Joseph Haydn würde das mica unterstützen

Musikalische Kontexte im Verhältnis Mozart und Haydn (heuer ist Haydn-Jahr) brachte die Mozartwoche in Salzburg. So wurden die großen Oratorien einander gegenübergestellt: Haydns “Schöpfung” sowie Mozarts Kantate “Davide penitente”, dirigiert von René Jacobs bzw. von Nikolaus Harnoncourt. Das mica konnte die “Schöpfung”-Aufführung miterleben. Das ist ein universelles, kosmisches Werk, das sich musikalisch mit der “Genesis” (Text: van Swieten) befasst. Und die vielleicht – neben Mozarts “Entführung” – beste illustrative Vertonung eines deutschen Textes forever. Haydn war damit in Wien am Zenit seines Erfolgs.

 
Mit seinem Oratorium “Il Ritorno di Tobia” hatte Haydn, – international geachtet und in Paris und London mit Aufträgen versehen, ab 1790 dauerhaft in Wien als “Freier” niedergelassen – übrigens erfolglos (!) um Aufnahme in die erste freie Tonkünstlervereinigung Wiens, der “Tonkünstler-Societät” angesucht, der auch nicht bei Adeligen besoldete Musiker angehörten. Dieser “Musikalischen Societät der freyen Tonkunst vor Witwen und Waisen” gelang 1799 eine zweimalige restlos ausverkaufte und überbuchte Aufführung der “Schöpfung” im Alten Burgtheater bei erstmals doppelten Preisen, die dem bürgerlichen Konzertwesen und deren Fonds zugute kamen, was Haydn selbstverständlich großzügig duldete.Der Text der «Schöpfung» war gegen Ende 1796 fertig gestellt, die Musik 1797 und Anfang 1798 komponiert. Der englische Text, auf den Haydn in London stieß (ohne Englisch zu können – “Meine Sprache verstehet die ganze Welt”, sagte er einmal), war anscheinend ursprünglich für Händel bestimmt, wurde von einem gewissen «Lidley» (möglicherweise Thomas Linley) geschrieben und basierte auf Passagen des Buchs «Genesis» und auf Miltons «Paradise Lost». Dieser Text wurde von dem Baron Gottfried van Swieten (Sohn des Leibarztes von Maria Theresia und Präfekt der kaiserlichen Hofbibliothek zu Wien) zu einem Libretto verarbeitet.

Er war ein Amateurkomponist ohne großes Talent, aber von Bedeutung in der Musikgeschichte: Als Sammler alter Musikhandschriften machte er seine Freunde Haydn, Mozart und Beethoven mit vielen unveröffentlichten Werken Bachs, Händels und anderer Meister vergangener Generationen bekannt. Auf diese Art und Weise nahm van Swieten großen Einfluss auf deren künstlerische Entwicklung.

Die ersten Aufführungen der “Schöpfung” fanden in Wien im Palais des Prinzen Schwarzenberg am 29. und 30. April 1798 unter der Leitung des 60jährigen Haydn statt. Die Kosten, einschließlich einer üppigen Gage für den Komponisten, wurden von einer aristokratischen Vereinigung getragen, deren künstlerischer Leiter Gottfried van Swieten war. Die Uraufführungen fanden vor einer geschlossenen Gesellschaft statt, doch hatten diese solches Interesse hervorgerufen, dass 30 Gendarmen, darunter 18 Berittene, abgeordnet waren, um den Weg zum Schwarzenbergschen Palais freizuhalten. Die Händler des benachbarten Marktes sollen sogar ihre Stände abgebaut haben, wofür jeder von ihnen von Schwarzenberg mit 10 Gulden und 20 Kreuzern entschädigt worden sein soll.

Es gibt wenig Zweifel, dass Haydn (gemessen am Standard seiner Zeit) ein großes Klangvolumen wünschte. Zwischen den privaten und öffentlichen Premieren fügte Haydn weitere Instrumentalparts in das Werk ein. Nachdem die ersten Aufführungen noch vor ausgewählten Gästen der Wiener Adelsgesellschaft stattfanden, erlebte die Wiener Öffentlichkeit am 19. Januar und 19. März im Wiener Burgtheater “ihre” Aufführung. Auf dem Plakat stand beim Namen Haydns zu lesen: “Doktor der Tonkunst und hochfürstlich- Esterhazyscher Kapellmeister”. Salieri, übrigens Präsident der “Tonkünstler-Societät” spielte bei den Rezitativen das Hammerklavier.

 
In den gern zitierten “Briefen eines Eipeldauers an seinen Herrn Vetter in Kagran” gipfelt eine Eloge auf die Fähigkeiten der “Schöpfung” die Natur darzustellen, in der Formulierung: “. da hat man sogar hörn können, wie d’Würmer auf der Erden fortkriechen”. Dem Herrn Vetter erzählt er auch, ihm habe dann “die ganze Nacht von der Erschaffung der Welt tramt.”

Von da an war der Siegeszug der Schöpfung nicht mehr aufzuhalten. Ihr zuliebe wurden Chorvereine und Musikgesellschaften gegründet. Im Wiener Musikverein hieß es ab ca. 1800: Um Weihnachten “Die Schöpfung”, zu Ostern “Die Jahreszeiten”.

Exemplarische Aufführung am Montag in Salzburg

“Die Schöpfung” wurde unter René Jacobs bei der Mozartwoche mit dem Freiburger Barockorchester (aber wieder schlank besetzt!), dem RIAS-Kammerchor und drei erlesenen Solisten aufgeführt. Es war wirklich sehr schön und dem, der das jetzt schreibt, kamen während der Aufführung mehrfach fast die Tränen vor Begeisterung über diese unglaubliche Musik. Haydn hat an ihr notabene zwei Jahre hart gearbeitet – zum ersten Mal traute sich ein Komponist überhaupt, die “Schöpfung”, ein fast sankrosanktes religiöses Kernthema, bei dem das “Wort Gottes” zu vertonen war, musikalisch illustrativ umzusetzen.

Diese Musik verschafft mehr Erkenntnis über ein mögliches christliches Weltbild und über das Menschsein in dieser Welt (“. so groß, so wunderbar .”) jenseits jedes Frömmelns, als alles andere. Sie vermittelt uns die subversive Kraft der Musik schlechthin. Man muss sie – auch als junge Musikerin gleich welchen Genres oder als Komponist und Musikliebhaber – von Zeit zu Zeit einfach “Hören, hören, hören”, wie Nikolaus Harnoncourt in seiner Inaugurationsrede zum Mozartjahr am 27. Jänner 2006 im Mozarteum feststellte. Was er da sagte, gilt auch für das Haydnjahr (mit dem Unterschied, dass vieles von Haydns riesigem OEuvre immer noch zu wenig bekannt ist):

“Und jetzt, nach dieser unfassbaren Musik [Harnoncourt führte zwei Sätze von Mozarts großer g-Moll-Symphonie auf] – Wie kann ich da noch etwas über Mozart sagen? – Niemand kann es; – aber alle tun es jetzt. – Eigentlich müssten wir uns ja genieren. Denn, was Mozart von uns verlangt und seit mehr als 200 Jahren verlangt, wäre so einfach: Wir müssten ganz still und aufmerksam zuhören, und wenn wir seine wortlosen Beschwörungen und Plädoyers verstünden, dann müssten wir uns, wie schon gesagt, eigentlich eher genieren als uns stolz zu brüsten. –

Jetzt bejubeln wir ihn, und das klingt fast so, als wollten wir uns selbst bejubeln (.) Er verlangt etwas von uns mit der unerbittlichen Strenge des Genies und wir bieten ihm unsere Jubiläen mit ihren Umwegrentabilitäten und Geschäften und lassen seine Töne zerstückelt aus allen Werbekanälen tropfen – das dürfte einfach nicht sein – das ist ein Skandal und eine Schande – wie kann man das tolerieren? – Aber, wenn so ein Besinnungsjahr trotz alledem einen Sinn haben soll, dann müssen wir hören – hören – hören – und können dann vielleicht einen kleinen Teil der Botschaft verstehen. Mozart braucht unsere Ehrungen nicht – wir brauchen ihn und seinen aufwühlenden Sturmwind.

 
Die Kunst und mit ihr die Musik ist ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Lebens, sie ist uns geschenkt als Gegengewicht zum Praktischen, zum Nützlichen, zum Verwertbaren. – Es leuchtet mir ein, was manche Philosophen sagen, dass es die Kunst und eben die Musik ist, die den Menschen zum Menschen macht. Sie ist ein unerklärliches Zaubergeschenk, eine magische Sprache.” (Festrede zur Feier des 250. Geburtstages von Wolfgang Amadé Mozart).

In den SN von heute schreibt Karl Harb über die Aufführung von Joseph Haydns “Schöpfung”:

“Welch herrliche Schöpfung aber war das Oratorium ,Die Schöpfung’! Jacobs besetzt als einstiger Countertenor seine Opern- und Oratorienaufführungen stets mit einem besonderen Blick auf die Sänger. Und so erlebte man am Montag im Festspielhaus ein Solistenterzett von seltener Vokalkultur, Beweglichkeit, Stilempfinden und einheitlichem Format: die sanfte, leichte Sopranstimme Julia Kleiters, den famos durchgeformten Bariton Johannes Weisser, den schlanken Tenor Maximilian Schmitt und den meisterlich (wort-)deutlichen RIAS Kammerchor Berlin.

Damit wurden alle Stadien der Schöpfungsgeschichte und deren Kommentare bildhaft einprägsam und anschaulich. Das Freiburger Barockorchester ist ein Solitär von besonderer Leuchtkraft. In der technischen und mentalen ,Beherrschung’ der Instrumente und der einzelnen Partien zeigt sich, wozu ,historisches’ Musizieren heute fähig ist. Plastisch und rein, transparent und klar, delikat in Phrasierung und Artikulation und ohne pathetischen Überdruck hört man alle Details und erlebt das Ganze als einen musikalischen Kosmos von überwältigendem Reichtum. Ohren auf, so klingt Musik! Am Ostermontag gibt es auf Ö1 die Hörfunkaufzeichnung, im Herbst die CD-Kassette.”

Anderntags wirkte die Camerata Salzburg bei Mozarts Klarinettenkonzert mit dem alerten, makellos spielenden Solisten-“Star” Martin Fröst ein bisschen pentetrant auf mich, als hätten “wir Salzburger Mozart ohnehin mit dem Löffel gefressen”. Stimmt nicht. Sehr gut aber die Begleitung von Elliot Carters Klarinettenkonzert von 1996 durch ausgewählte Einzelinstrumentalisten. Das Beste des Abends: Haydns witzige “Militärsymphonie”, von Heinz Holliger wurde die “Janitscharenmusik” als den Saal durchmarschierendes Trio auch großer und kleiner Trommel und Becken spektakulär in Szene gesetzt. Dass es Salzburger gibt, die wirklich aufregenden Mozart bieten können, bewies vorher schon am Vormittag das Hagen Quartett mit dem ersten der Haydn gewidmeten Streichquartette Mozarts, vor allem auch mit Beethovens letztem Streichquartett op. 135 (im Finale komponierte Beethoven den von ihm über die Noten geschriebenen Satz: “Muß es sein?” mit der Allegro-Antwort: “Es muß sein!”). Vollends toll und kämpferisch gespielt dann das Klavierquintett f-Moll von Brahms (der Haydn im 19. Jahrhundert am besten verstand). Mitsuko Uchida spielte Klavier – auch sie . (!)
Heinz Rögl (unter Benutzung diverser Quellen)

 
Apropos Verständnis:

Wer das auch noch lesen will, der letzte Abschnitt dieses Artikels bildet Ausschnitte aus einem Musikvereins-Artikel von Rüdiger Görner über das Verständnis Haydns durch berühmte Zeitgenossen: Da geht es zunächst u. a. um Kleist und dann heißt es in dem lesenswerten Aufsatz:

” . Anders Schiller, der 1801 Haydns ,Schöpfung’ einen ,charakterlosen Mischmasch’ nannte. Wieder anders Goethe, der über Haydn Folgendes zu Protokoll gab: ,Es hat mir seit fünfzig Jahren das eigene Ausüben und Anhören seiner Werke eine wiederholte Totalempfindung mitgeteilet, indem ich dabei die unwillkürliche Neigung empfand, etwas zu tun, das mir als gut und gottgefällig erscheinen möchte.’ [Der musikalische Imperativ:] Diese Äußerung Goethes ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen belegt sie, dass Haydns Kunst etwas Umfassendes, nachdrücklich Wirkendes vermitteln kann; “Totalempfindung” ist ein Ausdruck, den Goethe selten einsetzt; und wenn er ihn gebraucht, dann spürt man seine Gewichtung. Zum anderen verleitet nach Goethe diese Musik zum Handeln: Höre, gehe hin und verwirkliche das Gehörte oder schaffe zu ihm eine “gute” Entsprechung.”
Hörend schauen, schauend komponieren.

“Es gibt eine Musik, die verlangt danach, dass man ihre Entstehungsumstände kennt, die biographischen Voraussetzungen ihrer Urheber. Daneben steht ein musikalisches Schaffen, das genau diese Voraussetzungen vergessen lässt. Haydns Musik gehört wohl zur letzteren Kategorie (.) Vielleicht dass Haydns Kunst uns wirklich vergessen macht, vergessen, dass wir wissen. Diese Musik schiebt jeden Dünkel beiseite. Sie ist Musik und kaum anderes. Eine solche Aussage verbietet sich bei Beethoven, bei Wagner, bei Mahler, Hindemith oder Kagel. Haydns Musik, auch dann, wenn sie sich “philosophisch” nennt, ist leichte Schwere und lichte Tiefe, aber eben ganz und gar als Klang. Man erinnert die Nöte der Romantiker mit Haydn, sofern man von Brahms absieht. Er, der so ganz zwischen dem Beethoven’schen Erbe und dem “Klang als Klang” stand, er konnte sich wohl am fruchtbarsten mit Haydn auseinandersetzen.

Und die Moderne? Sie weiß nicht so genau wohin mit diesem Klangmeister aus Niederösterreich, der wohl zu seiner eigenen Überraschung weltläufig und weltgewandt wurde. Nein, es war nicht die Weltläufigkeit eines Händel oder eines Mendelssohn Bartholdy, sondern eine Klangläufigkeit, die aus sich heraus eine Welt schuf.

Helmut Lachenmann verdanken wir unter anderem den Ausdruck “auditives Schauen”. Er scheint auf Haydn gemünzt; denn ist es nicht so, dass diese Musik uns beim Hören sehen macht? Haydn und die Moderne? Gibt es Bezeichnenderes als die Tatsache, dass Hans Werner Henze in seinem letzten, von ihm dirigierten Orchesterkonzert (im Oktober 1991) neben seinen “Dithyramben” und der Ersten Symphonie Haydn aufführte? Haydns Musik mit seinen Kompositionen interagieren ließ, Korrespondenzen herstellte, so als wollte er sagen: Von hierher weht der Klang. (Rüdiger Görner in der Monatszeitung des Wiener “Musikverein”/01 2009).

Fotos:
Freiburger Barockorchester: Festspielhaus St. Pölten
Joseph Haydn und Antonio Salieri: wikepedia
René Jacobs: NDR