„le_mol ist kein Sprint, sondern ein Marathon.” – SEBASTIAN GÖTZENDORFER und RAIMUND SCHLAGER (le_mol) im mica-Interview

LE_MOL war schon immer eine Band, die sich mit ihrem instrumentalen, loopbasierten und atmosphärisch sehr dichten Sound recht deutlich außerhalb des klassischen Rockspektrums angesiedelt hat. Konnte man die Musik von Schlagzeuger SEBASTIAN GÖTZENDORFER und Gitarrist RAIMUND SCHLAGER anfangs vielleicht noch am ehesten dem Bereich Postrock zuordnen, so hat sie im Laufe der Zeit ihre ganz eigene Sprache entwickelt. Und diese hat sich einmal mehr weiter verfeinert, wie das neue Album „J_LLY G__D iME“ (Noise Appeal Records) zeigt. Im Interview mit Michael Ternai sprechen SEBASTIAN GÖTZENDORFER und RAIMUND SCHLAGER über die spontane Entstehung des neuen Albums, wie die fortlaufende Entdeckung immer neuer Effektgeräte die Entwicklung des Sounds vorantreibt, und das gewisse Augenzwinkern, mit dem ihre Musik versehen ist.

Euer neues Album setzt sich quasi aus Stücken eurer zwei letzten EPs und einigen neuen Songs zusammen. Warum jetzt plötzlich ein ganzes Album und nicht noch eine EP?

Sebastian Götzendorfer: Die Idee zu diesem Album war schon immer, dass unsere EPs als ein ganzes Album rezipiert werden – auch weil das bei unserer Musikrichtung so viel Sinn macht. Ein instrumentales Rock Album funktioniert im Prinzip wie ein Film. Zusätzlich haben wir haben gemerkt, dass auf die Online-EPs eigentlich kaum jemand angesprungen ist. Ich glaube, es hat für die letzte EP keine einzige Review oder dergleichen gegeben, obwohl auf der, wie ich finde, echt coole Songs drauf waren.

Habt ihr die Gelegenheit genutzt und seid nochmals über die Songs der ersten EP drübergegangen.

Sebastian Götzendorfer: Teilweise. Aber nicht allzu viel.

Raimund Schlager: Es ging dann auch eher um die Zusammenstellung der Songs am Album. Wie machen sich die älteren Stücke, wenn man sie in einen Albumkontext setzt? Wie fügen sie sich mit den anderen Stücken sinnvoll zu einer Geschichte zusammen. Letztlich sind zum Beispiel nur zwei statt vier Nummern der ersten EP „J_LLY“ auf das Album gekommen.

Vergleicht man euer letztes Album „White Noise Everywhere“, das 2020 erschienen ist, mit eurem neuen „J_LLY G__D _iME_“, dann lässt sich schon eine klare musikalische Entwicklung erkennen. Ich habe das Gefühl, dass ihr vor allem, was den Sound betrifft, noch mehr gewagt habt. Ich denke mal, das war auch eure Intention.

Sebastian Götzendorfer: Ich würde sagen, dass dieses Album im Allgemeinen viel spontaner entstanden ist als „White Noise Everywhere“. Dadurch, dass es als ein dreiteiliges Projekt konzipiert war und wir auch zwei EPs veröffentlicht haben, war die Zeitspanne zwischen dem Songwritingprozess und der Veröffentlichung deutlich kürzer. Was die Musik betrifft, waren wir diesmal schneller unterwegs als zuvor. Das war teilweise etwas stressig, da viel Arbeit in kurzer Zeit erledigt werden musste. Andererseits empfanden wir es als cool, da die Songs zu diesem Zeitpunkt uns selber noch so nah waren. Den ersten Track für die „G__D“-EP, die wir im letzten Juni herausgebracht haben, haben wir zum Beispiel erst im Januar 2023 angefangen zu schreiben. Im Vergleich dazu vergingen beim letzten Mal fast eineinhalb Jahre zwischen dem Schreiben der Songs und dem Veröffentlichungstermin des Albums. Das war vor allem live immer recht komisch. Für das Publikum war das, was es hörte, etwas ganz Neues, wir dagegen hatten irgendwie das Gefühl, dass wir jetzt schon drei Jahre im Kreis spielen.

Raimund Schlager: Ich denke, ein weiterer Entwicklungsschritt ist auch, dass wir, obwohl wir etwas spontaner an die Sache herangehen, oftmals strukturierter arbeiten. Wir führen etwa zum Beispiel im Vergleich zu früher unsere Melodieideen viel mehr in Songstrukturen über und versuchen, ganz unserem Konzept entsprechend, noch mehr aus der Loopstation herauszuholen. Wir geben uns immer wieder auch mal Aufgaben, um etwas zu erarbeiten, was wir in unserem Bandkontext davor noch nicht gemacht haben.
Ein großes Thema bei uns ist auch immer, dass, sobald ein neues Effektgerät da ist, dieses sofort verwendet wird, um eventuell neue Sounds zu finden, die wir dann in unsere Nummern integrieren können. Unser Ziel ist schon immer, Songs zu machen, die wir davor noch nicht gemacht haben.

Sebastian Götzendorfer: Auf früheren Alben haben sich unsere Nummern sehr oft nach dem Schema von leise auf laut entwickelt, indem sich die Loops mit der Zeit sich mehr und mehr übereinandergeschichtet haben. Von dem sind wir mittlerweile abgekommen. Wir versuchen die Dinge viel variabler zu gestalten. Ich würde sagen, dass wir jetzt technisch wesentlich komplexer an die Sache rangehen als noch früher, vor allem in Bezug darauf, wie wir die Loopstation einsetzen können.

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Diese Komplexität hört man auch zum Teil auch.

Sebastian Götzendorfer: Ich habe manchmal das Gefühl, dass, wenn wir einen Song schreiben, dieser sich durch die songwriterischen Einschränkungen der Loop-Station manchmal wie ein Labyrinth darstellt und wir wirklich viel tüfteln müssen. Daher stehen wir beim Songschreiben oft mit einem Marker vor einem Whiteboard und schreiben die Struktur des Songs und den Aufbau der Tracks so genau wo möglich auf, damit Raimund weiß, wann er was weg- oder zuschalten muss.

Aber auch, wenn ihr der Loopstation weiter eine zentrale Rolle in eurer Musik gebt, wirkt es bei Durchhören des Albums, dass sie dieses Mal ein wenig mehr Platz für anderes gemacht hat?

Raimund Schlager: Ich würde eher sagen, dass ich die Loopstation mittlerweile mehr wie ein Effektgerät verwende und sie damit ein Teil der gesamten Effektkette ist. ich verwende sie eigentlich kaum mehr dazu, irgendwelche Soundwände zu erschaffen, sondern reize sie, so wie alle anderen Effektgeräte, so gut wie möglich aus. So komme ich immer wieder auf neue Sachen drauf, wie ich verschiedene Töne erzeugen kann. Was dazu kommt, ist, dass ich mich inzwischen mehr mit Sounds auseinandersetze, die in der Loop-Station selbst integriert sind.

Der Sound des Albums ist auf jeden Fall sehr vielfältig. Jeder Song hat wirklich seine ganz eigene Klangfarbe.

Sebastian Götzendorfer: Ich denke, das hat schon viel mit dem ursprünglichen Konzept mit den drei EPs zu tun, das eigentlich drei unterschiedliche Songwriting-Phasen abbildet. Wenn man drei so unterschiedliche Songwriting Sessions hat, ist die Musik dann halt immer so, wie sie in einer dieser Phasen ist. Und deswegen klingen die Sachen so unterschiedlich.

Während Raimund immer wieder von neuen Effektpedalen inspiriert wird, war es bei mir vor allem während der Covid-Phase so, dass ich mir einen Drum-Synthesizer gekauft habe, bei dem man auch live den Sound verändern kann. Basierend auf diesem neuen Tool sind dann gleich auch drei neue Stücke entstanden. So gesehen war der Drum-Synthesizer in diesem ersten Songwritingprozess eine wichtige Inspirationsquelle. Beim nächsten Mal war es dann ein neues Keyboard, das sich Raimund zugelegt hat. Das alles zusammen hat dann eben zu dieser Soundvielfalt geführt. Die Effektkastln sind auch ein bisschen unsere Musen.

Raimund Schlager: Verschiedene Phasen bedingen auch verschiedene Stimmungen. Die erste EP ist noch während der Lockdowns bzw. kurz danach entstanden. Und das hatte natürlich Einfluss auf die Atmosphäre der Songs.Später, als dann wieder alles geöffnet war, war die Stimmung klarerweise eine andere und daher auch der Ton der Musik. Und das ganz unbewusst.

Sebastian Götzendorfer: Das, was wir beim Songwriting aber immer bewusst machen, ist die Abkehr von dieser Post-Rock-Blaupause. Man beginnt mit einem schönen Moll-Akkord und steigert mit Fortdauer die Intensität und Lautstärke bis hin zum emotionalen Höhepunkt …

… und ich wollte in diesem Interview den Begriff Postrock eigentlich vermeiden [lacht]

Sebastian Götzendorfer: [lacht]Jetzt habe ich ihn dann doch verwendet.

Raimund Schlager: Es ist schon so, dass wir mit dieser Blaupause oftmals beginnen, nur brechen wir diese dann absichtlich auf und gehen in andere Richtungen. Es ist uns ein großes Anliegen, immer etwas anderes auszuprobieren.

Hört man euch zu, kann man den Eindruck bekommen, dass ihr eure Entwicklung alleine der Verwendung immer neuer Effektgeräte zuschreibt. Ich finde schon, dass ihr auch in Sachen Songwriting viele, viele Schritte noch vor gemacht habt. Es wirkt alles viel mehr ausgearbeitet und durchdacht.

Sebastian Götzendorfer: Ich glaube, bei dieser Frage kann man auch ein wenig auf unseren Umgang mit Vocals eingehen. Dieses postrock‘sche von leise auf laut Schema eignet sich eigentlich relativ schlecht dazu, mit Sängerinnen und Sängern zusammenzuarbeiten. Das wollten wir aber immer schon vermehrt tun. Also mussten wir uns überlegen, wie wir anders Songs schreiben. Gleichzeitig wollten wir unseren Sound beibehalten.

Auf dem Album finden sich auf jeden Fall zwei Nummern, die eher klassische Songstrukturen haben. Zum einen „welcome to the bubble“ mit dem Sänger von der Wiener Band Fantast am Mikro und zum anderen „prds recomposition“ mit Hans Platzgumer, mit dem wir schon auf unserem letzten Album zusammengearbeitet haben. Wobei klassisch jetzt vielleicht nicht die richtige Bezeichnung ist. Es ist vielmehr eine eigene Interpretation dieses Verse-Chorus-Verse-Chorus-Schemas, welches wir uns da zusammengebastelt haben.

Bild Le_mol
le_mol (c) Thomas Schnotzlinger

Eure Titel für die Nummern muten immer ein wenig seltsam an. Steckt hinter diesen bzw. hinter dem Album eigentlich eine Geschichte oder eine Message?

Sebastian Götzendorfer: Ich denke, so wie wir uns davor zurückscheuen, auf dem den klassischen Postrock-Pfad entlangzuschreiten, so versuchen wir auch in der Titelgebung ein wenig andere Wege zu geben. Wir versuchen schon irgendwie auch immer ein bissl Selbstironie in die Sache hineinzubringen, weil ich es immer ein wenig schwierig empfinde, wenn Bands, die ohnehin schon schwere und ernste Musik machen, dies auch in ihren Titeln permanent ausdrücken. Daher fabrizieren wir oft Songtitel, die uns selbst irgendwie zum Lachen bringen.

„J_LLY G__D _iME_“ ist eine Anspielung auf die Zeiten, in denen wir leben. Es wirkt so, als würden wir von einer Krise in die nächste zu schlittern. Man denke nur an Covid, den Ukraine-Krieg, die Inflation, das Klima und jetzt den Nahost Konflikt. Ich habe mal in einer Fortbildung gehört, dass einer der besten Schutzfaktoren vor psychischen Störungen und Depressionen Humor sei.  Ich glaube, dass ist ein bissl unsere Art, mit all diesen ernsten Dingen umzugehen. Unsere Musik ist zum Teil recht ernst, aber über die Texte ist sie immer ein wenig mit einem Augenzwinkern versehen.

Raimund Schlager: Mit dem Thema des Erwachsenwerdens und den damit verbundenen Schwierigkeiten zieht sich auch noch ein zweites großes Thema durch das Album. Wie bewältigt man den Alltag? Wie gestaltet sich das Arbeitsleben? Wie ist es, neben all dem noch eine Band zu haben und mit ihr auf Tour zu gehen? Auf dem Album gibt es einen computergenerierten Sprecher namens Jonas, der in englischer Sprache mit einem starken Wiener Dialekt durch das gesamte Geschehen führt. Das zeigt, meiner Meinung nach, unseren Humor recht gut. Wir wollten ursprünglich einen professionellen Sprecher engagieren, aber das war uns dann zu fad. Die Themen, die wir behandeln, sind also ernsthaft, jedoch stets mit einem Augenzwinkern aufgearbeitet.

le_mol gibt es seit mehr als zehn Jahren. Und ich meine, ihr habt euch in dieser Zeit schon ein gewisses Standing innerhalb der Szene erarbeiten können. Stimmt dieser Eindruck?

Raimund Schlager: Es war schon ein wenig schwierig, das ganze Werkl nach Corona wieder ins Laufen zu bringen. Aber ich merke jetzt schon, dass wir die Kontakte, die wir hatten, wieder aufnehmen konnten. Ich glaube schon, dass wir diejenigen, die uns bereits kennen, mit unserem neuen Album erreichen können. In gewissen Kreisen ist der Name le_mol, glaube ich, mittlerweile schon ein Begriff.

Sebastian Götzendorfer: Raimund hat vor einigen Jahren, als wir im Proberaum saßen, gemeint, le_mol ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Ich finde, das gilt im Subkultur-Bereich für viele. Ich glaube, je länger jemand etwas macht, desto mehr Menschen wird dieser irgendwann mal ein Begriff sein. Was mich aber immer fasziniert, ist, dass wir auch außerhalb unserer Szene Leute erreichen. Ich habe letztens mit Dominik, unserem Labelchef von Noise Appeal Records, gesprochen und ihm von unserer letzten Tour erzählt. Wir haben in Budapest in einer relativ bekannten Location ein Konzert gespielt. Die Location bietet freien Eintritt und drei unterschiedliche Bühnen, auf denen zeitgleich Konzerte stattfinden. Deswegen hat man auch sehr viel Publikum, das kurz einmal vorbeischaut und zuhört und dann entweder bleibt oder weitergeht, je nachdem, ob es einem gefällt oder nicht. Als wir spielten, hatte ich den Eindruck, dass das Publikum sukzessive mehr wurde. Ich habe Dominik davon erzählt und gemeint, dass ich das eigentlich kaum glauben konnte, weil ich uns selbst als zu komplex und verschroben empfinde. Er meinte darauf nur, dass das nicht stimme. Man müsste bei uns nur einmal kurz vor der Bühne stehen, und dann wird man auch schon voll in die Musik hineingezogen. Das hat mir noch mehr Zuversicht gegeben, dass wir eigentlich mehr Menschen ansprechen können, als wir selbst glauben.

Vielen Dank für das Interview.

Michael Ternai

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