„Künstler:innen unterschreiben alles, was man ihnen vorlegt” – EDDA BREIT im mica-Interview

Wenn es um Musikverträge geht, sitzen freie Musikschaffende oft am kürzeren Hebel. Die IG für freie Musikschaffende hat deshalb zwei Jahre lang Verträge gesammelt und auf ihre Tücken untersucht. Was sind die häufigsten Probleme? Worauf muss man achten? Ein Gespräch mit EDDA BREIT, Vorstandsmitglied der IGFM, über verdeckte Anstellungsverhältnisse, unbezahlte Proben und die Verpflichtung, zwei Konzerte für nur eine Gage zu spielen.

Warum habt ihr die IG für freie Musikschaffende gegründet?

Edda Breit: Weil wir unzufrieden damit waren, dass die Musikergilde und die anderen Interessensvertretungen zu wenig für uns Freischaffende machen. Wir hatten den Eindruck, dass wir zu wenig gehört werden. Eine eigene Interessensvertretung zu gründen, war also schon länger ein Plan, den wir 2020 endlich umgesetzt haben.
Dann haben wir uns 2021 auf Anregung von Sabine Reiter vom mica die Mühe gemacht, Verträge von Mitgliedern zu sammeln und zu schauen, was da so drinsteht.

Wie hat sich das gestaltet?

Edda Breit: Sehr schwierig, weil die Leute Angst haben und in den meisten Fällen fürchten, dass man – auch wenn die Verträge anonymisiert sind – Rückschlüsse darauf ziehen könnte, wer das ist, der mit uns in Verbindung steht und Verträge weitergibt und daraus möglicherweise Nachteile entstehen könnten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass manche große Veranstalter alles andere als erfreut sind, wenn sich die Musiker:innen organisieren.

Welche Verträge waren das, die ihr gesammelt habt?

Edda Breit: Zunächst einmal sehr viele aus der alten Musik, weil die Musiker:innen dort einfach sehr oft selbständig sind, also keine Anstellung haben. Von unseren Mitgliedern kommt deshalb der Großteil auch aus der alten Musik. Die seit 2021 gesammelten Verträge haben wir auf Gemeinsamkeiten untersucht und diese auf elf Seiten zusammengetragen.

Elf Seiten Kondensat des alltäglichen Wahnsinns sozusagen?

Edda Breit: [lacht] So kann man es sagen. Elf Seiten darüber, was in Verträgen so drinsteht und worauf man achten muss.

Ich bin gespannt. Womit fangen wir an?

Edda Breit: Mit der Umsatzsteuerpflicht. Die ist oft ein Problem. Denn viele Veranstalter sind Vereine, die umsatzsteuerbefreit sind, was dazu führt, dass die Umsatzsteuer für Musiker:innen, die umsatzsteuerpflichtig sind, nicht ausbezahlt wird. Das hat zur Folge, dass die Musiker:innen unterm Strich 13 Prozent weniger Gage haben, weil sie die Umsatzsteuer ja trotzdem abführen müssen. Der Umsatzsteuersatz war zwar während der Pandemie abgesenkt, da ist es daher nicht so stark ins Gewicht gefallen. Jetzt sind es aber wieder 13%, und das macht am Ende des Tages doch einiges aus, weil die Gagen generell nicht so hoch sind. Und da wären wir auch schon beim Punkt. Das Schlimmste ist, dass die Gagen so niedrig sind…

Gibt es darüber hinaus noch Grundsätzliches, das negativ auffällt?

Edda Breit: Ja, in vielen Fällen werden Verträge nicht ausgegeben. Die Vereinbarungen basieren also auf mündlicher Absprache. Im Nachhinein werden dann Honorarnoten gelegt.  Üblicherweise wird das, was man mündlich oder lapidar per E-Mail ausgemacht hat, eingehalten wird, aber…

… im Streitfall hat man nichts in der Hand.

Edda Breit: Genau. Ich kenne persönlich wenige Musiker:innen, die je zu Gericht gezogen wären. Das heißt aber nicht, dass es keine Probleme gäbe, sondern nur, dass die Latte sehr hoch liegt, weil die Anwalts- und Gerichtskosten beträchtlich sind. Dazu kommt, dass man ja wieder engagiert werden will und sich die “Streitlust” herumsprechen würde. Dass das jemand ist, der Schwierigkeiten macht. Die Szene ist klein und man kennt sich.

„Die Szene ist klein und man kennt sich”

Gehen wir zu den Verträgen.

Edda Breit: Hier werden zunächst das Instrument und die Position, also z.B. 1. od. 2. Violine, festgelegt. In vielen Verträgen, bei denen es um Projekte mit mehreren Terminen geht, wird allerdings auch permanente Verfügbarkeit verlangt. D.h. die Musikerin bzw. der Musiker verpflichtet sich, während des Projektes ständig für allfällige Änderungen zur Verfügung zu stehen. Das ist ein problematischer Aspekt, weil es den Veranstaltern die Möglichkeit gibt, Proben nach Gutdünken zu ändern, und man müsste sich als Musiker:in, wenn man die Produktion spielen möchte, eigentlich permanent freihalten und keine anderen Verpflichtungen eingehen. Es wird dann zwar relativ selten Gebrauch von diesem Recht gemacht, dass Probenzeiten etwa kurzfristig und beliebig verändert geändert werden. Aber wenn, dann kann sich das sehr nachteilig auswirken, denn wenn man absagt, weil man in einem anderen Engagement steckt, muss man aus der ganzen Produktion aussteigen und einen Ersatz schicken. Das gilt auch für Krankheit.

Wenn man bei einer Probe nicht anwesend sein kann, darf das nur in Absprache mit dem Dirigenten bzw. der Dirigentin passieren, und die Probe wird dann – anders als beim Angestelltenverhältnis – auch nicht bezahlt. Prinzipiell wird das ohnehin sogar im Krankheitsfall nicht gemacht, weil damit erstens Geld verloren geht und man sich zweitens einen schlechten Ruf einhandelt.

Aber gleichzeitig schreiben die meisten Verträge vor, dass es ein Vertretungsrecht gibt. Das taucht sehr häufig auf, weil die Veranstalter (vor allem die lukrativen Touristenorchester) in Wien wegen der Anfrage eines Wiener Musikers an die Krankenkasse nervös geworden sind.  Es betrifft aber nicht einzelne Proben, sondern bezieht sich auf die ganze Produktion. Das heißt, ich kann als Musiker:in sagen, dass ich die ganze Produktion nicht spiele, sondern eine Vertretung schicke. Das wird vor allem deshalb mit reingenommen, damit vertraglich keine Abhängigkeit entsteht und kein Dienstverhältnis begründet werden kann.

Wird dieses Recht denn beansprucht?

Edda Breit: Kaum. Und wenn man die Gebarung kennt, weiß man auch, dass, wer einmal nicht auftaucht, das letzte Mal gefragt wurde. Substituten werden sich tunlichst immer freihalten und kommen, auch wenn es irgendwo ein besser bezahltes Engagement gibt, weil sie sonst aus der Substitutenliste rausfallen. Natürlich ist es so, dass Substituten eigentlich angestellt gehören. Denn wenn etwas passiert, sind sie in keiner Weise rechtlich abgesichert. Das ist auch deshalb so ärgerlich, weil angestellte Musiker:innen einiger großer Orchester für eine bestimmte Anzahl an Diensten ein Gehalt beziehen und sozial abgesichert sind, die Substitut:innen, die auch sehr viele Dienste spielen und die gleiche Leistung erbringen, aber nicht. Darüber hinaus spielen sie häufig für einen Bruchteil der Gage eines angestellten Musikers.

Und Leute, die kleinere Ensembles managen, haben panische Angst, dass sie Musiker:innen  anstellen müssen, was sie sich mit den Förderungen, sie sie bekommen, einfach nicht leisten können. D.h. sie könnten, wenn sie anstellen, die Produktionen, die sie haben, nicht mehr aufrechterhalten. Es wäre ein ganz erheblicher Anteil an Dienstgeberabgaben zu leisten, und wahrscheinlich wäre auch der bürokratische Aufwand sehr groß. Für kleine Ensembles, die ihre Musiker:innen anstellen wollen, wäre eine finanzielle Unterstützung der Sozialversicherungsbeiträge nach dem Modell des IG-Netz der IG Freie Theaterarbeit eine wichtige Unterstützung. Große Orchester, die öffentlich subventioniert sind, sollten ihre Substituten anstellen, und Touristenorchester, die u.a. deshalb sehr viel Geld verdienen, weil sie die Leute zu extrem niedrigen Gagen spielen lassen, könnten sich natürlich schon leisten, alle anzustellen. Aber man kann eben viel mehr Geld verdienen, wenn man Leute schlecht bezahlt und sich vertraglich ausbedingt, dass man Konzerte jederzeit absagen kann.

Man ist geradezu peinlich darauf bedacht, dass in den Verträgen der Wortlaut so gewählt ist, dass kein Anstellungsverhältnis begründet werden kann. Das geht so weit, dass niemand zu oft beschäftigt wird und dass niemand eine Zusicherung über einen längeren Zeitraum bekommt, was das Ganze auch schwer planbar macht. Es gibt so gut wie niemanden, der sich traut, sich dagegen zu wehren. Und so hält man sich gegenseitig den Mund zu, weil das halt so eine angenehme Nebenbeschäftigung ist. Aber natürlich handelt es sich bei den meisten Engagements um Scheinselbständigkeit.

„Es gibt so gut wie niemanden, der sich dagegen wehren möchte”

Was genau kann ich mir darunter vorstellen?

Edda Breit: Es ist so: Oft haben Musiker:innen ein fixes Gehalt und ein fixes Einkommen (in einem Orchester, in einer Musikschule, an der Uni) aber am Abend gehen sie schnell noch mal ein kleines Zusatzkonzert bei einem Touristenorchester spielen. Dadurch haben sie überhaupt kein Interesse daran, dass jemand aufmuckt und diese Einnahmequelle versiegt. Da gibt es wenig Solidarität unter den Musiker:innen. Von solchen Touristenorchestern haben wir auch so gut wie keine Verträge.

Weshalb?

Edda Breit: Weil sie ein Tool entwickelt haben, mit dem alles online abläuft. Wenn man das Tool nutzt, stimmt man automatisch den allgemeinen Geschäftsbedingungen zu. Das ist eine geschlossene Online-Plattform. Da kommt man als Außenstehender nicht rein.

Kein Dienstverhältnis, ein vermeintliches Vertretungsrecht, was beides darauf abzielt, auf dem Papier keine Abhängigkeit zu erzielen. Was gibt es noch?

Edda Breit: In vielen Verträgen gibt es eine Exklusivitäts- oder Konkurrenzklausel. Das heißt, es steht drin, dass es den Künstler:innen nicht gestattet ist, zwei Monate vor und zwei Monate nach dem Auftritt X in Kärnten aufzutreten oder einen verpflichtet, dasselbe Konzert in der Umgebung des Spielortes XY sechs Monate nicht zu spielen.

Was eigentlich nur dann Sinn macht, wenn die Künstlerin bzw. der Künstler sehr bekannt ist, und durch die Konkurrenzierung eine Entwertung des Konzertes und damit ein Verlust für den Veranstalter eintreten würde.

Edda Breit: Ja, und es ist mir auch nicht bekannt, dass das jemand kontrollieren würde.

Wie Du richtig sagst, ist es unangemessen für kleinere Projekte, vor allem auch, weil

meistens pauschalierte Schadenssummen als Vertragsstrafe vorgesehen sind, sollte man gegen die Konkurrenzklausel verstoßen. Ich habe zwar noch nie davon gehört, dass eine solche Regelung schlagend geworden wäre, aber es steht halt vielfach drin.

Vieles passiert ja auch gar nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Bequemlichkeit, indem man einfach Vertragsvorlagen, die im Internet kursieren, runterlädt und ohne weiter darüber zu reflektieren, wie viel davon auf die eigene Situation anwendbar ist, einfach gedankenlos adaptiert. Das ist zumindest meine Erfahrung.

Edda Breit: Ja, und Künstler:innen unterschreiben alles, was man ihnen vorlegt. Die wollen ja spielen und sie verlassen sich darauf, dass niemand genau schaut.

„Künstler:innen unterschreiben alles,  was man ihnen vorlegt”

Wie sieht es mit Ausfallshonoraren aus? Wer trägt das Risiko, wenn ein Konzert abgesagt werden muss?

Edda Breit: Während der Pandemie war es so, dass es, wenn das Konzert abgesagt wurde, so gut wie nie Ausfallshonorare gab. Während Corona stand in vielen Verträgen , dass, falls aufgrund höherer Gewalt keine Veranstaltung stattfindet, auch keine Ausfallszahlungen geleistet werden. In ganz seltenen Fällen wurden einem 30% angeboten. Oft gab es aber keinen Ersatz, die Veranstalter haben sich auch auf Nachfrage einfach nicht gemeldet.

Das ist in nahezu allen Verträgen seit Corona aufgetaucht und blieb auch danach drinnen. Die auftretenden Künstler:innen mussten auch zustimmen, das Konzert zwei Mal für dieselbe Gage zu spielen, sollte aus behördlichen Gründen weniger Publikum zugelassen sein. Ein bisschen kürzer, aber zwei Mal. Das waren Auswüchse, die nur schwer erträglich waren. Meines Wissens ist zumindest das mittlerweile wieder passé, aber man müsste sich anschauen, wie es in den aktuellen Verträgen aussieht, ob sich vielleicht nicht doch die eine oder andere Bestimmung gehalten hat.

Manchmal werden die Künstler:innen auch vertraglich verpflichtet, eine gewisse Zeit vor der Probe anwesend zu sein. So weit, so gut. Mühsam wird es aber, wenn man verpflichtet wird, sich für eine Einspielprobe kostenlos zur Verfügung zu stellen, d.h. eine Stunde früher zu kommen und dann eine halbe Stunde Einspielprobe zu spielen, denn das wird bei ohnehin schon sehr geringen Gagen so gut wie nie bezahlt.

Was uns direkt zur Gage führt…

Edda Breit: Ja. Das Honorar wird natürlich festgehalten. Manchmal wird festgehalten, dass keine Umsatzsteuer ausbezahlt wird, dass durch den Auftritt bzw. die Auftritte kein Dienstverhältnis begründet wird, und die Künstlerin bzw. der Künstler die Sozialversicherungsabgaben selbst zu tragen hat. Manchmal wird aufgeschlüsselt, manchmal aber auch nicht, ob die Gage auf Konzertdiensten oder auf Konzerttagessätzen beruht. Ein Dienst ist eine dreistündige Probe. Eine Tagesgage sind zwei dreistündige Proben oder eine dreistündige Probe und ein Konzert. Viele Ensembles rechnen mit Tagesgagen. Du bekommst etwa zweihundert Euro pro Tag, unabhängig davon, ob es Probe oder Auftritt ist. Jeder Tag ist gleich. Ob allfällige Reise- und Unterkunftskosten übernommen werden, muss oft gesondert verhandelt werden, wenn man einen Anspruch darauf haben will.

Wie steht es mit Tagesgeldern?

Edda Breit: Ein guter Punkt. Dass Tagesgelder bezahlt werden, steht so gut wie nicht mehr drinnen. Früher war das durchaus Gang und Gäbe. Das wird so gut wie nicht mehr bezahlt. Anders in Deutschland, der Schweiz und Frankreich. Dort ist das durchaus noch üblich.

Ein letzter Punkt vielleicht noch?

Edda Breit: Rechte an Ton und Videoaufnahmen. Im klassischen Bereich gibt es in den Verträgen so gut wie immer eine Regelung, die besagt, dass man sämtliche Rechte abtritt, wenn Ton- und/oder Videoaufnahmen für kommerzielle Zwecke stattfinden. D.h. mit der Gage ist die Abtretung dieser Rechte mitabgegolten, es findet keine gesonderte Vergütung statt. Dass zumindest eine zusätzliche Gage für die Rechteabgeltung bezahlt wird, wie es die Musikergilde einmal gefordert hat, ist schon seit zehn Jahren oder noch länger nicht mehr üblich. Wie es sein kann, dass das pauschal ohne Entgelt abgetreten wird, ist mir ein Rätsel.

Und die meisten Verträge enthalten eine Verschwiegenheitsklausel. Die ist umso stärker ausgeprägt und umso genauer definiert, je schlechter die Gage ist bzw. je größer die Produktion ist. Es gibt Produktionen, da haben wir keinen Originalvertrag und kommen auch an keinen heran, weil sich die Künstler:innen so fürchten.

In Erl etwa spielten laut Blogger Markus Wilhelm bis vor kurzem Musiker:innen aus Minsk für eine 30-Euro-Tagesgage und der Verpflichtung, unter Androhung von Klage und unter Androhung des Ausschlusses aus dem Ensemble über den Inhalt der Verträge nicht mit Dritten zu kommunizieren, was dazu geführt hat, dass sie das auch nicht getan haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

Edda Breit ist Cellistin. 35 Jahre lang hat sie im Wiener Kammerorchester gespielt und daneben auch unterrichtet (Barock-Cello an der mdw und an der Musikschule in Wien). Vor ungefähr drei Jahren, “mitten im ersten Corona-Wahnsinn”, hat sie schließlich gemeinsam mit einigen Mitstreiter:innen die IG Freie Musikschaffende gegründet. Ein guter, ein wichtiger Schritt in Richtung faire Behandlung und Bezahlung freier Musiker:innen.