DAVID SLOMO wollte immer ein Star werden. Er muss Rückschlag auf Rückschlag einstecken und ist dabei aufzugeben. Heute hat er neun Goldene Schallplatten und kennt das Dilemma von Songwriting-Sessions aus nächster Nähe.
Ist dein Song „Papa“ eine Abrechnung?
David Slomo: Ich wollte das gesagt haben. Mein Vater hat unsere Familie schon vor meiner Geburt verlassen. Er ist von einer Familie zur nächsten gezogen, mit 14 Jahren habe ich versucht, mich anzunähern und schnell gemerkt, das wird nichts. Ich habe null Unterstützung von ihm bekommen, weder finanziell noch moralisch. Wir werden keine Freunde mehr.
Deine Mama war schon in Wien, als du nachgekommen bist?
David Slomo: Meine Mama wollte hier etwas aufbauen. Ich bin bei meiner Oma in Zagreb und knapp außerhalb von Sarajevo aufgewachsen und – weil wir dort nichts mehr hatten – circa 1997 als Spätflüchtling nach Wien gekommen. Ich habe meine Mama kennengelernt, als ich sechs oder sieben Jahre war. Im Fernsehen waren die Leute reich und berühmt – und ich dachte, Musik ist der schnellste Weg, um Geld zu verdienen. Spoiler, ist es nicht.
War deine Familie musikalisch?
David Slomo: Überhaupt nicht, ich habe mir alles beigebracht, mit Fruity Loops Beats gemacht und gedacht, ich bin der Beste. Es war richtig schlecht. Ich bin drangeblieben. Damals war ich gut mit Yung Hurn, später war ich mit ihm nicht mehr gut. Wir haben mit Cloud-Rap begonnen, ich wollte “wertvollere” Musik machen. Zwei oder drei Jahre später ist Yung Hurn eskaliert.
Wie war es bei der Castingshow Helden von Morgen?
David Slomo: Ich war ein Leider-Nein-Kandidat. Die Jury hat mich richtig fertig gemacht. Das hat weh getan – vor Ort und dann noch einmal im Fernsehen. Aber in meinem jugendlichen Leichtsinn war das eine Motivation, dass ich es allen zeige. Das Album „Mein Film“ habe ich komplett alleine daheim im Kinderzimmer aufgenommen, es war fürchterlich gemischt, aber das war egal. Und habe versucht, meine CDs bei Auftritten zu verkaufen und habe irgendwann Demos verschickt. Heute sagt man, du musst jeden Tag auf Tiktok posten, ich habe das damals auf Facebook mit Songs über Wien oder die Donaustadt gemacht. Ein Song hatte 100.000 oder 200.000 Klicks, die Sony kam auf mich zu und ich dachte, das ist das Label von Michael Jackson, jetzt ist es endlich soweit.
Spoiler …
David Slomo: War’s nicht. Jeder Künstler muss da einmal durch und verstehen, wie das Musikbusiness funktioniert, glaube ich. Später habe ich mit vielen anderen Musikern geredet und jeder – auch die Großen – meinte, es war genauso. Am Anfang hast du Pech. Und du lernst daraus.
Was hast du mit Radio Energy gelernt?
David Slomo: Jetzt muss ich mich hier komplett nackt ausziehen. [lacht] Radio Energy hat meinen Song „100.000“ rauf und runter gespielt. Meine zweite Single wurde nicht einmal vorgestellt, ich dachte, da muss ein Fehler passiert sein, deshalb habe ich nett nachgefragt, hey, vielleicht habt ihr das übersehen. Sie meinten, nein, haben sie nicht, aber sie können meinen Song nicht spielen, weil der alte Song so schlecht beim Publikum angekommen ist. Kein anderer Song hat so schlecht bei ihnen getestet. Ich habe das Mail noch.
Manchmal haben sich Freunde bei dir versteckt.
Wegen „Hardeggasse“, oder? Dort bei der Schule war unser kleines Ghetto. Ich habe relativ wenig Blödsinn gemacht, weil ich so viel Respekt vor meiner Mama hatte, sie hat mich nach Wien geholt und mir Chancen gegeben. Meine Freunde haben viel Blödsinn gemacht, wenn die Polizei nach jemandem gesucht hat oder die Eltern böse waren, konnten sie bei mir am Boden schlafen. Ich war derjenige, der immer noch davon geredet hat, ich werde ein Star. Gleichzeitig habe ich mich beruflich abgesichert, falls es mit der Musik nichts wird.
Wann wurde es etwas?
David Slomo: 2019.
„Ich dachte mir, den einen Song schreibe ich noch, dann will ich nie wieder Musik machen. Und das war ‚2x ‘.“
Mathea?
David Slomo: Ich dachte schon, alle anderen haben vielleicht recht und ich sollte keine Musik machen. Mein Produzent Johannes Herbst und mein Manager Daniel Rumpel meinten zu mir, versuch doch, für andere Musik zu schreiben. Und ich dachte, warum soll das funktionieren, wenn es so schon nicht funktioniert? Und wenn ich eine gute Idee habe, warum sollte ich sie hergeben? Sie haben nicht lockergelassen. Und dann war eine 19-jährige Musikerin, die bei The Voice ausgeschieden ist, in Wien. Ich dachte mir, diesen einen Song schreibe ich noch, dann will ich nie wieder Musik machen. Und das war „2x“.
Wie lief das ab?
David Slomo: Wir haben uns im Café Europa kennengelernt, ich war demotiviert und kann mir vorstellen, dass ich ziemlich ungut drauf war. Am Tag der Session waren wir noch Döner essen – und der war überraschend teuer. Wir hatten kein Geld und dachten uns, den müssen wir jetzt wieder reinholen. Letztens hat Mathea mir geschrieben: Ich glaube, den Döner haben herinnen.
Die Zeile “man sieht sich immer 2x“ gab es schon.
David Slomo: Genau. Mathea hat erzählt, es gibt da einen Typen, mit dem es nicht klappt und hat uns Chats gezeigt. Ich fand das spannend und meinte, warum schreiben wir nicht darüber? Mathea hat uns dann ihren alten Song gezeigt, der ihr und uns nicht sonderlich gefallen hat. Wir haben uns Teile der Chats genommen, den Trip nach Berlin, den Schweighöfer-Film, das kam da alles vor. Wir haben die Geschichte schön verpackt. Viele Leute konnten sich damit identifizieren. Kurz darauf war der Song auf der Eins, Gold, Platin und schieß mich tot.
Dann kam „Chaos“.
David Slomo: Genau, wir dachten schon, „2x“ floppt, als der Song via Tiktok und ein paar Radiostationen abgehoben ist. Der nächste Song musste ein Hit werden. Und wir alle so: Wie macht man einen Hit? Keine Ahnung! Eines Tages bekomme ich einen Anruf von Mathea, ich muss nach Berlin kommen. Ich habe aber Vollzeit in einem Büro gearbeitet. Hinterher hat mich der Produzent angerufen und gesagt, wenn Mathea will, dass du nach Berlin fliegst, flieg nach Berlin, ich buche dir den Flug. Ich bin also zu meinen Chefs, die haben mich komisch angesehen, aber meinten ausnahmsweise geht das, ich muss morgen wieder da sein. Ich war mittags in Berlin und bin abends retour.
„Bist du der Typ, über den sie singen mag? Und ich so, was?!“
Und dort …?
David Slomo: … hat mich Mathea empfangen. Sie meinte, das Studio ist gebucht, wir müssen den Song schreiben. Ich kannte mich überhaupt nicht aus, welcher Song, worum geht es eigentlich? Sie hat mir erzählt, dass es diesen Typen gibt, in den sie ein bisschen verliebt ist, sie weiß aber nicht, ob er in sie verliebt ist. Zwischendurch musste sie aufs Klo. Und Gerard (Gerald Hoffmann aka Gerard, Co-Songwriter von “Chaos“, Anm.) war auch da. Und er schaut mich an und sagt: Bist du der Typ, über den sie singen mag? Und ich so: Was?! Wir haben den Song dann in ein paar Stunden halbwegs hinbekommen. Ich war kein großer Fan, aber Mathea wollte ihn unbedingt releasen. Und letztlich hatte sie recht damit.
Was unterscheidet die beiden Songs von hundert anderen Liebesliedern?
David Slomo: Gute Frage. Ich habe sie bei einigen Songwriting-Workshops analysiert und letztlich … Wenn ich es wüsste, warum sie so eingeschlagen sind, würde ich es immer wieder machen.
„2x“ beschreibt, wie unverbindlich Liebe durch Tinder geworden ist, oder? Der Protagonistin ist es wurscht, aber es ist ihr nicht wurscht.
David Slomo: Genau so war es auch. Super, wenn wir das so rüberbringen konnten. Ihr war es sehr wichtig, dass sie dabei nicht als Opfer dargestellt wird. Sie war mit 19 Jahren schon wirklich tough und selbstbewusst. Das hat mich sehr beeindruckt. „2x“ war einer der ersten deutschsprachigen Songs mit sehr konkreten Wörtern und Bildern. Davor waren Metaphern in, ich steige für dich auf einen Berg, verschiebe einen Fluss, so etwas. Ich denke, das war vielleicht der Grund, warum die beiden Songs so frisch und neu waren.
Hinterher kam es zum Streit, oder?
David Slomo: Ich hatte ein großes Ego und wollte immer schon ein Star werden. Und dann mache ich einmal eine Session und das wird der größte Song des Landes. Ich dachte mir, ihr wollt mich doch alle verarschen! Ich habe Mathea die Schuld darangegeben und irgendeinen Blödsinn dahergeredet, dass ich doch der Kreative bin und der Song wegen mir so groß geworden ist. Wir sind richtig geclasht. Das hat ein oder zwei Monate gedauert. Heute sind wir wirklich sehr eng befreundet.
Sie hat sich revanchiert.
David Slomo: Ach Gott, ja. Ich sollte auf ihrer ersten Tour Support spielen und habe mir für jeden Tourstop ein Outfit besorgt – Bayern München, Union Berlin usw. Zwei Tage vor dem Start ruft sie an und sagt, es gibt ein Problem, der Tourbus ist zu klein für mich. Mir ist alles runtergerutscht. Ich habe wie wild überlegt, ob ich die Tour selbst fahren kann. Ich habe sie zurückgerufen und meinte, ich bekomme keinen Schlaf, ich schaffe das einfach nicht, aber bitte, bitte, ich möchte ein paar Shows spielen oder irgendwo Special Guest sein. Und sie meinte, sie möchte das einheitlich haben, sie überlegt es sich. Zwei Stunden lang kam nichts. Ich habe schon all meinen Leuten Bescheid gegeben, dass die Tour nichts wird. Und dann bekomme ich ein Video. Mathea und die Band lachen mich voll aus und rufen dann: Prank! Ich war so sauer und habe ihr am Telefon alle Beleidigungen an den Kopf geworfen, die ich mir jemals aufgespart habe. Und sie hat nur gelacht. Das wird noch einmal Rache geben. [lacht]
Wie lukrativ ist Songwriting eigentlich?
David Slomo: Radio ist klar zwischen Artist und Songwriter aufgeteilt; Streaming leider nicht. Ich habe für die 70 Millionen Streams von „2x“ vielleicht einen Tausender bekommen. Songwriter trauen sich letztlich nicht, bessere Verträge einzufordern, weil sofort andere Schlange stehen. Deshalb hat man in Sessions mittlerweile das Dilemma, dass Künstler Songs für Spotify und Tiktok machen möchten, während die Songwriter fürs Radio schreiben wollen, weil sich das finanziell viel eher lohnt. Für Künstler ist das allerdings riskant, weil nur wenige Sender heimisches Repertoire spielen.
Wie viele Sessions sind erfolgreich?
David Slomo: In jeder Session entsteht ein Song. Ich werde ja bezahlt, also garantiere ich, dass man etwas mit Heim nehmen kann. Circa jeder fünfte oder sechste Song wird wirklich releast. Ich habe schon Schlager geschrieben, Techno, Popsongs, Mundart oder Rap. Manchmal bekomme ich Anfragen von Verlagen, dass sie für Künstler XY einen Song suchen, der nach YZ klingt. Ich schicke ihnen etwas durch und sage meistens dazu, dass ich in einer Woche noch etwas machen kann. So kommt schon etwas zusammen. Zwischen Mathea und mir liegen aber natürlich Welten. Sie hat Auftritte und Sponsorings. Das ist auch voll in Ordnung.
Wie schreibst du?
David Slomo: Ich habe in meiner Notizen-App sehr viele Oberbegriffe und schreibe Phrasen hinein oder Wörter. Und in der Aufnahme-App sind unzählige gesummte Melodien. Wenn ich dann wirklich Musik mache, scanne ich das Material. Das meiste ist schlecht. Aber ab und an sticht etwas heraus. Mittlerweile kann ich das recht gut einschätzen.
Muss man sich Sorgen machen, dass Chats mit dir in Songtexten landen?
David Slomo: Einmal habe ich zu meiner Freundin gesagt, wenn wir Schluss machen, wirst du ein Song. Was dann auch passiert ist. „In einem anderen Leben“ wurde nach „Ampel auf Gelb“ echt gut gestreamt. Das ist einfach organisch passiert. Mit Tiktok ist das heute einfach, ich mache ein Video, stell mich in einen Einkaufswagen oder sonst etwas und das reicht oft. Klassische Musikvideos sind ein bisschen am Aussterben, vor allem unter Jugendlichen.
Deine Melodien haben mitunter einen Balkan-Einschlag. Ist das Absicht?
David Slomo: Mathea hat mich einmal in einer Session darauf angesprochen. Da hat es bei mir Klick gemacht, seither versuche ich das gezielter einzusetzen. Österreich ist auch Balkan. Das würde ich gern verbinden. Gut möglich, dass man da bald auf einer sehr großen Bühne mehr hören wird.
Letzte Frage. Geht es in “Chaos“ um dich?
David Slomo: Das weiß ich nicht. [lacht] Das müssen die Zuhörer beantworten. [lacht] Hast du dir jetzt echt so lange Zeit gelassen, die Frage zu stellen? Vielleicht beantworte ich das, wenn das Mikro aus ist.
Stefan Niederwieser
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