Seit 29. Februar 2024 ist EVA-MARIA BAUER neue Präsidentin des Österreichischen Musikrats (ÖMR). Die Musikwissenschaftlerin der Donau-Universität Krems leitet damit eine Organisation, die politische Interessen von knapp 380.000 Musikschaffenden in Österreich vertritt. Zum Einstandsgespräch betont BAUER, dass sie längst nicht nur den forschenden Blick vertritt. Durch ihre Arbeit in der Musikfabrik NÖ halte sie auch aktiven Zugang zur Szene. Für sie wichtig ist beispielsweise die Verschränkung von wirtschaftlichen Themen mit künstlerischen. Warum dieses Verständnis für alle Künstler:innen wichtig wäre und wie das Bewusstsein dafür gestärkt werden soll, erklärt EVA-MARIA BAUER im mica-Gespräch. Außerdem gibt sie einen Überblick zum bestehenden Fair-Pay-Prozess und kulturpolitischen Entwicklungen im Bund.
Du bist die erste Präsidentin des Österreichischen Musikrates, das muss man …
Eva-Maria Bauer: Leider immer noch dazusagen, ja. Ich habe mir aber durchaus überlegt, ob ich mich so präsentieren will. Den Posten habe ich schließlich nicht bekommen, weil ich eine Frau bin. Nach 68 männlichen Präsidentschaftsjahren sollte man die erste Präsidentin allerdings erwähnen.
Ihr habt es einen „Generationenwechsel” genannt.
Eva-Maria Bauer: Das ist es, aber nicht nur meinetwegen. Unser Vorstand ist paritätisch besetzt. Außerdem ergänzen uns auch jüngere Menschen über das Music Starters Network.
Was wirst du als Präsidentin des ÖMR anders als dein Vorgänger Harald Huber machen?
Eva-Maria Bauer: Kleinigkeiten. Dazu gehört ein Fokus auf unsere Social-Media-Präsenz – wir haben seit letztem Jahr einen Instagram-Account und ändern Dinge in der Kommunikation. Ich setzte auf Diskurs auf Augenhöhe, das heißt: Unsere Mitglieder:innen – die so viel Expertise mitbringen – sollen mitreden und ihre kulturpolitischen Anliegen äußern. Deshalb werden wir aktiver als bisher an sie herantreten, um unsere Themen von kultureller Bildung über Urheberrecht bis hin zu Fair Pay in der Öffentlichkeit zu positionieren. Schließlich lassen sich all diese Felder auf eine Frage zurückführen: Wie viel ist uns Musik als Gesellschaft wert?
Wie lässt sich diese Frage beantworten?
Eva-Maria Bauer: Indem zum Beispiel mehr Musiker:innen den Musikrat kennen. Das mica übernimmt die Beratung, den ÖMR kennen noch zu wenige. Deshalb ist mein Ziel: stärkere Präsenz in der Szene zeigen.
Für eine stärkere Personifizierung des ÖMR?
Eva-Maria Bauer: Ja, Harald [Huber; ehemaliger Präsident des ÖMR] hat das allerdings schon getan, er kümmert sich jetzt um die internationalen Kontakte. Unser Generalsekretär Günther Wildner nimmt Termine mit Stakeholdern von AKM über Jeunesse bis IFPI wahr. Sie spielen mich also frei, um mehr Zeit in der Szene zu verbringen.
Als studierte Musikwissenschafterin und Forscherin an der Donau-Universität in Krems im Bereich der Musikwirtschaft, aber auch in deiner Arbeit bei der Musikfabrik NÖ kennst du beide Bereiche: Kunst und Geld. Warum tun sich so viele Musiker:innen schwer, beide Bereiche zusammenzudenken?
Eva-Maria Bauer: An der Donau-Uni in Krems unterrichte ich unter anderem am internationalen Masterstudiengang „Music Management” – einer der ältesten im deutschsprachigen Raum. Ich besitze also ein gutes Verständnis für den Musikmarkt, wünsche mir aber ausdrücklich, dass mehr musikwirtschaftliches Know-how an den Unis gelehrt wird. Schließlich sind viele selbständige Musiker:innen gezwungen, wie Start-up-Unternehmer:innen zu arbeiten.
Warum besteht in der Kunst eine Ablehnung gegenüber wirtschaftlichen Themen?
Eva-Maria Bauer: Künstlerische Tätigkeiten sind freie Tätigkeiten. Wirtschaftlich-strategisch zu denken, widerspricht dieser Tätigkeit zwar nicht, drückt aber nicht das kreativ-schöpferische Mindset aus. Beides zusammenzubringen, verlangt nach unterschiedlichen Fähigkeiten. Ich gebe dir ein Beispiel aus meiner Erfahrung in der klassischen Gesangsausbildung: Wir wurden darauf gedrillt, sehr fokussiert an der künstlerischen Technik zu arbeiten. Das ist eine Kompetenz, die sich von der, die man für den marketingtechnischen Aufbau einer Marke braucht, stark unterscheidet.
Allerdings sollte es nicht ausschließlich um den Aufbau einer Marke gehen, oder?
Eva-Maria Bauer: Genau, außerdem hat eine antikapitalistische Haltung in der Kunst durchaus ihre Berechtigung. Kunst soll kritisch sein und uns einen Spiegel vorhalten. Auch das passt nicht unbedingt dazu, sich dem Radl der Musikindustrie zu unterwerfen. Allerdings muss man sich als Künstler:in damit auseinandersetzen. Dazu gehört auch Social Media.
Wie hältst du es mit Social Media?
Eva-Maria Bauer: Auf meinem offiziellen Account poste ich vor allem Fair-Pay-Themen – um Sichtbarkeit und Awareness zu schaffen. Auf meinem privaten Account kann ich mich anders ausdrücken.
Du sprichst von Sichtbarkeit. Wirtschaftliche Themen passen aber nicht wirklich in die Socials-Ökonomie – sie erzählen keine personalisierte Geschichte. Welche Strategien hat der ÖMR für Socials-Sichtbarkeit?
Eva-Maria Bauer: Das ist eine schwierige Frage. Ich will aber betonen, dass es keine ausschließliche Aufgabe von Musiker:innen sein darf, sich ein ausgefinkeltes Social-Media-Konzept zu überlegen. Wenn ich von Markenbildung spreche, meine ich, dass ich wissen muss, wofür mein künstlerisches Projekt steht. Und wo ich mich damit auf dem Markt befinde. Das setzt voraus, als Künstler:in keine Berührungsängste mit dem Thema zu haben. Dafür muss man auch in der Ausbildung ansetzen. Die Entwicklung einer künstlerischen Identität sollte Hand in Hand mit der wirtschaftlichen Entwicklung gehen.
Das erinnert mich an einen Satz, der in der Diskussion zu Fair-Pay für DJs gefallen ist: „Vielleicht geht es uns allen noch zu gut, um sich mit wirtschaftlichen Themen zu beschäftigen.”
Eva-Maria Bauer: Das sehe ich anders. Künstler:innen geht es um ihre Kunst – gerade in der Ausbildung bleibt häufig kein Raum für anderes. Viele Künstler:innen sagen mir auch, dass es nichts bringe, marktrelevante Themen zu Beginn des Studiums zu vermitteln, weil das Streben zu diesem Zeitpunkt darauf ausgerichtet ist, eine künstlerische Identität aufzubauen. Geht es Künstler:innen also zu gut? Nein! Künstler:innen sind allerdings zu leidensfähig. Sie sind es gewohnt, für ihre Leidenschaft wenig zu verlangen. Man muss sie empowern, etwas für ihre Arbeit zu verlangen und stolz darauf sein.
Wie passiert dieses Empowerment?
Eva-Maria Bauer: Nehmen wir das Beispiel der musiktouristischen Orchester. Sie haben einen scheinbar unendlichen Pool an jungen Musiker:innen, die bereit sind, um jeden Preis zu spielen. Es darf nicht möglich sein, dass diese Orchester jemanden finden, der oder die bereit ist, für 80 Euro zu spielen – eben weil die Solidarität und das berufliche Selbstverständnis groß genug ist, um auch nur ansatzweise daran zu denken, für solche Preise aufzutreten. Das wäre mein Wunsch für die Zukunft.
Du meinst: Solidarität für die Sache und für sich, das Preisdumping wie am freien Markt unterbindet?
Eva-Maria Bauer: So ist es. Mir ist natürlich bewusst, dass man am Anfang seiner Karriere Kompromisse eingehen muss. Allerdings macht uns nur die Solidarität untereinander stark. Die Herausforderung ist, im heterogenen und diversen Feld des Musikbereichs ein kollektives Gefühl zu schaffen. Das merke ich auch im ÖMR. Als riesiger Dachverband mit vielen Interessen und Institutionen geht es mir deshalb darum, dieses Kollektivgefühl anzuregen. Dafür braucht es jede:n einzelne:n Künstler:in. Sie müssen diese Solidarität mittragen. Auch darum bewege ich mich viel in den Szenen – weil manchen diese Verantwortung noch nicht klar ist.
Im Fair-Pay-Prozess wird das besonders deutlich: Manche Bundesländer lernen schneller als andere, die man dennoch bundespolitisch mitdenken muss.
Eva-Maria Bauer: Wir sind ein föderaler Staat, das können wir nicht ändern. Wir gehen allerdings voran. Und hoffen auf Geduld. Denn strukturelle Änderungen brauchen Zeit. Natürlich kann das zu Frustration führen, aber: Sehen wir uns an, wie lange ein vergleichbarer Fair-Pay-Prozess in den Niederlanden gebraucht hat …
Ein über 10-jähriger Prozess …
Eva-Maria Bauer: Ja, dazu kommt, dass es in vielen europäischen Ländern derzeit nicht möglich ist, Fair-Pay-Empfehlungen herauszugeben, weil es dem Wettbewerbsrecht widerspricht. Damit meine ich: Wie viel in Österreich gerade geht, ist uns oft nicht bewusst. Oder es wird runtergemacht. Deshalb schwöre ich mir auch als Präsidentin des ÖMR: Sollte ich jemals die Geduld und dadurch die emotionale Distanz zur Sache verlieren, werde ich aufhören.
Bist du ein konsequenter Mensch?
Eva-Maria Bauer: In der Hinsicht bin ich beinhart und setze einen Schnitt. Vielleicht spielt da auch mein Generationenbewusstsein hinein, das stärker als vorherige auf die psychische Gesundheit achtet. So wichtig mir all diese Anliegen sind, mein Leben ist mein Leben. Außerdem bin ich kein Mensch, der glaubt, dass er unersetzbar ist.
Du hast den langsamen Fair-Pay-Prozess angesprochen. Der Bund hat das Budget zuletzt auf 10 Millionen Euro erhöht. Das ist zu wenig, nehme ich an?
Eva-Maria Bauer: Ich will das relativieren, weil der Bund bereits an vielen Themen arbeitet. Auf unsere Anregung hin hat das BMKOES [Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport] beispielsweise erstmals Stipendien für Musikmanager:innen ausgeschrieben. Das ist in der Szene kaum wahrgenommen worden, aber ein wichtiger Schritt, weil eine Professionalisierung auch zu Fair Pay führt. In Wien werden seit Kurzem Arbeitsstipendien vergeben, das heißt: Nicht der Erfolg oder das Produkt wird gefördert, sondern der Prozess. Die erste Zusammenarbeit zwischen BMKOES und Wissenschaftsministerium hat neuerdings auch zu einem Programm für kulturelle Bildung an Schulen geführt. Zusätzlich wurde der Österreichische Musikfonds um 1,5 Millionen Euro aufgestockt. Das sind Erfolge auf Bundesebene, die es in den vergangenen 20 Jahren in der Kulturpolitik nicht gegeben hat.
Kultur ist in Österreich aber primär Ländersache. Diese Verantwortung wird auch im Hinblick auf kommende Legislaturperioden wichtig sein, oder?
Eva-Maria Bauer: Ja, unsere wichtigsten Verbündeten sind die Beamt:innen in der Kulturverwaltung der Länder. Sie bleiben, auch wenn die Bundesregierung wechselt. Deshalb sind unsere Ressourcen in den vergangenen Jahren stark in die Länder geflossen – um dort die Kulturverwaltungen zu überzeugen. Als Beispiel Tirol: Um die Fair-Pay-Strategie zu fixieren, wurde es in Gesetzesform gegossen. Dadurch ist es auch für zukünftige Landesregierungen verbindlich. Ebenso Oberösterreich: Man hat dort die Förderpolitik geändert – es gibt erstmals mehrjährige Förderungen. Eine langjährige Forderung von uns. Und ein weiterer Schritt.
Einer dieser Schritte ist auch ein öffentlicher Brief an das Bildungsministerium. Es gehe um die Angleichung des Universitätsgesetzes und die Kürzung der Lehramtsausbildung. Worum geht es konkret?
Eva-Maria Bauer: Um den Wert der Kunst in der Gesellschaft. Das schlägt sich in vielen Bereichen der kulturellen Bildung nieder – einerseits in der Ausbildung der Musiker:innen und Musikpädagogik:innen, aber auch im Zugang zu musikalischer Bildung an den Schulen für Kinder und Jugendliche. Wir erleben seit Jahrzehnten einen Abbau der geschaffenen Strukturen. Wir haben beispielsweise keine fixe Ansprechperson für Musik im Bildungsministerium. In den Bildungsdirektionen der Länder wurden die Fachinspektoren abgebaut. Es gibt damit auch dort bald keine Ansprechpersonen mehr. Dazu kommt, dass Lehrer:innen fehlen oder nicht mehr ausreichend musikalisch ausgebildet werden. Und: In der Elementarpädagogik gestaltet man die Eignungstests so, dass Musik keine Rolle mehr spielt. Wir werden also eine Generation haben, die keine musikalische Bildung besitzt.
Lass uns dennoch positiv enden: In welchem Bereich siehst du mehr Licht als Schatten?
Eva-Maria Bauer: Im Fair-Pay-Prozess. Gerade auf Verwaltungsebene haben wir eine gute Gesprächsbasis, die wir nachhaltig nutzen. Außerdem unterschätzt man, dass wir durch diesen Prozess auch spartenübergreifend einen enormen Zusammenhalt haben. Das zeigt sich unter anderem in der vidaflex-Initiative der Gewerkschaft für Freischaffende, an der sich viele Kulturinstitutionen beteiligt haben. Durch diese intensive Vernetzung ist vieles möglich. Zum Beispiel auch, dass wir unser Fair-Pay-Kalkulationstool im Einreichprozess der Stadt Wien implementieren konnten. Oder dass es mit vera* eine Vertrauensstelle gegen Machtmissbrauch, Gewalt und Belästigung in Kunst und Kultur gibt. Allesamt Schritte, die wichtig sind. Und die uns bleiben.
Vielen Dank für das Gespräch!
Christoph Benkeser
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Der Fair Pay Reader 2024 ist zuletzt erschienen und hier abrufbar. Am 19. März 2024 stellen Eva-Maria Bauer und Vertreter:innen von Kulturinstitutionen die Ergebnisse des neuen Fair Pay Readers im Wiener Depot statt. Alle Informationen zur Veranstaltung finden sich hier. Außerdem wird das Event via Livestream übertragen.
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Links:
Eva-Maria Bauer (Donau-Uni Krems)
Eva-Maria Bauer (Instagram)
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