„JETZT WILL ICH MICH EINMAL ALS POP DIVA ZEIGEN!” – LOU ASRIL IM MICA-INTERVIEW

“fritz-kola oder Bier?” steht als Frage im Raum, während Lou Asril es sich im Büro seiner Agentur im siebten Bezirk bequem macht. Obwohl der Dreiundzwanzigjährige vermutlich gerne schon im Zug in sein Zuhause nach Oberösterreich säße, ist der ursprüngliche Mostviertler auch nach einem langen Tag gut gelaunt und redefreudig. Während er an seinem fritz-kola nippt, erzählt der junge Musiker von Existenzängsten, Genderfluidität und Lil’ Kim. Was Lou Asril so besonders macht, ist die Unaufdringlichkeit seiner Person, die seine Ansprüche und Zukunftsvisionen kontrastiert und sie dafür umso glaubbarer macht. Seine neue EP “RETROMIX21” markiert dabei einen Aufbruch aus der „smoothen“ Soulnische und lässt mit viel Power und Pop-Diva-Attitude aufhorchen. Dabei bewegt sich „RETROMIX21“ zwischen 2000er-Pop, London Fashion Week und leidenschaftlicher Verträumtheit. Wie das in nur sechs Tracks zu vereinen ist und was sich seit seinem Debüt-Erfolg verändert hat, erzählt der frische Berlin-Rückkehrer im Interview mit Ania Gleich. 

Was gibt dir Berlin, was Wien dir nicht gibt?

Lou Asril: Berlin gibt mir viel mehr Freiheitsgefühl und Anonymität. Auch die Möglichkeit, mich künstlerisch neu selbst zu finden. Es ist zudem ein besonderes Gefühl, sich selbst ein neues Zuhause zu geben, abseits von Österreich und anderen Bezugspunkten, die man hier schon ganz intensiv geschlossen hat. Das bedeutet eine Art reset.

Hast du die Anonymität gebraucht?

Lou Asril: Schon. Natürlich ist es nicht so, dass es hier so intensiv war, dass ich es in Österreich nicht mehr ausgehalten hätte. Ich bin aber schon eine Person, die es gern hat herauszugehen und zu wissen, dass sie jetzt nicht viele Leute treffen könnte.

Das letzte mica-Interview war 2019. Was hat sich bei dir verändert?

Lou Asril: Es ist so viel passiert … In erster Linie sehr viel Entwicklung auf den unterschiedlichsten Ebenen. Ich habe einiges Neues ausprobiert: wie ich arbeite, mit wem ich arbeite, wie ich zu meiner Kunst stehe, wie ich in Zukunft Kunst machen will. Da habe ich ziemlich viel herausgefunden und gelernt.

Bild Lou Asril
Lou Asril (c) Alex Gotter

Eher ein Finden als ein Suchen?

Lou Asril: Das würde ich unterstreichen.

RETROMIX21 hat aber etwas Suchendes, Träumendes. Ist da trotzdem was dran?

Lou Asril: Es ist definitiv verträumter und verschachtelter. Bei louasril war ich direkter. Mit der jetzigen EP sind viel mehr Ebenen dazugekommen, die ich ansprechen wollte. Bis vor ein paar Jahren, war meine Sexualität für mich mein Hauptthema und ich habe diese Erfahrungen mit Musik verarbeitet. Das war der Output. Bei RETROMIX21 sind mehr Themengebiete abgedeckt.

Welche wären das?

Lou Asril: Generell will ich alles möglichst offen lassen: Die Zuhörer:innen sollen den Interpretationsspielraum haben, die Themen für sich selbst zu finden. Aber natürlich habe ich mehr familiäre Themen eingearbeitet, wie der Track „MaMaMaMa“ zeigt. Aber gleichzeitig sind auch viel mehr Ängste reingeflossen, die ich früher noch nicht hatte. Mit neunzehn war ich der Überzeugung, dass mir viel weniger passieren kann. In den letzten vier Jahren bin ich für meine Ängste sensibler geworden.

„ICH AKZEPTIERE DIE ANGST UND UNSICHERHEIT, ABER GENAU DIE WILL ICH WIEDER IN STÄRKE UMWANDELN.”

Wie hast du Angst neu kennengelernt?

Lou Asril: Viele Songs sind sehr inspiriert von der Beziehung, die ich in der Zeit der Entstehung geführt habe. Das war eine offene Beziehung und für mich immer mit sehr starken Verlustängsten verknüpft. Es hat sich ständig in der Schwebe angefühlt: Was das jetzt wird oder ob das so Sinn macht. Wir beide haben uns zwar super verstanden, aber uns Anderes erwartet und vorgestellt, als es dann war. In dem Sinne war da viel Angst mit drinnen. Aber abseits davon haben mich Existenzängste eingeholt, die schon sehr vom Zustand der Welt beeinflusst waren.

Und wie durchbrichst du die Starre der Angst?

Lou Asril: Es ist immer eine kleine Hoffnung da. Dieser fast nicht spürbare Motivationsschub, der mich dann auch dazu treibt, Musik zu machen. Ein Gefühl, das probiert auszudrücken: Ok, ich akzeptiere die Angst und Unsicherheit, aber genau die will ich wieder in Stärke umwandeln.

Bei „MaMaMaMa“ rechnest du aber schon konkret mit jemandem ab, oder?

Lou Asril: Es gibt schon eine spezifische Person, an die ich das geschrieben hab. Die ist mir und meiner Mama sehr nahegestanden. Da gab es einfach ein paar blöde Aussagen dieser Person, gegen die ich damals nichts gesagt hab, weil es die Situation nicht erlaubt hätte und alles nur eskaliert wäre. Aber so ist der Song entstanden. Und es war auch das erste Mal, dass ich so eine Ebene in meine Musik mit hineinnehmen wollte.

So etwas Wütendes?

Lou Asril: Ja, erstens das. Aber auch sowas Persönliches. Für mich waren Themen wie Liebe und Sexualität schon bekannt. Natürlich liegen sie mir immer noch nahe, aber inzwischen haben sie eine gewisse Gewohnheit bekommen. Vor dem Release von „MaMaMaMa“ hatte ich viel größeren Respekt. Ich wusste nicht, wie das aufgenommen wird.

Dabei ist Sexualität auch etwas sehr Intimes.

Lou Asril: Ich glaube, ich schreibe keinen einzigen Song, in dem Sexualität nicht auf irgendeiner Ebene vorkommt. Sogar in „MaMaMaMa“ oder „Same Planet“, wo es nicht vorrangig darum geht, gibt es Aussagen, wo das Sexuelle durchdringt. Das bleibt ein großer Baustein meines Lebens. Dennoch bin ich froh, dass sich das erweitere und neue Bausteine entstehen.

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Dann kann man gespannt bleiben, was deine Zwanziger noch bringen.

Lou Asril: Für mich war die Zeit bis neunzehn sehr intensiv, aber ich habe das immer ganz gut verinnerlicht, akzeptiert, oder mich versucht selbst zu akzeptieren. Zurzeit fällt es mir schwerer, dass ich einerseits in manchen Sachen ausbreche, andererseits aber nicht weiß, wie ich diese neuen Facetten mit der Idee von mir selbst vereinbaren soll.

Ich glaube, das ist ein lebenslanger Prozess, den man in seinen Zwanzigern aber besonders intensiv durchlebt.

Lou Asril: Ha! Also mir geht es jedenfalls gerade so! 

„ICH GLAUBE, DASS ICH MIT DER EP VERSUCHT HABE, EINEN MINI BODY OF WORK ZU PRODUZIEREN, SOWOHL MUSIKALISCH ALS AUCH VISUELL.” 

Zu einem anderen Prozess: Inwiefern war die Produktion der EP anders als bei louasril?

Lou Asril: Die Produktion war viel einheitlicher. Ich habe die ganze EP mit Maximilian Walch produziert. Bei „MaMaMaMa“ hat Moritz Köller mitgearbeitet und bei „Breathe“ Lex Lugner. Im Mai 2020 ist RETROMIX21 als Idee ins Rollen gekommen. Auch wenn es komisch klingt, hat mir die Pandemie da doch günstig reingespielt. Sonst wäre das alles so nicht entstanden.

Bezogen auf den Inhalt oder die Produktion?

Lou Asril: Beides, weil ich vermutlich auf Tour gewesen wäre und mit anderen Leuten andere Songs erarbeitet hätte. Ich glaube, dass ich mit der EP versucht habe, einen mini body of work zu produzieren, sowohl musikalisch als auch visuell. Und das war eine richtig gute Vorbereitung für mein Album, das ich als Nächstes angehen möchte. Da sollen Songs draufkommen, die ich schon mit sechzehn geschrieben hab, genauso wie andere, die erst letztes Jahr entstanden sind. Die Erfahrung, die ich durch RETROMIX21 bekommen habe, hilft mir dabei, das viel besser umzusetzen.

Wie habt ihr die jetzigen Songs aufgenommen?

Lou Asril: Ich war bei Max im Studio und er hat mir seine Demos gezeigt. Einige davon habe ich interessant gefunden und dann darübergeschrieben. Dann haben wir über zwei Jahre daran gearbeitet.

Es ist viel elektronischer geworden.

Lou Asril: Ich habe grade in den letzten Jahren angefangen, viel mehr elektronische Musik zu hören und war besonders inspiriert von den frühen 2000er- und späten 1990er-Jahren.

Bild Lou Asril
Lou Asril (c) Alex Gotter

Was hast du da gehört?

Lou Asril: Missy Elliot, das Album The Cookbook, zum Beispiel. Lil‘ Kim, die mich auch von der Musik, aber vor allem durch ihre attitude begeistert hat. Aber auch die frühen Rihanna Tracks!

Deswegen „RETROMIX21“?

Lou Asril: Eine tiefe Vorgeschichte hat das nicht. Aber es hat zum vibe gepasst. 2021 war das Kernjahr von dem ganzen Entstehungsprozess. „Mix“ aus dem Grund, weil es – auch wenn es ein sehr definierter, einheitlicher Sound ist – schon in viele Genre-Richtungen geht: Da ist Pop, R’n’B und House, aber sogar ein bisschen Footwork oder Hip-Hop dabei. Und „Retro“ eben deshalb, weil ich von Tracks inspiriert war, die schon zwanzig Jahre alt sind.

Warst du 2021 nicht auch 21?

Lou Asril: Haha, ja! Stimmt.

„DIE EMOTIONEN, DIE JEDER TRACK IN SICH TRÄGT, SOLLEN IN DIESEN OUTFITS REPRÄSENTIERT WERDEN!”

Ist das Album auch ein Echo auf deine Generation?

Lou Asril: Unbewusst auf jeden Fall. Ich würde nicht sagen, dass ich gezielt probiert habe, das zu präsentieren, was unsere Generationen uplifted oder beschäftigt. Aber dadurch, dass ich mich auf dem Album sehr fluid gebe – sowohl genderfluid als auch fluid in meinen Charakteren – zeige ich eine Offenheit oder ein Mindset, das in meiner Generation sehr präsent ist.

Wie persönlich geht diese Ebene für dich?

Lou Asril: Na ja. Ich identifiziere mich zwar als Typ – er/ihm aber ich gebe dem persönlich an mir wenig Bedeutung. Egal wie du mich nennst, wenn ich mich angesprochen fühlen will, dann bin ich aufmerksam.

Die Musikvideos sind aber richtige Modeshows. Wie ist das entstanden?

Lou Asril: Ich glaube, dass in dem ganzen Prozess verschiedene Charaktere entstanden sind, die wortwörtlich nochmal zur Schau gestellt werden mussten. Die Emotionen, die jeder Track in sich trägt, sollen in diesen Outfits repräsentiert werden! Es passiert zwar alles in einem Universum, trotzdem hat jeder Track eine eigene Energie. Mir war es deshalb wichtig, dass ich das an mir selbst auch sehe. Die Outfits sind dabei mit meiner Stylistin Marie-Therese Fritz entstanden. Wir haben uns mehrmals hingesetzt, Ideen hin und her geschickt und so ist das gewachsen. Gedreht haben wir das Ganze dann in Berlin. Die Video Edits habe ich dann aber selbst geschnitten. Deswegen war ich die letzten Monate auch voll in den Computer vertieft, weil ich sie so präsentieren wollte, dass es für mich passt. Dabei habe ich mir gedacht, dass nur ich das schaffen kann. Außerdem wäre es viel zeitaufwendiger und anstrengender gewesen, es jemand anderem zu erklären. Aber der größte Unterschied zur ersten EP – da wurde nämlich immer viel von „soulful“ oder „smooth“ geschrieben: Jetzt will ich mich einmal als Pop Diva zeigen! Das bedeutet nicht, dass das ein neuer Lou Asril ist. Zudem … We will see, what happens next!

What will happen next?

Lou Asril: Ein großes, geiles Projekt!

Aber dazu kannst du noch nichts sagen?

Lou Asril: Nur so viel: Es gibt ein paar Tracks, an denen ich jetzt schon arbeite. Das neue Album wird sehr auf meine Vergangenheit bezogen und chronologisch aufgebaut sein.

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Jetzt wirst du aber erst einmal touren?

Lou Asril: Ja am 30. beginnt es in Graz, danach einige Shows in Österreich, dann kurz in die Schweiz und später noch Deutschland. Mitte Mai ist es dann auch wieder vorbei.

Cheesy last question, aber: Was wünschst du dir gerade?

Lou Asril: Dass es weitergeht, wenn ich ganz ehrlich bin. Ich habe mich die letzten drei Jahre einfach so intensiv mit RETROMIX21 auseinandergesetzt, dass ich mich auf ein neues Kapitel freue.

Dann hoffe ich, dass dir das gelingt!

Lou Asril: Und ich danke dir für das Gespräch!

Ania Gleich

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