KI in der Musikindustrie – Teil 14: KI und das Urheberrecht

KI-Anwendungen stoßen, wie wir bereits in früheren Teile der Blog-Serie gesehen haben, schnell an die Grenzen des Urheberrechts. Es beginnt bereits beim Training der KI mit riesigen Musikdatenmengen, reicht über die Verarbeitung dieser Daten in den Hidden Layers der KI-Eingeweide bis hin zum KI-Output wie z.B. Stimmen-Klone. Im gesamten Prozess KI-generierter Musik können also urheberrechtliche Fragen auftauchen, denen wir nun in dieser Folge der Serie „KI in der Musikindustrie“ nachgehen wollen.

Betrachten wir noch einmal, wie Musik-KI funktioniert. Egal welche technischen Modelle gewählt werden, ob in der Musikempfehlung oder im Musikschaffen, sie benötigen riesige Mengen an Audiodaten, mit denen sie trainiert werden, was auf der Inputebene passiert. In weiterer Folge werden dann die Daten zu einem KI-Modell verarbeitet und wir haben gesehen, dass es auch für die BedienerInnen einer KI nicht mehr möglich ist nachzuvollziehen, wie das geschieht. Es handelt sich also um eine Black Box, in der komplexe Verarbeitungsprozesse der Audiodateien stattfinden. Schließlich werden Daten in Form von Kompositionen, Songtexten und Musikaufnahmen ausgegeben. Wir können den KI-Prozess daher einfachheitshalber in Input-, Verarbeitungs- und Outputphase gliedern. In all diesen Phasen kann die KI urheberrechtliche Tatbestände berühren und rechtliche Probleme aufwerfen. In der Inputphase, die wir noch einmal in die Phase der Datensammlung und in die Phase des Datentrainings unterteilen wollen, stellt sich die Frage, wie mit urheberrechtlich geschützten Musikwerken und Musikaufnahmen verfahren werden darf. In der Phase der Datenverarbeitung, in der die KI-Modelle für die Outputgenerierung erstellt werden, könnten Vervielfältigungsvorgänge erfolgen, die urheberrechtlich relevant sind. In der Outputphase tun sich verschiedene rechtliche Problemfelder auf. Zum einen stellt sich die Frage, ob Musikstücke, die von einer KI erstellt werden, selbst urheberrechtlichen Schutz genießen dürfen bzw. sollen und wem dieser Schutz zukommt: der KI selbst oder der Firma, die die KI trainiert bzw. die KI-Software verfügbar gemacht oder der AnwenderIn, die ein KI-Softwaretool benutzt hat, um das Musikstück zu erstellen. Zum anderen kann ein KI-erstelltes Werk in die Rechte Dritter eingreifen, man denke nur an Stimmen-Klone von Superstars, die sehr einfach erstellt und verbreitet werden können. Daraus ergeben sich nicht nur urheberrechtliche Fragen, sondern auch Fragen nach persönlichkeitsrechtlichem Schutz und dem Datenschutz.

Datensammlung und -vervielfältigung

Wir werden alle diese rechtlichen Fragen in weiterer Folge thematisieren und beginnen mit der Inputphase und der Problematik, dass Musikwerke und Aufnahmen zuerst gesammelt werden müssen, um dann die KI damit zu trainieren. Die Datensammlung erfordert eine Datenbank, in der die Werke bzw. Sounddateien gespeichert sind. Eine Kollision mit dem Urheberrecht ergibt sich jedenfalls dann, wenn urheberrechtlich geschützte Daten gesammelt werden, weil jedes Urheberrechtsgesetz die UrheberInnen vor unbefugten Nutzungen schützen.1 Es ist dabei aber zwischen der Datenbank und den urheberrechtlich geschützten Inhalten zu differenzieren. Die EU-Richtlinie über den rechtlichen Schutz von Datenbanken definiert Datenbanken als „eine Sammlung von Werken, Daten oder anderen unabhängigen Elementen, die systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln mit elektronischen Mitteln oder auf andere Weise zugänglich sind.“2 Dabei ist es unerheblich, ob die Datenbank aus urheberrechtlich geschützten Inhalten besteht oder nicht. Der Schutz bezieht sich auf die gesamte Datenbank bzw. auf einzelne Teile davon, wobei die Auswahl und Anordnung der Inhalte als geistige Schöpfung der/des Datenbankherstellers zu betrachten sind. Schutzgegenstand ist in erster Linie aber nicht die geistige Schöpfung, sondern der Schutz der Investition, die mit der Erstellung der Datenbank verbunden ist, wie aus Artikel 7 „Gegenstand des Schutzes“ der EU-Richtlinie hervorgeht. Die Schutzfrist ist daher mit 15 Jahren nach Herstellung der Datenbank3 wesentlich kürzer als der Urheberrechtsschutz. Datenbankhersteller haben während dieser Schutzdauer daher das Recht, die Entnahme von Daten und deren Weiterverwendung zu untersagen. Unter Datenentnahme versteht die Richtlinie die ständige oder vorübergehende Übertragung der Inhalte einer Datenbank auf andere Datenträger, d.h. das Kopieren der Daten. Die Weiterverwendung besteht in jeder Form der öffentlichen Verfügbarmachung der Datenbankinhalte.4

Das deutsche Urheberrechtsgesetz räumt dem Datenbankhersteller beispielsweise das exklusive Recht ein, die Datenbank bzw. Teile davon zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben.5 Allerdings ist die Vervielfältigung nach § 87c Abs. 8 Satz 4 zu Zwecken des Text- und Data-Mining zulässig. Darunter versteht das Gesetz „(…) die automatisierte Analyse von einzelnen oder mehreren digitalen oder digitalisierten Werken, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen zu gewinnen.“6 Das bedeutet, dass KI-Unternehmen Vervielfältigungen von Datenbankinhalten ohne Zustimmung des Datenbankhersteller zum Zweck des KI-Trainings vornehmen kann, sofern dieses unter das Data Mining fällt. Es stellt sich aber die Frage, ob sich diese Schrankenbestimmung im deutschen Urheberrechtsgesetz auch auf urheberrechtlich geschützte Inhalte, die in der Datenbank gespeichert sind, bezieht. Jedenfalls sind aber Vervielfältigungen zu löschen, wenn diese für das Data Mining nicht mehr benötigt werden.7

Derzeit erfolgt jedenfalls die Datensammlung für das KI-Training ohne Zustimmung der RechteinhaberInnen. Das könnte sich rasch ändern, sobald der „AI Act“ der Europäischen Union, über den der EU-Rat und das EU-Parlament am 9. Dezember 2023 einen Konsens erzielt haben, Gesetzkraft erwirkt und in den EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden wird. In der Entwurffassung wird im Artikel C klargestellt: „Any use of copyright protected content requires the authorization of the rightholder concerned unless relevant copyright exceptions apply.“8 Diese Ausnahmen werden im nächsten Absatz sogleich spezifiziert und beziehen sich auf die EU-Datenbank-Richtlinie (in der Fassung von 2019), wonach Text- und Data Mining unter bestimmten Bedingungen erlaubt ist. Wenn es sich beim KI-Training nicht um wissenschaftliche Forschung handelt, haben Rechteinhaber ein Recht auf Opting-out vom Text- und Data Mining, wenn sie sich das in geeigneter Weise ausdrücklich vorbehalten. In diesem Fall müssen die Anbieter von KI-Modellen die Autorisierung für das Text- und Data-Mining zum Zweck des KI-Trainings einholen.

Allerdings sehen die Rechteinhaber schon jetzt im KI-Training einen Rechtsverstoß, zumindest in den USA, wo es bis dato noch keine gesetzliche Regelung für das Training von KI-Systemen gibt. Am 18. Oktober 2023 reichte die Universal Music Publishing (UMP) gemeinsam mit der Concord Music Group und ABKCO, die vor allem die Rechte der Rolling Stones vertritt, gegen das KI-Unternehmen Anthropic bei einem Bezirksgericht in Nashville Klage wegen Urheberrechtsverletzung ein.9 Anthropic ist der Anbieter des Claude-Chatbots, einem Konkurrenzprodukt zu ChatGPT, das von ehemaligen Open AI-MitarbeiterInnen 2021 gegründet worden war. Das KI-Unternehmen erhielt Ende September 2023 von Amazon im Rahmen einer weitreichenden Zusammenarbeit eine finanzielle Unterstützung von US $4 Milliarden und der Onlinehändler kaufte sich bei Anthropic mit einem Minderheitsanteil ein.10 Zuvor hatte Anthropic schon US $300 Millionen von Google, US $500 Millionen vom Krypto-Währungsbetrüger Sam Bankman-Fried und weitere Investments von der Videokommunikationsplattform Zoom und US-Softwarefirma Salesforce erhalten.11

Wie jeder Chatbot sammelt auch Claude Texte im Internet, um damit sein KI-Sprachmodell zu trainieren. An diesem Punkt setzt die Klage von Universal Music Publishing und seinen Mitstreitern an. Sie werfen Anthropic vor, ein KI-Modell auf der Basis von riesigen Textmengen, die im Internet gesammelt wurden, erstellt zu haben. Darin beinhaltet sind „(…) lyrics to innumerable musical compositions for which Publishers [Universal Music Publishing und Mitkläger, Anm. d. Verf.] own or control the copyrights, among countless other copyrighted works harvested from the internet.“12 Die Kläger weisen darauf hin, dass Anthropic weder um die Nutzung der urheberrechtlich geschützten Werke angefragt noch eine Nutzungsbewilligung durch die Rechteinhaber erteilt bekommen hat. Insgesamt werden in der Klage 500 Musikwerke aufgelistet, für die die klagenden Parteien Urheberrechte innehaben, wie z.B. „What a Wonderful World“ von Louis Armstrong (Concord Music Group), „You Can’t Always Get What You Want“ von den Rolling Stones (ABKCO) oder „I Will Survive“ von Gloria Gaynor (UMP).13 Der Vorwurf gegen Anthropic lautet, dass bei einer Anfrage an Claude, wie die Lyrics einer dieser Songs lauten, die KI den fast identischen Text des angefragten Songs auswirft, was einem Urheberrechtsverstoß gleichkäme. Der nach dem US-Copyright Act anzunehmende Schaden läge pro Verstoß bei US $150.000 (statutory damage), was bei 500 inkriminierten Werken einem Schadenersatz von insgesamt US $75 Millionen entspräche.14 Die Klage geht aber über diese einfache Urheberrechtsverletzung hinaus und wirft dem Chatbot auch die Erstellung von Plagiaten ihrer geschützten Werke vor. Die Kläger versuchen das damit zu belegen, dass bei einer Anfrage ohne konkrete Nennung des Werks, der UrheberIn oder der InterpretIn, die KI einen urheberrechtlich geschützten Songtext auswirft, ohne die Herkunft anzugeben. So würde bei der Bitte an Claude, einen Song über den Tod von Buddy Holly zu schreiben, dieser den Hit „American Pie“ von Don McLean generieren,15 was aus Sicht der Kläger ein Plagiat darstellt und darüber hinaus die verpflichtenden Copyright Management Informationen unterdrückt oder verändert. Für jeden Verstoß dieser Art wird ein Schadenersatz von US $25.000 gefordert.16

Anthropic hat zwar noch nicht auf die Klage reagiert, aber ließ dem US Copyright Office auf Anfrage eine Stellungnahme zukommen,17 aus der hervorgeht, dass im Trainingsprozess die Daten zwar kopiert werden würden, aber einzig und allein zum Zweck der statistischen Datenanalyse. Der Vervielfältigungsprozess ist lediglich ein Zwischenschritt, um nicht geschützte Elemente aus der Datenmenge zu generieren, aus der dann die neuen Outputs gewonnen werden. Es wird also nach Ansicht von Anthropic das urheberrechtlich geschützte Werk nicht wiederverwendet, um es den NutzerInnen der KI zu übermitteln. Es werden also keine Kopien urheberrechtlich geschützter Daten angefertigt, sondern KI-Modelle erstellt, die völlig neue Eigenschaften aufweisen. Das sei durch die Fair-Use-Bestimmungen im US-Copyright Act gedeckt und entspräche, so Anthropic, auch den rechtlichen Safe Habour-Bestimmungen in Singapur, Japan, Taiwan, Malaysia, Israel und in der Europäischen Union.

Anthropic äußerte sich aber nicht zur Datensammlung, die auch einen Vervielfältigungsvorgang impliziert, weil die Daten erst einmal in eine Datenbank überführt werden müssen. An diesem Punkt könnten die RechteinhaberInnen ansetzen. Es werden aber letztlich die Gerichte entscheiden, welcher Rechtsstandpunkt sich durchsetzt, aber man kann schon jetzt vermuten, dass die Klage gegen Anthropic dazu dient, das Unternehmen und auch andere KI-Anbieter wie Open AI an den Verhandlungstisch zu zwingen, um über Lizenzvereinbarungen mit den Rechteinhabern zu verhandeln. Das war schon immer die Lösung, wenn eine neue Technologie die Musikindustrie disruptiv verändert hat, man denke nur an die Tonträger, den Rundfunk, MTV und schließlich die diversen digitalen Musikformate. Der Medienanalyst Mark Mulligan empfiehlt ebenfalls diesen Umgang der MusikrechteinhaberInnen mit KI-Angeboten: „So, the most scalable solution for music rightsholders will be to fix the problem at the top, by ensuring that generative AI tools only learn from what they have permission to learn from. (…) The alternative (trying to license and/or collect royalties on the millions, billions or trillions of songs that will be created) would be a fool’s errand.“18 Ins gleiche Horn stieß Michael Nash, Chief Digital Officer der Universal Music Group während des Earnings Calls des börsenotierten Konzerns im April 2023, indem er klarstellte: „Companies have to obtain permission and execute a license to use copyrighted content for AI training or other purposes, and we’re committed to maintaining these legal principles.“19

Es stellt sich aber die Frage der konkreten Umsetzung. Es wären sowohl die Urheberrechte am Musikwerk als auch die Leistungsschutzrechte an der Musikaufnahme davon betroffen. Dabei haben sich unterschiedliche Lizenzierungspraktiken ergeben. So werden die Masterrechte bzw. Leistungsschutzrechte an den Aufnahmen im Fall von Musikstreaming direkt zwischen den privatwirtschaftlichen Akteuren lizenziert und abgegolten. Für die Urheberrechte am Musikwerk hingegen gilt, dass nur Verwertungsgesellschaften Verwertungsrechte lizenzieren und Nutzungsentgelte einheben dürfen. Es sollte daher vorab geklärt werden, welches Lizenzierungs- und Inkasso-Modell zum Einsatz kommen soll, um nachträgliche Diskussionen über die Verteilung dieser „KI-Tantiemen“ zu vermeiden. Denn im Fall einer privatwirtschaftlichen Regelung nach dem Vorbild der Masterrechte-Nutzung durch Musikstreamingdienste würden beträchtliche Lizenzerträge an die phonografischen Unternehmen fließen, die schwerlich an die KünstlerInnen weiterverteilt werden können, weil Nutzungsinformationen kaum zu generieren sind. Das liegt daran, dass eine KI pro Sekunde tausende Einzeldaten verarbeitet. Wie wir erwähnt, nutzt das WaveNet von Google-DeepMind 16.000 Samples pro Sekunde für eine unbearbeitete Audiodatei.20 Hinzu kommt die Problematik, dass beim Deep Learning nicht mehr nachvollzogen werden kann, welche Inputinformationen überhaupt von der KI verarbeitet wurden, um zu einem bestimmten Ergebnis zu gelangen. Eine nutzungsbezogene Abrechnung ist unter solchen Umständen nicht mehr möglich. Die Lösung wäre daher, eine Pauschalvergütung für die Nutzung der Musikaufnahmen und Musikwerke auszuverhandeln, wie das bereits beim Music Modernization Act 2018 geschehen ist. Das Ergebnis sind Töpfe voll von Geld, über deren Verteilung trefflich gestritten werden kann.

Eine andere Möglichkeit bestünde darin, eine Schranken- bzw. Ausnahmeregelung für die Nutzung von KI-Trainingsdaten im Urheberrechtsgesetz festzuschreiben, wie das jetzt schon in vielen Rechtsordnungen für die private Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke gilt. Damit ist ebenfalls eine Entgeltpflicht verbunden, die am Umfang der benötigen Datenmenge für das KI-Training bemessen werden könnte. Auch in diesem Fall würde ein nicht-zuordenbarer Topf an Lizenzerträgen entstehen, der aber nach transparenten und nachvollziehbaren Regeln von den Verwertungsgesellschaften verteilt werden könnte. Damit ließen sich auch, ähnlich wie bei der Pauschalabgabe in Deutschland oder der Speichermedienvergütung in Österreich, Fonds speisen, die Förderungen für soziale und kulturelle Projekte im Musikbereich ausschütten könnten.

Die angesprochenen Modelle werden je nach Standpunkt und Interessenlage favorisiert oder abgelehnt werden und deshalb bedarf es eines breiten gesellschaftspolitischen Diskurses, wie mit etwaigen „KI-Tantiemen“ umgegangen werden soll. Am Ende sollte jedenfalls eine politische Entscheidung stehen, die in Abwägung sämtlicher Interessen, eine gute Kompromisslösung für alle Beteiligten darstellt. Es einzig und allein den Lobbying-Aktivitäten von Tech- und Unterhaltungskonzernen zu überlassen, eine Lösung für die Nutzung von KI-Trainingsdaten zu finden, wäre der absolut schlechteste Ansatz.

KI-Training

Kommen wir nun zur Trainingsphase der KI. Wir haben gesehen, dass vor allem die neuen KI-Systeme, die Reinforced Neural Networks (RNN) und Convolutional Neural Networks (CNN) beim Training nicht mehr auf die ursprüngliche Datenbank zugreifen, sondern die Daten parametrisieren, um sie in einer hoch abstrakten Form in einem KI-Modell abzubilden. Es wird also keine neue Datenbank geschaffen und es findet auch kein Vervielfältigungsvorgang mehr statt, wodurch das bestehende Urheberrecht nicht mehr greift. Es werden daher auch keine Kopien der ursprünglichen Daten für die Verarbeitungsphase erstellt, sondern die KI greift auf die von ihr selbst erstellten Parameter zurück. Dabei kann es sich um Millionen oder sogar Milliarden Parameter handelt, die in den verborgenen Schichten (hidden layers) weiterverarbeitet werden. Dennoch argumentiert die deutsche Initiative Urheberrecht (IU) in ihrem Positionspapier vom September 2023, dass Vieles dafürspräche, „dass auch das trainierte KI-Modell (auf der 2. Stufe) noch Vervielfältigungen im urheberrechtlichen Sinn enthält. Denn unzweifelhaft ist es Systemen wie ChatGPT möglich, Gedichte oder andere urheberrechtlich geschützte Texte zu reproduzieren.“21 Das Argument deckt sich mit der Klage der Universal Music Publishing und anderen Musikverlagen gegen Anthropic, in der ebenfalls auf die Fähigkeit der KI verwiesen wird, fast identische Songtexte von Hits auf Anfrage wiederzugeben. An dieser Stelle muss aber auch gesagt werden, dass die KI keine Kopie des urheberrechtlich geschützten Materials wiedergibt, sondern auf Basis von Wahrscheinlichkeiten ein bestimmtes Ergebnis berechnet. Dieses kann sich durch zusätzliche Trainingsdaten oder Lernprozesse, die innerhalb der KI ablaufen, verändern. Es ist daher nicht eindeutig, ob die trainierten KI-Modelle tatsächlich Kopien anfertigen. Wahrscheinlich braucht es diesbezüglich eine neue urheberrechtliche Kategorie bzw. eine neue Nutzungsart, um den Vorgängen in der Verarbeitungsphase der KI gerecht zu werden. Zu bedenken ist noch, dass einmal erstellte KI-Modelle natürlich auch als Trainingsinput von anderen KIs verwendet werden können. Es müssen also keine Primärdaten mehr gesammelt werden, um neue KI-Modelle zu erzeugen, womit das Argument der Datenvervielfältigung ins Leere laufen würde. Auch der Umgang mit einmal erstellten KI-Modellen ist noch nicht rechtlich geklärt. Dürfen sie überhaupt weiterverwendet werden? Müssten sie sogar gelöscht werden, wenn sie aufgrund von Urheberrechtsverstößen erstellt wurden? Oder könnten den KI-Modellen selbst wiederum Leistungsschutzrechte gewährt werden? Man sieht, dass es noch viele offene rechtliche Fragen zum Training künstlicher Intelligenz gibt.

Peter Tschmuck

Dieser Artikel erschien erstmal am 15. April 2024 auf der Seite https://musikwirtschaftsforschung.wordpress.com/2024/04/15/ki-in-der-musikindustrie-teil-14-ki-und-das-urheberrecht/

Teil 1: Was ist künstliche Intelligenz?
Teil 2: Wie funktioniert künstliche Intelligenz?
Teil 3: Der Aufstieg von Musikerkennungsdiensten
Teil 4: KI in der Musikerkennung und Musikempfehlung
Teil 5: Die Musikempfehlung im Musikstreaming
Teil 6: Fake-Streams und Streamingfarmen
Teil 7: KI in der Musikproduktion
Teil 8: Maschinen schaffen Musik
Teil 9: Die Vollendung des Unvollendeten
Teil 10: François Pachet: The Continuator, Flow Machines und „Daddy’s Car“
Teil 11: OpenAI und die GPT-Technologie
Teil 12: Googles Magenta Studios und das WaveNet
Teil 13: Text-zu-Musik-Generatoren


Peter Tschmuck ist Professor am Institut für Popularmusik (ipop) der mdw.


Endnoten

  1. Der § 15 des deutschen Urheberrechtsgesetzes räumt dem Urheber das ausschließliche Recht ein, sein Werk in körperlicher Form zu vervielfältigen (§ 16), zu verbreiten (§ 17) und auszustellen (§ 18). Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1273). ↩︎
  2. Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken geändert durch die Richtlinie (EU) 2019/790 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019. ↩︎
  3. Ibid. Artikel 10 „Schutzdauer“ ↩︎
  4. Ibid. Artikel 7, Abs. 2a-b. ↩︎
  5. § 87a-e Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1273). ↩︎
  6. Ibid. § 44b „Text und Data Mining“. ↩︎
  7. Ibid. § 44b Abs. 2. ↩︎
  8. EU AI Act, „Compromise proposal on general purpose AI models/general purpose AI systems“, 9. Dezember 2023, Zugriff am 03.04.2024. ↩︎
  9. Music Business Worldwide, „AI company Anthropic recently secured up to $4bn in investment from Amazon. Now it’s being sued for copyright infringement by Universal Music Group“, 18. Oktober 2023, Zugriff am 03.04.2024. ↩︎
  10. Anthropic Pressemitteilung, „Expanding access to safer AI with Amazon“, 25. September 2023, Zugriff am 03.04.2024. ↩︎
  11. Music Business Worldwide, „Blatant Plagiarism? 5 key takeaways from Universal’s lyrics lawsuit against AI unicorn Anthropic“, 23. Oktober 2023, Zugriff am 03.04.2024. ↩︎
  12. Concord Music Group, Inc. v. Anthropic PBC, Case 3:23-cv-01092, Complaint and Demand for Jury Trial in the United States District Court for the Middle District of Tennessee, Nashville Division, October 18, 2023. ↩︎
  13. Ibid. Appendix. ↩︎
  14. Ibid., S. 58. ↩︎
  15. Ibid., S. 29-30. ↩︎
  16. Ibid., S. 58. ↩︎
  17. The Verge, „AI companies have all kinds of arguments against paying for copyrighted content“, 4. November 2023, Zugriff am 03.04.2024. ↩︎
  18. Mark Mulligan, „AI will transform music; the question is how?“, Media Research Blog, 18. April 2023, Zugriff am 03.04.2024. ↩︎
  19. Music Business Worldwide, „Universal Music Group: Yes, ripping off Drake’s voice for that AI track was illegal – and we’re certain of it“, 27. April 2023, Zugriff am 15.04.2024. ↩︎
  20. Aaron van den Oord et al., 2016, „WaveNet: A generative model for raw audio“, arXiv:1609.03499 [Cs], S. 1. ↩︎
  21. Die Initiative Urheberrecht (IU) ist ein Zusammenschluss von 44 Berufsverbänden und Gewerkschaften, die insgesamt 140.000 UrheberInnen und KünstlerInnen vertreten. Am 19. September 2023 hat die IU, das Positionspapier „Generative KI: Urheberrechtlicher Status quo & Handlungsempfehlungen“ veröffentlicht, aus dem das Zitat (S. 2) stammt. ↩︎