Wie denn, gibt es etwa noch Unklarheiten? Das Motto der 24. Ausgabe des Tiroler Festivals für neue Musik KLANGSPUREN (07.09. – 24.09.2017) stellt sich gewissermaßen selbst in Frage, indem es eine Scheinfrage stellt, ein wenig hinterlistig und boshaft. Denn wer so fragt, will gar keine Fragen, will schnell zum Ende kommen, es sei doch eigentlich schon alles gesagt. Und wenn dann doch Fragen kommen, fällt die Antwort so knapp wie möglich aus, Fragesteller werden abgebügelt, Probleme unter den Teppich gekehrt.
Deshalb ist eine dialektische Umkehrung gefragt: Zum einen gilt es, sich nicht im Bestehenden bequem einzurichten, sondern neu entstandene Musik und Kunst im allgemeinen immer wieder kritisch auf ihren Wirklichkeitsgehalt und ihr Weltverständnis zu befragen – zumal in Zeiten, die von großen Unsicherheiten und polarisierenden Umbrüchen geprägt sind. Zum anderen, etwas Selbstverständliches zu tun, was immer noch nicht selbstverständlich ist: Das Festival verschiebt die Koordinaten der Geschlechterverteilung zugunsten des musikalischen Schaffens von Frauen. Es ist kaum zu leugnen, dass weit und breit eine deutliche Asymmetrie zu beobachten ist, was die Repräsentanz besonders von Komponistinnen, aber auch von Interpretinnen und Performerinnen auf den Spielzetteln zeitgenössischer Musik und ihrer Festivals betrifft. Obwohl doch gerade auch Frauen besonders eindringliche und eigensinnige musikalische Ausdrucksformen finden. Es geht nicht um Zählen und Quotierung, sondern um das selbstverständliche In Erscheinung Treten weiblicher Kreativität. Hier setzen KLANGSPUREN 2017 den Akzent, ohne freilich Musik von Künstlern männlichen Geschlechts auszuschließen – es ist eben eine Frage der Gewichtung.
Sofia Gubaidulina, die große alte Dame der neuen Musik, vielleicht die bedeutendste lebende Komponistin, konnte als Composer in Residence für das Festival und für die KLANGSPUREN INTERNATIONAL ENSEMBLE MODERN ACADEMY (30.08.–10.09.) gewonnen werden – Anlass zu großer Freude. Die mittlerweile 85-jährige Künstlerin russisch-tatarischer Abstammung findet in ihren Werken seit den 1960er Jahren zu einer eindrucksvollen, in existentieller Spiritualität gegründeten und unverkennbaren Stimme jenseits aller Konventionen, die Hörer tief zu berühren vermag.
Vor den Ohren und Augen des Publikums breiten die drei dicht besetzten Wochenenden des Festivals ein weites Panorama prägnanter musikalischer Positionen und Fragestellungen aus. Der Bogen spannt sich von der Text-Stimm-Performance “any questions?” des „kompositionellen Linguisten“ Chris Mann (09.09.) aus Australien, dem das Festival sein Motto verdankt, über das Tiroler Debüt des Grazer Schallfeld Ensemble (15.+17.09.), über ein großes Projekt des Südtiroler Elektronik-Trios dark matter (16.09.) mit den Glockenklängen des Innsbrucker Doms, über eine Hommage an die Pionierin der „Extended Vocal Techniques“ Joan La Barbara mit einer Reihe vokalperformativer Uraufführungen im Rahmen der KLANGSPUREN Pilgerwanderung (17.09.) bis hin zu einem Zyklus von Klavierrecitals, an dessen Ende die großartigen, teils schroffen Klaviersonaten von Galina Ustvolskaya mit Sabine Liebner (23.09.) stehen. Den Unermüdlichen legt die Sound Performerin und DJane Electric Indigo (23.09.) auf – sie ist die österreichische Ikone fortgeschrittener Techno-Kultur.
In altbewährtem Brauch wird das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck das Eröffnungskonzert (07.09.) bestreiten, in dem drei Generationen von Komponistinnen zu hören sein werden. Neben einem großen Orchesterwerk von Sofia Gubaidulina werden jüngst entstandene Werke von Cathy Milliken und Sarah Nemtsov erstmalig in Österreich aufgeführt. Cathy Milliken ist seit vielen Jahren mit KLANGSPUREN eng verbunden als Leiterin der Musizier- und Komponierwerkstatt KLANGSPUREN LAUTSTARK und der weiterführenden Teenager-Komponierwerkstatt Klangspuren Lautstärker. Die faszinierenden, kreativen Ergebnisse der beiden Workshops – KLANGSPUREN LAUTSTARK wird heuer 10 Jahre alt! – werden 2017 direkt in das Festival eingebunden: Allen voran belebt Klangspuren Lautstark das Geschehen vor dem Eröffnungskonzert mit einer Intervention musikalischer Kostproben aus dem Sommer 2017. KLANGSPUREN LAUTSTÄRKER gastiert mit frisch komponierten Stücken für die beiden in Salzburg und Tirol wirkenden Schlagwerker Philipp Lamprecht und Andreas Schiffer im Innsbrucker Treibhaus (15.09.). Ebenso findet dort ein Abend mit der irischen Universalkünstlerin Jennifer Walshe und dem legendären Arditti String Quartet statt, bei dem auch Olga Neuwirths Streichquartett in the realms of the unreal zu hören sein wird (09.09.).
Die Ausstellung von Käthe Kruse “Danke! Die Tödliche Doris” mit den Performances Lieder in Leder und Krieg ist eine Gemeinschaftsproduktion der Galerie der Stadt Schwaz und KLANGSPUREN SCHWAZ (09.09. – 26.10.2017). Sie knüpft an die Zusammenarbeit der beiden Institutionen bei der Begegnung von Bildender Kunst und Musik an, die sich in den vergangenen Jahren bereits mehrfach bewährt hat.
Das Format der Late Nite Lounges wendet sich an ein junges Publikum und bietet elektronische sowie avancierte Improvisationsmusik. Neben der bereits erwähnten DJane Electric Indigo, sind 2017 Käthe Kruse mit ihrer Performance „Krieg“ (08.09.) und das Composer-Performer-Ensemble Les Femmes Savantes zusammen mit der Südtiroler Sängerin und Gitarristin Margareth Kammerer (09.09.) vertreten. „Série Rose“ wiederum ist ein von Monika Pasiecznik reizvoll zusammengestelltes Programm zum Verhältnis von neuer Musik und Erotik für Stimme, Klavier und Sampler (22.09.).
Laurie Anderson – weltbekannte Galionsfigur einer ebenso poetischen wie technologisch avancierten Performancekunst zwischen Erzählung, Musik und Bild – setzt den Schlusspunkt des Festivals (24.09.) mit ihrer Befragung des alltäglichen Wahnsinns auf der Suche nach einer Sprache der Zukunft. “Noch Fragen? Any Questions?” Ja, da sind noch jede Menge Fragen offen. Fragen an die Musik. Fragen an den Musikbetrieb. Stellen wir sie! Spüren wir den gelegten musikalischen Spuren aus nächster Nähe nach, finden wir Antworten!
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Klangspuren Schwaz