Konzert des Zyklus "Nouvelles Aventures": Die reihe, Friedrich Cerha the one and only, grandiose Interpreten

Im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses hörte man am Mittwochabend ein reines Cerha-Programm: Überwiegend neuere Werke aus den Jahren 2005-2007 des wichtigsten österreichischen Komponisten, mit dem von ihm gegründeten Ensemble die reihe, unter seiner Leitung in Höchstform; dazu von ihm “Inventionen” für Violine und Violoncello (Ernst Kovacic & Heinrich Schiff), sowie mit dem sehr jungen Pianisten Stefan Stroissnig (geb. 1985 in Wien) die “Netzwerk-Fantasie” für Klavier solo aus 1988. Der Saal war fast voll und alle, die dabei sein durften, werden diesen großen Abend nicht so bald vergessen.

Nachruf auf ein Konzert. Auf den jung gebliebenen Cerha noch lange nicht! Eher ein Porträt dessen, was er in letzter Zeit und an diesem Abend so machte, und das ist längst nicht alles, was er machte. Auch wenn er sich in seinem Liederzyklus nach Gedichten von Emil Breisach auch “mit Tod und Vergänglichkeit, Einsamkeit” und der “bedrohlichen Leere für den Einzelnen” auseinandersetzt, gerade auch wenn er nach Höchstleistungen sucht, manchmal auch nur “um ins Buch der Rekorde zu kommen” (.): Notabene “existenzielle Fragen, die uns alle betreffen” (Cerha).

 

Darüber sprechen und schreiben zu wollen, was einem musikalisch und textlich nur  durch ein Lied vermittelt werden kann ist, wie immer, wenn man Musik erklären will, nur anekdotisch. Tun wir es trotzdem, aber halten wir uns tunlichst an die von Fritz Cerha selbst verfassten Charakterisierungen seiner Stücke, die er bekanntlich allenfalls mit seiner Frau Gertraud zu redigieren pflegt.

 

Stellen wir dem lediglich die Bemerkung voran, dass man an diesem Abend begreifen konnte, wie ernsthaft und dennoch liebenswert der Personalstil und die Persönlichkeit Cerhas ja schon immer war, dass das und gerade in den letzten Jahren vielleicht noch mehr und noch schöner geworden ist denn je. Ich ging jedenfalls reich beschenkt und dennoch nachdenklich nach Hause. Oder lassen wir es (vielleicht weniger pathetisch) Karl Harb von den SN sagen; er schrieb am 17.02.2006: “Unermüdlich hat sich Friedrich Cerha dafür eingesetzt, Neue Musik nicht im Ghetto des Konzertlebens verkommen zu lassen. Er hat Publikum und Akzeptanz geschaffen, weil er wohl auch selbst immer vorgeführt hat, wie sich, ohne klare Prinzipien einer ,Moderne’ aufzugeben, dennoch (publikums)-wirksam komponieren lässt. Dafür haben die Musikfreunde zu danken.” (Salzburger Nachrichten, Karl Harb)

 

Und noch eins: Cerha ist nach wie vor ein hervorragender, aufmerksamer  Ensembleleiter, der genau schlägt und Pathos vermeidet und der dennoch die Seele bei Neuer Musik nicht außer Acht lässt. Das musste sogar ein Pierre Boulez irgendeinmal zur Kenntnis nehmen (v. a. bei der richtigen Art der Interpretation der Werke Schönbergs, Bergs und vor allem auch Weberns).

 

Webern hat Cerha auf Bitten des damaligen künstlerischen Leiters des Klangforums Wien  auch mit diesem Ensemble exemplarisch neu studiert und gemacht. Und damit sind wir schon beim ersten Stück des Abends und (auszugsweise) bei dem, was der Komponist selbst dazu mitteilt (nachzulesen im Programmheft bzw.  auf der  Website der Universal Edition und des Musikverlags Doblinger).

 

Serenade für Ensemble (2006/07)

“In der neueren Literatur ist der Charakter des Leichtfüßigen selten geworden. Ich habe zur Verabschiedung Peter Oswalds vom Klangforum ein Scherzino geschrieben, um das herum 2006/2007 eine Serenade entstanden ist. Das Scherzino ist zum zweiten Teil darin geworden. In den anderen Sätzen tritt zur Besetzung eine Mandoline, deren zirpende pizzicati im Anfang eine Art nächtlicher Szene beherrschen. Die Elemente des langsamen dritten Satzes haben einen fragenden Charakter; sie geben Rätsel auf, die nicht gelöst werden. Erst im Finale scheinen Allusionen zu einem Werk durch, das ich besonders liebe: Schönbergs Serenade op. 24 und es kommt schließlich auch über vier Takte zu einem fast wörtlichen Zitat. Im turbulenten Verlauf tauchen kurze Reminiszenzen aus den vorhergehenden Sätzen auf, bevor das Stück zu einem nachdenklich – bukolischen Schluss findet, in dem – wie des öfteren vorher – der Klang einer in gegenwärtiger Musik oft gemiedenen reinen Quint eine wesentliche Rolle spielt.”

Die Besetzung: Flöte (+Picc); kleine Flöte; Oboe; Klarinette in A; Bassklarinette in B; Fagott; Horn in F; Trompete in C; Posaune; Schlagzeug; Harfe; Mandoline; 1. Violine; 2. Violine; Viola; Violoncello; Kontrabass. Und gespielt wurde von allen reihe-Mitstreitern sehr schön und aufmerksam, daher hier keine Hervorhebungen.

Sechs Inventionen für Violine und Violoncello (2005/06)

“Die meisten meiner Kompositionen sind von langer Hand im Kopf vorbereitet, bevor ich mit der eigentlichen Arbeit beginne. Die Inventionen für Violine und Violoncello dagegen verdanken ihre Entstehung einer kuriosen Konstellation: Robert Neumüller hat einen Film über mich gedreht und wollte dafür eine Passage haben, in der ich Noten schreibe. Da ich außer Stande bin, sinnlos Noten zu schreiben, ist dabei ein Abschnitt für Geige und Cello entstanden, dem ich keinerlei Bedeutung beimaß. Als ich das Blatt am nächsten Tag in den Papierkorb befördern wollte, entdeckte ich aber einen brauchbaren Ansatz für weitere Arbeit, und es entwickelten sich in der Folge die Sechs Inventionen. Ich dachte natürlich an meine Freunde Ernst Kovacic und Heinrich Schiff, denen die Stücke auch gewidmet sind. Die Zahl 6 und der Titel Inventionen wollen bewusst einen Bezug zu Bach herstellen.

 

Die Stücke sind von stark gegensätzlichem Charakter. Das erste ist lyrisch gehalten mit einigen quasi improvisatorischen Zügen. Das lebhafte zweite ist mit “energico” überschrieben und hat auch dramatische Akzente. Das formal sehr einfache dritte besteht ausschließlich aus Flageolett-Tönen. Wenn sie gelingen, soll eine Art “himmlischer Gesang” entstehen. Das vierte ist das längste Stück. Es ist durch die Spielanweisung “gespenstisch huschend” charakterisiert und verlangt große Leichtig-keit in der Darstellung. Das fünfte ist elegisch gehalten und bringt unter anderem Erinnerungen an das erste. Zum letzten Stück: Wenn ich von in zunehmendem Maß unangenehmen Flugreisen in meine Wohnung zurückkehre, singe ich oft: “Gott sei Dank, dass wir wieder zu Hause sind.” Das tut auch Schigolch, wenn er im II. Akt von Bergs “Lulu” ins Haus des Dr. Schön kommt. Diese Stelle ist zum Thema der Invention geworden. Das Tempo ist allerdings viel schneller. Die Zweistimmigkeit legt in allen Stücken polyphone Arbeit nahe: im letzten ist sie auf die Spitze getrieben, und ich habe meinen Freunden hier mit einem Schuss Bosheit auch technisch ziemlich Kniffliges hineingeschrieben.”

 

So far. Ernst Kovacic und Heinrich Schiff, seine Freunde, sind, wie man weiß, Stars, selber auch Dirigenten und nehmen sich auch der Neuen Musik an. Und Ernst Kovacic erschien mit schicken roten Schuhen, aber mit beider tollem Spiel, das sie leisteten, hat das ja überhaupt nichts zu tun (und manchmal ist das wirklich knifflig polyphon).

 

Netzwerk-Fantasie für  Klavier  (1988)

 

Friedrich Cerhas komplex verwobene Netzwerk-Fantasie evoziert das Bild der “Welt als vernetztes System, deren Probleme heute in der Welt immer bewusster werden.”  Cerha: “Die Netzwerk-Fantasie” hat sich ebenso wie mein Bühnenstück “Netzwerk” auf der Basis meiner Komposition “Exercises” entwickelt. Problemen organischen Wachstums galt mein stärkstes Interesse an dem Werk.  (.) Ausgangspunkt für das Käte Wittlich gewidmete Klavierstück war eine rhapsodische Stelle aus “Exercises”. Die gesamte Fantasie benutzt insgesamt vor allem Material aus diesen erwähnten kurzen ,Regressen’, zwischen denen aber neue Beziehungen hergestellt werden bzw. die so ineinander vermittelt werden, dass ein neues, lockeres Netzwerk entsteht.”

 

Gespielt hat es der blutjunge österreichische Pianist Stefan Stroissnig, der in Wien seit 2000 bei Oleg Maisenberg studierte und viele internationale Preise gewann. Und wie toll er gespielt hat! Stroissnig tritt mit dem Cerha-Klavierstück  auch am 4.11. bei seinem Soloabend im Linzer Brucknerhaus auf.

 

Auf der Suche nach meinem Gesicht (2006/07)
Liederzyklus nach Gedichten von Emil Breisach für Sopran, Bariton und fünf Instrumente

 

“Ich habe Emil Breisach Ende der fünfziger Jahre kennengelernt und später mit ihm – dem Mitbegründer des Steirischen Herbstes und Chef des Grazer Rundfunks – bezüglich vieler Konzerte kontinuierlich zusammengearbeitet. Auf einer sehr bald sich ergebenden Vertrauensbasis ist mit der Zeit eine Freundschaft entstanden, ohne viele Worte, ohne die Euphorik des Freundschaftskults früherer Zeiten, aber aus der Gewissheit einer inneren Verbundenheit. Ich wusste um seine schriftstellerische Tätigkeit, kannte aber nichts von ihm. 2005 hat er mir zwei Gedichtbände geschickt: “Klangstaub” und “Aderngeflecht”. Ich war sehr getroffen von der Thematik der Gedichte, dem Hintergrund an existenziellen Fragen, die uns alle betreffen: Zeit, Vergänglichkeit, Tod, ein schwankender Boden zwischenmenschlicher Beziehungen, die Sucht nach Höchstleistungen, – ins Buch der Rekorde zu kommen und die dahinter stehende Einsamkeit, die bedrohliche Leere für den Einzelnen. Und ich war auch fasziniert von der wortkargen, knappen Sprache ohne Pathos und Originalitätssucht. Die Lektüre löste in mir sofort klangliche Vorstellungen aus, die mich bedrückend bis in meine Träume verfolgten. Und so entstand 2006 ein Zyklus für Bariton und Orchester, den ich – wie einen der Bände – “Aderngeflecht” nannte.

Noch während der Arbeit an diesem Werk schickte mir Breisach – er wusste nichts von meiner Vertonung – die Manuskripte von weiteren Gedichten, die später unter dem Titel “Augenblicke des Zauderns” erschienen. Sie sind noch lakonischer, knapper, lapidarer in der Formulierung als die früheren.

 

Gleichzeitig traf eine Anfrage von “La Monnaie/De Munt” aus Brüssel ein, ob ich an einem Auftrag für Lieder mit Klavier interessiert sei. Nach der Fertigstellung von “Aderngeflecht” komponierte es in mir sofort weiter an den neuen Gedichten; allerdings erschien mir das Klavier meiner klanglichen Vorstellung nicht adäquat. Ich schlug vier Instrumente vor, Brüssel akzeptierte. Später kamen eine weitere Singstimme und ein fünftes Instrument hinzu. Die Besetzung ist nun: Sopran, Bariton, Altflöte (auch Flöte und Piccolo), Bassklarinette, Posaune (mit unterschiedlichen Dämpfern), Viola und Kontrabass – alles tiefe Instrumente. Mit dieser Vorstellung von dunklen Klängen betrat ich Neuland; soweit ich es übersehen kann, gibt es diese Besetzung in der Literatur nicht. Sie erlaubte mir im Pianissimo das Meditativ-Dunkle, Bleiche, Aschfahle, aber in anderer Dynamik auch eine besondere Möglichkeit leidenschaftlicher Akzentuierung und gelegentlich dramatischer Aussagekraft. Mir drängten sich siebzehn Gedichte auf, zwei davon noch aus dem älteren Lyrikband “Klangstaub”. Sie gehen nahtlos ineinander über, bilden zusammen eine große Einheit. Als Titel – den späteren der Publikation “Augenblicke des Zauderns” gab es damals noch nicht – wählte ich die Verszeile “Auf der Suche nach meinem Gesicht”. Die Diktion der Singstimme orientiert sich – wie in allen meinen Vokalwerken – vorzüglich am Tonfall der Sprache. Der Text ist sinn- und ausdrucksgemäß auf die beiden Singstimmen aufgeteilt. Die Auseinandersetzung mit Existenziellem, das Bedürfnis nach Unmittelbarkeit der Aussage, die Formulierung fern von allen modischen Trends oder gar Geboten in stilistischer Hinsicht lässt vielleicht erahnen, dass wir beide letztlich auch noch Wurzeln in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts haben, die wir nicht verleugnen können und wollen.

Wie im “Aderngeflecht” gibt es eine bevorzugte Intervallfolge, die auf verschiedenste Weise das Stück durchzieht und größtenteils Melodik und Harmonik, die für mich immer ein Ganzes bilden, bestimmt. Anders als im “Aderngeflecht” gibt es darüber hinaus etwas wie einen melodischen Leit-gedanken, der deutlich am Anfang in der Altflöte, später in der Viola auftritt, an anderen Stellen – oft versteckt – in verschiedenen rhythmischen Formulierungen und Umkehrungen erscheint. Plakative thematische Arbeit wird freilich grundsätzlich vermieden.

 

Die Besetzung (in Klammer die Interpreten): Sopran (Theresa Dlouhy), Bariton (Georg Nigl), Altflöte/ (Flöte, Piccolo): Erwin Klambauer, Bassklarinette: Thomas Obermüller, Posaune: Martin Riener, Viola: Yoshiko de Swardt, , Kontrabass: Michael Pistelok. Dirigent: Friedrich Cerha.

 

Dieses Stück war mehr als eindrucksvoll. Man muss das wieder hören! – Ich persönlich gestehe, dass mich das beim Musikprotokoll 2007 aufgeführte Stück “Aderngeflecht” mit Orchester und ebenfalls Georg Nigl (Bariton) auch, aber weniger beeindruckt und erfasst hat. Das Führen der tiefen Instrumente in “Auf der Suche .” ist ganz exquisit, die Texte Breisach püackten mich mehr an, ebenso die Lapidarheit und pathoslose kammermusikartige Begleitung der Instrumente, alle sehr gut und schön spielend, besonders schön die (zumeist gestopfte) Posaune und der grundierende Kontrabass. Von den Sängern war Georg Nigl unerreichbar gut und auch wortdeutlich, ihm glaubt man jede Emotion.

 

Heinz Rögl (unter Verwendung der Cerha-Texte).

 

Links:
die reihe
Friedrich Cerha
Doblinger Musikverlag