„Kapitalismus frisst die Kreativität auf“ – AF90 im mica-Interview

Andreas Födinger hat sich in der Musikszene bereits vor Jahren einen Namen gemacht, man kennt ihn als Mitbegründer der Band BILDERBUCH und Schlagzeuger von FAREWELL DEAR GHOST. Als AF90 macht er seit 2022 Musik auf eigene Faust – und zeigt nun mit seiner EP „Big Business“ (VÖ: 15.3.2024), wie sich Popmusik anhört, wenn man sie mit Unmengen an Energie, Passion und den richtigen Inspirationen kreiert. Katharina Reiffenstuhl hat Andreas Födinger im Café Kriemhild zum Interview getroffen und über Commitment im Bandgefüge, die Motivation hinter seinen eigenen Songs und die Kluft zwischen Selbstverwirklichung und dem großen Erfolgsgeschäft gesprochen.

Weißt du, was als erstes kommt, wenn man den Namen AF90 googlet?

Andreas Födinger: Air France. (lacht)

Genau. Ich nehme mal stark an, das war nicht der Gedanke dahinter.

Andreas Födinger: Nein. Aber ich bin okay damit, den gleichen Namen wie ein Flug zu haben. Es sind einfach nur die Initialen von meinem Vor- und Nachnamen und meinem Geburtsjahr. Man überlegt natürlich lange, aber so ist es brandmäßig am besten. Wenn ich an Fußballer:innen denke, die nutzen meistens auch Initialien plus die Nummer. Cringe ist es irgendwie schon, aber es ist Absicht. Namen sind eh Schall und Rauch. Ich kenne wenige Bandnamen, die ich wirklich cool finde.

AF90 © Liebentritt

Man kennt dich als Schlagzeuger von diversen Bands. Woher der Wunsch nach einem Soloprojekt?

Andreas Födinger: Der Wunsch, das zu machen, existiert eigentlich schon viel länger als alle anderen Bands. Ich habe bei Ideen oft den Drang dazu gehabt, diese Kommunikationshürde zu überspringen, wenn man anderen Personen davon erzählen will. Es kann natürlich auch von Vorteil sein, mit anderen Kreativen zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu inspirieren. Ich hatte einfach ein paar Momente, die das definiert haben. 2018 zum Beispiel war ein lustiges Jahr. Zuerst war diese Geschichte mit THE KILLERS. Die sind eine meiner absoluten Lieblingsbands. Ich habe einen Song von ihnen bei einem Gig gespielt, und dadurch habe ich begonnen, mit ihrem Gitarristen zu schreiben, mit dem Ted. Er hat mich gefragt, ob ich selbst auch Songs mache. Da habe ich mir gedacht, ich könnte ihm jetzt Songs von einer meiner Bands schicken, aber wirklich repräsentativ ist das ja auch nicht. Dann habe ich ihm Demos von mir geschickt. Und er hat gefragt, ob ich Lust hätte, remote Writing-Sessions zu machen. Das haben wir dann wöchentlich gemacht, immer sonntags. Das war für mich extrem wichtig bzw. der Grund, das überhaupt zu machen, weil ich durch ihn dann die Motivation hatte und gewusst habe “Okay, bis Sonntag muss ich was haben”.

Ich habe diesen Arschtritt gebraucht, man wird ja sonst leicht gemütlich. Man hat eine Band, 2018 haben wir den Amadeus Award gewonnen, wir haben gute Gigs gespielt, es war alles in allem ein cooles Jahr. Aber trotzdem habe ich mir am Ende des Jahres gedacht: Wir haben eigentlich keine Songs gemacht. Wir haben wenig kreative Arbeit geleistet. Aber eigentlich möchte ich ja Musik machen, weil ich Musik machen möchte. Diese ganzen anderen Sachen sind nette Begleiterscheinungen, aber nicht der Core. Es war auch einfach ein Beweis an mich selbst, dass es möglich ist, alle Instrumente selbst zu spielen. Auch die Herausforderung zu singen, das habe ich davor auch nicht so wirklich gemacht. Ich bin jemand, der immer wieder nach Herausforderungen sucht und versucht, es spannend zu halten – in erster Linie für mich selbst. 

Macht es das einfacher, wenn man wie du davor schon Teil der Branche war und kein Neu-Einsteiger ist?

Andreas Födinger: Ich glaube, das, was am Anfang so aufregend und spannend ist, das ist trotzdem da. Es ist nicht mein erstes Ding, aber es fühlt sich so an. Wie eine Neugeburt. All diese kleinen Erfolge, die man so feiert, die werden in den Bands einfach so mitgenommen und nicht groß beachtet. Wenn man das dann alleine macht, schätzt man es viel mehr. Diese anfängliche Euphorie, die ich auch unbedingt wieder haben wollte, bleibt viel mehr. Jeden Tag schauen, ob man im Radio gespielt wird, in welche Playlists man reingekommen ist. Das sind alles kleine Sachen, die sich trotzdem extrem gut anfühlen. Ob es mir Türen geöffnet hat, weiß ich nicht. In Österreich ist es ja generell so, dass man sich extrem schnell kennt. Das hat Vorteile, aber halt auch einfach den Nachteil, dass es beschränkt ist. 

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Du bist bekannt dafür, dass du alles selbst machst – von Songwriting über Instrumente bis zur Produktion. Ist das Perfektionismus oder einfach Leidenschaft?

Andreas Födinger: Das ist Leidenschaft. Seit ich zehn Jahre alt bin, ist Musik täglicher Begleiter. Ich habe dann mit 13, 14 angefangen, neben den Drums auch Gitarre zu spielen, wieder als Herausforderung, um zu schauen, wie es läuft. Ich spiele extrem gern Schlagzeug, das ist quasi mein verlängerter Arm, aber beim Gitarre spielen ist die Praktikabilität ein großer Pluspunkt. Du kannst daheim im Bett sitzen und Gitarre spielen. Es ist über die Gitarre auch viel leichter, Emotionen zu transportieren. Perfektionismus ist bei mir gar nicht der Fall, ich bin in meinen Gitarren- und Klavierkünsten auch sehr beschränkt. (lacht) Aber ich habe einen Weg gefunden, genau das zu können, was ich mir vorstelle und das genau dafür zu nutzen, wie ich es gerne hätte.

„DU KANNST DEN GEILSTEN SONG HABEN, ABER WENN KEINE GESCHICHTE ERZÄHLT WIRD DAMIT, IST DER NICHTS“

In deinen Bands hast du dir die Arbeit immer mit Leuten geteilt. Wie lief das ab?

Andreas Födinger: Ganz unterschiedlich. Da kann man von drei Bands reden, FAREWELL DEAR GHOST gibt’s ja eh auch noch. Bei BILDERBUCH war es immer so, dass wir gejammt haben. Die ersten zweieinhalb Alben sind tatsächlich zu viert in einem Raum entstanden, wo man gegenseitig aufeinander reagiert hat. Es war immer ein sehr sich hochschaukelnder Prozess. Man ist in Bands immer in gewissen kompetitiven Situationen, man will sich gegenseitig zeigen, was man für gute Ideen hat. Bei FAREWELL DEAR GHOST ist es eine Mischung aus allem möglichen, da entstehen manche Sachen zu zweit, zu dritt oder alleine. Es ist auch unglaublich, wie wichtig der Sänger oder die Sängerin ist. Das ist eine Erkenntnis, die ich erst jetzt gemacht habe, das habe ich früher nicht so verstanden. Du kannst den geilsten Song haben, aber wenn keine Geschichte erzählt wird damit, ist der nichts. 

Wie ist es damals zu deinem Ausstieg bei Bilderbuch gekommen?

Andreas Födinger: Ich war acht Jahre lang dabei, von 15 bis 23, und das ist eine lange Zeit. Ich hatte ein bisschen ein Burnout. Dieses Commitment, was die Band gebraucht hat, war ich in dieser Zeit nicht bereit zu geben. Es war nichts Zwischenmenschliches oder nichts Kreatives, sondern einfach eine gewisse Erschöpfung von meiner Seite. Daher habe ich es für besser gehalten, aufzuhören.

„ICH MÖCHTE DIE ENERGIE, DIE ICH HABE, AN DEN TISCH BRINGEN“

Dein erstes Mini-Album erscheint demnächst, sieben Songs genau genommen. In welchem Kontext sind sie entstanden?

Andreas Födinger: Die Songs sind alle ein bisschen “tongue in cheek”. Es fühlt sich nicht gut an, Seelen-Striptease zu betreiben, eh klar. Aber es sind tatsächlich alle Songs wahnsinnig ehrlich und persönlich. Sie zeigen einfach, in welcher Stelle im Leben ich gerade bin. Ich möchte die Energie, die ich habe, an den Tisch bringen. Ich glaube, das ist auch genau das, was mich ausmacht. Die einzelnen Songs sind dann aber doch in relativ unterschiedlichen Zeiten entstanden. Der älteste Song ist “I think we’re alone now”, “MUCHACHO” ist der neueste. Den habe ich tatsächlich in den Herbstferien gemacht, in den Weihnachtsferien aufgenommen und in den Semesterferien released. Das war ziemlich effizient und darauf bin ich schon stolz.

Rein musikalisch fällt „I think we’re alone now“ ja ein bisschen aus dem Muster. Es ist viel weniger rockig als die anderen.

Andreas Födinger: Ganz genau. Bei dem Song hatte ich auch gar nicht das Ziel, einen Song draus zu machen. Ich habe damals mit meiner Ex-Freundin zusammengewohnt. Als wir uns entschieden haben, uns zu trennen, habe ich auf der Couch im Gästezimmer geschlafen, weil wir eben drei Monate Kündigungsfrist bei der Wohnung hatten. Das war echt schlimm, zu wissen, dass zwei Zimmer weiter ein Mensch liegt, mit dem man so viel geteilt hat, und jetzt schläft man hier alleine ein. Zum Einschlafen habe ich mir dann immer eine Melodie vorgesummt, um mich selbst zu beruhigen. Daraus ist dieser Song dann entstanden. Ich habe zuerst überlegt, den gar nicht zu machen, aber viele von den Leuten, mit denen ich zusammenarbeite, waren sehr überzeugt von dem Song und wollten, dass ich ihn produziere.

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Deine Inspirationen sind vielfältig, du übernimmst Elemente aus vielen verschiedenen Musikrichtungen. Bist du so einer, der alles gern hört?

Andreas Födinger: Ja. Ich habe viel Inspiration von DAVID BYRNE von TALKING HEADS bzw. von seinen verschiedenen Karrierephasen. Ich habe DAVID BYRNE 2019 in New York gemeinsam mit meiner Freundin am Broadway gesehen. Und da habe ich mir gedacht “Das ist das, was ich machen will”. Diese Freude am Musikmachen ist so ansteckend gewesen, so etwas habe ich noch nie erlebt. Egal, wie schlecht das Leben gerade läuft, solange es sowas gibt, weiß ich, dass ich immer gut drauf bin. Das war für mich dann ein bisschen ein Startpunkt, der mich motiviert hat, auch so etwas zu machen.

„MIR WAR VON ANFANG AN WICHTIG, DASS ES KEIN FLECKERLTEPPICH WIRD“

Du hast das Album „Big Business“ genannt. Ist das die Vision, mit der du an das Projekt herantrittst?

Andreas Födinger: Nein nein. (lacht) Das ist auch nicht ganz so ernst gemeint. Ich habe das Gefühl, dass die jüngere Generation ein bisschen vergisst, weird zu sein. Sie sind sehr auf Zahlen fixiert, Leute sind scharf darauf, ihr Flatex-Depot zu checken, oder wie viele Klicks und Streams etwas hat. Es ist voll schade, dass das ein bisschen untergeht, anders zu sein und einfach nur mehr das Business im Vordergrund steht. Kapitalismus frisst die Kreativität auf. Diese Subkulturen verschwinden irgendwie. Es ist ein bisschen eine Schere, die auseinanderdriftet, wie bei allem anderen auch. Ich meine das auch null wertend, das ist einfach meine Beobachtung. Mit dem Titel wollte ich dann nur ausdrücken “Ich kann das schon auch mitspielen”

AF90 © Liebentritt

Die Farben blau und rot – haben die für dich eine besondere Bedeutung? Die kommen einem ja unausweichlich auf den Coverfotos und in den Musikvideos entgegen.

Andreas Födinger: Mir war von Anfang an wichtig, dass es kein Fleckerlteppich wird. Vor allem, wenn man schon länger Musik macht, weiß man irgendwann, was man gut findet und was nicht. Ich wollte zwei, drei Farben haben, mit denen man sich ein bisschen spielen kann, die irgendwas ausstrahlen. Blau habe ich in Kombination mit meinen gefärbten Haaren gut gefunden. Rot ist dann irgendwie dazugekommen. Wenn ich mir das in zehn Jahren anschaue, weiß ich, “Ah, das war diese Zeit”. Beim nächsten Album wird es vielleicht gold-glitzer, wer weiß. Ich will einfach, dass es eine gewisse Simplizität und Einheitlichkeit hat. Ist ja auch nur ein Typ, der da Musik macht. (lacht)

Wie geht es mit AF90 weiter?

Andreas Födinger: Ich habe noch einige Songs, die noch nicht aufgenommen wurden. Wie es wirklich weitergeht, kann ich aber noch gar nicht so sagen. Ich glaube, das ist ein bisschen ein Projekt aufs Leben gesehen. Mit dem Wort “Soloprojekt” tue ich mir auch immer noch schwer, weil ich denke, dass die Bands meine Projekte waren. Das hier ist jetzt the real deal. Ich habe definitiv vor weiterzumachen, es ist super schön, Feedback zu kriegen. Wir haben vor einem Jahr unser erstes Konzert gehabt, jetzt ein Jahr später haben wir Donauinselfest, Filmfestival, Posthof und in zwei Wochen eine Releaseparty gespielt. Wenn es das war, passt es auch für mich. Ich arbeite jeden Tag daran, mir diesen Druck wegzunehmen. Das ist etwas, was du in Bands einfach hast. Vor allem, wenn ein ökonomischer Druck besteht, dass du Sachen machen musst, weil du davon abhängig bist, ist es extrem belastend. Wenn ich nächstes Jahr wieder eine Platte machen möchte, dann mache ich es halt. Als Lehrer bin ich finanziell von der Musik nicht abhängig. Wenn es weitergeht wie bisher, bin ich vollkommen happy. Aber mehr geht immer, ist eh klar.

Danke für das nette Gespräch!

Katharina Reiffenstuhl

++++

Live:

19.3.2024, ORF RadioKulturhaus, Wien

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