KI in der Musikindustrie – Teil 17: „Fake Drake“ und das Problem von Deep Fakes

Mitte April 2023 war die Aufregung groß, als der Song „Heart on My Sleeve“ im Internet auftauchte und viral ging. Zu hören ist der kanadische Rap-Superstar Drake im Duett mit seinem nicht weniger berühmten Landsmann The Weeknd. Fans waren schon der Meinung, dass Drake einen neuen Song mit einer abgefahrenen neuen Promotionskampagne veröffentlich hatte, als sich herausstellte, dass seine Stimme mittels künstlicher Intelligenz von einem mit Leintuch und Sonnenbrille Getarnten, der sich selbst ghostwriter977 nannte, nachgeahmt und dann der Song auf TikTok veröffentlicht worden war.1 Der Song war schon ab dem 4. April bei Spotify2 verfügbar und tauchte dann auch in anderen Streamingportalen und bei YouTube3 auf.

Welches sind nun die urheberrechtlichen Herausforderungen von diesem Deep Fake und anderen Stimmen-Klone? Diese und weitere Fragen werden in diesem Teil der Serie „KI in der Musikindustrie“ beantwortet.

Universal hatte bereits vor dem Auftauchen des „Fake Dake“-Songs im März 2023 eine E-Mail an die Musikstreamingdienste geschickt, in denen das Unternehmen bezüglich KI-generierter Musik-Fakes drohte: „We will not hesitate to take steps to protect our rights and those of our artists.“4 Das zeigte nun Wirkung. Nachdem „Heart on My Sleeve“ 9 Millionen Mal auf TikTok geteilt worden war und auf Spotify innerhalb von zwei Wochen 250.000 Streams generierte und das YouTube-Video in zwei Tagen fast 200.000-mal angeklickt worden war, nahmen die Streamingportale den Track am Abend des 17. April aus ihrem Angebot und YouTube sperrte den Account von ghostwriter977.5

Der „Fake Drake“, wie das KI-generierte Musikstück bald genannt wurde, löste nicht nur einen weltweiten medialen Hype aus, sondern brachte auch die Rechteinhaber, vor allem aber die Labels auf die Barrikaden. Die Universal Music Group, bei der sowohl Drake als auch The Weeknd beim Sublabel Republic unter Vertrag sind, brachte sogleich ihre ablehnende Haltung klar zum Ausdruck: „[T]he training of generative AI using our artists‘ music (which represents both a breach of our agreements and a violation of copyright law) as well as the availability of infringing content created with generative AI on DSPs, begs the question as to which side of history all stakeholders in the music ecosystem want to be on: the side of artists, fans and human creative expression, or on the side of deep fakes, fraud and denying artists their due compensation.“6

Nichtsdestotrotz lässt sich seit Beginn des Jahres 2023 ein Gründungsboom von generativen Stimmen-KI-Anwendungen beobachten. Seit Januar 2023 bietet ElevenLabs, das von ehemaligen Google-bzw. Palantir-Mitarbeitern 2022 gegründet worden war,7 ein KI-Stimmen-Imitations-App an, die nicht nur mit der eigenen Stimme, sondern auch mit Stimmen anderer Personen und natürlich auch SängerInnen trainiert werden kann. Dabei können Stimmen-Klone in 29 Sprachen und mehr als 50 Akzenten erstellt werden.8 Eine ähnliche Zielsetzung verfolgt die im US-amerikanischen Cambridge ansässige Firma Suno AI,9 mit dessen Text-zu-Audio-Generator „Bark“ die eigene Stimme, aber auch Musik und anderen Sound-Files in einem KI-Format erstellt werden können. Derzeit können Audio-Files in 13 Sprachen mit jeweiligen Akzenten ausgegeben werden.10

Der Boom von Voice Cloning-Websites

Der „Fake Drake“-Song ist aber nur die Spitze eines riesigen Eisbergs von Deep Fakes, die im Internet zu finden sind. Klickt man sich durch YouTube finden sich zahlreiche Stimmen-Klone von amtierenden und ehemaligen US-Präsidenten, die sich den einen oder anderen Rap-Battle11 liefern. Oder man kann über „Always Look on the Bright Side of Life“ aus dem Monty Python-Filmklassiker „Das Leben des Brian“, interpretiert vom Chor der nordkoreanischen Volksbefreiungsarmee schmunzeln.12 Letzteres stammt von Dustin Ballard,13 der sich in seinem YouTube-Kanal mit dem programmatischen Titel „There I Ruined It“ zahlreiche unterhaltsame musikalische KI-Späße erlaubt. Da interpretiert eine KI-generierte Stimme von Bruce Springsteen dessen Welthit „Born in the U.S.A.“ im Bossa Nova-Stil14 oder es gibt eine Heavy Metal-Version von Taylor Swifts „Shake It Off“.15 Allerdings sind Anfang 2024 keine Videos mehr auf seinem YouTube-Kanal verfügbar. Stattdessen ist die Botschaft zu lesen: „Unfortunately, YouTube makes it nearly impossible for creators to assert the ‚Fair Use‘ defense against record labels and publishers who automatically reject any appeals.“16

Eine sehr beliebte Anwendung ist auch Voicify.ai. Das Unternehmen wurde 2022 vom 20-jährigen Aditya Bansal, der zu diesem Zeitpunkt an der Universität Southampton Computerwissenschaften studierte, direkt aus seinem Zimmer im Studentenheim heraus gegründet. Im Interview mit der Financial Times sitzt der junge Mann relaxed in Nike-Turnschuhen, Shorts und T-Shirt vor seinem Studentenheimbett mit seinem Laptop auf den Knien und lässt sich auf einem anderen Foto über die Schulter schauen, wie er am Computer seiner Arbeit nachgeht.17 Der Financial Times erzählte Bansal, dass er mit den Cover-Versionen der KI-Stimmen-Klons gutes Geld verdienen würde. Auch Labels hätten ihn schon kontaktiert, Stimmen-Modelle ihrer KünstlerInnen für Demo-Aufnahmen zu erstellen, die als eine Art Skizze für den späteren Aufnahmeprozess verwendet werden sollten.

Der Student wird aber auch Post von der Recording Association of America (RIAA) erhalten, die Voicify.ai auf ihre Liste von Urheberrechtsverletzungen gesetzt hat, wie aus einem Bericht vom 6. Oktober 2023 hervorgeht. Die RIAA hat mit „AI Vocal Cloning“ eine neue Kategorie von Musik-Copyright-Verletzungen eingeführt und Voicify.ai als einziges Service namentlich genannt. Aus dem Bericht geht hervor, dass Voicify von 8,8 Millionen UserInnen aktiv genutzt wurde, um Stimmen-Klons zu erstellen.18 Der US-amerikanische Musikindustrieverband beklagte sich darüber, dass das Jahr 2023 eine Eruption von KI-Stimmen-Klone-Services gebracht hat, „(…) that infringe not only the rights of the artists whose voices are being cloned but also the rights of those that own the sound recordings in each underlying musical track. This has led to an explosion of unauthorized derivative works of our members‘ sound recordings which harm sound recording artists and copyright owners.“19 Die RIAA erklärt auch, wie die Urheberrechtsverletzung aus ihrer Sicht erfolgt: „The service stream-rips the YouTube video selected by the user, copies the acapella from the track, modifies the acapella using the AI vocal model, and then provides to the user unauthorized copies of the modified acapella stem, the underlying instrumental bed, and the modified remixed recording.“20

Im Februar 2024 hat auch der britische Musikindustrieverband British Phonograph Industry (BPI) über seine Rechtsanwälte ein Schreiben an Voicify, das sich in Jammable umbenannt hat, gerichtet, in dem mit juristischen Schritten gedroht wird, sollte das Unternehmen seine Urheberrechtsverletzungen mittels Voice-Cloning nicht abstellen.21

Auf der Homepage von Jammable/Voicify22 können Stimmen-Modelle bekannter Persönlichkeiten wie Donald Trump, Barack Obama, Cristiano Ronaldo oder Angela Merkel aber auch von SängerInnen wie den BTS-Stars Jeon Jungkook oder Suga, Elvis Presley, Bruno Mars, Taylor Swift, Justin Bieber und viele mehr genutzt werden, um neue Songs mit deren Stimmen zu generieren.

Stimmen-Klone und Urheberpersönlichkeitsrechte

Nach der RIAA werden von Jammable/Viocify sowohl die Persönlichkeitsrechte der MusikerInnen als auch die Masterrechte (Leistungsschutzrechte) an den Aufnahmen verletzt. Daniel Tencer weist in seinem Beitrag auf Music Business Worldwide darauf hin, dass in der internationalen Urheberrechtsgesetzgebung zwar die Verwertungsrechte, nicht aber die Persönlichkeitsrechte der KünstlerInnen harmonisiert wurden. So sind in den USA nur in 19 von 50 Bundesstaaten – darunter Kalifornien, New York und Florida – Persönlichkeitsrechte gesetzlich verankert.23 Vor allem geht es um das Publicity Right, das vor der widerrechtlichen Aneignung des Namens, des Bildes oder anderer Identitätsmerkmale einer Person, beispielsweise der Stimme, zu kommerziellen Zwecken schützt.24 Es gibt dazu auch schon eine Judikatur, die noch vor die Digitalisierung der Musik zurückreicht. Die US-amerikanische Schauspielerin und Sängerin Bette Midler hat 1988 den Autohersteller Ford geklagt, der in eine Serie von Werbespots eine Stimmenimitatorin eingesetzt hat, um Bette Midler ohne ihre Zustimmung nachzuahmen. Das Berufungsgericht entschied, dass Midlers Stimme Teil ihrer Persönlichkeit und somit charakteristisch ist. Es ist daher rechtswidrig, die Stimme ohne ausdrückliche Zustimmung und Genehmigung zu imitieren.25

Ausgehend von diesem Gedanken forderte die Universal Music Group in einer Stellungnahme gegenüber dem US Copyright Office, dass auf gesamtstaatlicher Ebene in den USA ein Publicity Right, vergleichbar zu einigen Bundesstaaten, verankert werden soll, welches Name, Abbildung und Stimme einer Person schützen soll, um die unautorisierte Verwendung von Stimmen im Voice Cloning zu verbieten.26

KlägerInnen hätten in den USA somit einen Anknüpfungspunkt gegen KI-generierte Stimmen-Klone vorzugehen, insbesondere wenn eine kommerzielle Nutzung vorliegt. Das ist bei Jammable/Viocify jedenfalls der Fall, weil auf der Homepage drei monatliche Abo-Modelle angeboten werden. Für EUR 1,99 pro Monat können die UserInnen 25 Credits – d.h. Sounddateien – erstellen. Für monatlich EUR 9,99 ist die Anzahl der erstellbaren Credits unbegrenzt und es können zusätzlich noch drei sogenannte Custom Models erstellt werden, was so viel bedeutet, dass jede Stimme in eine andere umgewandelt werden kann. Für EUR 89,99 pro Monat steigt die Anzahl der erstellbaren Custom Models auf zehn.27

Auch die Verwendung der urheberrechtlich geschützten Musikaufnahme für das Stimmenklonen könnte für Jammable/Voicify zum Problem werden. Da eine Audiodatei hochgeladen bzw. ein YouTube-Link verfügbar gemacht werden muss, um die Anwendung zu nutzen, liegt jedenfalls eine Vervielfältigung einer urheberrechtlich geschützten Musikaufnahme vor. Das stellt in allen Rechtssystemen mit funktionierendem Urheberrecht eine Rechtswidrigkeit dar. Auch wenn die Urheberrechtsverletzung durch die AnwenderIn erfolgt, könnte Jammable/Viocify zumindest eine Beitragstäterschaft zugeschrieben werden.

Sind Stimmen-Klone „Fair Use“ in den USA?

Beim „Fake Drake“-Song ist die Rechtslage komplizierter. Bei „Heart on My Sleeve“ handelt es sich schließlich um eine Originalkomposition, die von KI-erstellten Stimmen, die täuschend echt nach Drake und The Weeknd klingen, interpretiert wurden. Damit ist klar: Die Urheber- wie auch Leistungsschutzrechte liegen in diesem Fall bei der Person mit Leintuch über und Sonnenbrille auf dem Kopf, wer immer das auch sein mag. Es handelt sich aber trotzdem um ein Deep Fake. In ihrem Artikel „Regulating Deep-Fakes: Legal and Ethical Considerations“ liefern Edvinas Meskys et al. vier Fallbeispiele, in denen Deep Fakes durchaus rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnten.28 In unserem Fall handelt es sich um ein kreatives Deep Fake. Mithilfe der KI wird neuer Content geschaffen, die eine neue kreative Ausdrucksform darstellt. Da „Heart on My Sleeve“ offensichtlich in den USA erstellt und verbreitet wurde, gelten die US-amerikanischen Rechtsnormen. Sollten die Rechteinhaber wegen eines Copyright-Verstoßes vor Gericht ziehen, müssten sie nachweisen, dass es sich beim Deep Fake um eine Verletzung ihres Copyrights handelt. Im konkreten Fall sollte das möglich sein. Auch wenn die KI mit Millionen Sound-Files trainiert wurde, ist bei „Heart on My Sleeve“ klar, dass die Musikaufnahmen von Drake und The Weeknd, die eindeutig urheberrechtlich geschützt sind, verwendet wurden. So beinhaltet der Song ein Sample des Musikproduzenten Metro Boomin („If young Metro don’t trust you, I’m gon‘ shoot you“), das eindeutig rechtlich hätte abgeklärt werden müssen.29 Spannend ist allerdings die Frage, ob der Copyright-Verstoß von ghostwriter977 begangen wurde, indem er eine konkrete Aufnahme erstellt hat oder ob das Urheberrecht bereits im Vorfeld durch das Trainieren der KI verletzt wurde. Im zweiteren Fall wäre dann jedes Training einer KI mit urheberrechtlich geschützten Daten ein Rechtsverstoß, was weitreichende Folgen für den Einsatz von KI hätte und zu ihrem Verbot führen könnte.

Gehen wir einmal davon aus, dass der Ersteller/die Erstellerin des konkreten Songs wegen Urheberrechtsverletzung verklagt wird. Der/die Beklagte könnte sich nun auf die „Fair Use“-Doktrin30 beziehen, die nach §107 des US Copyright Act besagt, dass urheberrechtlich geschützte Werke zum Zweck der Kritik, Kommentierung, Berichterstattung, des Unterrichts sowie von Wissenschaft und Forschung ohne Zustimmung der RechteinhaberInnen benutzt werden dürfen. Das Gericht müsste dann eine Einzelfallprüfung durchführen, in der der Vierstufentest, ob ein „Fair Use“ im Sinne des Gesetzes vorliegt, zur Anwendung kommt.

Im ersten Schritt muss der Zweck und die Art der Werknutzung überprüft werden, wobei der Unterschied zwischen einer kommerziellen Nutzung oder einer Nutzung für Unterrichtszwecke ohne Gewinnabsicht relevant ist. Der/die Beklagte müsste nachweisen, dass der Song in nicht-kommerzieller Absicht und nach lauteren moralischen Motiven, z.B. zum Zweck der Parodie, erstellt wurde.

In einem zweiten Schritt muss die Art des urheberrechtlich geschützten Werks in die Betrachtung miteinbezogen werden. Konkret handelt es sich um urheberrechtlich geschützte Musikaufnahmen von Drake und The Weeknd und es ließe sich die Zahl der beim KI-Training verwendeten Werkstücke eingrenzen. Je größer aber die Zahl der Inputdaten, desto schwerer lässt sich ein kausaler Zusammenhang zum inkriminierten Output herstellen.

Der dritte Aspekt der „Fair Use“-Doktrin ist der Umfang des vom geschützten Werk verwendeten Teils und dessen substanzielle Relevanz. Da in „Heart on My Sleeve“ so gut wie keine erkennbaren Teile des Ausgangsmaterials zu hören sind, scheint der Eingriff unwesentlich zu sein. Die Qualität des Eingriffs ergibt sich aus der Wiedererkennbarkeit der Stimmen und diese könnte durchaus als substanziell bewertet werden.

Schließlich ist noch die ökonomische Auswirkung des Deep Fakes auf den Marktwert des verwendeten urheberrechtlichen Materials zu berücksichtigen. Ein negativer Einfluss von „Heart on My Sleeve“ auf die Songs von Drake und The Weeknd wird nicht so leicht zu belegen sein. Es könnte sogar einen positiven PR-Effekt für deren Songs geben.

Die Auslegung der „Fair Use“-Bestimmung bezüglich des „Fake Drake“-Songs ist natürlich meine persönliche Einschätzung und stellt natürlich keine valide Rechtsmeinung dar. Dafür müssten die RechteinhaberInnen vor Gericht ziehen und auf Urheberrechtsverletzung klagen. Dann müsste ein Gericht beurteilen, ob überhaupt ein unrechtmäßiger Eingriff vorliegt und ob ein „Fair Use“ im Sinne des Gesetzes geltend gemacht werden kann. Meiner, sehr subjektiven Meinung nach, wird es für die Beklagten sehr schwierig sein, sich erfolgreich auf „Fair Use“ zu berufen.

Die Situation in der EU

In den USA und in anderen Ländern mit Common Law könnte auf Basis von „Fair Use“-Bestimmungen gegen Deep Fakes wie „Heart on My Sleeve“ erfolgreich vorgegangen werden. In Ländern aber, die der kontinentaleuropäischen Rechtstradition folgen, wie in der Europäischen Union, bietet das Urheberrecht wenig bis keinen Schutz gegen Deep Fakes, die die Stimme lebender oder verstorbener MusikerInnen in Musikaufnahmen nachahmen. Zwar wurde bereits im Art. 7 des Rom-Vertrags von 1961 den ausübenden KünstlerInnen31 das exklusive Recht eingeräumt, die Sendung und öffentliche Wiedergabe ihrer Darbietung sowie die Vervielfältigung der Festlegung ihrer Darbietung unter bestimmen Voraussetzungen zu untersagen,32 aber dieses Persönlichkeitsrecht schützt nicht vor Deep Fakes. Im WIPO Performances and Phonograms Treaty (WPPT) von 199633 wurden sowohl die wirtschaftlichen Befugnisse ausübender KünstlerInnen (Art. 7 bis 10) gestärkt als auch deren Persönlichkeitsrechte auf die Pflicht der Namensnennung (Art. 5.1) ausgeweitet, aber auch das bietet noch keine Handhabe gegen die KI-Stimmnachahmung. Erst im Vertrag von Peking (2012) wurden nicht nur die wirtschaftlichen Befugnisse noch einmal bekräftigt, sondern vor allem die Persönlichkeitsrechte der ausübenden KünstlerInnen gestärkt. Neben der Namensnennung, wie schon im WPPT festgeschrieben, wird den ausübenden KünstlerInnen nun auch das Recht eingeräumt, jeder Entstellung, Verstümmelung oder sonstiger Änderung ihrer audiovisuell fixierten Darbietung zu widersprechen, die ihrem Ruf schaden würden.34 Der Haken an der Sache ist aber, dass die EU, genauso wie die USA und das Vereinigte Königreich, den Vertrag von Peking zwar unterzeichnet, aber bis dato noch nicht ratifiziert hat.35

Trotzdem sind in vielen Ländern der Europäischen Union Urheberpersönlichkeitsrechte gesetzlich verankert, die auch gegen unerwünschte Deep Fakes à la „Heart on My Sleeve“ schützen könnten. In Deutschland ist das vor allem der Schutz gegen die Entstellung eines Werks nach § 14 Urheberrechtsgesetz. Dieser Paragraf besagt, dass jede UrheberIn das Recht hat, „eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.“36 Ähnlich gelagert ist der § 67 des österreichischen Urheberrechtsgesetzes zum Schutz geistiger Interessen ausübender KünstlerInnen. Demnach dürfen Darbietungen, die in einer Musikaufnahme oder in anderer Form fixiert wurden, nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht oder zum Zweck der Verbreitung vervielfältigt werden, „wenn sie mit solchen Änderungen oder so mangelhaft wiedergegeben wird, dass dadurch der künstlerische Ruf des ausübenden Künstlers beeinträchtigt werden kann.“37 Die beispielhaft genannten Rechtsnormen zeigen also, dass sowohl die UrheberInnen als auch die ausübenden KünstlerInnen vor Deep Fakes ihrer geistigen Leistungen geschützt sind. Ähnliche Schutzmechanismen finden sich auch in den Urheberrechtsgesetzen anderer EU-Mitgliedsstaaten. Ob diese urheberrechtlichen Bestimmungen ausreichen, um vor Gericht erfolgreich gegen Stimmen-Deep Fakes vorgehen zu können, bleibt noch abzuwarten. Es wäre daher wünschenswert, wenn der Schutz der geistiger Rechte der UrheberInnen und ausübenden KünstlerInnen, ausgehend vom Vertrag von Peking, vor KI-generierten Deep Fakes präzisiert wird.

Stimmen-Klone als Form des unlauteren Wettbewerbs

Es besteht aber noch eine weitere Möglichkeit, wie RechteinhaberInnen gegen Deep Fakes juristisch vorgehen könnten. Das deutet die Universal Music Group im öffentlichen Finanzbericht (Earnings Call) für das erste Geschäftsquartal 2023 an. Der Vice President des Konzerns, Michael Nash, führt bezugnehmend zum „Fake Drake“-Song aus: „Soundalikes which serve to confuse the public as to the source or origin, or which constitute a commercial appropriation of likeness in the form of a distinctive voice, are all clearly illegal.“38 Damit bezieht der Universal-Vertreter auf gesetzliche Regelungen gegen unlauteren Wettbewerb, die so gut wie in jeder Rechtsordnung zu finden sind. Konkret ist das in Deutschland das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG),39 in dem der §4 Nr. 3 gegen unzulässige Nachahmung schützt. Wer demnach Waren und Dienstleistungen von Mitbewerber nachahmt und damit die Abnehmer täuscht, handelt unlauter und begeht somit einen Rechtsbruch. Diese Rechtsnorm könnte, sofern es sich um Mitbewerber auf einem Markt handelt, gegen Deep Fakes angewendet werden. Privatpersonen, die Deep Fakes mit Täuschungsabsicht anfertigen, wären aber davon nicht betroffen, sondern nur die Unternehmen, die die nachgeahmten Produkte erstellen und in Verkehr bringen. So könnten sich die Stimmen-Klone-Plattformen damit verteidigen, dass sie zwar das Werkzeug für die Erstellung der Deep Fakes bereitstellen, aber selbst an der unlauteren Handlung nicht beteiligt sind. Da es noch keine einschlägige Judikatur gibt, ist derzeit nicht klar, ob Gesetze gegen unlauteren Wettbewerb gegen Deep Fakes effektiv schützen.

Peter Tschmuck

Dieser Artikel erschien erstmal am 6. Mai 2024 auf der Seite https://musikwirtschaftsforschung.wordpress.com/2024/05/06/ki-in-der-musikindustrie-teil-17-fake-drake-und-das-problem-von-deep-fakes/#_ftnref5

Teil 1: Was ist künstliche Intelligenz?
Teil 2: Wie funktioniert künstliche Intelligenz?
Teil 3: Der Aufstieg von Musikerkennungsdiensten
Teil 4: KI in der Musikerkennung und Musikempfehlung
Teil 5: Die Musikempfehlung im Musikstreaming
Teil 6: Fake-Streams und Streamingfarmen
Teil 7: KI in der Musikproduktion
Teil 8: Maschinen schaffen Musik
Teil 9: Die Vollendung des Unvollendeten
Teil 10: François Pachet: The Continuator, Flow Machines und „Daddy’s Car“
Teil 11: OpenAI und die GPT-Technologie
Teil 12: Googles Magenta Studios und das WaveNet
Teil 13: Text-zu-Musik-Generatoren
Teil 14: KI und das Urheberrecht
Teil 15: Die KI als Urheberin?
Teil 16: Ein Leistungsschutzrecht für KI-Output?


Peter Tschmuck ist Professor am Institut für Popularmusik


Endnoten

  1. Siehe TikTok/@ghostwriter977, https://www.tiktok.com/@ghostwriter977/video/7222027667132960046, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  2. Rolling Stone, „Viral Drake and The Weeknd AI Collaboration Pulled From Apple, Spotify“, 17. April 2023, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  3. YouTube, „ghostwriter – heart on my sleeve (Drake x The Weeknd AI) Official Audio“, 31. Mai 2023, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  4. Zitiert in: Financial Times, „Streaming services urged to clamp down on AI-generated music“, 12. April 2023, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  5. Music Business Worldwide, „This AI Drake rip-off already has 250,000 plays on Spotify. How will the music industry respond?“, 17. April 2023, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  6. Zitiert in: Music Business Worldwide, „Universal Music Group responds to ‚fake Drake‘ AI track: Streaming platforms have ‚a fundamental responsibility to prevent the use of their services in ways that harm artists’“, 17. April 2023, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  7. ElevenLabs, „About ElevenLabs“, o.D., Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  8. ElevenLabs, „High Quality AI Voice Cloning“, o.D., Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  9. Suno AI, „About Suno“, o.D., Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  10. Heise.de, „Audio-KI ‚Bark‘ erzeugt natürliche Sprache und kann sogar singen“, 24. April 2023, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  11. Der YouTube-User „juanjo_sound“ hat zahlreiche Rap-Battles zwischen Prominenten mithilfe von KI angefertigt, wobei sowohl die Stimmen als auch der Text KI-generiert ist, wie z.B. Donald Trump vs. Joe Biden, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  12. YouTube, „Always Look on the Bright Side of Life – North Korean Edition“, 29. März 2022, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  13. Auf seiner Homepage (https://www.dustincreative.com/) stellt sich Ballard als Creative Group Head der in Dallas ansässigen Werbeagentur „The Richards Group“ vor, der glücklich verheiratet ist und zwei kleine Kinder hat. In seiner Freizeit betreibt er den YouTube-Kanal „There I Ruined It“, der von mehr als 700.000 YouTube-NutzerInnen abonniert wurde (Stand: Oktober 2023). ↩︎
  14. YouTube, „Born in the U.S.A. – Bossa Nova Edition“, 13. April 2021, Zugriff am 16.10.2023. ↩︎
  15. YouTube, „Shake It Off (Taylor Swift) – Heavy Metal Edition“, 24. August 2020, Zugriff am 16.10.2023. ↩︎
  16. YouTube, „There I Ruined It“, Zugriff am 08.01.2024. ↩︎
  17. Financial Times, „Can AI make me a musical star?“, 27. Mai 2023, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  18. Recording Association of America (RIAA), 2023, RIAA Submission to Comment Request for the 2023 Review of Notorious Markets for Counterfeiting and Piracy, RIAA: Washington D.C., S. 14. ↩︎
  19. Ibid. ↩︎
  20. Ibid. ↩︎
  21. Music Business Worldwide, „AI vocal cloning app Voicify offers 3,000 deepfake models to replicate artists‘ voices. Now it faces legal action from the UK’s music industry“, 18. März 2024, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  22. Jammable, „Models“, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  23. Im Januar 2024 wurde von beiden Parteien im US-Repräsentantenhaus ein Gesetzesvorhaben unter dem sperrigen Titel „No Artificial Intelligence Fake Replicas And Unauthorized Duplications Act, aber mit dem aussagekräftigen Akronym „No AI FRAUD Act“, eingebracht, in dem ein landesweites „Right of Publicity“ verankert werden soll. Siehe Music Business Worldwide, „Music industry applauds introduction of ‘No AI FRAUD Act’ in US Congress“, 10. Januar 2024, Zugriff am 15.01.2024 und Music Business Worldwide, „Major record companies hate AI voice-cloning platforms that don’t pay. The one they hate most was created by a 20-year-old UK student“, 12. Oktober 2023, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  24. International Trademark Association, „Right to Publicity“, o.D., Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  25. United States Court of Appeals for the Ninth Circuit, Bette Midler v. Ford Motor Company, 849 F. 2d 460, 22. Juni 1988. ↩︎
  26. Universal Music Group, 2023, Notice of Inquiry „Artificial Intelligence and Copyright“ before the United States Copyright Office, Docket No. 2023-6, S. 94. ↩︎
  27. Jammable, „Pricing“, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  28. Edvinas Meskeys, Aidas Liaudanskas, Julija Kalpokiene und Paulius Jurcys, 2020, „Regulating Deep-Fakes: Legal and Ethical Considerations“, Journal of Intellectual Property Law & Practice, Vol. 15(1), S. 4–11. ↩︎
  29. Music Business Worldwide, „Universal Music Group: Yes, ripping off Drake’s voice for that AI track was illegal – and we’re certain of it“, 27. April 2023, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  30. US Copyright Act, 17 U.S.C. 107 – Limitations on exclusive rights: Fair use. ↩︎
  31. Darunter sind „Schauspieler, Sänger, Musiker, Tänzer und anderen Personen, die Werke der Literatur oder der Kunst aufführen, singen, vortragen, vorlesen, spielen oder auf irgendeine andere Weise darbieten“ zu verstehen, wie im Artikel 3 des Rom-Vertrags spezifiziert wird. ↩︎
  32. Artikel 7 des Internationalen Abkommens vom 26. Oktober 1961 über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen, BGBl. III Nr. 170/2020, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  33. Der WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger wurde 2000 in den Rechtsbestand der Europäischen Kommission übernommen. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 089 vom 11/04/2000 S. 0015 – 0023, http://data.europa.eu/eli/agree_internation/2000/278(2)/oj, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  34. Peking Vertrag über audiovisuelle Darbietungen der WIPO vom 24. Juni 2012, TRT/BEIJING/001, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  35. Eine aktualisierte Liste der WIPO-Vertragsparteien, die den Vertrag von Peking unterzeichnet und ratifiziert haben kann auf der WIPO-Website eingesehen werden: WIPO-Administered Treaties – Beijing Treaty on Audiovisual Performances, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  36. § 14 Entstellung des Werkes, Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) der Bundesrepublik Deutschland, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  37. § 67 Abs. 2 Schutz geistiger Interessen, Bundesgesetz über das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Kunst und über verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz), Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  38. Music Business Worldwide, „Universal Music Group: Yes, ripping off Drake’s voice for that AI track was illegal – and we’re certain of it“, 27. April 2023, Zugriff am 06.05.2024. ↩︎
  39. Bundesrepublik Deutschland, Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG). ↩︎