Ausgerechnet im unheilvollen Corona-Jahr 2020 plante das Festival KLANGSPUREN ursprünglich, unter dem Titel „Transitions” ein völkerverbindendes Programm durchzuführen, bei dem rund dreißig außereuropäische Gäste aus Australien, Ägypten und Israel erwartet worden wären. Sie alle hätten unter den gegenwärtigen Umständen aufgrund der Reisebeschränkungen, von denen auch die geladenen Künstler*innen aus Großbritannien betroffen sind, nicht einreisen können. Noch während des Lockdown stellte die Festivalleitung folglich Überlegungen an, wie KLANGSPUREN trotz der widrigen Umstände auch 2020 durchführbar sein könnte. Leitend war dabei der Gedanke, ein neues Programm zu planen, das auch unter Corona-Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit stattfinden kann.
Musiker*innen aus Österreich
So entstand aus der Not eine Tugend: Denn nun werden fast ausschließlich österreichische oder in Österreich lebende Musiker*innen bei Klangspuren auftreten. Also eine jener Berufsgruppen, die zu den am härtesten von der Corona-Krise betroffenen zählt und dringend auf Konzertauftritte angewiesen ist. Fernab davon, Klangspuren einen lokalpatriotischen Anstrich verleihen zu wollen, zeigt sich an dem unter dem Motto „Zeitzeichen” stehenden Programm 2020 die enorme Internationalität der gegenwärtigen Musikszene Österreichs, sei es im kompositorischen Bereich, sei es aufseiten der Interpret*innen, sei es in der ungemein regen experimentellen Improvisationsszene. Vier der wichtigsten österreichischen Ensembles für zeitgenössische Musik sind diesmal zu Gast: das Ensemble PHACE (12.09. mit Billones „Face Dia.De”), das österreichische ensemble für neue musik (oenm, 13.09.), Studio Dan (17.09. mit Globokars „Passaggio verso il rischio”) und das Klangforum Wien, das im Schlusskonzert am 20.09. auch ein neues Stück von Clara Iannotta zur Uraufführung bringen wird.
Geballt und konzentriert
Konzentriert auf zwei Wochen, doch hinsichtlich der Anzahl der Konzerte nur unwesentlich verkürzt gegenüber den sonst üblichen dreiwöchigen Ausgaben von Klangspuren, sollen umso markantere Zeitzeichen gesetzt werden, die die Kraft der zeitgenössischen Musik und deren kritisches Potential unter Beweis stellen werden. In diesem Kontext kann das Festivalmotto auch als Warnsignal verstanden werden, denn wir tanzen ohnehin schon am Rand jenes Abgrunds, den der international bekannte Tiroler Künstler Rens Veltman in seinem mit „Auge|Eye” betitelten Festivalsujet drastisch festhält. Umso dringlicher wäre es, die Corona-Krise auch als Chance zu begreifen, um darüber nachzudenken, wie es jenseits von Wachstumsraten und Profitstreben, jenseits von Ressourcenverschwendung und gleichfalls menschengemachtem Klimawandel mit der Entwicklung der Welt weitergehen könnte. Die Räume für solche Reflexionsprozesse öffnet die Musik des diesjährigen Klangspuren-Festivals.
Nachdenkliche Eröffnung
Bereits das Eröffnungskonzert am 11. September mit dem TSOI unter Titus Engel ist als nachdenklich stimmendes Diminuendo angelegt, mit klein besetzten Werken, die auch immer verhaltener, stiller werden. Am Ende steht Gerd Kührs nur von sechzehn Musiker*innen gespielte „Música pura”, die ihre Kraft allein aus dem Inneren der Klänge gewinnt und dadurch viel Platz bietet für Kontemplation. Die österreichische Erstaufführung von Adriana Hölszkys Violinkonzert „Apeiron” ermöglicht davor eine Wiederbegegnung mit dem Tiroler Geiger Martin Mumelter.
Autonom und gemeinsam handeln: Mathias Spahlingers „doppelt bejaht“
Innovative Wege weist am Eröffnungswochende auch Mathias Spahlingers „doppelt bejaht” (13.09.), das in einer neuen Fassung für Kammerorchester zur Uraufführung gelangen wird: Achtzehn Musiker*innen des oenm müssen sich ihre eigene Wege durch ein Konvolut von siebzehn Klangmodulen bahnen und selbst entscheiden, welche von drei vorgeschlagenen „Verzweigungen“ an den jeweiligen Schnittstellen ausgewählt werden. Obgleich autonom handelnd, gelangen die Musiker*innen nur dann zu sinnvollen musikalischen Resultaten, wenn sie gemeinsame Lösungen finden.
Schwerpunkt „Improv #1-#6“
Ähnliches wird auch Improvisationsmusiker*innen abverlangt, die erneut in einem Schwerpunkt vertreten sind. Konzentriert auf zwei Tage am 18.09. und 19.09. sind wie im Vorjahr wieder sechs Konzerte zu hören, die diesmal den internationalen Stellenwert der heimischen Musikszene unterstreichen werden. Am ersten Tag mit fein ausgehörten, kammermusikalischen Improvisationen wie etwa vom Georg Graewe Trio, am zweiten mit einem höchst abwechslungsreichen Programm, das von heftiger Elektronik mit dem Duo Gartmayer/Bödenauer bis zu Fusion Jazz reicht, den die exzellente :xy Band um den Trompeter Lorenz Raab spielen wird: experimentell und verspielt, präzise und knackig.
Orgel und Elektronik: Wolfgang Mitterer
Zwischen Improvisation und Komposition bewegt sich Wolfgang Mitterer, der am 16.09. in der Innsbrucker Hofkirche der Renaissanceorgel von Jörg Ebert gleichsam eine zweite Stimme verleihen wird: In seinem „Grand jeu2″, das 2018 für das Festival Météo in Mulhouse entstanden war, konfrontiert Mitterer mit viel Geschick die Klänge der alten Orgel mit elektronischen Sounds.
International Ensemble Modern Academy
Trotz Covid-19 wird auch im Pandemie-Jahr 2020 die International Ensemble Modern Academy (IEMA) bei Klangspuren durchgeführt. Etwas kleiner und nur mit in Europa lebende Musiker*innen besetzt, werden die Teilnehmer*innen an drei Projekten mitwirken: der Klangwanderung City Shorts (12.09.), dem Wandelkonzert im Haus der Musik Innsbruck (14.09.) und dem traditionellen IEMA-Abschlusskonzert mit Ensemblestücken (16.09.). Dieser Abend birgt sogar eine Reverenz an den Jahresjubilar Ludwig van Beethoven: Hermann Kretzschmar hat Mauricio Kagels aus einem Fluxus-infiltrierten Film hervorgegangene Hommage Ludwig vanfür ein Kammerensemble arrangiert.
Klangwanderung: „City Shorts“
Die traditionelle Klangwanderung des Festivals wird in diesem Jahr den Corona-Umständen angepasst, um derzeit gefährliche Zusammenballungen der Wanderer zu vermeiden. Deshalb werden am 12.09. Gruppen von maximal zwanzig Personen, ausgehend von je verschiedenen Treffpunkten, auf einem Rundkurs in und um Schwaz wandern, um an attraktiven Orten Kurzkonzerte zu hören, u.a. im Kreuzgang des Franziskanerklosters, im Museum der Völker und in der Galerie Unterlechner.
Tickets für das Klangspuren Festival 2020 sind ab Ende Juli erhältlich: Über www.oeticket.com, telefonisch unter +43 5242 73582 oder per Email an tickets@klangspuren.at
Links:
Klangspuren Schwaz