumdebüt so lange Zeit gelassen? 

Sonja Maier: Ich habe die Band 2014 mit Miguel und Javier Figuerola als Nebenprojekt gegründet. Die Vorgabe war, nicht zu viel nachzudenken, zu jammen, schnell Songs zu schreiben und live zu spielen. Maurizio [Massaro, Anm.] kam vor dem ersten Konzert am Bass dazu. Javier und Miguel sind 2016 zurück nach Spanien gezogen, Christopher hat an der Gitarre übernommen. Danach hat es gedauert, bis wir mit Fazo den richtigen Drummer gefunden haben. Die Songs für das Album haben wir schon 2018 aufgenommen, waren damit aber nicht zufrieden. Durch das Studio „LW Sonics“, in dem Fazo arbeitet, haben wir aber die Möglichkeit bekommen, vieles neu zu machen und an den Songs zu arbeiten.

Fazo: Es hat so lange gedauert, wie es brauchte, um damit zufrieden zu sein.

Christopher Herndler: Genau, wir haben uns nicht zu lange, sondern genügend Zeit gelassen. Untätig waren wir in der Zwischenzeit ja nicht. Wir haben EPs und Singles veröffentlicht, außerdem einige Touren gespielt. Durch die Besetzungswechsel war es uns wichtig, als Band ins Studio zu gehen und nicht als Musiker, die etwas Vorgegebenes runterspielen.

Blicken wir kurz zurück: Wie ging es 2014 mit Baits los?

Bild Baits
Bild (c) Baits

Sonja Maier: Als Spaßprojekt mit Javier und Miguel, das lief ziemlich gut. Meine andere Band Carousals hat sich damals aufgelöst und ich habe mich entschlossen, mehr Zeit in Baits zu investieren – weil es mir Spaß macht, Popsongs zu schreiben und dabei aufs Fuzz-Pedal zu treten. Musikalisch waren wir zuerst eine Lo-Fi-Garage-Rock-Band, eingängige Melodien waren aber schon immer das Wichtigste. Das zieht sich bis heute durch, auch wenn der Sound sich verändert hat, teilweise härter und „grungiger“ geworden ist. Der Wunsch, gute Popsongs zu schreiben und sie anders zu kleiden, das ist die Basis dieser Band.

Christopher Herndler: Ich kam zur Band, nachdem Miguel zurück nach Spanien gezogen war. Kurz davor habe ich Baits live gesehen und mir gedacht: „Falls ich mal wieder in einer Band spielen sollte, dann in dieser.“

„Ich bin mit zerrissenen Jeans und Nirvana-T-Shirt in die Volksschule gegangen, sehr zum Unmut meiner Eltern.“

Wie wurdet ihr musikalisch sozialisiert? Was ist euer musikalischer Background?

Sonja Maier: Das Livekonzert von Nirvana auf MTV war eines der wichtigsten Erlebnisse für mich. Ich war acht oder neun Jahre alt und wie vom Blitz getroffen – diese rohe Energie, der Lärm, diese Wut, das war unglaublich. Ich beschloss, so sein zu wollen wie Kurt Cobain. Also bin ich mit zerrissenen Jeans und Nirvana-T-Shirt in die Volksschule gegangen, sehr zum Unmut meiner Eltern. Später habe ich eine E-Gitarre bekommen. Im Gymnasium gründete ich eine Band, mit der wir hauptsächlich Cover spielten, zum Beispiel „Creep“ von Radiohead zum Schulgottesdienst, natürlich fett verzerrt.

Christopher Herndler: Für mich waren es MTV und VIVA in den 90ern. Außerdem hatten der Tony-Hawks-Pro-Skater-Soundtrack und die Musik aus Skatevideos einen großen Einfluss auf mich. Ich erinnere mich, wie ich auf Napster die Bands gesucht und meine eigenen CDs gebrannt habe. In meiner Schulzeit bin ich zum Schlagzeugspielen gekommen, ich bin aber bald auf Bass umgestiegen, da Drums in der Wohnung nicht möglich waren. Später habe ich ein paar Jahre in einer Band Bass gespielt. Nach der Auflösung bin ich auf Gitarre umgestiegen und dabeigeblieben.

Fazo: Ich komme aus der DIY-Punk-, Hardcore- und Metal-Szene. Nirvana war für mich riesig, später auch Garagenrock. Die Idee hinter dem Drumsound für Baits ist eine Mischung aus Dave Grohl, Ringo Starr und dem Drummer von Kiss.

Im Herbst kommt das offizielle Debüt auf „Numavi Records“. Eure bisherigen EPs wie „Stalker“ und „Shades“ habt ihr in DIY-Manier selbst aufgenommen und auf Kassette veröffentlicht. Wie war der Produktionsprozess für das Album?

Sonja Maier: Nachdem Baits vom Neben- zum Hauptprojekt wurde, wollten wir es anders angehen. Raus aus dem Keller, rein in ein Studio. Es hat mir nicht mehr gereicht, im Proberaum aufzunehmen, auch wenn ich mit unseren frühen Aufnahmen zufrieden bin. Allerdings wussten wir, dass ein Studio nicht automatisch Instant-Hits verspricht. Viele Spuren waren uns nach der Aufnahme nicht gut genug. Als Fazo zur Band dazukam, brachte er nicht nur frischen Wind, sondern auch die Möglichkeit mit, im Studio „LW Sonics“ von Lukas Wiltschko an den Songs zu arbeiten. Wir haben Spuren neu eingespielt, manchmal sogar komplett von vorne begonnen, um dorthin zu kommen, wo wir hinwollten. Wir haben verstanden, dass es manchmal Sinn macht, sich Zeit zu lassen, die Songs oft live zu spielen und im Studio Sachen zu ändern, die sich live entwickelt haben. Wir sind mit der Platte sehr zufrieden, weil wir unseren Sound gefunden haben. Es ist die Schwankungsbreite – von heavy rifflastig hin zu verspielten, kitschigen High-School-Prom-Slowdance-Momenten.

Fazo: Der Ansatz war, ein radiotaugliches, poppiges Album mit dem größtmöglichen Dirt- und Rotzanteil im Sound zu produzieren. Soundtechnisch machen Lukas und ich den Unterschied zu vorherigen Baits-Songs aus – for better or worse. Aber klar, die ganze Band hatte großen Einfluss, schließlich waren es einige Sessions, die wir gespielt haben.

„Wir gehen nicht ins Studio und sagen: ‚So, jetzt machen wir eine Grunge-Nummer.‘“

Ihr bezeichnet eure Musik als „Fuzzpop-Beach-Grunge“. Da kommt einiges zusammen. Was meint ihr damit?

Bild Baits
Bild (c) Baits

Sonja Maier: Wir fassen damit das Altbewährte ein, also 90er-Sound, Popsongstrukturen und den 60er-Vibe. Dazu kommt der kalifornische Garage-Rock-Sound von Bands wie Together Pangea, Fidlar und Wavves. Diese Mischung – die verschwitzte, rohe, wütende, verrückte Energie – wird für mich immer funktionieren.

Christopher Herndler: Man könnte es auch „Stoner-Shoegaze-Schlager“ nennen. Bei uns passieren die Dinge oft automatisch – beim Proben, beim Drauflosspielen, ganz ungezwungen. Wir gehen nicht ins Studio und sagen: „So, jetzt machen wir eine Grunge-Nummer.“

In der Musik von Baits tun sich für mich viele Assoziationen auf. Hole und die 90er, Breeders und Nachmittage mit MTVSex Jams und das vermeintliche Revival von Grunge. Welche Ideen fließen in eure Musik ein, was beeinflusst euch und warum? 

Christopher Herndler: Für mich stimmen diese Assoziationen gar nicht, Hole und Breeders habe ich nicht gehört – eher Bands wie Refused, At the Drive-in, Gallows, Queens of the Stone Age und Tool. Ich erkenne in meinem Gitarrenspiel den Hang zu schönen, simplen Melodien und Chords, die lange im Raum stehen können. Wie bei „Coming After Me“ mischen sich manchmal aber auch nintendoartige, chromatische Lines à la Bubble Bobble dazu.

Sonja Maier: Von den genannten Bands haben nur die Breeders einen großen Einfluss auf mich, weil Kim Deal einfach die Coolste ist. Grunge beeinflusst uns natürlich – Nirvana haben laute Popsongs geschrieben. Dazu mischt man ein paar Beatles-Phasen, in denen man die Affinität zur Popstruktur vertieft und schaut sich manches aus der Lo-Fi-Indie-Rock-Szene Nordamerikas ab. Was in Österreich an Rockmusik präsent ist, scheint mir oft überproduziert – die Gitarren klingen alle gleich fett, die Drums superfett und die Vocals „schön aufgenommen“. Das reizt mich nicht, das ist fader, glatter Brei. 4-Track-Tapesongs wie von Guided by Voices sind spannender. Es zeigt: Wenn eine Hookline gut ist, ist sie das auch in anderer Qualität. Und ja, wenn es in Österreich Leute gibt, die das schätzen, sind das die Menschen hinter „Numavi Records“.

Wie arbeitet ihr an Songs? Wie ist eure Herangehensweise beim Songschreiben?

Sonja Maier: Ich schreibe viele Demos allein zu Hause. Live oder beim Proben sehen wir, was im Kontext der Band passiert und welcher Vibe sich entwickelt. Bleibt etwas hängen, wird daraus ein konkreter Song. In Zukunft wollen wir versuchen, Songs relativ bald im Studio auszuformen – auch weil wir durch die Studiomöglichkeiten privilegiert sind. Das beeinflusst die Arbeitsweise. Man kann freier arbeiten, ausprobieren und den Prozess, der im Studio oft unter Zeitdruck abläuft, losgelöster durchlaufen. Wenn mir zum Beispiel nach drei Wochen die Vocals nicht mehr gefallen, kann ich sie jederzeit neu aufnehmen. Das ist ein Luxus, für den wir dankbar sind.

Fazo: Je älter die Band wird, desto mehr Sachen entstehen im Proberaum – durch die gemeinsame Jam oder das klare Ausarbeiten von Riffs. Hausarbeit bleibt trotzdem Hausarbeit. Damit meine ich die Banger-Riffs. Die fallen Sonja und Christopher zu Hause auf der Couch ein.

„[…] vier Akkorde, eine Hook, eine cheesy Bridge und ein schnelles Gitarrensolo – that’s it.“

Die aktuelle Single heißt „Coming After Me“– ein Song, den ihr bereits 2017 auf Bandcamp veröffentlicht habt. Was macht den Song nach drei Jahren immer noch relevant für euch? 

Fazo: Er klingt heute viel besser an als 2017. Außerdem haben ihn damals zu wenig Leute gehört. Es fehlt uns nicht an Material, aber jeder Song hat die Chance verdient, gehört zu werden.

Sonja Maier: Für mich war das ein wichtiger Song, der live super funktioniert. Aber die alten Aufnahmen waren nicht zufriedenstellend. Sie haben den Vibe des Songs nicht eingefangen. Erst mit der neuen Aufnahme ist uns das gelungen. Jetzt ist alles drin: vier Akkorde, eine Hook, eine cheesy Bridge und ein schnelles Gitarrensolo, that’s it.

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Der Song bringt euren „knack for hooks“, wie ihr das Talent für Hooklines selbst bezeichnet, auf den Punkt. Der Refrain geht mir seit heute Morgen nicht mehr aus den Ohren. Keine Schnörkel, kein Drumherum – es knallt nach der ersten Sekunde. Läuft man dadurch nicht Gefahr, dass sich der Song zu schnell abnutzt?

Sonja Maier: Einen guten Ohrwurm finde ich wunderbar. Tatsächlich sind nicht alle unsere Songs so gebaut – „Enough“ hat zum Beispiel eine ähnliche Struktur, also Verse-Chorus-Verse und eine Hookline, fühlt sich aber viel komplexer an. Die Mischung aus authentischem Geradeheraus-Punk und dynamisch unterschiedlichen Momenten macht es aus. Deshalb gibt es auf dem Album eine große Bandbreite an Songs zu hören.

Fazo: Ich höre nur Hymnen. Songs, die ich sofort wieder hören will, wenn sie vorbei sind. Egal in welcher Musikrichtung. Vielleicht nutzen sich manche schneller ab, aber du hast auch wieder schneller Bock drauf. Das große Konzeptalbum-Epos wirst du bei uns nicht finden.

„Manchmal fühlt sich das Leben an, als wäre Murphy’s Law das einzig geltende Gesetz – alles, was schiefgehen kann, wird schiefgehen.“

Sonja, du trittst im Musikvideo in verschiedenen Rollen auf. Als Eishockeyspielerin, der Blut aus dem Mund tropft; als Motorradfahrerin mit Lederjacke; im Wohnzimmer zwischen Lametta und Lichtshow. Um was geht es in dem Song?

Sonja Maier: Es geht um Ängste und Erwartungen, die uns in allen Lebenssituationen begleiten und die man nicht so einfach loswird. Manchmal fühlt sich das Leben an, als wäre Murphy’s Law das einzig geltende Gesetz – alles, was schiefgehen kann, wird schiefgehen. Deshalb: „It’s always coming after me.“ Nichts im Leben ist sicher, nichts ist beständig. Alles ändert sich andauernd. Es tut weh, das zu akzeptieren, weil man loslassen und sich diesem Schmerz der Veränderung hingeben muss. Da kann man schon mal durchdrehen, abhauen oder aus Wut am Eishockeyplatz Blut spucken.

Spontanität und Selbstironie stünden im Fokus von Baits, schreibt ihr auf eurer Facebook-Seite. Wie wichtig ist spontane Ironie in der österreichischen Musikszene?

Sonja Maier: Viele Künstlerinnen und Künstler nehmen sich zu ernst. Man gibt ungern zu, dass man etwas nicht kann, will oder manche Dinge einfach so passieren. Aber nur wenige ziehen ihr Ding authentisch und ohne Rücksicht auf Trends, Modeerscheinungen oder aufgesetzte Attitüden durch. Gefallen zu wollen ist menschliches Verhalten, von dem man sich selbst nicht ausnehmen kann. In Österreich herrscht ein wenig die Wir-sind-so-toll-Stimmung vor, eine gegenseitige Beweihräucherung, die aber trügerisch ist, weil man in der kleinen heimischen Szene in einem sehr begrenzten Sumpf schwimmt. Was ich vermisse, ist eine offene, kollaborationsfreudige Einstellung. Es arbeiten immer wieder dieselben Leute zusammen. Das liegt wohl daran, dass wenige bereit sind, ihren Sumpf, ihr Genre und ihre Vorstellungen zu verlassen. Aber vielleicht bin ich da selbst zu engstirnig. Meistens stört einen an anderen genau das, was man an sich selbst nicht mag. Trotzdem: Acts, die es aus Österreich rausschaffen, haben meist ein ironischeres Selbstbild. Die nehmen sich selbst und die Szene nicht ganz so ernst und machen ihr Ding. Und Provokation ist immer ein Um und Auf – auch wenn es 2020 gar nicht so leicht ist, irgendjemanden mit irgendwas zu provozieren.

Christopher Herndler: Außerdem darf man bei aller Spontanität nicht vergessen, dass hinter der ganzen Blödelei und Selbstironie ein Werkl steht, das zu laufen begonnen hat. Wir wissen, was wir auf der Bühne können, und fühlen uns dort wohl. Wir sind gut aufeinander eingespielt und wissen, wer welchen Part übernimmt. Daher bleibt uns Zeit für Spaß. Und generell: Ein zu professioneller Zugang – zu was auch immer im Leben – ist meistens ein Spaßkiller.

Fazo: Es ist furchtbar, wenn von Musikerinnen und Musikern Antworten zu Politik, Weltgeschehen oder anderen ernsten Themen erwartet werden. Wir haben sie nicht. Ich habe Freundinnen und Freunde, die seit Jahrzehnten in politischen Gruppen lernen und arbeiten – fragt die, die ihr Leben der Wirtschaft, Politik oder sozialen Ungerechtigkeit widmen. Ich mach nur Kunst und Musik.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Christoph Benkeser

 

Links:
Baits (Facebook)
Baits (Bandcamp)
Numavi Records