Michel Walter im Interview mit Markus Deisenberger über Forderungen der Piratenpartei, Gottesurteile und die Großzügigkeit, vor der man Kreative schützen muss.
Herr Prof. Walter, Sie sind Anwalt, Universitätsprofessor und Buchautor und in all diesen Funktionen schon sehr lange im Geschäft. Im In- und Ausland gelten Sie als Doyen des österreichischen Urheberrechts. Was wenige wissen: Sie sind auch Musiker und betreiben selbst ein Label. Gesetzt den Fall, Sie hätten sich im Laufe Ihrer Karriere gegen das Urheberrecht und für die Musik als Hauptberuf entschieden: Würden Sie sich mit dem aktuellen Urhebrecht auf der sicheren Seite wähnen, mit der eigenen Kunst ein Auskommen zu finden? Würden Sie sich, wie man so schön sagt, weich gebettet fühlen?
Es ist sicherlich schwieriger geworden. Daran ist aber weniger das Urheberrecht schuld als vielmehr die geänderte Verhältnisse, welche die Anwendung der an sich immer noch funktionierenden Regeln immer schwieriger machen. Das geht auf viele Faktoren zurück: Die Entwicklung der Technik, das Internet, die zunehmende Schwierigkeit, notwendige Veränderungen politisch auch durchzusetzen. Und auch eine langsame, ich will nicht sagen Änderung der Grundauffassung, aber eine Gewöhnung der Konsumenten daran, dass vieles, was funktionierten sollte, in der Praxis einfach nicht mehr funktioniert.
Was genau meinen Sie damit?
Dass Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten, die an sich vorgesehen sind, aus verschiedensten Gründen ins Leere laufen.
Sie meinen die Durchsetzung von verletzten Urheberrechten?
Genau. Und wenn das länger so geht, dann greift, wie es so schön heißt, die normative Kraft des Faktischen. Es spielt sich ein. De facto zahlt man seit längerer Zeit nichts mehr für illegitime Downloads. Dadurch entsteht ein vermeintliches Bewusstsein, dass es rechtens sei und diejenigen, die es unterbinden wollen bzw. das System, das einmal funktioniert hat, wieder zum Funktionieren bringen wollen, böse sind. Das macht es – einmal ganz abgesehen von den vielen Trittbrettfahrern, die es gibt – unheimlich schwierig, solche Verletzungen rechtlich durchzusetzen. „Piraten“ ist da ja nur das Stichwort einer beginnenden gesamtgesellschaftlichen Bewegung.
Ein Stichwort, das ich später gern aufgreifen möchte. Wie sieht die gesamtgesellschaftlichen Situation in punkto geistiges Eigentum Ihrer Einschätzung nach aus?
Es funktioniert vieles nicht. Man könnte es reparieren, tut es aber nicht, weil viele unter dem Motto „Das Internet ist die junge Kultur und der Fortschritt“ aufspringen. Das geht bis in erlauchte akademische Kreise: Es gibt große Rechtsprofessoren, die sich die bedingungslose Informationsfreiheit auf ihre Fahnen schreiben. Die Informationsfreiheit an sich wäre ja nichts Schlechte. Da darf man das Kind nicht mit dem Badewasser ausschütten, denn natürlich gibt es ein vitales und berechtigtes Interesse daran, dass Informationen ausgetauscht werden. Aber es muss eben ausgewogen passieren, und es müssen Bedingungen geschaffen werden, die berechtigte Interessen der einen wie der anderen Seite berücksichtigen.
Wenn Sie sagen, dass das Recht an sich völlig ausreichend wäre, legt das nahe, dass die Diskussion, die in den Medien immer als „Urheberrechtsdebatte“ proklamiert wird, in Wahrheit gar keine Debatte über Urheberrechte ist, sondern über politische Befindlichkeiten ist.
Genau so ist es. Es geht weniger darum, dass das Urheberrecht als solches versagt, sondern darum, dass es unter bestimmten, geänderten Verhältnissen einer Adaptierung bedürfte, die aber nicht passiert.
Zum Beispiel?
Die Rechtsdurchsetzung bei der Internetnutzung. Da sind die verschiedensten Interessen im Spiel – teils berechtigt, teils weniger berechtigt. Das Urheberrecht an sich aber würde funktionieren. Man kommt nur einzig und allein nicht an die Informationen, um die Rechtsverletzungen zu verfolgen. Und es wird zu einem Massenphänomen. Man kann und will ja auch als Rechtehalter nicht gegen jeden einzelnen Nutzer vorgehen.
Warum nicht? Weil einem medial suggeriert wird, Informationsfreiheit sei das „coole Ding“, dass aber derjenige, der auf sein Recht pocht, einer überkommenen Spezies angehöre?
Unter anderem, ja.
In diesem Zusammenhang hört man immer wieder vom unglaublichen Potenzial, welches das Internet in sich berge. Das Internet sei die „große neue Chance“ der Musiker, heißt es. Aber wo sind die innovativen Geschäftsmodelle, von denen seit mehr als zehn Jahren die Rede ist?
In der Geschichte des Urheberrechts kam es immer wieder vor, dass sich Situationen änderten und man das Recht dann anpassen musste Aber dass die Musikindustrie die Entwicklung schlichtweg verschlafen und die jetzige Situation somit selbst verschuldet habe, ist leicht dahin gesagt. Die noch so gut und nutzerfreundlich eingerichtete zahlungspflichtige Download-Plattform ist immer noch teurer als der Gratis-Download. Warum sollte ich 99 Cent für etwas bezahlen, das ich auch umsonst haben kann? Da hilft mir kein Business-Modell.
Am Argument, dass der Musiker neue Chancen hat, weil er sich im Internet auch selbst vermarkten kann, ist natürlich ein Körnchen Wahrheit dran. Wobei „Musiker“ ist ein weiter Begriff ist, weil es die Ausübenden und die Komponisten gibt, und E- und U-Musik, was ganz unterschiedliche Positionen und Interessen mit sich bringt.
Aber die Aufnahme-Facilities sind heute um ein Vielfaches günstiger als früher, sodass eigentlich fast jeder zu Hause produzieren kann. Man braucht nicht unbedingt ein Major-Label, damit überhaupt einmal eine Aufnahme entsteht. Dadurch habe ich natürlich die Möglichkeiten, Märkte zu erreichen, die früher nicht erreichbar waren. Man kann durch das Internet und andere Errungenschaften also durchaus eine gewisse Bekanntschaft erlangen. Meiner Beobachtung nach trifft das allerdings nur auf Einzelfälle zu. Eben hat einer meiner Studenten eine Dissertation eingereicht, die genau diese Frage behandelt: Er hat mit vielen Musikern gesprochen, bei denen diese Modelle angeblich funktioniert haben. Also all jenen, die versucht haben, sich über Gratis-Downloads einen Namen zu machen und dann im Gefolge dessen das große Geschäft zu machen.
Und zu welchem Ergebnis kam seine Studie?
Es funktioniert nur punktuell. Meist sind es Leute, die schon Erfolg hatten und aufbauend darauf ein Werbegeschenk machten, um Konzerte zu bewerben. Mag sein. Das hat es ja immer schon gegeben. Dass es aber eine wirkliche Alternative wäre, sein Auslangen zu finden, ist weitgehend Illusion geblieben.
Wäre uns mit einer Verschärfung des Urheberrechts gedient?
Ich würde es nicht unbedingt „Verschärfung“ nennen. Es muss am Recht ja nicht viel geändert werden. Es gibt da und dort einfache Dinge, die nicht funktionieren. Und da kommen wir unweigerlich in die Politik, weil sich die Politik nicht traut, etwas zu unternehmen – und zwar sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene.
Die Fakten sind folgende: Tauschbörsen sind an sich rechtswidrig. Es schert sich nur niemand darum. In Österreich scheitert die Verfolgung daran, dass der Service Provider nicht die zur ausgeforschten IP-Adresse zugehörigen Daten herausgeben muss. Damit endet die Verfolgung, denn natürlich muss ich wissen, wer dahinter steht und wie ich ihn finde, um eine Rechtsverletzung verfolgen zu können.
Eine Debatte, die allerdings ernsthaft geführt werden müsste, ist die, ob man sich nicht überhaupt andere Lösungen überlegen muss. Aber so weit sind wir noch lange nicht. Es gibt Verschiebungen, und da stellte sich auch schon in der Vergangenheit ab und an die Frage, ob man nicht urheberrechtlich woanders anknüpfen sollte. Und das hat man in der Vergangenheit ja auch getan, allerdings immer zwanzig Jahre zu spät. Aber immerhin: Man hat es getan.
Ein Beispiel ist die Leerkassettenrückvergütung, deren Einführung immerhin auch schon mehr als dreißig Jahre zurück liegt. Schon in den 80ern hat man entschieden, dass man bei bestimmten Nutzungen liberaler sein will, dafür aber gleichzeitig einen finanziellen Ausgleich schaffen will. Und jetzt kommt diese Regelung wieder in die Krise, weil es nicht gelingt, das Trägermaterial rechtzeitig und umfassend einzubeziehen, aber das ist wieder ein anderes Thema.
Auf das wir noch zu sprechen kommen. Würden Sie die Flatrate als Lösung begrüßen?
Das wäre eine mögliche Lösung, nur ist sie schwierig umzusetzen und man müsste sie zuallererst einmal ernsthaft diskutieren.
Ist die Flatrate nicht aber auch ein Offenbarungseid, wonach das bisherige System einfach nicht mehr greift?
Sicherlich. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ich verfeinere das Urheberrecht an den Enden. Das sind nur kleine Schräubchen, an denen man drehen müsste, damit es wieder funktioniert. So könnte man dem Donwload-Unwesen oder der Donwload-Freiheit, je nachdem von welcher Seite man es betrachtet, ein Ende setzen…
Aber genau da wäre ich doch dort angelangt, wo es darum geht, Kinder zu kriminalisieren.
Das ist das, was ich mit der „normativen Kraft des Faktischen“ meinte. Dass es mittlerweile Gang und Gäbe ist und diesbezüglich kein Unrechtsbewusstsein existiert. Das ist ein gesellschaftliches Problem, kein rechtliches. Jeder, der am Sonntag eine Kronenzeitung nimmt, ohne dafür zu bezahlen, gilt als Dieb, ob Kind oder Pensionist. Und das ist jedermann klar, auch wenn man es vielleicht trotzdem tut. Kein Mensch würde da auf die Idee kommen, dass die Zeitung ein freies Gut wäre. Natürlich kann man die Problematik pseudowissenschaftlich erhöhen, indem man meint, geistige Güter seien etwas anderes und grundsätzlich da, um etwas mitzuteilen. Mag schon sein, aber nicht gratis und nicht ohne Zustimmung des Schöpfers.
In der Kronenzeitung befinden sich ja auch geistige Erzeugnisse, oder nicht?
(lacht) So ist es, je nachdem, wie man das einschätzt.
Gehen wir zur Pauschalvergütung, die Sie bereits angesprochen haben: Da gab es die von der Austro Mechana ins Leben gerufene Initiative „Kunst hat Recht“, die für eine Ausweitung der Trägermedien eintritt, und ihre Gegenbewegung, welche die Ansicht vertrat, das brächte ja gar nichts, weil es an der ohnedies schon verteilungsungerechten Situation, wonach nur wenige viel vom Tantiemenkuchen bekämen, nichts ändern würde. Wie stehen Sie dazu?
Bei Verwertungsgesellschaften kann man – wie immer im Leben – alles besser machen. Nur die in diesem Zusammenhang getätigten Ausfälligkeiten gegen das, was Verwertungsgesellschaften tun, sind maßlos übertrieben. VerwGes sind ja tatsächlich die einzigen verbliebenen Einrichtungen, die für Musiker – d.h. Komponisten und ausübende Musiker – etwas tun können. Dass das große Betriebe sind, bei denen gelegentlich auch einmal Fehler passieren können wie bei jedem anderen großen Betrieb auch, steht außer Zweifel. Dass man auch immer darüber streiten kann, was eine gerechte Verteilung ist und was vielleicht eine gerechtere wäre, ebenso. Nur die Unterstellung, das Geld bekämen schlichtweg die Falschen, ist schlicht und ergreifend unrichtig. Richtig ist vielmehr, dass man sich bemüht, es aber alles andere als einfach ist.
Und umso mehr man pauschal anknüpft, umso schwieriger wird es. Ich weiß ja nicht, wann welcher Song von wem wie lange gespielt wurde. Das lässt sich ja nicht mehr feststellen.
Aufgrund der technischen Errungenschaften geht es aber doch immer mehr in Richtung pauschale Modelle.
Ja, wobei es in punkto Leerkassettenvergütung die richtige Entscheidung war. Heute bin ich mir in punkto Flatrate nicht so sicher. Da fehlt die ernsthafte Diskussion, die auch mit bedenkt, dass das ja ganz ordentliche Flatrates sein müssten, denn mit 5 Euro im Monat sind die Ausfälle kaum wettzumachen. Das braucht man nur anhand der Anzahl an Festplattenhaushalten hochzurechnen. Daraus ergibt sich die selbe Problematik – nur zur Potenz – wie das alles zu verteilen ist. Und wer produziert überhaupt noch, wenn er nicht weiß, ob und wenn ja wie viel er von wem dafür bekommt? Ich halte die Flatrate für eine schwierige Angelegenheit, weil sie, um zu funktionieren, einiges finanzielles Gewicht haben müsste. Das aber wird politisch nicht durchsetzbar sein, womit sie kein Entgelt wäre, sondern ein Almosen.
Und andererseits müsste, führt man sie ein, im Internet dann tatsächlich alles frei sein. Da aber stellt sich doch die Frage, wie das geht, weil der ganze Kulturbetrieb umgestellt erden müsste. Sich damit auseinander zu setzen, halte ich für sinnvoll, aber man muss sich dessen bewusst sein, dass man dadurch alle Schleusen öffnet. Eine echte Flatrate hieße nämlich, dass alles erlaubt ist. Außer man gibt einiges frei und anderes nicht, was ich für noch schwieriger halte, denn die Grundidee der Flatrate ist es ja eben, die Debatte, was erlaubt ist und was nicht, nachher nicht mehr führen zu müssen. Das brächte eine enorme Veränderung mit sich. Und wer würde das umsetzen? Der Staat? Die VerwGes, auf die man mit dem Finger zeigt? Wer soll das verwalten? Und wer stellt sich noch hin und produziert außer den paar Idealisten, die es ohnedies immer machen und nicht von der Kunst leben? Jemand, der von der Kulturindustrie lebt, wird sich doch kaum auf irgendwelche Förderungen oder Teilzuweisungen verlassen wollen. Genau darauf aber würde es hinauslaufen. Und die nächste Frage wäre: Wie will man das international durchsetzen?
In anderen Kultursparten ist es aber doch schon so, dass ich ein kulturelles Erzeugnis nie ganz über Tantiemen finanzieren kann. Ein Beispiel wäre der Film. D.h. ich wäre dann in der Musik „doch nur“ dort angelangt, wo ich in anderen Bereichen längst bin.
Das ist schon richtig. En Theaterbetrieb etwa wäre ohne Förderungen kaum vorstellbar. Gegenargument Nr. 1 ist aber, dass das halt in Europa so ist. In anderen Ländern wie den USA nicht. Diese Förderungsfacette gibt es in anderen Ländern überhaupt nicht. Und es gibt auch bei uns parallel dazu immer noch den Kommerz und den regulären Kartenverkauf, der vielleicht nicht das ganze Budget, aber einen mehr oder weniger größeren Teil deckt. Alle werden auch nicht durch die elektronische Entwicklung berührt. Alle Kunstsparten sind nicht berührt.
Im Wesentlichen ist es die Musik, aber schon auch der Film. Wenn einmal eine DVD im Netz ist, wer kauft sie noch? Alles ist denkbar, und wenn man es vernünftig durchdenkt, gibt es vielleicht auch eine Lösung. Nichts gegen Änderungen, aber man sollte im Vorfeld nachdenken, ob diese Änderungen die Welt besser machen oder nicht. Schlagworte reichen nicht.
„Schlagworte“ ist ein gutes Stichwort. Gehen wir zu den Forderungen der Piratenparteien. Neulich war im Spiegel zu lesen, dass die deutsche Piratenpartei die Spielregeln zwischen Urheber und Verwerter verändern will, indem sie eine Beschränkung der exklusiven Nutzungsrechte auf 25 Jahre fordert. Halten Sie das für realistisch und würde es die Stellung de Urheber stärken?
Das fordern Urhebervertreter seit über zwanzig Jahren, es ist also überhaupt nichts Neues. Politisch war es halt nie durchzusetzen – in Österreich nicht und woanders auch nicht. Aber es gibt Beispiele, wo etwas derartiges funktioniert: Selbst die USA etwa, die ja nicht gerade als urheberfreundlich verschrien sind, kennen eine „detemination of contracts“ nach vierzig Jahren. Und im italienischen Verlagsrecht sind die Rechtsübertragungen seit jeher auf zwanzig Jahre beschränkt, dann muss man den Verlagsvertrag neu verhandeln. Die Idee – wo immer man dann die Grenze zieht – ist sicherlich vernünftig, weil sich mit der Zeit die Kräfteverhältnisse einfach ändern und man dem Urheber eine neue Chance geben sollte. Das ist also eine Forderung, die man durchaus unterschreiben könnte – freilich rein aus der Sicht der Kreativen beurteilt. Wer sich dagegen sperrt, sind natürlich die großen Nutzer: Verleger, Musikindustrie. Die schätzen das weniger.
Warum tun wir uns aus urhebervertragsrechtlicher Sicht so schwer, uns zu Standards durchzuringen?
Auch aus politischen Gründen. Die Kreativen verfügen wirklich über eine potente parteipolitische Vertretung, haben aber eindeutige Gegner: Die Bundeswirtschaftskammer, Verlegervereinigungen und die Musikindustrie, die dafür sorgen, dass in diesem Bereich nichts weiter geht. Aber auch die Weiterentwicklung des Urheberechtes an sich ist ein politisches Dilemma. Da haben wir einmal die Nutzer, die in der Wirtschaftskammer ziemlich potent vereinigt sind. Die Konsumenten, die ein bisschen mehr zahlen müssten, damit es den Kreativen besser geht, sind institutionell in der Arbeiterkammer gut vertreten. Und die Urheber haben keine wirkliche Lobby. Außer in Wahlzeiten vielleicht. Dann sind sie plötzlich kurzzeitig umworben.
Würden Sie die Initiative „Kunst hat Recht“ so deuten, dass sich die VerwGes langsam als so etwas wie eine Lobby der Kulturschaffenden etablieren wollen?
Das glaub ich schon, dass sie das gerne möchten. Das ist ja auch nichts wirklich Neues, sondern nur eine neue Initiative, ein neuer Anlauf. Bei den Beratungen zu Gesetzesänderungen sind es ja auch in erster Linie die VerGes, die versuchen, die Interessen der Kreativen zu vertreten, wobei es bei manchen VerwGes nicht so leicht ist, da sie in den eigenen Reihen unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Interessen haben wie beispielsweise die AKM, die Komponisten und Verleger vertritt, und die LSG. Insofern tun sich manche VerwGes leichter, manche schwerer. Wenn man davon aber absieht, sind VerwGes schon noch jene Vereinigungen, die das meiste Gewicht haben, wenn es um die Wahrung von Künstlerintereressen geht.
Die zweite Forderung der Piratenpartei ist die Etablierung direkter Bezahlsysteme. Wie stehen Sie dazu?
Ich glaube, das ist ein Gedanke, dem man nachgehen kann. Eigentlich ist es ja auch das, von dem man erhoffte, dass es sich im Internet entwickeln würde. Bislang wurden diese Hoffungen allerdings enttäuscht, woran auch die Forderung der Piratenpartei nichts ändern wird. Es zu fordern ist schön und legitim. Die Möglichkeiten zu schaffen, dass es realisiert wird, aber ist etwas gänzlich anderes. Man muss es machen!
Und in der freien Wirtschaft regelt sich das nun einmal von selber. Das heißt, die Plattform muss es erst einmal geben. Dann muss sie so attraktiv sein, dass Leute auch tatsächlich hingehen und dort runterladen.
Aber: Wenn man das mit dem Ziel, dass es funktioniert, fördern würde, wäre das eine Möglichkeit. Eine Möglichkeit aber, die per se nicht alle Probleme löst. Denn angenommen jemand, der einmal direkt bezahlt hat, stellt die erworbenen Files ins Internet. Was dann? Dann sind wir genau dort, wo wir mit einem über Labels abgerechneten Download auch sind.
Grundsätzlich gilt: Man kann das Urheberrecht nicht einerseits abschaffen wollen, andererseits aber Bezahlsysteme einführen. Wie soll das funktionieren?
Was man in letzter Zeit – unter anderem auch von der Gegeninitiative zu „Kunst hat Recht“ – auch immer wieder hörte, war die Forderung nach mehr Flexibilität. Man sehne sich, hieß es, danach, vergleichbar dem Creative Commons-System, einen gewissen Titel ganz, einen anderen teilweise freizugeben und wieder einen anderen voll vergütet zu erhalten. Denken Sie, dass solch ein je nach konkretem Werk abgestuftes System administrierbar wäre?
Eine administrative Belastung ist es sicherlich, die Geld kostet – Geld, das wiederum der Kunst gleichzeitig entzogen wird. Der Vorwurf, es gehe zu viel Geld für die Verwaltung drauf, ist ja auch ein wiederkehrender. Denkbar aber ist es im digitalen Zeitalter natürlich auch. Man bräuchte ja nur die entsprechende Software dafür. Ob den Kreativen damit aber viel geholfen wäre, dass sie etwas verschenken können, wenn ihnen danach ist, wage ich – die Willensfreiheit in Ehren – zu bezweifeln. Wie gesagt: Die entsprechenden Studien gehen nicht davon aus, dass der Ruhm und die sich daraus ergebende Umwegrentabilität gewaltig wären, wenn Musik verschenkt wir. Denkbar wäre es, auch wenn ich es bezweifle, natürlich trotzdem.
Eines aber wird dabei meines Erachtens noch übersehen: VerwGes nämlich haben auch die Funktion, den Urheber vor seiner eigenen Großzügigkeit zu schützen. Die Vorabtretung von Rechten soll ja gerade nicht möglich sein, damit sie kein Veranstalter, kein Sendeunternehmer dem Kreativen mit einem ach so tollen Angebot entlocken kann. Auch hier gilt: Wenn man da die Schleusen öffnet, wird derjenige, der von seinen künstlerischen Erzeugnissen auf dem Markt leben möchte, immer mehr erpresst werden, immer mehr gezwungen werden, Rechte günstig durch „Buy Outs“ abzutreten, während er jetzt in solchen Fällen darauf verweisen kann, dass er sie ja gar nicht mehr hat. Das ist eine Qualität. Die Forderung klingt also erst mal schön, weil sie dem Urheber Freiheiten einräumt, in der Konsequenz aber ist sie mit großer Vorsicht zu genießen.
Wo, denken Sie, werden in den nächsten Jahren die großen urheberrechtlichen Neuerungen herkommen? Aus Europa? Oder werden wir uns die Dinge selber regeln müssen?
Innerstaatlich sollte man das eine oder andere klarstellen oder auch vorantreiben, wobei es Kleinigkeiten sind, der berühmte „Federstrich des Gesetzgebers“, durch den er klarstellt, dass eben auch Festplatten abgabepflichtig sind, wobei es nach meiner Überzeugung ohnedies schon jetzt im Gesetz steht. Bedauerlicherweise aber ist der OGH dieser Auffassung nicht gefolgt. Um solcherlei Dinge klarzustellen, muss man nicht auf Brüssel warten, zumal die europarechtlichen Vorgaben zwar vorhanden, aber ganz bewusst grundsätzlich gehalten sind, damit den stattlichen Gesetzgebern Spielraum bleibt.
Das zweite wäre der Auskunftsanspruch der Provider: Hier wäre klarzustellen, dass in diesem konkreten Fall der Datenschutz nicht überwiegt. Auch eine Kleinigkeit. Dafür brauche ich nicht das Urheberrecht in seiner Gesamtheit zu überdenken. Das eine oder andere wird man aber auch auf europäischer und sogar internationaler Ebene angehen müssen.
Woran denken Sie da?
Dass man im internationalen Konventionsrecht das eine oder andere überdenkt, was in der Vergangenheit ja auch immer wieder passiert ist.
Denken Sie da etwa an Pflichtlizenzen?
Zum Beispiel. Auf internationaler Ebene geht es eher in die Nutzerrichtung. Da könnte man Harmonisierungsmaßnahmen treffen. Gerade im Internetzusammenhang gibt es da Problemfelder, wo man sich eigentlich international zusammensetzen sollte, weil auch der europäische Horizont nicht ausreicht.
Und die fehlerhafte Rechtsdurchsetzung, wie sie im Internetbereich besteht, hat ihren Kern letzten Endes in nicht ausreichend klaren europäischen Bestimmungen. Da muss man sich in der Abwägung zwischen Urheberinteressen und Datenschutz bekennen. Wenn ich dem Datenschutz weiterhin den Vorrang einräume, wird es mit der Rechtsverfolgung im Internet nie funktionieren.
Ist diese Abwägung zugunsten des Datenschutzes rechtspolitisch nicht doch auch deshalb erstaunlich, weil dem Datenschutz in vielen anderen Bereichen gerade nicht groß geschrieben wird. Man denke nur an die Vorratdatenspeicherung. Da ist die Schutzbedürftigkeit des einzelnen plötzlich so gut wie gar nicht mehr vorhanden.
Die Gewichtung ist stark unterschiedlich, da haben Sie Recht. In einer dritten, vierten oder fünften Dimension sollte man auch in Ruhe darüber nachdenken, ob die traditionellen Haftungsvorschriften noch passen. Niemand würde daran zweifeln, dass jemand, der einen Raubdruck druckt, diesen vervielfältigt. Das ändert freilich nichts daran, das ich als Rechteinhaber den Verleger klagen werde. Aber ich kann eben auch zum Drucker gehen und ihn dazu auffordern, seine Druckmaschinen anzuhalten, die Vervielfältigung zu unterlassen. Auf europäischer Ebene hat man zehn Jahre lang darüber nachgedacht, wie man die Haftung einschränken kann. Aber keiner hat darüber nachgedacht, ob ich dann überhaupt noch jemanden finde der haftet. Da stößt man dann in Fällen wie youtube an seine Grenzen, wenn es darum geht, jemanden für eine Rechteverletzung haftbar zu machen. Aber auch das hat nichts mit dem Urheberrecht an sich zu tun.
Denken Sie, dass die Entscheidung, die die GEMA gegen youtube erwirkt hat, Präzedenzwirkung haben wird?
Davon gehe ich schon aus. Zuerst aber wird sie, da es sich um ein Urteil des Landgerichtes Hamburg handelt, in die Instanzen gehen. Es wird also a) dauern, b) kann schon das Oberlandesgericht anders entscheiden. Vielleicht legt die Instand aber den Fall auch c) dem EUGH vor. Und da wäre dann viel Gottesurteil im Spiel…
Dass, was das Landgericht Hamburg sagte, war immer auch Ihre Meinung…
Ja, dass nicht der einzelne im Internet zur Verfügung stellt, sondern die Plattform. Und in de Moment, wo sie selbst zur Verfügung stellt, haftet sie natürlich auch. In der fünften Dimension wird man dann in fünfzig Jahren, vielleicht aber auch früher überlegen müssen, ob man nicht das System der Verwertungsrechte (Verviefältigung, Sendung etc) an die heutigen Zeiten anpasst, es transparenter und klarer macht. Schon jetzt haben wir doch Probleme, weil wir alle nicht genau wissen, was „Zurverfügungstellen“ eigentlich genau bedeutet. Dadurch könnten wir ein einfacheres Regelungssystem schaffen, ohne die Grundfesten einzureißen.
An die Substanz des Urheberrechtes würde das freilich dennoch gehen.
Gestatten Sie mir zum Abschluss noch eine Frage: Würden Sie sich selbst als Konservativen, also jemanden bezeichnen, der das Urheberrecht, so wie es ist, bewahren will?
Ja und nein. Ich denke, dass man schon das bestehende Urheberrecht zeitgemäßer auslegen könnte, mehr dem Sinn entsprechend und weniger am Wortlaut klebend. Da mache ich den Gerichten einen Vorwurf, dass sie das eben oft nicht tun. Da sollte man progressiver sein. Ich finde auch nicht, dass man das Urheberrecht an sich konservatorisch behandeln sollte und würde mich deshalb auch nicht als konservativ bezeichnen. Aber bevor ich kein erwiesenermaßen besseres System zur Verfügung habe, muss ich mit dem bestehenden auskommen. Insofern bin ich vielleicht konservativ, weil ich denke, dass wir über ein gewachsenes und im Großen und ganzen funktionierendes System verfügen.
Vielen Dank für das Gespräch