Ein Produkt aus Erfahrung und Überzeugung. Ein musikalisches Statement, das in den beängstigenden Zeiten des allgegenwärtigen Populismus so zeitgemäß wie auch selten geworden ist. „Product“ (Speed Of Light Recordings), das neue Album der unbeugsamen Band M185.
Glattes Songwriting und aufgeblasene Produktion findet man hier erfrischenderweise genauso wenig wie subkulturelle Vielfalt in den Fußgängerzonen der Metropolen.
Post-Punk – kein Pop. Post-Pandemic-Punk
„Mit welchen Einflüssen?“, wird man sich sofort fragen. New-Pandemic-Wave? Hoffentlich nicht. Nun ja. Musikalisch leben wir in einer Zeit, in der schon sehr viel gesagt und fusioniert worden ist. Dann lieber wieder zurück zum Ursprung. Frei laufende Bässe, glücklich krähende Synthesizer und Lead-Gesänge frei von Zusätzen wie Autotune. Nicht beeinflusst, sondern abgeschreckt vom Mainstream.
So etwas darf sich Zeit lassen zum Entstehen und Wachsen. Oder hat es doch was mit der Entführung durch Aliens zu tun? Muss ja nicht alles innerhalb von sechs Monaten fürs Presswerk gezüchtet werden. Sechs Jahre hat sich die Wiener Band jedenfalls Zeit genommen seit ihrem letzten Langspieler-Release 2014, um sich wieder das Ja-Wort zu geben. Ja zum MODernistsein. Dieses Credo betreibt die Gruppe nun bereits seit ihrer Erstveröffentlichung 2008 auf vorbildliche Art und Weise.
Auf dem Planeten M185 scheint noch viel erlaubt zu sein
Weder neue noch alte Normalität wollte man hier musikalisch umsetzen. Mut machen. Alles kann wieder in Ordnung gebracht werden. Unerwartetes erklingt in Form von Songs, die sich entwickeln dürfen. Da darf der Refrain schon mal länger auf sich warten lassen als die meist üblichen dreißig Sekunden. Aber wer sich Zeit nimmt, wird bemerken, dass die Songs trotzdem aufgehen.
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Im Gegensatz zur vorherrschenden Radiolandschaft, so könnte man annehmen, gehört der Krümmungsgrad der Gurke laut den gelockerten EU-Vermarktungsnormen seit 2009 endlich der Vergangenheit an – dem Hausverstand sei Dank. Und „krumme Gurken“ in Form von brodelnden Rauschgeneratoren, verzerrten Drums und handverlesenen analogen Effekten findet man hier zur Genüge. Sie lassen die Songs lebendig werden und sogar miteinander verschmelzen. Das schmeckt den Hörerinnen und Hörern. Jedenfalls denjenigen mit Bewusstsein zur Nachhaltigkeit und mit Plattenspieler. Denn die ersten 185 Vinyls kommen nicht eingeschweißt in Plastik und schon gar nicht im „Jewel Case“, sondern zusammen mit ausgewählten 1-Euro-Platten von Flohmarktwühltischen. Lediglich versehen mit einem Sticker der aktuellen Albumgrafik von Hall Mutang. Ein Unikat im Überraschungskarton. Sicher kein Wegwerfprodukt.
Post-Pandemic-Pop?
Also keine Angst. Keine nihilistische Noise-Musik-Dystopie, sondern ein Zeichen für Diversität wurde hier eingespielt. Ein Denkmal, in dessen Hallfahne man einen noch jungen Damon Albarn zu hören glaubt. Ein Kniefall zu Ehren der Talking Heads in „Once in a Lifetime“. Das wird in „Fraction Friction“ besonders deutlich. Flagge bekennen und Mut beweisen. Ja! Natürlich. Längst Zeit, sich immer und überall die Frage stellen: „Am I right or am I wrong?“ Bevor man sich in jeder Hinsicht ausverkauft und irgendwann, wovor vielleicht John Byrne bereits 1980 gewarnt hat, vorhalten muss: „My God! What have I done?“
Vielleicht also doch bald ein Trend. Post-Pandemic-Pop? Man wird ja wohl noch träumen dürfen. Solange die Trommeln bei M185 noch so energetisch geerdet im Takt schlagen, heißt es „Move On“. Es ist noch nicht zu spät.
Dominik Beyer
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