„Man darf nicht bequem sein, sondern man muss es einfach tun“ – GEORG BREINSCHMID im mica-Interview

Anfang September erschien das neue Album „Breinländ“ (Preiser Records) des Wiener Kontrabassisten, Ex-Philharmonikers und erfolgreichen Jazzmusikers GEORG BREINSCHMID. Im Gespräch mit Alexander Kochman erzählte er, wieso er es nicht bereut, seinen sicheren Job bei den WIENER PHILHARMONIKERN gekündigt zu haben, was ihn inspiriert und weshalb er noch nicht Saxofon spielen gelernt hat.

Ihr aktuelles Werk ist wieder ein Doppelalbum mit unterschiedlichsten musikalischen Elementen. In den Liner Notes steht, dass „sich wieder viel angesammelt hat“. Wie entscheiden Sie, welche Aufnahmen und Kompositionen auf Ihren Alben erscheinen? 

Georg Breinschmid: Im Grunde genommen entscheide ich nach Qualität. Nach dem, was mir künstlerisch wichtig ist und womit ich einen gewissen Teil von mir ausdrücken kann. Es kommen deshalb immer so viele unterschiedliche Facetten zum Einsatz, weil ich mich einfach für so viele unterschiedliche Sachen interessiere. Weil ich auf so viele unterschiedliche Sachen stehe und so viele verschiedene Dinge und Stile schreibe. Das sind einfach alles Teile von mir, die mir irgendwie wichtig sind auszudrücken. Es hat sich eigentlich immer wieder so ergeben, dass ich solch umfangreiche Doppelalben produziert habe, welche eben multistilistisch sind. Aber ich habe schon auch Alben mit nur einer Besetzung gemacht. Zum Beispiel im Duo mit Thomas Gansch, da kommt im November eine neue CD heraus.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Im Video zu „Hunnenshlompsky goes for a walk“ sieht man, wie Sie verkleidet mit Perücke einen Dirigenten mimen. Ist das eine humoristische Abrechnung mit der herrschenden Struktur im Orchester ?

Georg Breinschmid [lacht]: Das ist auf jeden Fall nicht unrichtig. Ergeben aber hat sich das total spontan. Der Filmer, der das Video gemacht hat, hatte bei sich zu Hause so eine Perücke liegen. Ich weiß nicht, ob er die gekauft oder speziell vorgesehen hat, aber ich habe sie einfach spontan probiert und er hat es dann im Video gelassen. Es war also nicht geplant, sondern hat sich eher zufällig so ergeben.

Aber wenn ich es mir anschaue, ist die Art, wie ich dirigiere, gewissermaßen schon eine humoristische Sichtweise. Ob es eine Abrechnung ist, weiß ich nicht.

Georg Breinschmid (c) Julia Wesely

Was die Welt der improvisierten, rhythmisch betonten Musik, in der ich mich jetzt mehr bewege, und die klassische bzw. Orchester-Welt vor allem unterscheidet, sind der Groove und der Rhythmus. Das ist einer der größten Unterschiede und natürlich wirkt es ziemlich bescheuert, wenn man so wie ich im Video so eine Musik, die ganz einfach einen Groove hat, auf klassische Weise dirigiert. Das ist meiner Meinung nach auch das, wo diese beiden musikalischen Welten am schwierigsten zusammenfinden. Im rhythmischen und im Phrasierungsaspekt.

Könnten Sie sich vorstellen, wieder regelmäßig im Orchester zu spielen bzw. arbeiten? Oder gibt es etwas, was Sie an der Arbeit im Orchester vermissen?

Georg Breinschmid: Nein. Ich habe vor genau 20 Jahren gekündigt, Ende August 1998 meinen letzten Orchesterdienst als engagierter Musiker bei den Wiener Philharmonikern gespielt. Alles, was ich seither gemacht habe und sich entwickelt hat in meiner Musik wäre eben unmöglich gewesen neben einem fixen Orchesterjob, vor allem bei dem Job der Philharmoniker, wo man eigentlich zwei Jobs, nämlich Konzertorchester und Opernorchester, hat. Ich genieße es sehr, als Solist mit Orchester zu spielen. Zum Beispiel diese „Carmen Fantasie“ habe ich in Hongkong mit Orchester gespielt. Projekte mit Orchester und meiner eigenen Musik finde ich extrem spannend und machen mir sehr viel Freude. Auch da ist es immer wieder eine Herausforderung, diese Welten zu verbinden. Einen fixen Job anzunehmen ist undenkbar für mich. Da hätte ich viel zu wenig Zeit fürs Komponieren und viele Sachen mehr. Ein Orchester unterliegt einer gewissen internen Hierarchie. Es ist ein sehr spezieller Apparat, der auf eine sehr eigene Weise funktioniert. Das ist zwar total spannend, Orchester ist was Großartiges, was fantastisch klingen kann usw., aber ich könnte es mir für mich nicht vorstellen, das fix auszuüben.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

„Ich habe im Orchester wahnsinnig viel gelernt und wahnsinnig viel Musik kennengelernt, die ich zutiefst liebe und bewundere.“

Gab es einen ausschlaggebenden Moment bzw. speziellen Grund, sich von der Orchesterarbeit abzuwenden?

Georg Breinschmid: Das hat sich eher über längere Zeit entwickelt. Es gab kein einzelnes Schlüsselerlebnis. Ich hatte auch eine super Zeit im Orchester, es war total spannend und intensiv. Ich glaube aber, dass ich deswegen gute Erinnerungen an die Orchesterzeit habe, weil ich sie beizeiten beendet habe. Wenn ich die letzten 20 Jahre im Orchester gesessen wäre, hätte ich das Gefühl, wahnsinnig viel versäumt zu haben. Ich habe ja die Orchesterjobs, vorher war ich auch beim Tonkünstler-Orchester, nicht zuletzt auch aus einer familiären bzw. elterlichen Motivation heraus angestrebt. Der Bua soll halt irgendwie einen properen Job haben. Und vielleicht auch, weil ich irgendwem was beweisen wollte – vielleicht meinen Eltern. Vielleicht wollte ich auch beweisen, dass ich die Fähigkeiten habe, das zu schaffen. Und ich habe schon damals amateurmäßig Jazz gespielt, aber ich haben das sozusagen hinten angestellt. Und als ich dann mit 23 bei den Philharmonikern angefangen habe, habe ich mir noch in der ersten Woche des Engagements gedacht: „Ich weiß nicht ob das wirklich das ist, was ich die nächsten 45 Jahre bis zur Pension machen werde.“ Mein Herz hat mir dann gesagt, dass ich was anderes machen sollte und den Schritt, bei den Philharmonikern zu kündigen, durchziehen sollte und nicht noch zehn Jahre warten sollte, denn dann hätte ich es wahrscheinlich nicht mehr gemacht. Und aus dem Grund habe ich dann eben mit 25 schon wieder gekündigt. Was eine relativ krasse Aktion war. Viele Leute haben mir gratuliert, manche im Orchester haben es überhaupt nicht gepackt und mich nicht mehr gegrüßt [lacht]. Aber ich bin einfach froh, dass ich den Absprung geschafft habe. Wenn ich bis 30 oder 35 geblieben wäre, wäre es viel schwieriger gewesen, einen Neuanfang zu starten.

Können Sie einschätzen, in welcher Art und Weise die klassische Ausbildung bzw. die Arbeit im Orchester für Ihre jetzige musikalische Tätigkeit hilfreich war?

Georg Breinschmid: Hilfreich war es auf jeden Fall. Ich habe im Orchester wahnsinnig viel gelernt und wahnsinnig viel Musik kennengelernt, die ich zutiefst liebe und bewundere. Béla Bartók ist mein größter Hero und es gibt viele andere Sachen, die ich sehr schätze. Hilfreich ist alles, was man musikalisch erlebt. Jede Erweiterung des Horizonts ist eine Bereicherung.

„… und plötzlich ist eine innere Lawine losgebrochen“

Georg Breinschmid (c) Julia Wesely

Sie haben ja erst recht spät damit begonnen zu komponieren. Wie läuft bei Ihnen der Kompositionsprozess ab?

Georg Breinschmid: Ich habe tatsächlich extrem spät begonnen zu komponieren. Ich habe mit 29 zum ersten Mal ein Stück geschrieben. Aus irgendeinem Grund hatte ich es mir vorher nie zugetraut und es auch nie richtig versucht. Dann hat es sich durch gewisse Umstände doch ergeben und plötzlich ist eine innere Lawine losgebrochen. Dann wollte ich nur noch komponieren. Vielleicht wollte ich auch Versäumtes nachholen. Komponieren ist mir extrem wichtig geworden, weil ich dann irgendwann gesehen habe, dass da sehr wohl viel da ist, was ich ausdrücken will. Wie ich komponiere, ist eigentlich schwierig zu sagen, weil eigentlich weiß ich es nicht genau. Rein technisch habe ich es nie gelernt. Ich pflege auch immer zu sagen, dass ich jetzt eigentlich von zwei Sachen lebe, die ich beide eigentlich nie gelernt habe, nämlich Jazzkontrabass und Komponieren. Das habe ich beides nie in irgendeiner Form studiert. Wenn ich so darüber nachdenke, ist vielleicht das Wichtigste beim Komponieren, dass man nicht auf den genialen Einfall wartet, sondern dass man einfach schreibt, egal was dabei herauskommt. Dadurch lädt man den genialen Einfall umso mehr ein, sich zu zeigen. Um das Mysterium, welches man da vielleicht hineininterpretieren könnte, ein bisschen herauszunehmen: Es ist im Grunde genommen einfach eine Arbeit, die man halt macht. Mit konkreten Deadlines funktioniere ich ganz gut, da bin ich einfach gezwungen, was zu machen. Man darf nicht bequem sein, sondern man muss es einfach tun. Auf „Breinländ“ sind auch etliche Stücke, die ich als Auftragskompositionen geschrieben habe. Zum Beispiel „Coincidance“ und die ganzen Ernst-Jandl-Vertonungen, die ein Auftrag der Ernst-Jandl-Lyriktage waren.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

„Jedes Stück hat seine eigene Geschichte und Atmosphäre.“

Komponieren Sie Ihre Stücke zuerst und schauen dann, mit welchem Ensemble, welcher Besetzung Sie sie spielen möchten? Oder komponieren Sie konkret für ein bestimmtes Projekt?

Georg Breinschmid: Sowohl als auch. Zum Beispiel das Stück „Schnabulescu Bandini“ habe ich im Urlaub vor zwei Jahren geschrieben. Beim Improvisieren hat sich dieses 7/4-Bassriff ergeben. Das habe ich dann ausgebaut und eine Melodie dazugeschrieben. Als ich mit Thomas Gansch ein neues Duoprogramm geschrieben habe, hat sich dieses Stück relativ schnell als ein geeignetes Duostück für Trompete und Kontrabass herausgestellt. Ich habe später versucht, „Schnabulescu Bandini“ für zwei Geigen zu arrangieren, und habe dann eben noch eine Begleitstimme geschrieben, das hat dann auch gut funktioniert. Dieses Stück wurde sicher schon in fünf, sechs Besetzungen gespielt.

Andere Stücke sind genau auf eine Besetzung oder vielmehr auf eine bestimmte Person oder bestimmte Musikerinnen und Musiker zugeschnitten. Jedes Stück hat seine eigene Geschichte und Atmosphäre. Manche Stücke eignen sich dafür, dass sie von vielen verschiedenen Leuten gespielt werden, und manche kann ich zum Beispiel nur mit Thomas Gansch spielen.

Georg Breinschmid (c) Moritz Schell

Welche Vorbilder haben Sie? Humor spielt ja eine nicht zu geringe Rolle in Ihrem Schaffen, gibt es da musikalisch-humoristische Vorbilder?

Georg Breinschmid: Viele, viele Künstlerinnen und Künstler haben mich inspiriert und mein Leben begleitet. Ich kann nur ein paar wenige zentrale Einflüsse nennen. In der klassischen Musik, wie schon erwähnt, Bartók, Mussorgski, Strawinsky. Im Jazz Django Reinhardt, den ich als Teenager extrem viel gehört habe. Dann auf der anderen Seite war Jaco Pastorius bassmäßig, aber auch so als Komponist und Gesamtkünstler ein riesiger Einfluss. Seine erste Soloplatte war auch eine meiner ersten Jazzplatten, welche gewissermaßen auch zu einem Role-Model geworden ist. Das ist nämlich auch ein Platte, auf der, glaube ich, jedes Stück anders besetzt ist und die Stücke auch stilistisch unglaublich unterschiedlich sind. Das war und ist es für mich auch noch heute eine der größten Platten, die jemals gemacht wurden. Charles Mingus, Eric Dolphy etc. waren auch total wichtig für mich. Jetzt höre ich gerade relativ viel Miles Davis der späten 60er-, frühen 70er-Jahre. Es ist [lacht] Kraut und Rüben. Die Welt der Musik ist so groß und so vielfältig, warum soll man nicht alles genießen, was es halt so gibt? Auf der anderen Seite … Beatles. Auf die bin auch erst ziemlich spät in meinem Leben gestoßen, sie sind aber eine endlose Inspirationsquelle und vielleicht die größte Band aller Zeiten, wenn man so will. Also auch gerade als Songwriter. Jimi Hendrix, Steely Dan höre ich zurzeit auch ziemlich viel. Zum Humoristischen in der Musik: Frank Zappa war ebenfalls immer ein gigantischer Hero für mich, eine nie endende Inspirationsquelle. Der hat sehr viel mit Humor in der Musik gemacht und war wahrscheinlich einer der größten Künstler des letzten Jahrhunderts. Monty Python war und ist zum Beispiel auch eine unglaublich wichtige Sache für mich. Dann natürlich auf der anderen Seite Josef Hader, der ein großartiger Künstler ist und mich stark beeinflusst.

Im letzten Gespräch mit mica haben Sie erwähnt, das Sie gerne Saxofon lernen würden. Ist das noch immer ein Wunsch oder bereits Realität?

Georg Breinschmid [lacht]: Ich nehme mir manchmal zu viele Sachen auf einmal vor. Leider, das muss ich mit Bedauern sagen, habe ich noch nicht Saxofon gelernt. Es passieren immer so viele Dinge. Ich denke gerade über eine Auszeit nach und da habe ich dann hoffentlich genug Zeit, um mich auch anderen Instrumenten zu widmen. Ich würde auch sehr gerne mal wieder ein bisschen Schlagzeug spielen. Das Schlagzeug war eigentlich mein erstes richtiges Instrument, bevor ich zum Kontrabass gekommen bin. Ich bin zuversichtlich, dass die Zukunft bei mir noch andere Instrumente zulässt.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Alexander Kochman

Links:
Georg Breinschmid