Wer sich in Wien umweltfreundlich fortbewegt, indem er mit dem Rad fährt, zu Fuß geht oder die Öffis benutzt, kann schon bald Kultur-Token sammeln und bei verschiedenen kulturellen Einrichtungen in Wien gegen Eintrittskarten einlösen. Wie funktioniert das? Und was bringt es?
Eine App, mit der WienerInnen durch umweltfreundliche Fortbewegung digitale Gutschriften erhalten, die sich an den Kassen diverser Theater und Musik-Venues gegen Tickets eintauschen lassen? Was wie eine Zukunftsvision klingt, könnte schon bald Realität werden. Dann nämlich, wenn sich „Kultur-Token“ bewährt. Dabei handelt es sich um ein digitales Pilotprojekt der Stadt Wien, bei dem mittels digitaler Technik gemeinschaftliches Verhalten von Bürgerinnen und Bürgern mit dem freien Zugang zu Kulturveranstaltungen honoriert wird und so Klimaschutz, Kultur und Kryptoökonomie unter einen Hut zu bringen versucht. Letztere, weil dem Projekt von Beginn an das Forschungsinstitut für Kryptoökonomie mit seinem Know-how in Blockchain-Technologie wissenschaftlich beratend und evaluierend zur Seite stand, wobei Blockchain nur eine von vielen Komponenten ist, die technologisch zur Anwendung kommt.
Nach einer intensiven Vorbereitungsphase gab die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler bereits im Frühjahr 2019 den offiziellen Startschuss zum weltweit ersten Kultur-Token. Vergangenen Montag lud man die Presse zur Präsentation.
„Aus dem spartenübergreifenden Denken entsteht viel Gutes“, waren sich Digitalisierungsstadtrat Peter Hanke und Kulturstadträtin Veronika Kaup-Hasler am Anfang der Präsentation einig. Alle Bedenken, das dafür aufgewendete Geld könnte dem Kulturbudget fehlen, zerstreute Kaup-Hasler gleich zu Beginn. Das Projekt „Kultur-Token“ belaste nicht das Kulturbudget, sondern werde über das Digitalisierungsbudget abgewickelt. Aus Sicht der Kunst klingt das nach einer Win-win-Situation: Das Projekt wird aus anderen Töpfen finanziert, kommt aber letztlich der Kunst, den Künstlerinnen und Künstlern zugute.
Der Projektfahrplan sieht nun folgendermaßen aus: Ab dem 26. Februar stellt die Stadt Wien einer ersten Test-Community von maximal tausend Personen eine App zur Verfügung. Mit einer Mail an kultur-token@post.wien.gv.at kann man sich für das Pilotprojekt anmelden, um den Download-Link für die App zu erhalten. Während der folgenden sechs Monate können die NutzerInnen durch CO2-Reduktion erworbene Token dann gegen Kulturleistungen tauschen.
Um die Testphase nicht zu kompliziert zu gestalten, habe man sich zunächst auf einen beschränkten Personenkreis und auf vier kulturelle Player beschränkt, so die Verantwortlichen. Vorerst sind das Wiener Volkstheater, das Wien Museum, die Kunsthalle Wien und das Wiener Konzerthaus mit an Bord. Neun weitere Kulturveranstalter haben aber bereits ihr Interesse an einer Teilnahme bekundet.
Digitaler Humanismus und kulturelle Teilhabe
Nach einer eingehenden Evaluierung, in der es darum gehe, Fragen und Zweifel auszuräumen, die es hinsichtlich mancher Themen, vor allem auch der Datensicherheit, gebe, solle die App dann im tatsächlichen Alltag zeigen, wie sich Digitales zum Wohl der Menschen einsetzen lasse, so Kaup-Hasler.
Genau deshalb kann man im Kultur-Token auch so etwas wie das genaue Gegenteil zu dem in China eingeführten „Sozialkreditsystem“ sehen. Dort startet jede Bürgerin und jeder Bürger mit einem Punktestand und wird daraufhin ständig beobachtet. Alles, was nicht in die Moral der Partei passt, führt dazu, dass man im Kreditsystem runtergestuft wird. KritikerInnen erblicken darin der Versuch, über Technologien, nicht zuletzt über KI-Systeme, die totale Kontrolle über Menschen zu gewinnen.
„Kultur-Token“ ist das Gegenteil: die Verschränkung von digitalem Humanismus und kultureller Teilhabe. Der umweltbewusste Umgang mit der Stadt wird hier mit Kultur belohnt. Das Projekt will Aufschluss darüber geben, wie man Digitalisierung im öffentlichen Raum unter Nutzung der Blockchain-Technologie zum Wohl aller einsetzen kann. Auch das ständige mediale Wiederholen, dass es Einschnitte braucht und CO2 letztlich nur über Verzicht eingespart werden kann, wird wohltuend konterkariert: CO2 einzusparen wird beim „Kultur-Token“ zum lustvollen Akt.
In der Praxis erhält man für 20 kg eingespartes CO2 ein Token. Wer etwa mit dem Rad zur Arbeit fährt, spart im Monat um die 40 kg CO2, d. h., sie bzw. er hat am Ende des Monats zwei Token gesammelt. Sammeln kann man maximal fünf Token, dann muss zumindest eines eingetauscht werden, um weitersammeln zu können.
Bewähre sich das Pilotprojekt, könne man sich seitens der Stadt Wien durchaus vorstellen, das System auf andere Felder auszudehnen. Neben der Kultur sei auch etwa der Sport förderungswürdig. Aber auch gewisse ehrenamtliche Tätigkeiten könnten durch Gratis-Eintritte belohnt werden. Vorstellen könne man sich hier so einiges, betonen die Organisatoren.
Mit den Daten werde sorgsam umgegangen, garantiert man. Für die Registrierung in der Pilot-App werden ein Name und eine E-Mail-Adresse benötigt. Mit der Installation der App wird die Einwilligung der App gegeben, dass die beauftragten Forschungseinrichtungen, also die WU Wien, Daten für eine wissenschaftliche Begleitstudie erhalten. Am Ende des Pilotprojekts werden alle Accounts gelöscht.
Wer der Test-Community des Projekts „Kultur-Token“ beitreten will, wird derzeit noch um Geduld ersucht. „Wir werden uns so bald wie möglich mit weiteren Informationen per E-Mail melden”, heißt es in der Antwort-Mail auf meine Anmeldung. „Spätestens in der dritten Februar-Woche.“ Man darf gespannt sein. Wir werden weiter über das Projekt berichten.
Markus Deisenberger
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Digitales Wien