Keine Angst vor dem Klang – Neues von Joanna Wozny beim e_may Festival in Wien

„Qualität und Vielfalt der heimischen Komponistinnenszene gebündelt sichtbar zu machen“ ist das erklärte Ziel von e_may. Das kleine Festival wurde 2007 von Gina Mattiello und Pia Palme gegründet und begibt sich nach den Erfolgen der letzten Jahre am letzten Mai-Wochenende mit seiner vierten Ausgabe erneut ins Wiener KosmosTheater. Im Programm mit zwei Werken vertreten: die aus Polen gebürtige Grazerin Joanna Wozny.

Scharfe, grelle, flirrende, düstere, verstörende Klänge – Joanna Woznys Musik ruft schon mit den allerersten Takten eine Vielfalt assoziativer Attribute hervor. Subjektive, gewiss, wie im konkreten Fall bezogen auf „Loses“. Das 2006 bei den Klangspuren Schwaz vom RSO Wien unter der Leitung von Martyn Brabbins uraufgeführte Werk zeigt eindrucksvoll, wie virtuos die Komponistin die herangezogenen Instrumente zu handhaben versteht. Auch ihr zweites großes Orchesterwerk „Archipel“ – im Vorjahr in München von Ulf Schirmer mit dem Münchner Rundfunkorchester aus der Taufe gehoben – lässt keinerlei Berührungsängste gegenüber dem großen Apparat erkennen, sondern deutet vielmehr auf eine ausgeprägte Lust mit einer möglichst großen Vielfalt an klanglichen Möglichkeiten zu spielen. Nein, Furcht vor dem Klang hat Joanna Wozny keinesfalls. Auch wenn sie Wien noch vielerorts ein Geheimtipp ist: Die Beschäftigung mit ihrer Musik schafft unmittelbar Neugier, den Wunsch „mehr“ über ihre Musik zu erfahren, aber natürlich auch über ihren Lebensweg, der sie von ihrer ursprünglichen Heimat nach Österreich führte.

1973 im polnischen Zabrze geboren, begann Joanna Wozny 1992 in Katowice ein Philosophiestudium, das sie mit einer Diplomarbeit zu Ludwig Wittgenstein abschloss. Da ihr trotz bestandener Aufnahmeprüfung im Fach Musiktheorie in Krakau die Aufnahme ebenso verwehrt blieb, wie kurz darauf in Katowice, versuchte sie in Graz angenommen zu werden. Aufgrund sprachlicher Missverständnisse schien es jedoch zunächst, als ob auch hier alles schief gehen sollte. Die Ermutigung durch Beat Furrer förderte in ihr den Antrieb sich ernsthaft auf ein reguläres Kompositions- und Musiktheoriestudium vorzubereiten, welches sie schließlich 1996–2003 bei Furrer und Gerd Kühr an der Grazer Hochschule/Kunstuniversität absolvierte und mit Auszeichnung beendete. Während ihres letzten Studienjahres erhielt sie zudem wertvolle weitere Betreuung durch Younghi Pagh-Paan.

War die Entscheidung nach Graz zu gehen ursprünglich eine eher willkürliche – Wozny: „Ich habe von der damaligen ‚Hochschule für Musik’ in Graz gehört und wollte hier mein ‚Glück’ probieren.“ –, so war es schließlich für sie nahe liegend, in der Steiermark zu bleiben: „Es war keine bewusste Entscheidung, mich in Graz niederzulassen. es war vielmehr so, dass ich einfach nach dem Studium in Graz geblieben bin. Es haben sich hier mehr Möglichkeiten als in Polen bezüglich Aufführungen und gegebenenfalls Aufträgen geboten.“

Obwohl die „Mur-Metropole“ seit Jahrzehnten eines der exponierten Zentren neuer Musik in Österreich ist, will Wozny diesen Aspekt nicht überbewerten. Vielmehr sieht sie gerade in ihrem Bereich, „der ja im Grunde etwas Elitäres ist“ (Wozny), die Ortsgebundenheit aufgehoben und findet dies auch durchaus gut so. Die regionale wie internationale Verbreitung ihrer Musik sieht sie vor allem durch den Einsatz von Interpreten gegeben, die ihre Stück entsprechend transportieren; dies unabhängig vom Wohnort der Komponistin.

Der (vorerst) bleibende Weggang von Polen mag dennoch überraschen – und ist doch alles andere als ein Einzelfall. Es wäre vermutlich eine interessante soziologische Studie, zu untersuchen warum während der letzten Jahrzehnte bis heute überdurchschnittlich viele polnische Komponistinnen und Komponisten in Österreich ihre zweite Heimat fanden, analog auch Ungarn, bei weitem nicht in diesem Ausmaß aber beispielsweise Tschechen, Slowaken, Litauer, Letten oder Esten. In Bezug auf Polen überrascht dies bei oberflächlicher Betrachtung auch insofern, als das Land noch zu Zeiten des „Eisernen Vorhangs“ als eines der Vorzeigeländer der Avantgarde galt, neusten Strömungen und Experimenten Platz einräumte, mit dem alljährlichen „Warschauer Herbst“ eines der wichtigsten und aus aller Welt interessiert wahrgenommenen Festivals neuer Musik (aus Sicht der kommunistischen Kulturpolitik) „zuließ“ und förderte und mit Persönlichkeiten wie Witold Lutosławski und Krzysztof Penderecki Vorreiter der internationalen Komponistenszene aufbot. Würde man also vermuten wollen, dass junge polnische Komponisten in Polen selbst ein „El Dorado“ vorfänden, so sind die Realitäten nicht zuletzt seit dem Zusammenbruch des früheren Systems ebenso durch ökonomische Zwänge relativiert, wie es heute in vielen Ländern in Ost und West der Fall ist. Ausbauenswert wäre der bilaterale Austausch allemal. Dass wir heute hierzulande wenig von den aktuellen Strömungen in Polen wissen, ist enttäuschend, mag aber auch einer gewissen latenten Ignoranz des (nicht nur) Österreichers gegenüber dem jenseits der Grenzen Befindlichen zuzuschreiben sein. Komponistinnen wie Joanna Wozny sollte in dieser Situation eine wichtige Mittlerfunktion zukommen, wenngleich sie bedauert, selbst bislang keine engeren Kontakte zum polnischen Musikleben aufweisen zu können.

Umso mehr wird Wozny mittlerweile zunehmend in Österreich wahrgenommen: Eine stetig wachsende Zahl an Landes- und Staatsstipendien, Preisen und Auszeichnungen bestätigt die Anerkennung, die ihre Arbeit innerhalb der heimischen Musik findet. 2010 erhielt sie sowohl den Publicity-Preis der austro mechana als auch den begehrten Kompositionspreis der Erste Bank. Für die Komponistin besonders erfreulich: Letzterer besteht nicht nur in der Erteilung eines Kompositionsauftrages, sondern auch der Zusicherung der mehrmaligen Aufführung des Werkes und einer CD-Produktion und stellt somit eine der sinnvollsten, weil nachhaltigsten Arten der Kunstförderung dar.

Nicht Ausbleiben soll an dieser Stella das Thema „Komponistin“ an sich. Gerade das Festival e_may fokussiert ja speziell die Arbeit von Frauen. Joanna Wozny sieht dieses Thema fernab von Quotenregelungsdiskussionen unverkrampft. Die Gleichberechtigung im Musikbereich steht für sie außer Frage – „Von daher möchte ich die Möglichkeiten der Komponistinnen im 21. Jahrhundert nicht anders sehen, als die der Komponisten!“

Vor der Frage ob eine Reihe wie e-may eher eine Gefahr einer Gettosierung von Komponistinnen beinhaltet oder ein geglücktes Forum für komponierende Frauen ist, findet Wozny eine bei ihr nicht verwundernde Mitte: „Ich denke es ist beides – sowohl eine gewisse Abgrenzung, als auch die Möglichkeit auf das Schaffen der Komponistinnen hinzuweisen. Ich wünschte mir, dies wäre nicht eigens notwendig.“

Neben dem Streichtrio „Surfacing“ (2008) wird das Ensemble PHACE | CONTEMPORARY MUSIC beim Freitag-Konzert des Festivals (28. Mai 2010, 19 Uhr) auch ein neues Werk von Wozny vorstellen. Dazu die Komponistin: „‚Prolepsis’ für Posaune, Schlagzeug und Kontrabass liegt eine Transformation von lautem, klangvollem Geschehen über eher leisen, geräuschvollen Klängen hin zu durch Pausen durchsetzten, eher stillen ‚Momenten’ zugrunde. Als Gegengewicht zu diesem Prozess werden mittels formaler Brüche ‚Fenster’ interpoliert, die so etwas wie Einblicke in die Zukunft darstellen.“

Durchaus denkbar, dass auch hier im Anschluss an das Konzert die Rezipienten wieder zu poetischen Höhenflügen ansetzen. So fand etwa Christian Klein anlässlich eines Grazer Porträtkonzerts die Worte, Woznys Kompositionen seien „feinst-verästelte Gebilde von rätselhaft leuchtender Schönheit.“ – Das Rätselhafte und die Schönheit im Klang: zwei der ganz essentiellen Elemente im Schaffen von Joanna Wozny. Dem Hörer garantieren sie jedes Mal aufs Neue eine spannende Entdeckungsreise in ihre Klangwelt.
Christian Heindl

Foto Joanna Wozny © Wladyslaw Magiera