Die Wiener Volksoper, deren Sängerbesetzung auch für die Bespielung des Kornmarkttheaters in Bregenz bei der Premiere am 30. Juli 2008 sorgte, setzte nun in Koproduktion mit den dortigen Festspielen diese “musikalische Satire”, komponiert 1930, uraufgeführt erst 1990 im Ronacher, für vier Vorstellungen im eigenen Haus mit derselben Besetzung und dem hervorragend spielenden eigenen Orchester und Chor an. 18 Jahre mussten vergehen, ehe nun die fällige Rehabilitation einer der besten (aber vergessenen) Opern Kreneks hoffentlich endgültig erfolgt. Vor Regie und Ausstattung (Michael & Nora Scheidl) eine Verbeugung. Hingehen!
“Zu Anfang des Frühjahrs ging ich ein neues Opernprojekt an, das ich sehr schnell fertig stellte. Es markiert einen deutlichen Wendepunkt in meiner künstlerischen Entwicklung”, so Ernst Krenek 1953 in seiner Autobiografie “Im Atem der Zeit”. Mit dem neuen Opernprojekt spricht Krenek seine Satire mit Musik in zwei Teilen op. 66, “Kehraus um St. Stephan” an.Es dauerte lange (wie mit allen Krenek-Opern), bevor etwa die Staatsoper 1984 eine immerhin “bemerkenswerte Neuinszenierung der Urfassung von Karl V.” (Regie: Otto Schenk, Dirigent: Erich Leinsdorf, österreichischer Dirigent, der 1938 vertrieben, einer der bedeutendsten Operndirigenten war) zustande brachte. Das Zitat bemerkenswerte Neuinszenierung stammt übrigens aus dem viel benutzten, 1250 Seiten starken Harenberg-Opernführer, der den “Kehraus” (und auch die Nennung anderer Krenek-Opern) immer noch völlig unterschlägt.
Auch die sehr verdienstvolle Uraufführung von “Kehraus um St. Stephan” war in Wien. Sie war 1990 im Ronacher, dirigiert hat Peter Keuschnig, der Leiter des Ensembles “Kontrapunkte” und es war sehr gut und in diesem Raum auch sehr stimmungsvoll (eine “Koproduktion” von Staatsoper, Volksoper, Vereinigten Bühnen Wien und Wiener Festwochen). Und weiters verdienstvoll: Michael Scheidl selbst hat 1999 einen ganzen Krenek-Schwerpunkt (auch mit in dem Fall gut placierten) Förderungsmitteln etablieren können und im Jugendstiltheater “Die Zwingburg” (1922), “Das geheime Königreich” 1926/27) und im selben Jahr noch den Einakter “Der Glockenturm” (1955/56 nach einer H. Melville-Erzählung) inszeniert.
Ja, und gestern waren alle Premierenbesucher des “Kehraus um St. Stephan” am Währinger Gürtel zu Recht begeistert. Die Inszenierung, mit neu eingebauter Figur “Tod” – oft präsent, wie vor einer Geisterbahn im Prater, der dem Heurigenwirt und daraufhin der Muttergottes auch einmal zuprostet (und diese, bislang eigentlich eine unverrückbare Statue des Stephansdom-Bühnenturms, sogar zurück) -, mit “Einheitsbühne”, deren Mobiliar und Beleuchtung ständig schnell variiert werden kann (meist ohne Zwischenvorhang), mit einer musikalischen und einfalls- und detailreichen Personenregie ist sehr gut. Die Sänger (inklusive Einspringerin Simona Eisinger) detto, das ohnehin immer besser werdende Orchester der Volksoper, unter Gerrit Prießnitz hat so hervorragend geklungen, wie kaum einmal zuvor.
Worum geht’s im “Kehraus”?
Das Handlungskarussell dreht sich vom Zusammenbruch 1918 bis zum Wirtschaftskrach Ende der 1920er Jahre. In dem vorbildlichen dicken Programmheft (samt dem kompletten Textbuch, das bei Bärenreiter erschienen ist) stammen alle Beiträge bis auf einen der Volksoper-Dramaturgin Birgit Meyer (“Entstehungsgeschichte und Uraufführung”) von den StudentInnen eines von ihr geleiteten Seminars über “Programmheftgestaltung” am Institut für Musikwissenschaft der Uni Wien im Wintersemester 2008/09. Und die Dramaturgin selbst zitiert einen späteren Text der Selbstbiographie Ernst Kreneks (siehe oben).
In dem steht weiter, dass er seiner “geliebten Heimat in einem Bühnenwerk ein Denkmal setzen” wollte: “Angefangen hatte alles damit, daß ich auf einer Straßenbahnfahrt ein Gespräch mit anhörte, in dem ein Mann einem anderen eine Geschichte erzählte, die er sehr komisch fand, nämlich, daß einer seiner Bekannten versucht hatte, sich umzubringen, indem er sich an einem Baum erhängte, und als man ihn gerade noch rechtzeitig abschnitt, war er mit dem Gesicht in eine Pfütze neben dem Baum gefallen, so daß er beinahe ertrank, ehe er schließlich gerettet wurde”.
Der Erhängte und seine Rettung durch den Weinbauern und Heurigenwirt Kundrather (großartig: Albert Pesendorfer) steht tatsächlich am Anfang des Stücks, von den Scheidls ergänzt durch einen wieder in die Lüfte entschwebenden, das Eingreifen Kundrathers von weiter oben beobachtenden “Tod”. Der wollte Othmar Brandtstetter (Roman Sadnik als “Debütant” an der Volksoper in der Hauptrolle) eigentlich gerade durch einen Schnitt durch das Seil losknüpfen.
Die gesamte Inhaltsangabe des detailreichen Librettos Ernst Kreneks kann man sich hier ersparen (im Programmheft steht sie genau Szene für Szene drinnen und umfasst 5 Seiten!). Nur so viel (verwendet wird die Ö1-Webseite dazu): “Kehraus um St. Stephan” thematisiert den Todestanz der eben untergegangenen Donaumonarchie – satirisch beleuchtet, aber durchzogen von einem (trügerischen) Hoffnungsschimmer: dass Liebe und innere Werte vielleicht doch überdauern.
Der Komponist war stets überzeugt von der Fähigkeit der Kunst, sich in brennende Fragen des täglichen Lebens und der politischen Verhältnisse einzubringen. Krenek führt als sein eigener Librettist ins Wien dieser Zeit. Da tummeln sich verarmte Aristokraten und gewissenlose Industrielle, abgetakelte Offiziere auf der Suche nach einer neuen Identität, schmierige Typen, die für Geld alles machen würden, und natürlich das junge Ding, das sich nach oben schläft.
Die wilden 20er Jahre, menschliche Sehnsüchte nach Glück, Ruhm und Reichtum, private, geschäftliche und publizistische Gemeinheiten, Monarchie-Reminiszenzen und die Anschluss-Sehnsüchte vieler Österreicher hat Krenek hier wie eine Prophetie für Hitlers Fahrplan getextet und komponiert. Regisseur Michael Scheidl zeigt, dass Kreneks Konzept einer modernen, zeitkritischen Volksoper, die auf intelligente, anspruchsvolle Art unterhalten möchte, brandaktuell geblieben ist.
Zur Wiener Volksoper hatte Krenek, geboren im Jahr 1900, er war Sohn eines aus Böhmen stammenden Offiziers, übrigens eine enge Beziehung, wie er schreibt:
Meine ersten musikalischen Erlebnisse außerhalb unserer Wohnung waren mit der Volksoper verbunden. Man nahm mich dorthin mit, weil ich die Weihnachtsmärchen sehen sollte. (…) Ich fühlte mich in dem bescheidenen Operntheater, das mutig und effektiv seinen Beitrag zur Kunstgeschichte leistete, ganz zu Hause.
Einige Personen der Handlung.
An einem Spätherbsttag 1918 klauben Weinbauer Sebastian Kundrather (die gute Seele des Stücks, der über den Dingen steht, weder der alten Zeit der Monarchie nachhängt, noch der neuen Zeit sich fügt, ein Philantrop) und seine zwei Kinder Holz am Rand von Wien. Sohn Ferdinand (geht später für “die diversen Parteien marschieren – meine Minimaltaxe ist fünf Schilling .”) und Tochter Maria (erwirbt sich später kokett die Gunst reicher Männer) finden den erhängten, aber noch lebenden Rittmeister in der ehemaligen k. und k. Armee Othmar Brandstetter (“Dahin alle Hoffnungen”, er hat Charakter, aber kehrt eigentlich erst ins Leben zurück, als er am Ende von Kundrather den Weinberg vererbt bekommt und seine Geliebte zu ihm zurückkehrt). Die ehemalige Gräfin Elisabeth Torregiani (in Trauer um den vermeintlich verstorbenen Geliebten) wird in die Arme des Industriellen Alfred Koppreiter, Oberleutnant der Reserve, getrieben. (“Mit neuer Kraft ans alte Werk!”, tritt den Forderungen protestierender Arbeiter naiv entgegen, verliert alles in der Krise, endet durch Selbstmord).
Kereszthely, Honvédmajor a. D. (ungarischer Monarchist, versucht, Alfred vor dem Ruin zu bewahren) findet am Ende Anstellung bei dem Berliner Industriellen Herr Kabulke (reicher Geldgeber und Kompagnon von Alfred, wünscht den Anschluss, ist oder wird sicher Nazi). Moritz Fekete (intriganter Journalist, auch in Diensten Kabulkes, tritt auch als “Schwoisthaler” oder “Erich Atma Rosembusch” auf, lässt Alfred denunzieren und wird von aufgebrachten Arbeitern erschlagen) schließlich, und nicht zu vergessen, Oberwachmann Sachsl (“Ordnung aber muß sein – denn wo kämeten wir hin, wenn schon die Leichen keine Disziplin mehr halten und einfach fortgehen? So was wär in der Monarchie nicht möglich gewesen”) [in den (Klammern) unter Anführungszeichen: Libretto; ohne Anführungszeichen: Charakterisierungen von Vedrana Maricic im Programmheft der Volksoper].
Einen zutreffenden Vergleich der Bedeutung des “Kehraus”, der mir selbst bei der Premiere kam, formuliert auch Alexander Wilfing in seiner Besprechung des Begriffs “Satire”: Der Monolog “Herr Karl” (Carl Merz/Helmut Qualtinger), das wohl prominenteste Produkt der österreichischen Nachkriegssatire, welcher es unternimmt, den opportunistischen Charakter der “gemütlichen” Alpenrepublik in satirisch-kritischem Habitus zu illustrieren stelle betreffs dieser Tendenz eine frappierende Parallele zu “Kehraus um St. Stephan” dar.