JOHANNA DODERER ist eine viel beschäftigte und weithin beachtete Komponistin. Renommierte Künstlerinnen und Künstler wie ANGELIKA KIRCHSCHLAGER oder PATRICIA KOPATCHINSKAJA interpretieren ihre Werke. Eine besondere Ader hat die aus Vorarlberg stammende Komponistin – sie lebt seit Jahren in Wien – für das Musiktheater.
Im vergangenen Dezember wurde die Kinderoper „Fatima“ mit großem Erfolg in der Wiener Staatsoper uraufgeführt. Das war eine schöne und große Herausforderung für die 48-jährige Komponistin, denn „Kinder sind ehrlich und reagieren prompt und emotional. Die Gratwanderung war, einem Bühnenraum und den Ansprüchen der Wiener Staatsoper gerecht zu werden und trotzdem das junge Publikum zu berücksichtigen“, resümiert Johanna Doderer. „Es entstand so etwas wie ‚Purheit’ in der Musik. Eine radikale Konzentration auf das Wesentliche –das ist ohnehin mein Anspruch, auch im Leben.“
Nun steht Johanna Doderers siebente Oper unmittelbar vor der Uraufführung. Sie ist im Auftrag des Münchner Gärtnerplatztheaters in enger Zusammenarbeit zwischen den Künstlerinnen und Künstlern entstanden. Der Intendant des Hauses, Josef E. Köpplinger, schuf das Libretto und führt auch Regie. Als Grundlage dient das berühmte Bühnenstück „Liliom“ von Ferénc Molnár. „Gerade bei diesem Stoff war es unglaublich wichtig, Rücksprache zu halten. Es war von Anfang an ein großartiger Dialog mit dem Haus in München und ich hatte die Möglichkeit, mit Daniel Prohaska, der den Liliom singt, bereits zwei Jahre vor der Premiere an einzelnen Arien zu arbeiten. Mit Angelika Kirchschlager verbindet mich eine lange Zusammenarbeit. Sie wird die Rolle der Frau Muskat singen“, gibt Johanna Doderer einen Einblick.
Berühmte Textvorlage
Ferenc Molnár erzählt in seinem sozialkritischen Theaterstück die Geschichte vom gut aussehenden Hallodri Liliom. Er gefällt der Karusellbetreiberin Frau Muskat, aber auch das Dienstmädchen Julie schwärmt für ihn. Bald wird sie schwanger, Geldsorgen verleiten zu einem Überfall, dieser scheitert und führt schließlich zum Selbstmord von Liliom. „Molnár hat die Eigenschaften der Protagonisten auf die Spitze getrieben“ erklärt Johanna Doderer. „Sie verharren in ihrer ‚Sprachlosigkeit’ und in ihrem ‚Bemühen’. Auch wenn die ganze Zeit geredet wird, sagen sie nichts. Die Liebe oder ‚Nichtliebe’ zwischen Liliom und Julie kann nicht in Worte gefasst werden. Auch ein, von einem kleinbürgerlichen Glück dominiertes Umfeld kann nicht helfen. Das Unglück erweitert sich und steuert auf die Katastrophe zu. Dies alles geschieht auf einer großen Bühne, im Umfeld des Rummelplatzes, des Zentrums des Vergnügens. Das Karussell dreht sich, das Leben dreht sich um sie, das Leben passiert ihnen und sie bleiben gefangen in ihrer ‚Sprachlosigkeit’. So gesehen ist dieses Stück heute aktueller denn je.“
Unter anderem die Musikalität einer Textvorlage inspiriert Johanna Doderer beim Komponieren von Opern. Auch in diesem Werk ist es die „großartige Sprache Molnárs und dessen Sprachrhythmus“, der in die Musik einfließt. „Oper ist so etwas Lebendiges. Neben den dramaturgischen Überlegungen, sind es vor allem die einzelnen Stimmen, die das Ganze tragen. Jede Stimme ist besonders. Bei einer Uraufführung habe ich die Möglichkeit, ganz auf die Sängerinnen und Sänger einzugehen. Das ist eine riesige Chance“, freut sich Johanna Doderer über den Kompositionsauftrag.
Segeln, anstatt rudern
In den vergangenen zwei Jahren sind zwei viel beachtete CD-Einspielungen mit vier Klaviertrios sowie der zweiten Symphonie und dem Violinkonzert erschienen. Besonders die Klaviertrios spiegeln Johanna Doderers Reflexionen der musikalischen Tradition wider. „Ich studiere immer Partituren anderer Komponisten, lerne von ihnen. Besonders Schostakowitsch ist ein großer Lehrer für mich.“
Für die Oper „Liliom“ hat sich die Komponistin mit der italienischen Oper auseinander gesetzt. „Puccini war ein echter Meister“, merkt sie an und führt aus, was das Komponieren von Opern letztlich bedeutet, nämlich „eine jahrelange intensivste Auseinandersetzung, um mit Stimme, Orchester und Dramaturgie nicht nur umzugehen, sondern schließlich damit zu segeln, anstatt zu rudern.“
Humor und geschärfte Wahrnehmung
Musikalische Inspiration erfährt Johanna Doderer überall, aber besonders in der Natur, bei großen Bergtouren und beim Klettern. „Da stößt man an seine Grenzen, auch körperlich – und in solchen Extremsituationen ist die Wahrnehmung noch einmal eine ganz andere. Es ist überhaupt so im Leben: Wenn man sich ein bisschen zurücknimmt, ist man offener, die Wahrnehmung ist stärker.“ Bei der kompositorischen Arbeit kann sich Johanna Doderer auf ihr hervorragendes Zahlengedächtnis verlassen. Sie merkt sich die Intervalle in Zahlen und kann so „relativ lange und auch schnell (fast) alles im Kopf behalten.“
Johanna Doderer ist eine humorvolle Frau. Deshalb ist es ihr auch ein Anliegen, diese positive Eigenschaft authentisch in Musik zu fassen. Genau das zählt aber zum Schwierigsten in diesem Metier. Gelungen ist ihr dieses Vorhaben bei einem ihrer jüngeren Kompositionen namens „Steine“ für Mezzosopran und Violoncello nach Texten von Martin Erben. „Das Schöne ist dabei, vor dem Lachen kommt zuerst ein Erstaunen. Das Publikum rechnet in zeitgenössischer Musik nicht mit dem Lachen oder mit Komik.“
Mit dem Alltag eng verbundene Musik
Dem arabischen Kulturkreis steht Johanna Doderer nahe. Sie hat den Iran und Syrien bereist, in Teheran Kompositionsworkshops geleitet und pflegt enge Kontakte zu syrischen Familien. Sehr aktiv nimmt sie Anteil an der momentanen Lebenssituation geflüchteter Menschen. Doch in ihre Kompositionen fließen keine ethnischen Klangfärbungen ein. „Die Musik aus diesen Kulturkreisen spricht mich sehr an. Sie steht stark im Zusammenhang mit dem Leben selbst, mit dem Alltag. Natürlich beeinflussen mich die Skalen und Rhythmen, trotzdem bin ich bei der Berücksichtigung dieser Möglichkeiten im Zusammenhang mit meinen eigenen Kompositionen vorsichtig. Erst wenn diese anderen Klänge von mir ‚verinnerlicht’ sind, lasse ich zu, dass sie in meiner musikalischen Sprache zu Wort kommen“, so Johanna Doderer.
Freundschaftlich verbunden
Das Solowerk „Die Farbe Rot“, komponiert für den Akkordeonisten Nikola Djoric, hebt sich im musikalischen Charakter von anderen Kompositionen aus dem Werkkatalog von Johanna Doderer ab. Auch dieses Stück ist in enger Zusammenarbeit und im Dialog mit dem Akkordeonisten entstanden. „Viele Musiker und Musikerinnen begleiten mich, ihnen verdanke ich alles. Ich schreibe für sie und durch die jahrelange Auseinandersetzung mit den Instrumenten, mit ihren Stimmen, kann sich meine Musik erst entfalten. Sie sind es, die meine Musik tragen“, betont die Komponistin.
Aktuell komponiert Johanna Doderer das Werk „Break On Through“ für die „Rising Star-Cellistin“ Harriet Kriigh. Als nächstes entsteht ein Akkordeonkonzert für Nikola Djoric. Gemeinsam mit dem Tiroler Kammerorchester „InnStrumenti“ wird es im kommenden Jahr erstmals zu hören sein.
Silvia Thurner
Factbox
Freitag, 4. November, Staatstheaters am Gärtnerplatz, München, 19:30 Uhr
„Liliom“, Oper von Johanna Doderer, Uraufführung
weitere Aufführungen: 6., 8., 11., 12., 16., 17., 19.11.2016
Daniel Prohaska, Camille Schnoor, Cornelia Zink, Angelika Kirchschlager u.a. Chor, Kinderchor und Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Musikalische Leitung: Michael Brandstätter
CD Tipps
Johanna Doderer: The Piano Trios I-IV. Vilos Trio, Capriccio 2014.
Johanna Doderer: Symphony Nr.2 und Violin Concerto Nr. 2 „In the Breath of time“. Anne Schwanewilms, Yury Revich, Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Ariane Matiakh. Capriccio 2015.
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