„Liebst du mich denn nur aus Langeweile?“ – Der Kosmos des Komponisten Gerald Futscher

Gerald Futscher ist ein Künstler wie er im Buche steht. Seit Jahren komponiert er Ensemblestücke, groß angelegte Orchester- und Musiktheaterwerke. Die Tatsache, dass vergleichsweise wenige Aufführungen stattfinden, lässt ihn zwar nicht unberührt, belastet ihn jedoch auch nicht über Gebühr. Unbeirrt und mit großem kreativem Einsatz geht er seinen Weg. Gerald Futscher unterrichtet an der Musikschule Dornbirn Klavier und Komposition. Für sein kompositorisches Schaffen wurde ihm 2011 die Ehrengabe des Landes Vorarlberg überreicht. Nun ist Gerald Futscher fünfzig und das „ensemble plus“ präsentiert im Rahmen der Langen Nacht der neuen österreichischen Musik im ORF Landesstudio neue Werke aus der Feder des in Götzis lebenden Komponisten. Im Gespräch mit Silvia Thurner erzählt Gerald Futscher von seiner Motivation und Kompositionsart, selbst gebauten Klangerzeugern und literarischen Vorlagen.

Du hast dich in den vergangenen Jahren intensiv mit Georg Büchner auseinander gesetzt. Das Orchesterstück „Dantons Tod“ ist entstanden und fünf Szenen zur Oper „Leonce und Lena“ sind bereits fertig komponiert. Was fasziniert dich an Büchner?

Büchners Stücke bieten einen guten Stoff, so bin ich nach langen Recherchen bei ihm hängen geblieben. Die Gesellschaftskritik Büchners kann man auch auf die Gegenwart übertragen. Außerdem ist „Leonce und Lena“ ein Lustspiel. Das hat mich gereizt. Nun sind die Stücke fertig geschrieben und in der Schublade.

– Der innere Antrieb

Du komponierst viele Werke auch ohne Auftrag. Was gibt dir Antrieb?

Bei Büchner heißt es „Liebst du mich denn nur aus Langeweile?“ Büchner ist mit 24 Jahren gestorben. Vor zwei Jahren war ich bereits doppelt so alt und dachte mir dass es höchste Zeit ist, mit der Arbeit zu beginnen Das Komponieren selbst macht mir Spaß, darum komponiere ich jeden Tag. Was ich schreibe, spielt eine untergeordnete Rolle.

Drängt es dich, das aufzuschreiben, was fortlaufend im Kopf entsteht oder entwickelt sich die Musik dann, wenn du in der Nacht im Atelier arbeitest?

Meistens bin ich mit einem Stück beschäftigt und weiß genau, das möchte ich noch niederschreiben. Ich mache mir immer selbst Arbeit und versuche sie dann wegzuschaufeln. Und bei jedem Werk denke ich mir, ich mache ein Fest, wenn ich es fertige habe. Doch nach getaner Arbeit bin ich eher unzufrieden und habe das Gefühl, dass das fertig gestellte Werk noch nicht das Eigentliche zum Ausdruck bringt. So beginne ich das nächste Stück.

– Der Musikbetrieb

Gibt es Chancen für die Aufführung der großen Orchesterwerke?

Wenig. David Pountney wollte das Stück „Dantons Tod“ eigentlich machen. Ich habe keine Ahnung, warum das dann nicht zustande gekommen ist. Ich kümmere mich zu wenig um diese Dinge. Selbst die Kontakte, die ich hätte, vernachlässige ich.

– Unerhörtes schaffen –

Melodische Linien gestaltest du sehr artifiziell aus und gliederst sie in kleinste Tonwerte. Unter anderem in den acht Stücken für Bratsche und Klavier verwendest du auch Mikrointervalle. Bietet dir die Mikrotonalität eine zusätzliche Möglichkeit, die Tonlinien zu nuancieren?

Für mich gibt es keine gerade Linie, das ist mir zu klassisch. Wenn ich ein Ereignis, beispielsweise eine Schallwelle, in den Raum stelle, hat diese eine Wirkung auf andere Dinge. Die Noten stelle ich mir wie Kügelchen vor, die ins Wasser geworfen oder angestoßen werden. Die daraus resultierenden Wellen beeinflussen wiederum die anderen.

Vierteltöne erweitern den Tonraum, die zwölf Halbtöne innerhalb einer Oktave sind mir persönlich jedoch ein bisschen zu wenig. Das zwölftönige System ist meiner Meinung nach ausgereizt. Innerhalb des tradierten Systems weiß ein Komponist genau, welche Mittel er einsetzen muss, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Es gibt ja auch Leute die sagen, sie komponieren was sie in sich hören und was sie empfinden. Aber das finde ich langweilig, da geht nichts vorwärts. Ich möchte Musik komponieren, von der ich noch nicht weiß, was wirklich dabei heraus kommt.

– Gesetze der Polyphonie

Deine Kompositionsart und die kontrapunktischen Verfahren erinnern an die Polyphonie Bachs.

Das polyphone Denken, die Art wie ich Stimmen zueinander in Beziehung setze sowie die Folgen, die sich aus den einen oder anderen Einsätzen ergeben, wirken bis in die kleinsten Einheiten hinein. So gesehen komponiere ich Inventionen. Ich mache eine Vierteltonreihe  wie einen Cantus firmus, der allen klassischen Kriterien einer Melodie, eines Melos, entspricht. Es gibt viele Kombinationsmöglichkeiten, die oft nicht leicht zusammen zu halten sind. Darum versuche ich mich an einem Kanon im Sinn eines Gesetzes festzuhalten, den ich mir selbst auferlege, damit es nicht ins Beliebige abdriftet.

– Klänge abseits des Bekannten

Oft kommen in deinen Werken selbst gebaute Instrumente und andere Klangerzeuger zum Einsatz. Dienen diese als Erweiterung des Tonrepertoires und nehmen sie denselben Stellenwert ein wie die herkömmlichen Instrumentaltöne?

Ja genau. Wenn ich Klänge mit seltsamen Dingen erzeuge, bekomme ich oft zu hören, das seien nur Effekte. Doch darauf reagiere ich sauer, weil das nicht stimmt. Klänge sind keine Effekte, wenn ich sie als kompositorische Bausteine verwende. Ich kann beispielsweise auf einem Streichinstrument auf verschiedenste Arten Kratzgeräusche erzeugen. Wenn ich aber, ohne das Instrument zu beschädigen, weiter gehen möchte, muss ich ein anderes Ding finden, aus dem ich die gewünschten Schallereignisse herausholen kann. Darum konstruiere ich eigene Klangerzeuger.

– Literatur als Inspirationsquelle

Literarische Vorlagen haben immer schon deine Phantasie angeregt. Aktuell entsteht ein Liederzyklus nach Gedichten des französischen Autors Michel Houellebecq. Was ist zu erwarten?

Inzwischen habe ich fünf Lieder komponiert. Michel Houellebecq ist sehr umstritten, er provoziert sehr gerne. „Derrière mes dents“ heißt ein Lied aus dem Zyklus, das im April uraufgeführt wird. Der Textgrundlage entsprechend, möchte ich außergewöhnliche Vokalklänge generieren und die Tonentstehung im Kehlkopf und im Mund mit verschiedenen Dingen manipulieren.

Ein weiteres neues Stück für zwei Saxophone und Schlagzeug ist angekündigt, welche Gedanken liegen diesem Werk zugrunde?

Das Ensemblestück trägt den Titel „ D`abord j`ai trébuché dans un congélateur“, ebenfalls nach einem Gedicht von Michel Houellebecq. Neben dem herkömmlichen Spiel geht es auch darum, den Instrumentalklang durch das Wasser zu leiten. Wir werden sehen, in welcher Form das realisiert wird.

Danke für das Gespräch.

Dieses Interview ist zuerst in der Zeitschrift für Gesellschaft und Kultur, April 2012 erschienen.

Factbox
Freitag, 20. April 2012 , Lange Nacht der Zeitgenössischen Musik aus Vorarlberg, „ensemble plus“ Landesstudio Vorarlberg, Dornbirn, ab 23 Uhr, (live-Übertragung in Ö1)
Unter anderem Werke von Richard Dünser, Peter Engl, Michael Floredo, Gerald Futscher und Gerda Poppa.