„KULTUR STELLT IMMER DIE WIE-FRAGE.“ – GEORG TAPPEINER (GREEN EVENTS AUSTRIA – pulswerk GmbH) IM MICA-INTERVIEW

Der Nachhaltigkeitsberater und Kooperationsmanager GEORG TAPPEINER berät die Veranstaltungsbranche auf dem Weg zu klimafitten Strategien und Zertifizierungen nach dem Österreichischen Umweltzeichen und leitet seit 2006 die Initiative Green Events Austria des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK). Als Pionier der Green Event Thematik in Europa beschäftigt er sich unter anderem mit Aspekten der Ressourcenschonung, Energieeffizienz, Abfallvermeidung oder umweltschonender Besucher:innen-Mobilität. Mit Michael Franz Woels sprach er im Büro der pulswerk GmbH über kulturelle Unterschiede der Festivalvermüllung, wandelnde Heizpilze und Hangrutschungsgefahren für die Neigungsgruppe Festivals …

Was passiert gerade in Bezug auf die Themen Umwelt, Nachhaltigkeit im Kultur- bzw. Musikbereich in Österreich?

Georg Tappeiner: Dazu möchte ich einen zeitlichen Bogen zu spannen. Es war nicht immer so, dass sich die Kulturbranche und damit auch die Musikbranche, dem Thema Nachhaltigkeit verpflichtet gefühlt hat. Ich kann mich noch gut erinnern, vor einigen Jahren bekam ich eher die Rückmeldung: Die Kultur macht ja eh schon viel für die Gesellschaft, bitte kommt jetzt nicht auch noch mit diesem Thema …”

„WIE WIR MENSCHEN ETWAS TUN, DAS IST DIE WERTHALTIGE BEGRÜNDUNG VON NACHHALTIGKEIT.”

Andererseits wurde bereits 1998 auf der Stockholmer Konferenz, der Intergovernmental Conference on Culture Policies for Development (Anm.: Die erste Konferenz in Stockholm 1972 der Vereinten Nationen fand zum Thema Umwelt statt) ein Aktionsplan mit dem Titel „Power of Culture“ beschlossen, dessen erstes leitendes Prinzip lautet: nachhaltige Entwicklung und kulturelle Entfaltung sind voneinander abhängig. Anfang der 2000er Jahre hat Olaf Schwencke, der ehemalige Präsident der deutschen kulturpolitischen Gesellschaft, bei einer Rede in Wien eine für mich sehr prägende Aussage gemacht: „Kultur stellt immer die Wie-Frage. Wie wir Menschen etwas tun, das ist die wertseitige Begründung von Nachhaltigkeit.“ Nachhaltigkeit verstanden und basierend auf den drei Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales.

In den letzten Jahren hat sich viel verändert: viele Akteure der Kulturbranche nehmen sich des Themas Nachhaltigkeit intensiv an, haben ihre wichtige Rolle bei der Gestaltung der gesellschaftlichen Transformation erkannt. Zum einen versuchen sie, ihren eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern, zum anderen, dieses Thema über künstlerische Perspektiven und Ausdrucksformen in die Gesellschaft zu tragen. Ich bin der Überzeugung: Ohne Kultur als starken Partner werden wir die erforderliche Transformation hin zu einer klimafitten und damit zukunftsfähigen Gesellschaft nicht schaffen. Denn, das Wissen um die erforderlichen Maßnahmen liegen auf dem Tisch. Wir wissen, was es zu tun gilt. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, die für die Umsetzung dieser Veränderungen erforderlichen sozio-kulturellen Kipppunkte zu erreichen. Dafür brauchen wir die Kulturbranche als Partner. Kulturschaffende haben aus meiner Sicht die bedeutende Funktion, den Menschen neue Perspektiven und Zugänge auf das Thema anzubieten, Betroffenheit zu erzeugen und Übersetzungsarbeit zu leisten.

Welche Dinge haben sich daraus nun im Kultur- und Veranstaltungsbereich entwickelt?

Georg Tappeiner: Für die Veranstaltungsbranche haben sich in den vergangenen rund 10 Jahren verschiedene Zertifizierungsinstrumentarien entwickelt. Österreich nimmt hier mit dem Österreichischen Umweltzeichen eine internationale Vorreiterrolle ein. So haben beispielsweise Tagungs- und Eventlokalitäten, Museen und Ausstellungshäuser, Sprech- und Musiktheater oder Kinobetriebe die Möglichkeit, sich entlang eines umfassenden Beratungsprozesses den Themen Umwelt und Nachhaltigkeit zu widmen. Rund 40 Kulturbetriebe und eine Vielzahl an Veranstaltungslocation sind diesen Weg bereits gegangen und konnten nach dem Österr. Umweltzeichen zertifiziert werden.

Dieselbe Entwicklung gibt es im Bereich der Veranstaltungen. Über 2000 Veranstaltungen wurden bis zum jetzigen Zeitpunkt nach den strengen Kriterien des Österreichischen Umweltzeichens durchgeführt und ausgezeichnet. Bei einem Vielfachen mehr an Events wurde einzelne Maßnahmen umgesetzt.

Mit der Initiative Green Events Austria des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS), dem BMK, in Kooperation mit den Bundesländern und der Eventbranche ist es uns seit 2006 gelungen, hier entscheidende Angebote zu entwickeln und Impulse zu setzen. Zunehmend ist die Umsetzung von Nachhaltigkeitsthemen auch Voraussetzung für Förderungen der öffentlichen Hand auf Bundes- oder Länderebene.

Das Förderprogramm Klimafitte Kulturbetriebe des BMKÖS unterstützt Kulturbetriebe, die ihren ökologischen Fußabdruck verringern wollen. Die vielen Förderanträge – von kleinen Kulturbetrieben bis zu den Bundesmuseen – zeigen, welcher Handlungsbedarf hier besteht.

Auch die neue Strategie zur Auslandskultur des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten, die unter dem Sektionschef für Internationale Kulturangelegenheiten Christoph Thun-Hohenstein erarbeitet wurde, stellt die Frage der gesellschaftlichen Transformation in den Mittelpunkt.

All dies hat zur Folge, dass viele kleinere und große Kulturevents, wie beispielsweise die Europäische Kulturhauptstadt 2024 Bad Ischl Salzkammergut sich mit dem Thema Umwelt und Nachhaltigkeit befassen und eine Vielzahl an Maßnahmen umsetzen.

Wie sieht es in der Musikbranche aus?

Georg Tappeiner: Diese Entwicklung macht natürlich auch nicht vor der Musikbranche halt. Bereits beim Songcontest 2015 in Wien hat sich der ORF verpflichtet, die Veranstaltung nach dem höchsten Standard, den Kriterien des Österreichischen Umweltzeichens auszurichten. Das war eine außerordentliche Kraftanstrengung und ist gelungen. Derartige Veranstaltungen haben durch ihre mediale Reichweite auch eine hohe Multiplikatoren-Wirkung, sowohl bei Veranstalter:innen, Künstler:innen als auch dem Publikum. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung. 

Festivals, wie das Frequency, das Paradiesgartenfestival, Poolbar oder Rock d’Hittn und viele weitere setzen verschiedenste Maßnahmen – von bepfandeten Müllsäcken bis zu Green Camping Areals. Bei verschiedensten Themen, wie dem Müllthema oder der klimaschonenden Anreise braucht es aber auch einen langen Atem auf Seiten des Veranstalters, weil er von der Mitwirkung der Besucher:innen abhängig ist. Die dafür erforderlichen Verhaltensänderungen brauchen oftmals Jahre.

Es können wir auch länderweise Unterschiede im Publikumsverhalten feststellen: so ist zum Beispiel das Roskilde Festivalgelände in der Nähe von Kopenhagen bereits seit Jahren nach der Veranstaltung „sauber“. Das Publikum sammelt selber den Müll auf. Es gibt ein höheres Bewusstsein auch im Vergleich zu österreichischem Publikum. Wir brauchen uns nur Bilder der Traisenauen nach dem Frequency vor Augen zu führen. Aber auch bei uns können wir diesbezüglich eine positive Entwicklung in den letzten Jahren beobachten.

Weitere positive Beispiele aus der Musikbranche sind prominente Stimmen, im Sinne von Testimonials, wie der Aufruf von Music Declares Emergency. Ausgehend von England hat sich auch in Österreich Music Declares Emergency Austria gegründet. Die Initiative hat am Earthday im April 23 die österreichische Politik in einem offenen Brief aufgefordert, im Thema Klimaschutz aktiver zu werden. Gleichzeitig gaben sie auch ein Commitment ab, den eigenen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren und haben dazu einen Leitfaden veröffentlicht. Oder die Vienna Club Commission, die vor zwei Jahren im Bereich der Energieeffizienzsteigerung eine Initiative gegründet hat.

Bild Georg Tappeiner
Georg Tappeiner (c) Pulswerk

„WIE BEKOMME ICH DAS PUBLIKUM MÖGLICHST KLIMASCHONEND ZU EINEM EVENT?“

Was gibt es darüber hinaus noch zu tun?

Georg Tappeiner: Wenn man sich den ökologischen Fußabdruck und die CO2-Klimarelevanz der österreichischen Kulturbranche ansieht, dann gibt es beispielsweise beim Thema Mobilität im Rahmen der Tourneen von Künstler:innen Optimierungspotential. Ein plakatives Pilotprojekt hat hier Manu Delago gestartet: er karrt sein Equipment mit Fahrrädern durch Österreich. Vor allem große Veranstalter haben hier Möglichkeiten, die Durchführung von Tourneen klimaschonender zu gestalten und ihre Partner:innen zu sensibilisieren.

Eine andere Frage ist: Wie bekomme ich das Publikum möglichst klimaschonend zu einem Event. Eine Möglichkeit ist das Angebot von Kombi-Tickets. Hier erfordert es noch bessere Kooperationen mit Partnern wie der ÖBB oder anderen Verkehrsdienstleistern.

Neben der Mobilität hat das Catering, die Verpflegung einen großen ökologischen Fußabdruck und CO“-Impact. Fleischlastige Angebote, die für österreichische Festivals in Cateringtrucks aus Holland kommen sind aus mehrfacher Hinsicht nicht mehr zeitgemäß. Begonnen bei den Transportkilometern über die negative CO2-Bilanz von Fleischprodukten bis hin zum Thema der fehlenden regionale Wertschöpfung. Natürlich benötigen Veranstalter von Großevents dafür auch passende österreichische Angebote, um hier besser zu werden.

Weitere wichtige Themen sind die Verwendung von Mehrwegprodukten, also keine Einweg-Flaschen, Dosen oder Einwegbecher und Einweggeschirr. Wir können allein darüber über 60% Müll vermeiden. Natürlich benötigen die Veranstalter auch hier entsprechende Angebot am Markt, die es zwischenzeitlich mehrheitlich auch gibt. Leider warten wir im Bereich der Energiedrinks immer noch auf ein Mehrwegprodukt am Markt.

Im Bereich Energie haben Veranstalter relevante Hebel durch die Verwendung erneuerbaren Energie, energieeffizienten technischem Equipment und energiesparender Beleuchtungskonzepte oder Spezialeffekten. Hier haben wir mit den steigenden Energiepreisen sowieso einen starken Pushfaktor.

Was gibt es für Probleme in der Umsetzung der erwähnten Maßnahmen?

Georg Tappeiner: Viele Veranstalter sagen mir, dass sie gewisse Maßnahmen nicht umsetzen können, da die Besucher:innen das nicht gut finden würden. Das klingt einerseits nach einer Ausrede, anderseits müssen wir natürlich die angesprochenen Verhaltensänderungen bewirken. Nicht alle Maßnahmen werden bei Besucher:innen sofort auf Verständnis und Begeisterung stoßen. Wenn der Veranstalter des Frequency Festivals für Behältnisse zur Mülltrennung sorgt, die Besucher:innen trotzdem ihren Müll in den Traisen-Auen zurücklassen und vom Veranstalter Auffangnetze im Fluss installiert werden müssen, so ist das nur ein plakatives Beispiel dafür. Auch im Bereich der Mobilität haben wir mancherorts trotz bestehender Angebote des Öffentlichen Verkehrs Staus auf An- und Abreiserouten und überfüllte Parkplätze. Attraktive Angebote, Anreize und Bewusstseinsbildung sind Strategien, die von allen relevanten Akteuren verfolgt werden müssen: vom Veranstalter, über die Medien bis hin zur Politik.

Ein Beispiel: Wir haben in den überwiegenden Fällen die Situation, dass die Parkplätze für den motorisierten Individualverkehr kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Das darf es künftig nicht mehr geben. Wir benötigen eine sinnvolle Form der Parkplatzbewirtschaftung. Das damit eingenommene Geld soll für die Bereitstellung attraktiver ÖV-Kombi-Ticket Angebote genutzt werden. Hier gilt es also verstärkt steuernd einzugreifen!

„GEHT JEDE:R MIT EINEM HEIZPILZ SPAZIEREN, WENN SIE / ER IM WINTER RAUSGEHT?

Kreative Zugänge erfordern manchmal auch Mut. Ich komme von einem Meeting zum Thema Kulturhauptstadt 2024 Bad Ischl Salzkammergut. Das Eröffnungsevent findet im Jänner statt, naturgemäß wird es noch etwas kühler sein. Sofort kommt das Thema der Heizpilze auf, denn sonst „erfrieren ja die Leute”. Ich denke nicht, oder geht jede:r von uns im Winter mit einem Heizpilz spazieren? Oftmals wird von Veranstaltern ein Komfort in mehr oder weniger vorauseilendem Gehorsam geliefert, um vermutete oder reale Erwartungen der Besucher:innen zu erfüllen. Nicht alles, was in der Vergangenheit zur Gewohnheit wurde, kann künftig so bleiben. Unterschätzen wir nicht das Bewusstsein unserer Besucher:innen! Heizpilze auf einer Veranstaltung wären beispielsweise ein Knockout-Kriterium für eine Umweltzeichen-Zertifizierung. Ich höre von Verantwortlichen aber auch, „mir waren diese Heizpilze sowieso schon immer ein Dorn im Auge. Jetzt habe ich endlich ein gutes Argument dagegen.”

Auch der ORF verfolgt in seinen Produktionen und Übertragungen von Events zunehmend die sogenannten Green Producing Richtlinien des Österreichischen Umweltzeichens. Er erwartet sich dabei natürlich, dass auch die Veranstaltung selbst ein Green Event ist. Alles andere wäre absurd.

Auch für Sponsoren ist es immer mehr von Bedeutung, ob ein Event nachhaltig durchgeführt wird. Sie wollen dieses Thema mit ihrem Engagement „mitverkaufen“, beispielsweise im Rahmen ihres Reportings entsprechend der ESG (Environmental Social Governance) Richtlinien der EU.

Wir sehen also, dass unterschiedlichste Akteure das Thema Nachhaltigkeit in die Eventbranche tragen und die Umsetzung entsprechender Maßnahmen erwarten.

Sie organisieren den KlimaDialog, eine Plattform für Klima-Kommunikator:innen. Letztes Jahr waren sie auch im Organisationsteam des Klimarats. Was ist ihr Fazit dieses bundesweiten Beteiligungsprozesses?

Georg Tappeiner: Zum einen kann ich nur sagen: Veranstalten wir mehr Bürger:innen-Räte zu den unterschiedlichsten Themen, um die notwendig Transformation in der Zivil-Gesellschaft zu begleiten. Es muss gelingen, die dafür erforderlichen Informationen viel breiter in die Bevölkerung zu bringen und darüber in einen offenen Diskurs zu treten. Leider gibt es nach wie vor das Missverständnis von einigen Akteuren im politischen System: Bürger:innen-Räte sind keine Konkurrenz , sondern ein aus meiner Sicht komplementäres und wertvolles Instrument zur notwendigen Weiterentwicklung der repräsentativen Demokratie.

Einzelne Empfehlungen des Klimarates sind in Umsetzung, aber leider wird noch zu wenig auf den Boden gebracht. Die Widerstände einzelner Interessensgruppen sind nach wie vor groß. Die Bürger:innen des Klimarates haben einen Verein gegründet und sind jede Woche auf Veranstaltungen in ganz Österreich ehrenamtlich in ihrer Freizeit unterwegs und sprechen über die Klimakrise, die notwendigen Maßnahmen und ihr eigene Geschichte vor, im und nach dem Klimarat. Auch bei den  KlimaDialog-Veranstaltungen in Wien und den Bundesländern sind sie dabei.

Wie brauchen diese Menschen als Multiplikator:innen! Wir müssen schneller werden, bei der Umsetzung der notwendigen Transformationsschritte in allen Bereichen der Gesellschaft. Genau dafür brauchen wir die Kulturbranche und damit natürlich auch alle Musiker:innen als starken Partner.

Herzlichen Dank für das Interview!

Michael Franz Woels


Links:
greeneventsaustria.at
pulswerk GmbH
musicdeclares.net/at/