„Letztendlich bist du als Musiker ein Medium” – WOLFGANG PUSCHNIG im mica-Interview

WOLFGANG PUSCHNIG gehört zu den eigenständigsten und gefragtesten europäischen Saxophonisten. Ende der 1970er gründete er mit MATHIAS RÜEGG und anderen das VIENNA ART ORCHESTRA, später spielte er mit Carla Bley, Steve Swallow und anderen internationalen Stars. 2022 wurde ihm der Kärntner Landeskulturpreis verliehen. In der Laudatio bezeichnete ihn der künstlerische Leiter des Wiener Porgy & Bess CHRISTOPH HUBER als “Weltmusiker, der sich in allen musikalischen Welten erfolgreich bewegen kann.” Mit Markus Deisenberger sprach “der Mann mit dem unerschöpflichen Farbtopf in seinem Instrument” (Copyright Michael Tschida) über Zeiten des Aufbruchs, seine besten Momente und die Liebe zu einer Musik, die bereit ist, alles zu integrieren.

Sie zeigten sich in Ihrer Karriere anderen Kulturen und Stilen gegenüber stets aufgeschlossen, waren wie kaum ein anderer in vielen unterschiedlichen Genres unterwegs. Ihre größte Qualität?

Wolfgang Puschnig: Das ist einfach so passiert. Viele Dinge entstanden aus der Begegnung mit Menschen, mit anderen Musikern, die dann zu weiteren Sachen führten. Ich hatte nie Berührungsängste oder Scheu und habe mich deshalb nicht in die Position des “kultivierten Europäers” flüchten müssen, der angeblich weiß, was gut ist. Deshalb war es für Menschen anderer Kulturkreise nicht schwer mit mir zu kommunizieren und eine gemeinsame Basis zu finden – aber fern von jedem Exotismus, den man sich nur drüber stülpt, das war mir immer verhasst, sondern auf natürliche Art und Weise, ohne einen Plan dahinter und ohne berechnend zu sein.

Als Einstieg in Ihr Werk empfiehlt sich „World Embrace“ – eine tolle 4er CD-Box, die zu ihrem 66. Geburtstag rauskam.

Wolfgang Puschnig: Das ist kein schlechter Ausschnitt davon, ja. Aber es hätte noch viel mehr gegeben. Ich bekam damals die Möglichkeit, das Konzerthaus bot mir das dankenswerterweise an, und ich habe ihnen eine Liste von Möglichkeiten gegeben. Da wurden dann diejenigen Partner ausgesucht.

Der Bogen ist ein wirklich breiter: Von Philadelphia bis Korea und zurück in die Kärntner Heimat.

Wolfgang Puschnig: Wenn man selber so mittendrin ist, sieht man das gar nicht so. Für mich war das immer normal, und ich hab´ den Prozess immer mehr genossen als das Resultat.

Wieso? Weil Sie so selbstkritisch sind?

Wolfgang Puschnig: Nein, ich habe diese Zeit, in der etwas entsteht und wo man versucht, zusammen mit anderen auf einen guten gemeinsamen Nenner zu kommen, einfach immer sehr genossen.

Weil es da nicht von vorneherein um ein bestimmtes Ziel und eine Perfektion in gewissem Sinne geht. Ich habe es auch genossen, wenn es nicht gleich so gekappt hat. Das gehört ja alles dazu.

Wenn man so viel international unterwegs war wir Sie, muss die Frage erlaubt sein: Wieso kamen Sie überhaupt nach Österreich zurück?

Wolfgang Puschnig: Naja, ich war nie wirklich ganz weg, durch meine Tätigkeiten, ja, aber mein Basislager war bis auf wenige Jahre in Wien, und familiär in Kärnten.

„Das war eine Musik, die bereit war, alles zu integrieren, wenn die Musik, die dabei rauskam, gut war.“

Carla Bley hätte Ihnen 1988 gerne eine Green Card besorgt. Durch Ihre zahlreichen New-York- und Philadelphia-Aufenthalte mit Ehefrau Linda Sharrock waren Sie dort doch auch schon ein wenig heimisch, oder?

Wolfgang Puschnig: Carla meinte, ich solle das machen und sie hilft mir dabei und das wäre alles kein Problem. Aber ich hab´ mich dann dagegen entschieden. Vielleicht, weil ich im Herzen doch ein Provinzler bin. Und weil das amerikanische Gesellschaftsmodell nie ganz meines wurde. Vom Gefühl her passte das einfach nicht. Wenn du von Jazz redest, musst du früher oder später nach Amerika, ja. Eigentlich ist Jazz ein kultureller Beitrag der schwarzen Amerikaner. Der Wahnsinn ist, dass es aber nie so aufscheint. Steve Swallow hat einmal zu mir gesagt: “Wolfi, the history of this music is not, what you read in the books.” Einer der Gründe, der mich zu dieser Musk gezogen hat, war, dass sie überhaupt nicht ausschließend war. Trotz der ganzen Historie. Das war eine Musik, die bereit war, alles zu integrieren, wenn die Musik, die dabei rauskam, gut war. Und das war etwas, das mir immer sehr gut gefallen hat. Bei uns in Europa ging es dann eher in den Kunstbereich zum großen Teil. Und so stark Jazz als populäre Musik in den USA war, ist das heute nicht mehr so. Aber was auf der einen Seite vielleicht schade ist, auf der anderen eine ganz natürliche Entwicklung.

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Wenn Sie zurückschauen, gibt es da auch ein wenig Verbitterung, dass gewisse Werke wie etwa „Alpine Aspects”, in dem Sie Anfang der 1990er tiefschwarze Funkyness mit den Bläsersätzen der Amstettener Musikanten kurzschlossen, mithilfe einer großen PR-Maschinerie wahrscheinlich größere Erfolge eingefahren hätten? Oder überwiegt die Zufriedenheit, dass es so gelaufen ist wie es gelaufen ist?

Wolfgang Puschnig: Verbitterung überhaupt nicht, nein. Mir ging es nie um den großen Erfolg. Ich habe natürlich schon gemerkt, wenn wir in Frankreich oder England mit „Alpine Aspects“ spielten, dass das dort ganz anders aufgenommen wurde. Viel positiver und euphorischer als bei uns. Bei uns wurde es erst nach zehn Jahren besser. Aber am Anfang stieß das bei uns auf viel Gegenwind.

Vielleicht war die Zeit noch nicht reif dafür. Vielleicht waren Sie einfach zu früh.

Wolfgang Puschnig: Kann schon sein, aber das kann man sich auch nicht aussuchen. Da denke ich nicht drüber nach. Für mich war es ein tolles Projekt. Der Kapellmeister von der Blaskapelle in Amstetten war ein ehemaliger Studienkollege von mir. Und gemeinsam mit den amerikanischen Kollegen war das schon besonders. Da haben sie uns oft angeschaut, als würden wir vom Mars kommen. Das Tolle war die Offenheit von beiden Seiten, auch von der Blasmusik.

Sie waren Mitbegründer des Vienna Art Orchestra. Was war das für eine Zeit damals gegen Ende der 1970er Jahre?

Wolfgang Puschnig: Das war eine ganz andere Zeit, eine Zeit des Aufbruchs, zumindest von der jungen Generation, in der ich drin war. Wir haben damals in Wien als Junge keine Chance gehabt, mit den älteren Granden der Wiener Szene in Kontakt zu kommen. Darum hat sich die junge Bande zusammengefunden und versucht, etwas Eigenes zu machen. Dadurch entstand das. Daran hat der Mathias [Rüegg; Anm.] einen großen Anteil. Das war eine großartige Leistung, die aber aus einer gemeinsamen Anstrengung heraus entstand. Einer allein kann das nicht machen. Es war eine gemeinsame Bewegung. Da dachte damals keiner daran, berühmt zu werden. Da ging es einfach darum, gemeinsam Musik zu machen. Natürlich war es schön, wenn man ein bisschen ein Geld damit verdienen konnte.

Apropos prägend. Sie haben mit vielen Stars gespielt, aber einige Ihrer Mitspieler wurden zu richtigen Wegbegleitern: Ich denke da an Jamaladeen Tacuma oder Jon Sas.

Wolfgang Puschnig: Ja, das ist schon fast familiär. Auch der Harry Pepl und der Hans Koller waren prägende Persönlichkeiten. Koller war ein Mentor von mir. Und die Carla Bley, Steve Swallow. Jamaladeen kenne ich jetzt schon so lange, das geht über die musikalische Verbindung weit hinaus.

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In einem Interview mit Andreas Felber haben Sie anlässlich Ihres 50. Geburtstages gesagt: „Ich bin draufgekommen, dass sich die besten Momente für mich dann ergeben, wenn ich mir als Person nicht selbst im Weg stehe.” Das klang mit damals schon erstaunlich altersweise. Wann und wie ergeben sich solche Momente?

Wolfgang Puschnig: Da gibt es leider kein Rezept dafür, sonst wär´ ich schon Milliardär. In der Musik kannst du über vieles Kontrolle haben, aber nicht darüber, wie es bei den Hörern ankommt. Letztendlich bist du als Musiker ein Medium. Wenn es gelingt, als Medium etwas zu vermitteln, das auf irgendeine Art und Weise bereichernd oder tröstlich ist, dem Alltag enthoben, dann ist es schon super. Viel mehr geht eigentlich nicht. Dann hat man auch nicht den Stress, großartig sein zu wollen.

Ein Album, das mich im besten Sinne dem Alltag enthebt, ist das gemeinsam mit Nenad Vasilic live im Theater Akzent eingespielte. Eine wirklich großartige Platte, die es erfreulicherweise auch auf Vinyl gibt. Wie kam es dazu?

Wolfgang Puschnig: Nenad hat mich schon Jahre vorher angesprochen, ob ich Lust hätte, etwas zu machen und mir eine CD in die Hand gedrückt, die er seinerzeit gemacht hat, und die mir irrsinnig gut gefiel. Also hab´ ich „Ja” gesagt, aber wie es oft bei solchen Sachen ist, geriet es in Vergessenheit, weil wir beide viele andere Sachen zu machen hatten. Und dann vor dem Theater Akzent-Auftritt hat er mich wieder gefragt, ob ich mitspielen würde. Ja, und dann haben wir gemeinsam geprobt und das Konzert gespielt. Nenad ist ein super Musiker und ein großartiger Bassist. Auch die Musik, die er schreibt, ist wirklich gut und in der Sichtweise, wie sich sie auch habe. Er geht wie ich auch von dem Material aus, von dem er herkommt. Er ist Balkan-Spezialist.

„Das so genannte Blues-Feeling gibt es ja in vielen Musiken, nur halt auf andere Art und Weise.“

Was wäre das Material bei Ihnen? Das Kärntner Lied?

Wolfgang Puschnig: Ja, interessanterweise bin ich da erst viel später draufgekommen, dass da eine melancholische Larmoyanz dahinter ist und miteinfließt. Hin und wieder haben amerikanische Kollegen gesagt: „You sound like the Blues, but in a different way.” Ja, hab´ ich mir gedacht, das wird schon etwas damit zu tun haben. Das so genannte Blues-Feeling gibt es ja in vielen Musiken, nur halt auf andere Art und Weise. Wenn wir „Blues” sagen, meinen wir den aus den USA, ja, aber ich habe Blues genauso in der koreanischen Musik kennengelernt. Auch dort war er für mich spürbar.

Bild Wolfgang Puschnig
Wolfgang Puschnig (c) Maurer

Genauso wie in der Balkanmusik und im Kärntner Lied?

Wolfgang Puschnig: Ja. Eine Art Grundschwingung in der Emotion, die in vielen Kulturen auftaucht.

Ihr Sohn studiert Klavier an der MDW. Der Titel einer aktuellen Musiker-Biographie trägt den schönen Titel: „How music saved me from success”. Warum ist es Ihnen nicht gelungen, den Sohn auf die Erfolgsschiene zu setzen und von der Musik fernzuhalten?

Wolfgang Puschnig: [lacht] Ich habe keinen Einfluss genommen, wollte ihn weder fernhalten noch reinbugsieren. Das hat er selber so entschieden. Ich hab´ zu ihm gesagt: „Wenn du wirklich Musik machen willst, kann ich dich weder bestärken noch dagegenreden.“ Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Das leichteste Brot ist es nicht, wenn man das in einem gesellschaftlichen Kontext betrachtet. Innerlich ist es wieder eine andere Sache.

Für die Klagenfurter Donnerszenen wurde Ihr Sohn gefragt, ob er live spielen wolle. Und er antwortete: „Gerne, ja, gemeinsam mit meinem Vater.“ Sie scheinen als Vater einiges richtig gemacht zu haben…

Wolfgang Puschnig: Darüber hab´ ich ehrlich gesagt noch nicht nachgedacht. Er hat mich angerufen und gesagt, dass es bei den Donnerszenen eine Möglichkeit gäbe, gemeinsam was zu machen. Ob ich das wolle? Und ob ich das will. Wir haben zwei schon Mal im Porgy gespielt, zuletzt beim Klassiktreffpunkt. Da lief es umgekehrt: Christoph Huber, der meinen Song von Klein auf kennt, fragte mich, ob ich nicht mit ihm spielen wolle. Ich hätte mich von mir aus ehrlich nicht fragen getraut, weil er da eine gewisse Scheu hat.

Wieso? Weil man sich als Junger durch sein Schaffen eher vom berühmten Vater abgrenzen will?

Wolfgang Puschnig: Klar, in der Pubertät und auch später grenzt man sich ab, und er hat über die Zeit auch mitgekriegt, dass ich eine relativ aktive Rolle in der Jazz-Szene gespielt habe, aber im Grunde genommen hatten wir immer ein sehr gutes Verhältnis. Als er mich jetzt fragte, habe ich mich sehr gefreut, weil es auch zeigt, dass er innerlich lockerer geworden ist. Er hat nämlich hohe moralische Ansprüche. Er will z.B. nicht etwas machen, bloß weil es über mich läuft.

Sie haben schon mit vielen Pianisten zusammengespielt, was ist anders daran, mit dem eigenen Sohn zu spielen?

Wolfgang Puschnig: Ich habe nie verglichen. Von dem, was ich mit ihm gemacht habe und für mich spürbar war, hat es sich komplett natürlich angefühlt. Das Zusammenklingen. Ich habe mich sehr wohlgefühlt. Vielleicht ist es ja die Genetik.

Er sagt, er war sehr nervös, wenn er mit Ihnen zusammenspielte.

Wolfgang Puschnig: Er hatte Stress, weil er glaubte, er müsse etwas Besonderes machen, besonders gut sein. Und ich sag ihm immer wieder: „Darum geht es nicht.“ Höchstens die Jazz-Spezialisten und Gralsritter des Jazz checken, wie genau du einen Lauf spielst, wie ausgefuchst du dich harmonisch bewegst. Das ist nicht das, was wichtig ist. Musik zu machen mit der Absicht zu zeigen, wie super man ist, war nie mein Ding.

Das hört man auch musikalisch.

Wolfgang Puschnig: Wenn´s so ist, freut es mich.

Sie haben bis vor kurzem auch selbst an der Uni unterrichtet. Hat es die Jugend in der Musik heute leichter oder schwerer als vor zwanzig, dreißig Jahren?

Wolfgang Puschnig: Beides. Die Fertigkeiten am Instrument sind heute ungleich höher als zu der Zeit, als ich studierte, weil sie schon viel früher auf einem höheren Niveau sind, rein spieltechnisch und von der ganzen Ausbildung her. Aber sie haben es angesichts der Flut an Informationen auch schwerer, sich durch dieses Labyrinth durchzukämpfen, bei sich zu bleiben und einen eigenen Ausdruck zu finden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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