Am Sonntag spielte die reihe unter der Leitung ihres Doyens und Gründers Friedrich Cerha. Auf dem Programm stand als Uraufführung ein Auftragswerk von Gerd Kühr (“reihenweise”), HK Grubers “Zeitstimmung” (1995/96) mit diesem als Chansonnier. Und eine grandiose Wiedergabe von György Ligetis heute schon legendären “Aventures & Nouvelles Aventures” (1962-66), realisiert vom Uraufführungs-dirigenten mit den Sängerinnen Sarah Leonard, Katalin Károlyi, Omar Ebrahim und sieben Instrumentalisten. Auch der perfekt agierende Schlagzeuger war übrigens schon bei der ersten Einstudierung im Beisein Ligetis mit von der Partie.
Lothar Knessl schrieb für das Programmheft zwei Artikel (über die Geschichte der “reihe” und zu Gerd Kühr), die (umfangeichen) Artmann-Texte der “Zeitstimmung” konnte man natürlich mitlesen, der HK-Gruber-Beitrag stammt von dem einstigen Konzerthausdramaturgen Christoph Becher. Und György Ligetis “Originalbeitragstext” über die “Aventures” aus der Zeit ihrer Entstehung ist natürlich auch heute noch mehr als lesenswert.”Fünfzig Jahre Ensemble die reihe: unbeirrbar im Dienst der neuen Musik” titelt Lothar Knessl, selber einer der Wegbegleiter (und – bereiter) der reihe. Den Namen die reihe, schreibt der Autor richtig, “lieferte [den Gründern Cerha und Schwertsik], bis heute verbindlich, György Ligeti. Nicht wegen seriellen Reihendenkens, damals gerade en vogue, sondern weil die Hoffnung auf eine kontinuierliche Konzertreihe dahinter stand.”
Und: “Von der Überzeugung getragen, weitermachen zu müssen, um vor allem Komponisten beizustehen, die zu Unrecht nicht gefördert werden, haben Gruber und Schwertsik das Ensemble in die Gegenwart geführt. Zwar mit weniger Konzerten in Wien, der Stadt ihrer Gründung. Aber nach wie vor auf Tourneen, und mit der Gewissheit, dank der Qualität der mitwirkenden Musiker konkurrenzfähig zu sein. Und es zu bleiben, sei hinzugefügt. Nach über 2200 Auftritten seit der Gründung und rund 150 uraufgeführten Kompositionen ein fundierter Wunsch. Wer sich, neben “Domaine musical” (später Ensemble intercontemporain), ältestes kontinuierlich existierendes Ensemble im Dienste der neuen Musik nennen darf, hat das Existenzrecht auf eine Endlos-“reihe” verdient.”
Eine gute Besprechung des Jubiläumskonzerts von Wilhelm Sinkovicz erschien in der heutigen Print-Ausgabe der “Presse”. Sinkovicz titelt “Tanz und viel Spaß auf den Trümmern” und wir erlauben uns, seine Kritik auszugsweise zu zitieren:
[Zu Ligetis “Aventures”]: “Da tanzt einer auf den Ruinen der Musikgeschichte. Er tut’s mit Raffinement und Witz – was die Zeitgenossen Mitte der Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts, denen eher die Zersplitterung aller Wohlklangsdoktrinen in den Ohren dröhnte und sauste, kaum so erlebten. Heute ist Ligetis abstrakt-zynischer Versuch über das Musiktheater klassisch geworden, Meilenstein der avantgardistischen Ästhetik, den das Publikum lieb gewonnen hat.
Nali Grubers “Zeitstimmung” bildete im Konzert zum 50-Jahr-Jubiläum des Ensembles denn auch den Gegenpol zu Ligetis Spiel-, Sing- und Hör-“Abenteuern”. Dreißig Jahre später entstanden, markieren die Vertonungen von hintergründig verqueren Texten H. C. Artmanns einen Höhepunkt in der virtuosen Anverwandlung historischer Techniken der musikalischen Moderne.
Grubers Werk basiert auf einer Zwölftonreihe, doch hat sich der Wiener Meisterkomponist nicht nur an den Partituren der Schönberg-Schüler Berg und Webern geschult, nicht nur (und vielleicht am allerwenigsten) aus den Experimenten der post-Webern’schen Darmstädter Musikhochrechner (.) Er hat auch das Werk von Schönbergs – von der Musikgeschichtsschreibung als Abtrünnigen qualifizierten – Schüler Hanns Eisler genau studiert. Und von ihm, wie auch von Kurt Weill, manchen Kunstgriff abgeschaut, der einen Könner geradezu populär tönende Musik aus kunstvoller Materialbeherrschung Schönberg’scher Prägung gewinnen lässt.
So funkeln und schmeicheln denn die “Zeitstimmungen”, von der “reihe” unter Friedrich Cerhas kundiger Leitung zu Grubers prägnantem, oft schneidendem Sprechgesang, erheben sich mit Artmanns Fantasien in die Lüfte oder ergründen Seelenabgründe, dunkel dräuend – und doch durchwegs von feinsinnigem Klangreiz.
Auch Gerd Kühr gehört in die Runde der Findigen, die in unseren Breiten Musik doch zuallererst auch als Medium der (wenn auch höchst intellektuellen) Unterhaltung und Erbauung begreifen. Er steuerte zum Jubiläum mit ironischer Anspielung auf die zwölf Töne der “reihe” zwölf Stücke für zwölf Musikanten bei, kurz und bündig, aber stets Geschichten erzählend, mit Klangbildern (wie Cerhas “Spiegel”, doch en miniature) formale Strukturen aufbauend, die jedermann, der willig lauscht, leicht entschlüsseln kann – um jeweils auch die Pointen zu genießen, die jede der kurzen Piècen beschließen. Neue Musik, die Spaß macht; und zwar gleich bei der Uraufführung!
Weit haben sie’s gebracht, die Wiener Kompositeure mit ihrem Ensemble!
Die Aufzeichnung dieses Konzertes wird übermorgen, Donnerstag, den 26. März, um 19.30 Uhr in Ö1 gesendet.”
(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 24.03.2009)
Hinzugefügt sei:
Gerd Kührs Musik ist das Einfache, das schwer zu machen ist, weil er in seinen knapp formulierten, durch Zäsuren getrennten Sätzen (oder halt “Klangbildern”) sehr genau die drei Gruppen der Instrumentalisten (4 Holz-, 4 Blechbläser, vier Streicher) nicht zu Mischklängen assoziiert, sondern klar voneinander sondert. Sie “pendeln zwischen Konstruktion und Assoziation”, sagt Gerd Kühr und im Hintergrund möge die Vielfalt der vergangenen 50 Jahre bedacht sein. Lothar Knessl in der Programmnotiz: “Zweifellos gehört das Werk zur Gruppe der spielerischen Kompositionen Kührs, und “spielerisch” mag auch hinweisen auf die Qualitäten instrumentalen Spielens schlechthin:”
Ligetis epochale Miniaturdramen “Aventures” und “Nouvelles Aventures” kommen ganz ohne semantische oder gar zitathubernde Bestandteile aus, weil stattdessen in einer minutiös auskomponierten Textur aller erdenklichen menschlichen Lautäußerungen ein subtiles Feuerwerk an sinnhaftem Nonsens oder auch sinnfreier Bedeutungsschwere abgefeuert wird. Von dem siebenköpfigen Instrumentalensemble unter Cerhas ebenso präziser wie zu bestem Spielen und Singen ermunternder Leitung gelang Sarah Leonard, Katalin Károlyi und Omar Ebrahim eine in ihrer tragischen Komik hinreißende Interpretation dieses Klassikers der Moderne.
György Ligeti schrieb: “. Der Text wird durch die Musik vermittelt, die Musik durch den Text; Lautkomposition und musikalische Komposition sind eine Einheit. Der Vokalsatz wird vom Instrumentalsatz nicht “begleitet”, sondern die einzelnen Instrumente sind so behandelt, dass sie die menschlichen Laute ergänzen und hervorheben: Die phonetische Komposition reicht bis in die instruemantale hinein. . es wird nicht Msuik zu einer Oper gespielt, sondern eine “Oper” spielt sich innerhalb der Musik ab.”
In der Besetzung von Vox Box CDX 5142 unten (man kann diese Aufnahme auf der Website der reihe unter “Aufnahmen und CDs” finden – dort gibt es auch sonst noch viele neue und beeindruckende Aufnahmen und Komponistenportaits) hat man es fast vierzig Jahre später nicht mehr hören können. Allerdings konnte der Autor dieser Zeilen beim Empfang des Konzerthauses im großen Buffet mit vielen dieser Künstler und Künstlerinnen angeregt plaudern. Als da waren: Handschütteln und Gratulation an Friedrich Cerha, Gruß von Weitem an HK Gruber, ehrerbietiges Grüßen der anwesenden Vera Ligeti; Gespräche (&Tratscherei) mit Marie-Therèse Escribano, Kurt Schwertsik, Gertraud Cerha, Gerd und Petra Kühr, Rudolf Illavsky, Lothar & Elisabeth Knessl, dem Schlagzeuger der “reihe”, auch: mit Georg Nigl, Wolfgang Mitterer, Christian & Marianne Scheib, Sven Hartberger, Wilhelmine Goldmann . Und es waren noch viel mehr Menschen da, die JournalistenkollegInnen werden hier gar nicht genannt. Und der Wein und die Lachsbrötchen waren gut (und umsonst).
Heinz Rögl
Eine CD der reihe
Ionisation
GYÖRGY LIGETI – Aventures – Nouvelles Aventures for 3 singers & 7 instrumentalists
EDGAR VARÉSE – Hyperprism for small Orchestra and Percussion / Ionisation for Percussion Ensemble of 13 Players / Offrandes for Soprano and Chamber Orchestra a) Chanson de là-haut b) La croix du sud / Intégrales for Small Orchestra and Percussion / Octandre / Density for Flute
Marie-Thérèse Escribano, Gertie Charlent – Soprano / Marie-Therese Cahn – Alto / William Pearson – Baritone / Helmut Riessberger – Flute / Kurt Schwertsik – Horn / Friedrich Hiller, violoncello / HK Gruber, doublebass / Roland Altmann, Kurt Prihoda – Percussion / Käte Wittlich – Piano / Gertraud Cerha – Hapsichord
Friedrich Cerha – Conductor
Vox Box CDX 5142
Die nächsten reihe-Konzerte:
die reihe / Gruber
Mittwoch, 20. Mai 2009, 19:30 Uhr, Mozart-Saal
Interpreten
die reihe, Kammerensemble
Kurt Schwertsik, Moderation
Georg Nigl, Bariton
HK Gruber, Dirigent
Programm
Kurt Schwertsik
- the longest 10 minutes op. 98 (2006) (EA)
- Liebesträume op. 7 (1963)
- Neues Werk für Bariton und Ensemble (Auftragswerk zum 50. Geburtstag von Ensemble die reihe) (UA)
- salotto romano op. 5 für zwölf tiefe Instrumente (1961)
- shâl-i-mâr / Sieben Lieder op. 17 für Bariton und Ensemble (Revidierte Fassung) (1962-1972/1992)
- Verwandlungsmusik op. 42a (Das Märchen von Fanferlieschen Schönefüßchen) (1982-1983)
(auch als Konzert im Klangforum-Konzerthauszyklus 08/09 – eine Reverenz, Verbeugung und Bitte um Absolutio[n]: Nicht daheim und doch zu Hause!)
Foto HK Gruber: Christian Heindl Doblinger Musikverlag
Foto György Ligeti: Schott Archiv/ Peter Andersen
Foto Gerd Kühr: kofomi