Die Stimme von IRENE SUCHY ist Hörerinnen und Hörern des Radiosenders Ö1 bestens bekannt, moderiert sie doch regelmäßig Musiksendungen und verknüpft dabei aktuelle Themen mit Besonderheiten aus der Musikgeschichte. Ein besonderes Anliegen ist ihr, dass das Schaffen von Komponistinnen, gleich welcher Orientierung, ins Musikleben, in den Mainstream gehoben wird. Der Komponist, Dirigent und Autor MICHAEL MAUTNER ist langjähriger musikalischer Leiter des Rabenhof Theaters und arbeitete zehn Jahre intensiv mit dem bildenden Künstlers Franz West zusammen. Heute veranstaltet er in der Galerie Konzett regelmäßig Konzerte und lehrt am Mozarteum projektorientierte Komposition. Gemeinsam gründeten SUCHY und MAUTNER das Vokal- und Instrumental Ensemble REIHE ZYKAN +, das im Rahmen des Kultursommers 2020 erstmals zu erleben war.
Neben zahlreichen Projekten verbindet die beiden ein unermüdlicher Einsatz für den Humor in der Neuen Musik sowie die Suche nach relevanten Texten, die durchaus politisch sein dürfen. Um hier auch fündig zu werden und das Repertoire zu erweitern, vergeben MAUTNER und SUCHY regelmäßig Kompositionsaufträge. Zudem schreiben sie Stücke des Komponisten und Sprachkünstlers OTTO M. ZYKAN fort und inszenieren sie für das Heute.
Für das Doppelalbum „Poesie der Komponistinnen“, dessen Ausgangsbasis die großangelegte Musikausstellung „MusicaFemina“ bildete, schrieb die Autorin und Komponistin SOPHIE REYER 100 poetische Texte und bot sie zeitgenössischen Komponistinnen als Inspiration an, um selbst mit neuen Stücken zu antworten.
Im Interview sprechen IRENE SUCHY und MICHAEL MAUTNER über intelligente Werbung, den subversiven Charakter des Humors, aktives Gendermainstreaming und darüber, dass es nicht zuletzt eine ganze Reihe an Maßnahmen bräuchte, um innerhalb der Spielpläne der Konzert- und Opernhäuser eine Genderbalance zu erreichen.
Man kennt Sie, Frau Suchy, als Musikwissenschaftlerin und Musikjournalistin vornehmlich von Ö1. Anlässlich der Verleihung des Bank Austria Kunstpreises 2011 haben Sie einmal gesagt: „Wenn man Musikjournalismus ernst nimmt, dann ist man im Mittelpunkt der Welt.“ Gilt das auch 2022 und was hat sich seither verändert?
Irene Suchy: Musik hat eine Sprengkraft und geht ins Zentrum aller gesellschaftspolitischen Fragen. Seit ich vermehrt zu Komponistinnen arbeite und als Schwerpunkt setze, sehe ich, mit wieviel Gegenwind ich konfrontiert bin. Teilweise wurde ich von Kollegen beschimpft, Peter Weibel sagte zu mir, ich könnte nie so viel über Komponistinnen schreiben, wenn ich nicht auch über Wittgenstein, Zykan und Gulda geschrieben hätte. Diese Unbalance innerhalb der Musiklandschaft ist alleine schon Sprengstoff – und ich rede über Komponistinnen, nicht über Terroristinnen. Als Zykan-Witwe komme ich natürlich auch in das Thema Musik und Politik hinein. Die „Staatsoperette“ war 1977 hoch explosiv und als Michael Mautner und ich sie 2016 zur „Austrotragödie“ ausgebaut hatten, war das noch immer ein Thema.
Die Musik und die Kunst betreffen unsere brisantesten Fragen. Ich muss nur an Pussy Riot denken. Natürlich ist es interessant, wenn Daniel Barenboim das Neujahrskonzert dirigiert, aber wer dort steht, was gespielt, und was getragen wird, sind alles Aussagen. Musik und ihre Umgebung bilden zentral ab, woran wir uns reiben und worüber wir nachdenken – wie es der freistil so schön sagt.
„MIT NEUER MUSIK KINDER ZU ERREICHEN, IST FÜR MICH EIN QUALITÄTSKRITERIUM.“
Eines Ihrer gemeinsamen Projekte ist das Ensemble Reihe Zykan +, das sie 2020 gegründet haben. In einem Promotion-Video wird am Schluss eingeblendet: „Die Stimme gegen den Stillstand erheben“. Wofür steht das Plus?
Michael Mautner: Das Plus steht für Projekte, zu denen wir Komponistinnen einladen, neue Stücke zu schreiben. Dass es politische Aussagen geben soll, passt zu dem Tenor, den wir mit dem Ensemble pflegen. Und wir legen Wert darauf, den Humor nicht zu vergessen. In der zeitgenössischen Musik ist Humor eine sehr missachtete Formation, die aber als Strategie sehr wichtig ist, um an größere Publikumsschichten heranzukommen.
Bei unseren Konzerten im Rahmen der Kultursommer 2020 und 2021 hat sich das gut gezeigt. Im Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 hatten wir ein Programm mit „Beethovens Pferd“ von Otto M. Zykan und Stücken von Kurt Schwitters oder Cathy Berberian [“Stripsody”, Anm.], das beim Publikum sehr gut ankam. Darunter waren auch viele begeisterte Kinder, die das unglaublich lustig fanden. Mit Neuer Musik Kinder zu erreichen, ist für mich ein Qualitätskriterium. 2021 war das genauso. Bei „Noch ana Sindflud: Sprach- und Gesangsmaßnahmen gegen den Stillstand“ [Die Titelgebung für das gesamte a capella Vokal Programm stammte von HC. Artmann, und wurde der Titel des Auftragswerks an Susanna Ridler; Anm.] hatten wir ein sehr gemischtes Publikum, das das sehr gut annahm. Es wurde viel gelacht, aber nicht nur.
Das dürfte alles im öffentlichen Raum gewesen sein …
Irene Suchy: Im öffentlichen Raum, aber doch abgesperrt und mit gelenktem Zugang.
Eine tolle Idee von Veronica Kaup-Hasler, zu der man wirklich gratulieren muss. Dabei war auch Prinzip, an die Peripherie zu gehen. 2020 performten wir auf der Kaiserwiese vor dem Riesenrad und 2021 vor einer Volkschule und in einem Park.
Michael Mautner: Dem H.C. Artmann-Park.
Irene Suchy: Es ist erstaunlich, wie viele Leute kamen. Die Stadt Wien hat sich hier sehr bemüht, eine gute Atmosphäre zu schaffen und viele Genres sichtbar zu machen. Wir haben Susanna Ridler einen Kompositionsauftrag zu H.C. Artmann erteilt. Es ist in jedem unserer Programme mindestens eine Komponistin vertreten, da wir aktiv Gendermainstreaming betreiben. Das Werk von Frauen soll auch in die Mitte rücken. Dadurch, dass ich mit so vielen Komponistinnen arbeite, etwa durch die Arbeit an dem Doppelalbum „Poetry of Women Composers – Poesie der Kompostinnen” [Capriccio, 2021, Anm.] und durch das EU-Projekt „MusicaFemina – Women made music“, habe ich einen sehr guten Einblick.
Michael Mautner: Daran möchte ich anschließen. Wir müssen Kompositionsaufträge vergeben, weil es in dem Bereich wenige Arbeiten gibt, gerade bei Vokalmusik und insbesondere bei Vokalmusik mit politischem Anspruch und Humor als tragendem Element.
Was würden Sie sich in dem Umfeld wünschen?
Michael Mautner: Eben dass es mehr gibt.
Irene Suchy: Ich wünsche mir Texte, die eine Geschichte erzählen, von der ich noch nichts wusste. Sie muss nicht unbedingt über Gewalt an Frauen oder den Opfermythos sein. Ich wünsche mir relevante Texte, die vielleicht in der Tradition der Suffragetten und den „Marches of Women“ stehen. Die Tagebücher von afghanischen Dichterinnen, die Tête der Months of Revolution, also Geschichten, in denen man nicht nur etwas erkämpft, sondern auch etwas erreicht, wie eben vor über 100 Jahren das Frauenwahlrecht. Elfrida Andrée hat sich in der schwedischen Frauenbewegung engagiert und eine „Cantata for the international congress for women’s suffrage in Stockholm 1911“ komponiert. Ich wünsche mir relevante Texte, die poetisch sind und im besten Falle gut ausgehen. Ich wünsche mir Texte, die vom Erfolg einer Sache sprechen.
Neue Musik und Werbung gehen ja für viele nicht zusammen. Mit der Franz-Kampagne von Humanic vor über 20 Jahren – auf die aktuell wieder Bezug genommen wird – wurden aber österreichische Avantgardekünstler an Bord geholt. Darunter auch Otto M. Zykan. Sind Neue Musik und Kommerzialität ein No-Go?
Irene Suchy: Das war damals eine großartige Idee des damaligen Art Directors Horst Gerhard Haberl, der später auch Leiter des steirischen herbst wurde – gemeinsam mit den Humanic-Inhabern Mayer-Rieckh. H.C. Artmann hat dafür ein japanisches Haiku gemacht, Otto M. Zykan „Ping peng peng“. Die Themen waren hochbrisant, das ging alles durch. Jetzt könnte man Umweltverschmutzung, Luftverpestung und den Klimawandel hernehmen. Eigentlich ist es ja ideal, wenn neue Musik ohne Abstriche und ohne jede Adaption ein Werbepublikum erreicht. Ich glaube, dass es sich langsam ändert und dass die jungen auch sehr gerne Werbung machen würden. Ich bin mir aber dessen bewusst, dass es in den 80er und 90er Jahren hier eine große Kluft gab.
Michael Mautner: Es ist kein No-Go, nur gibt es seitens der Werbeindustrie kein Interesse. Man müsste sich neue Kontakte erschließen. Über die Werbung könnte man sehr gut darauf aufmerksam machen, dass das Neue in der Musik nicht unbedingt abstoßend oder negativ besetzt ist. Ich habe die Werbe-Jingles von Zykan immer lustig gefunden, fürchte aber, dass ein Publikum von heute den damaligen Humor nicht mehr hat. Wenn es intelligente Werbung für intelligente und gesellschaftspolitische Themen wäre – wir würden einen Auftrag seitens der Werbeindustrie nicht ablehnen, oder?
Irene Suchy: Es braucht dazu aber solche Leute wie Axel Corti oder Haberl, die sehen, dass man auf dieser Ebene Brücken schlagen kann und das Publikum erreicht.
In Anmerkungen zum Thema „Komponieren heute“ sprechen Sie, Herr Mautner, sich 2009 dafür aus, die Kommunikation nach außen zu intensivieren. Komplexe Arbeiten würden bei einmaligem Hören meist nur unzureichend aufgenommen werden. Daher sollten Werke vor einer Uraufführung über das Internet als freie Downloads vorab zugänglich gemacht werden.
Michael Mautner: Bei einer Uraufführung ist Tatsache, dass man das Stück nicht kennt. Wenn man etwas Komplexeres schreibt, kann man nicht erwarten, dass ein größeres Publikum dies beim ersten Hören vollständig rezipieren kann. Daher die Idee, vorweg etwas zu liefern, um einerseits das Interesse zu wecke und dem Publikum andererseits eine Einschätzung zu ermöglichen. Denn ein bisschen Wissen ist bei anspruchsvoller Musik nie falsch. Manchmal muss man davon ausgehen, dass etwas anstrengend ist. Kunst ist ja Arbeit, vor allem für den oder diejenige, der oder die sie macht – aber auch für diejenigen, die sie perzipieren. Daher meine Idee von Downloads aus Probensituationen oder ähnlichem vorab.
„Die Musikgeschichte ist für mich ein Ideenpool!“
Irene Suchy: Die Musikgeschichte ist für mich ein Ideenpool! Vor einer Premiere spielte Gershwin seine Stücke in kleinen Salons vor und danach glaubten die Leute bei der Uraufführung, sie würden die Musik schon kennen. Die Salons in Wien, die etwa die Wittgensteins den zeitgenössischen Komponierenden mit ihren Voraufführungen boten, sind hier sicherlich eine Art von Einübungspool. Bis zu Puccinihaben sich die Rezensenten immer vorab eine Partitur besorgt. Die große Musikkritikerin Elsa Bienenfeld, die das Wiener Musikleben 30 Jahre begleitet hat, hat Schönberg vor jeder Uraufführung um die Partitur gebeten.
Eines Ihrer größeren Projekte war „Singer’s Nähmaschine ist die Beste“, ein kammermusikalisches Opern-Pasticcio mit Zwiebel von Otto M. Zykan und Michael Mautner, das Sie im November 2021 im MuTh aufgeführt haben. Vielleicht könnten Sie zuerst kurz auf den Entstehungsprozess eingehen?
Michael Mautner: Ähnlich wie bei der „Staatsoperette“ ging es zuerst darum, den Ist-Stand zu ermitteln. Es gibt nämlich eine „Singer-Oper“ aus dem Jahr 1966 und eine aus 1973, deren Fassungen aber wenig gemeinsam haben. Wir hatten also verschiedenes Material, einen Audiomittschnitt und Noten zu Improvisationsvorschlägen. Jedenfalls galt es, aus diesem Einakter ein kurzes, abendfüllendes Stück zu machen. Daher erweiterten wir mit einem weiteren Stück von Otto M. Zykan, „Den Bach runter“, und einem Stück von mir nach Schwitters, der ja auch für die absurde Oper sehr wichtig ist, mit „Die Zwiebel – Kurtoper nach Schwitters“. Die Herausforderung war, dass die „Singer-Oper“ und „Den Bach runter“ von der Instrumentierung her nicht kompatibel waren. Um für ein Ensemble nicht so viele Stellen extra besetzen zu müssen, schrieb ich eine Bühnenversion für das Heute. Wichtig war, dass wir eine verbale Ebene dabeihaben, denn der Witz von 1966 ist nicht derselbe wie 2021.
Der politische Kontext des Gedichts von Paul van Ostaijen, das „Huldegedicht aan Singer“ aus dem Jahr 1921, welches Zykan verwendete, gilt dem Zwang der Industrie, dem alle unterworfen sind. Inhaltlich geht es um das Must-Have: Ein Maler kauft sich eine Singer-Nähmaschine einfach, weil alle eine Nähmaschine haben. Das war der Ausgangspunkt für satirische Betrachtungen. All das konnte man gut in einen Kontext stellen. So wurde die Singer-Oper um andere Stücke von Zykan ergänzt, weil wir das Original nicht hatten, und mit einem Stück von mir, das dem Ganzen eine sehr gute Verbindung gab. „Den Bach runter“ ist überhaupt eines der großartigsten Stücke von Zykan. Das wollten wir drin haben, sonst wäre es zu kurz gewesen.
Die Entrüstung darüber, dass die Firma Singer damals finanzielle oder auch moralische Unterstützung abgelehnt hatte, schwingt vermutlich auch mit.
Irene Suchy: Die Singer-Oper 1966 war ein Wendepunkt für die europäische Nachkriegsavantgarde, auch weil es verpönt war, Opern zu komponieren. In den 1960er- und 70er-Jahren galten Opern nicht als der Höhepunkt der Neuen Musik. Dass man Neue Musik aber szenisch und gestisch so gestalten kann, war dieser Wendepunkt in der Avantgardemusik. Zykan wusste genau, wie avantgardistisch und innovativ er in der Musik sein kann.
Michael Mautner: Die Ablehnung der Firma Singer hat Zykan dazu gebracht, sie in die Oper einzubauen. Und das ist ja eines der Prinzipien von Kunst: dass sie etwas Eigenes darstellt und nicht mehr, wie Aristoteles sagt, eine Abbildung der Wahrnehmung ist. Alles, was diese Kunst beeinflusst, ist Teil der Kunst. Im Endeffekt ist das auch ein schöner Punkt, das Leben mit in die Kunst hinein zu nehmen. Zykan hat hier einen großen Schritt vorwärts gemacht, weil er auch das Absurde mit hineingebracht hat.
„Leider wird vieles übersehen, was heiter ist.“
Wie wurde die Aufführung angenommen?
Irene Suchy: Wir waren ziemlich gut besucht. Die Produktion wurde auch per Video aufgezeichnet und wird künftig vom Muth über die Plattform Fidelio als Stream angeboten. Ostaijens Gedicht ist genau 100 Jahre alt und es läuft gerade eine große Wiederentdeckung. Mit etwas Glück zeigen wir das Stück im Sommer in Ostende. Es ist ein witziger Zufall, dass dieser flämische Nationalist und Dichter, der natürlich Kontakt mit den Dadaisten hatte, genau jetzt wiederentdeckt wird – mit einer großen europaweiten Aktion, in der sein Werk reflektiert wird. Das ist Avantgarde, er ist aber bis jetzt nicht in der Forschung aufgetaucht.
Michael Mautner: Weil Ostaijen, ähnlich wie Zykan, den Humor verwendet hat, um das Publikum zu überraschen, zu verführen und zu begeistern. Das hat ihm nicht wirklich gutgetan, aber er ist trotzdem aus dem Grund in Belgien populär. Dieses „Huldegedicht aan Singer“ kennt dort jeder, das ist so bekannt wie die Bundeshymne.
Irene Suchy: Die Avantgarde-Forschung schaut auf Erik Satie und auf die Futuristen. Aber die Brücke von Ostaijen über Enzensberger zu Zykan wurde bis jetzt übersehen. Leider wird vieles übersehen, das heiter ist.
Michael Mautner: Es ist lustig, wie wenig Beachtung der Humor in der Kunst und in der Avantgarde findet.
Irene Suchy: Wir bewegen uns in einer Bierernstigkeit. Hochkultur darf nicht anstreifen, sie darf keinen Dialekt verwenden, darf nicht ordinär sein. Daneben halten wir Vorträge über Diversität. Da besteht eine Kluft.
Für MusicaFemina, einem weiteren großangelegten Projekt, beauftragen Sie Komponistinnen, Dichterinnen, wie zuletzt eben Sophie Reyer, und Sie konzipieren Ausstellungen. Bei Ihrer ersten Ausstellung in der Orangerie 2018 kamen 56.000 Besucherinnen und Besucher. Zuletzt waren Sie mit „MusicaFemina 1020“ in der Wiener Leopoldstadt.
Irene Suchy: Mir war es schon lange ein Anliegen, Komponistinnen sichtbar zu machen und nach Jahrzehnten wieder eine Musikausstellung zu organisieren. Es ist so schwer, Musik auszustellen, dass es sehr selten gemacht wird. Mit den digitalen Mitteln, die wir zur Verfügung hatten, wie Soundinstallationen und Showreels, lagen wir ganz richtig. Unser Ausstellungsmaterial ist sehr gegenwärtig und auch reisefähig.
Sie können die Ausstellung also gut transportieren.
Irene Suchy: Ja, das machte Ausstellungen in Washington, in Bregenz, in Austin und zuletzt im Bezirksmuseum Leopoldstadt möglich. Bei letzterer, bei „MusicaFemina 1020“, widmeten wir uns schwerpunktmäßig den durch das Naziregime verfemten Komponistinnen.
Für die allererste Ausstellung mit MusicaFemina waren wir jahrelang auf der Suche nach Gastgeberschaft. Alle, vom KHM bis zum Wien Museum, vom Volkskunde Museum bis zum Leopold Museum haben uns abgelehnt. Sollten wir denken: die Komponistinnen waren nicht wichtig genug?
Letztendlich wurde es aber die historische Pflanzenorangerie in Schönbrunn.
Irene Suchy: Ja, wir haben fast ein Drittel des Budgets vor-investiert. Jedoch ist die Ausstellung in Schönbrunn zu einer Aktivität eines Creative Europe-Projekts geworden. Als Österreicherin bin ich der EU sehr dankbar, weil sie den Wunsch nach Gender, Diversität und Nachhaltigkeit als führende Parameter in ihre Projekte hineinnimmt. Zudem gibt es keine Altersgrenzen, was ein Glück ist, gerade bei Kunst von Frauen. Die neue Ausschreibung von Creative Europe setzt wieder vorrangig auf diese Parameter. Weiters bin ich dankbar, dass das BMKÖS und die Stadt Wien – nach anfänglichem Zögern – mitziehen. Das Ministerium ist unglaublich unterstützend und will, dass es eine Genderbalance in der Musik gibt, vielleicht weil sie dort das Vorbild „Filmförderung“ vor Augen haben.
Auf Okto-TV haben wir ja seit 2020 eine eigene Sendung „MusicaFemina – das Frauenmusikzentrum im Fernsehen“. Da hatten wir einmal Eva Spreitzhofer zu Gast, die an der Etablierung einer genderbalancierten Förderung viel Anteil hat.
„Ich halte alles für wichtig, aber ich möchte, dass das Schaffen von Komponistinnen, gleich welcher Orientierung, ins Musikleben, in den Mainstream, gehoben wird.“
Sie sprechen immer bewusst von Genderbalanciertheit. Mit Begrifflichkeiten wie „Musik von Frauen“ oder „weiblichem Musikschaffen“ stößt man schnell an Grenzen. Wie sehen Sie das?
Irene Suchy: Wir sind längst an den Grenzen, wir erzeugen auch immer wieder Gegenwind. Darf man Genderbalance sagen? Soll man langsam in Richtung Diversität schwenken? Ich hoffe, dass dieses Interview von vielen gelesen wird und ich dann Antworten auf diese Fragen bekomme. Wie nennen wir das, worüber wir arbeiten? FLINTA, weiblich gesehen? Inwieweit ist sexuelle Orientierung ein Punkt? Wir kommen in ein riesiges Begriffsfeld hinein, das ein Minenfeld ist. Ich möchte trotzdem nicht verlieren, dass wir jetzt Komponistinnen und ihr Schaffen sichtbar machen. Es gibt so viel schöne Musik, die es zu entdecken gilt. Ich bin da zugegeben etwas hilflos. „Überspringen“ wir jetzt die Arbeit an Komponistinnen und konzentrieren uns auf trans, divers, non-binär, queer?
Michael Mautner: Die sexuelle Orientierung derer, die die Musik geschrieben haben, ist doch belanglos. Geschlechtliche Belange in dem Zusammenhang haben nur grammatikalische Funktion.
Irene Suchy: Leider nicht! In München war kürzlich eine Veranstaltung mit sehr engagierten Personen, Frauen, die sich innerhalb der Orchester für symphonische Musik vergangener wie gegenwärtiger Komponistinnen einsetzen. Nach der fünften Wortmeldung kam: Wir Frauen wären so lange ausgeschlossen worden und dürften jetzt nicht wieder andere Gruppen wie Trans, Cis, oder Nonbinäre ausschließen!
Ich meine, ich schließe doch niemanden aus, weil ich mich profiliert dem Schaffen von – und jetzt weiß ich schon das Wort nicht mehr – dem Schaffen der Komponistinnen widme. Ich halte alles für wichtig, aber ich möchte, dass das Schaffen von Komponistinnen, gleich welcher Orientierung, ins Musikleben, in den Mainstream, gehoben wird.
… und in den Bereich der Forschung.
Irene Suchy: Die Forschung ist erstaunlich. Über Komponistinnen gibt es relativ gute Forschung und gute Buchreihen. Das Ganze ist einfach nicht im Musikleben angekommen, ebenso wenig gibt es einen Gendermusikologie-Lehrgang an einer Universität. Die KUG hat ein kleines Gender-Zentrum, das anlässlich seines zehnjährigen Bestehens eine Broschüre herausgegeben hat. Die mdw veranstaltet eine Ringvorlesung. Wenn Leute ganz böse sind, sagt man, die Ringvorlesung ist der Treppenwitz der Wissenschaft. In der von mir initiierten und mitherausgegebenen Publikation „Female Music Practice“ habe ich, ähnlich einem Toolkit, eine Reihe von Maßnahmen aufgezeigt: Dazu zählt, dass das Thema universitär im Zentrum ankommen muss, getrennt von Personalangelegenheiten, getrennt vom Kulturmanagement. Es muss ein eigenes Studium sein. Es gibt einen großartigen Genderlehrgang in einem Verbund europäischer Universitäten, die CEU ist dabei, aber die Musikologie nicht. Die Universität Wien bietet einen Genderlehrgang an, aber die Musikologie ist nicht im Lehrplan. Am Mozarteum wurde es zwar versucht, aber eingestellt. Jetzt gibt es am Mozarteum zwar eine Genderbeauftragte, aber das wunderbare Kammermusikfestival organisierte eine Klavierkammermusik-Lehrerin in ihrer Freizeit. Das ist wieder so ein Witz!
Deutschland ist uns hier mit Beatrix Borchard, dem MUGI-Lexikon oder dem Archiv Frau und Musik voraus, kämpft aber auch damit, im Zentrum des universitären Lehrangebots zu sein. Und jetzt sind wir wieder bei der anfänglichen Frage: Das ist natürlich politisch. Ich weiß, dass ich allen damit auf die Nerven gehe. Das ist höchst politisch und nicht mit einer einzigen Personalie zu lösen, sondern mit einer ganzen Maßnahmenreihe – von den Schulbüchern angefangen, von den Universitätslehrgängen und den Förderungen bis zu den Konzertprogrammen – und setzt ein regelmäßiges Monitoring voraus. Was wird wo gespielt, in den Opern- und Konzerthäusern, in den Abonnement-Reihen?
Was mich als Frage quält: Es geht immer um Qualität. Im Fall der CD-Aufnahme „Poetry of Women Composers – Poesie der Kompostinnen“ haben das Michael Mautner als Aufnahmeleiter und ich bestimmt. Ich darf mir diesen Maßstab herausnehmen, es geht nicht darum, dass jemand Frau ist, sondern es geht mir darum, dass es Musik ist, die Ansprüche erfüllt. Michael, willst du noch etwas zur Qualität bei unserer Arbeit sagen?
Michael Mautner: Die Einreichungen für „Poesie der Komponistinnen“ hatten stilistisch ein breites Band von „geräuschhaft“ bis Easy-Pop, ein faszinierendes Spektrum. Dadurch, dass viele Arbeiten von Komponistinnen, die ich noch nicht kannte, dabei waren, war es sehr lehrreich. Für die Zukunft planen wir weithin mit Konzerten aufzuschlagen und Stücke für dieses Ensemble zu fördern – und da werden wir vermehrt an Komponistinnen herantreten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Ruth Ranacher
Termin:
Dienstag, 8. März 2022, 19:30 Uhr, Radio Ö1: „Musik für Suffragetten“
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