In den vergangenen Jahren hat der 24-jährige Komponist RAPHAEL LINS mit groß angelegten Werken Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Seine große Begabung für den Einsatz der Klangfarben bewies er unter anderem mit seinem Vibrafonkonzert, das zuerst im Rahmen von „Texte und Töne“ 2018 im ORF FUNKHAUS in Dornbirn präsentiert wurde und dann Wiederaufnahmen am VORARLBERGER LANDESKONSERVATORIUM und in Luzern erlebte. Bei der Werkentstehung tüftelte der Komponist gemeinsam mit dem Solisten MATTHIAS KESSLER an den vielgestaltigen Klangmöglichkeiten, die das Vibrafon bietet. Im Gespräch mit Fritz Jurmann präzisierte der Komponist im Juni 2020 seine Vorgehensweise: „Manchmal kann schon der Gedanke an ein bestimmtes Instrument musikalische Ideen auslösen, umso mehr eine Kombination an Instrumenten, ein Klang, den ich einmal in einer bestimmten Besetzung hören wollte. Interessant war beispielsweise die Arbeit am Vibrafonkonzert, da war das Soloinstrument gewissermaßen der Ausgangspunkt für alles, was darum herum passiert; das Ensemble ist quasi die Erweiterung, Verstärkung, Vergrößerung des Vibrafons.“
Mit- und Vorvergangenheit
Dass Raphael Lins beim Komponieren viel Wert auf farbenreich ausbalancierte Instrumentalklänge und deren Umformung legt, illustriert auch das ein Jahr später entstandene Orchesterwerk „Präteritum“. Die Komposition ist zum Abschluss seines Studiums entstanden und wurde vom Sinfonieorchester des Vorarlberger Landeskonservatoriums unter der Leitung von Benjamin Lack mit großem Erfolg uraufgeführt. Anfang Juli steht nun sein neuestes Ensemblewerk auf dem Programm des Ensemble Plus. Diese Komposition nennt Raphael Lins „Plusquamperfekt“. Er bezieht sich also wieder auf die Zeit. Während das Präteritum die lateinische Bezeichnung für die Mitvergangenheit ist, beschreibt der Begriff „Plusquamperfekt“ in der deutschen Grammatik die sogenannte Vorvergangenheit.
Keine außermusikalischen Hörinhalte andeuten
Verweise auf musikalische Grundgedanken in den beiden Werken seien mit den Werktiteln nicht unbedingt gemeint, erklärt Raphael Lins. Über zugrundeliegende musikalische Ideen und Inhalte spricht er ungern. Er habe nach etwas Griffigem gesucht und ihm gefalle der Klang der Wörter. „Mein ursprünglicher Gedanke ging in Richtung grammatikalische Kategorien, daraus haben sich dann die Wörter als Titel verselbständigt. Man kann natürlich auch zeitliche Anspielungen darin sehen, aber das liegt ja zum Glück in der Betrachtung der Zuhörerinnen und Zuhörer. Es bringt ja jeder seine Erfahrungen mit und hat ein Stück weit seine eigenen Assoziationen, wenn man Musik hört.“
Besondere Vertrautheit mit Blechblasinstrumenten
Raphael Lins wuchs in einer musikalischen Familie in Feldkirch auf. Schon früh hatte er Spaß daran, Melodien zu erfinden und diese aufzuschreiben. Sein erstes Instrument war die Posaune. Ohne diese konkrete „Basis, die ein Instrument bereitstellt, und ohne die Erfahrungen in Orchester- und Kammermusik wäre es sicher schwieriger, zu komponieren“, so der Musiker. Eine Vertrautheit mit Blechblasinstrumenten ist ihm – zumindest bis heute – beim Komponieren geblieben. Er sei beim Schreiben für Blechblasinstrumente flexibler, könne besser beurteilen, ob eine Stelle leicht zu spielen sei oder nicht, wo spezifische Schwierigkeiten liegen würden.
Noch während seines Studiums erhielt Raphael Lins von den Solobläsern des hr-Sinfonieorchesters in Frankfurt rund um den Trompeter Jürgen Ellensohn zwei Kompositionsaufträge. Beide Werke fanden bei den Uraufführungen in Frankfurt im Herbst 2017 und im Frühjahr 2018 viel Beachtung.
Viele musikalische Vorlieben
Raphael Lins hat viele musikalische Vorlieben, das macht seine kompositorische Ausdruckswelt bunt und vielfältig. So begeistere ihn die Flächigkeit der Musik von Iannis Xenakis, führt der aufstrebende Komponist an. Interessieren würde ihn auch Edgar Varèse mit seiner Präferenz für elektronische Musik und „die Möglichkeiten neuer Klangerzeugung, lange bevor das technisch überhaupt umsetzbar war. Varèse hat schon in den 1920er-Jahren in diese Richtung gedacht.“
Ein Vorbild ist dem Vierundzwanzigjährigen auch der ungarische Komponist György Kurtág. Dessen Kompromisslosigkeit imponiert ihm. „Es scheint ihm völlig egal zu sein, ob jemand seine Musik mag oder nicht, er schreibt einfach hin, wovon er glaubt, dass es richtig ist.“
Elektronische Klangverarbeitung und Jazzharmonik
Seit dem Herbst 2019 studiert Raphael Lins Tontechnik an der Universität in Wien und erweitert damit sein Potential und Wissen über die Klangverarbeitung und Nachbearbeitung von Klängen sowie die Technik der elektronischen Musik. Elektronische Stilmittel hat Raphael Lins bereits in seine eigenen Kompositionen eingebaut, aber eine rein elektronische Musikproduktion ist bislang nicht entstanden. Ganz traditionell werden musikalische Ideen auf Notenpapier entwickelt und notiert, harmonische Zusammenhänge am Klavier überprüft.
Die Klassik und die elektronische Musik sind nicht die einzigen musikalischen Genres, die den Komponisten begeistern. Darin liegt auch die musikalische Vielseitigkeit begründet, die Herbert Willi unter anderen an seinem ehemaligen Kompositionsstudenten sehr schätzt. Darauf angesprochen bestätigt Raphael Lins, dass er sich für viele Stilrichtungen interessiere, unter anderem fühle er sich „vergleichsweise ziemlich wohl bei Jazz, insbesondere bei Jazzharmonik im Spezifischen. Ich glaube, mittlerweile höre ich tatsächlich deutlich mehr anderes als Klassik. Meine Interessen hier sammeln sich um alles, was aus dem frühen Rock/R&B hervorgegangen ist, die frühen Eric Clapton-Sachen, Led Zeppelin, die Psychedelia (Grateful Dead, Jefferson Airplane, Cream, Joplin, Hendrix), und natürlich Pink Floyd. Hätte ich eine Statistik, wäre Pink Floyd wahrscheinlich mit Abstand vorne.“
Es wird sich zeigen, was sich materialisiert
Auch für Stimme und Instrumente hat Raphael Lins bereits komponiert. Dem Instrumentalpart legte er eine Textpassage aus Heinrich Kleists „Der zerbrochene Krug“ zugrunde. Bisher wurde die Komposition mit dem griffigen Titel „Und alle Katzen grau“ für drei Stimmen und Orchester noch nicht öffentlich präsentiert.
Musikalische Ideen, die sich um einige Musikerinnen und Musiker gruppieren, trägt Raphael Lins derzeit mit sich herum. Eventuell liege dem nächsten Werk wieder ein ähnlicher Ansatz wie dem Vibrafonkonzert zugrunde, aber es müsse sich noch zeigen, ob und was sich davon materialisiere.
Auf weitere Werke und die musikalische Zukunft des aufstrebenden Komponisten darf man jedenfalls gespannt sein.
Silvia Thurner
Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift für Gesellschaft und Kultur im Mai 2021 erschienen.
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