Ein bisserl Bauchweh habe er schon, schreibt mir BERNHARD KERN nach unserem Gespräch. Manche Dinge hätte der Siluh-Records-Macher und Plattenladenbesitzer und Diese-große-Band-fast-Entdecker nämlich gerne anders gesagt, also lieber gar nicht gesagt. Und weil das im avancierten Musikjournalismus natürlich immer geht – Dinge nicht sagen, die davor anders gesagt wurden –, geht das hier eben auch.
Siluh wird nämlich 20. Da kann man schon mal ein paar Geburtstagsgeschenke verteilen. Es ist ja wirklich ein tolles Label. Was da schon für tolle Bands veröffentlicht haben, so viele, wirklich viele. Ein paar kann man sogar sehen und hören, beim tollen Siluhrama Festival, das am 13. und 14. Juni 2025 im WUK passiert. Oder man schaut im tollen Siluh-Laden vorbei und unterhält sich ganz klassisch – man kann ja später immer noch was anderes sagen.
Wie macht man 20 Jahre ein Label wie Siluh?
Bernhard Kern: Das erschreckt mich immer wieder, weil: 20 Jahre ist schon lang. Aber was soll ich anderes machen?
Es gab nie einen anderen Plan?
Bernhard Kern: Siluh war ja nie nur ein Label. Ich war immer nah mit den Künstler:innen, auch wenn ich mich damals wie heute gegen den Managementbegriff sträube – das klingt ja eher nach …
Pelzmantel-Gestalten mit Zigarre im Mundwinkel?
Bernhard Kern: Na ja, der Labelboss ruft ja eine ähnliche Assoziation hervor, oder?
Früher ließ sich das entschärfen, indem man gesagt hat, dass man ein Indie-Label macht.
Bernhard Kern: Ja, mittlerweile ist die Frage aber: Was ist eigentlich ein Indie-Label? Ich bin mit dem Indie-Begriff sozialisiert worden, ich habe also eine Definition für mich. Aber die beinhaltet was anderes als, sagen wir … AnnenMayKantereit, die in der Musikwelt vielleicht auch noch in den Bereich Indie-Pop fallen.
Du hast, bevor es mit Siluh Mitte der Nullerjahre losging, auch schon mit Musik zu tun gehabt.
Bernhard Kern: Ja, als Teil der Band Jugendstil. Außerdem habe ich Konzerte und Partys in St. Pölten veranstaltet.
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Du warst auch früh im Internet und hattest einen Online-Mailorder. Wie hieß der …
Bernhard Kern: Microbauchladen, genau! Wir hatten eine CD, die wir an Fanzines im deutschsprachigen Raum verschickt haben. Da gab es dann vereinzelt Reviews und Leute haben die CD bei uns bestellt. Da dachte ich, wenn denen unsere CD gefällt, dann gefällt ihnen sicher auch die Musik von befreundeten Bands. Deshalb hab ich dann diesen Mailorder gestartet als simple textbasierte Website, wo ich CDs und LPs vertrieben hab. Das ist alles von zu Hause passiert, ohne dass meine Eltern davon wussten. Anfang der 2000er bin ich nach Wien gezogen und oft ins NIG gegangen, weil es Computer und Internet gab. Damals gab es dort sogar noch einen Paternoster. Jedenfalls habe ich bald Robert [Stadlober, Anm.] kennengelernt. Mit ihm habe ich 2005 das Label gestartet.
Robert ist ein paar Jahre später nach Berlin gezogen.
Bernhard Kern: Genau, da hing Siluh wirklich in den Seilen. Freunde haben aber wieder und wieder betont, wie super das bisher gewesen sei. Also habe ich das Label richtig gegründet. Mit Steuernummer und Förderungen und so weiter.
Wie blickst du auf diese ersten Siluh-Jahre zurück – nostalgisch verklärt oder realitätsnah distanziert?
Bernhard Kern: Na ja, ich passe schon auf, dass ich nicht zu dem Schlag Mensch werde, der sagt: Nach Led Zeppelin hat es keine gescheite Musik mehr gegeben. Bei Siluh wirke ich allein schon deshalb dagegen, indem ich mit vielen 19- bis 27-Jährigen zu tun habe. Die Nostalgie kommt da eher von ihnen. Wenn ich erzähle, wie man früher auf Platten gestoßen ist – also durch tatsächliche Recherche, es gab ja keine andere Möglichkeit – sagen sie: Das klingt schon irgendwie cooler, als einen guten Song durch den Algorithmus empfohlen zu bekommen.
Gleichzeitig …
Bernhard Kern: Ist es natürlich toll, dass es sowas wie das Internet gibt. Dass es also ganz einfach ist, auf Bands, auf die man vielleicht nie gekommen wäre, zu stoßen. Und sich beispielsweise ganze Discographien mit einem Mausklick durchforsten kann. Damit ist dieser gescheitmeiersische, elitäre Zugang verschwunden.
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Ja, man muss sich nicht mehr auf 35 Spex-Seiten erklären lassen, was jetzt genau Pop ist.
Bernhard Kern: Dazu muss ich sagen: Die Spex habe ich eigentlich nie gelesen. Mein Ding waren eher Fanzines. Es hat aber lange gedauert, bis ich aus dem Dorf rausgekommen bin. Davor war ich eher bei MTV. Irgendwann habe ich so „Creep” von Radiohead gesehen. Da habe ich mir gedacht: Genau das ist es. Dann kam der ganze Britpop und Tocotronic und Pavement. Als Jugendlicher hört man ja ganz viel gleichzeitig, das gar nicht zusammenpasst, weil man es nicht besser weiß.
Deshalb habe ich vorhin gefragt, wie man das alles 20 Jahre macht – irgendwie muss die Musik ja, wie soll ich sagen: frisch bleiben?
Bernhard Kern: Ich habe jedenfalls keinen schwachen Moment, in dem ich mir wieder Radiohead anhöre.
Warum?
Bernhard Kern: Weil es schon so breit getreten ist. Ich hocke ja auch nicht bei Coldplay. Außerdem ist es spannender, wenn ich Musik aus dieser Zeit höre, die ich damals nicht gekannt habe.
Mit Siluh hättest du ein paar Bands und Künstler:innen veröffentlichen können, bevor sie bilderbuchartige Karrieren hingelegt haben. Ärgert dich das?
Bernhard Kern: Ich hatte ein paar Nemesis-Momente, also: Bands, die in Reichweite waren und die ich nicht released habe und die später wirklich erfolgreich wurden. Da komme ich schon manchmal ins Grübeln und bin unsicher über so viele Entscheidungen, aber eigentlich ist es schon okay
Ist das so ein Ich-hätte-die-Beatles–signen-können-Moment?
Bernhard Kern: Ich habe den Bands schon aus meinen persönlichen Gründen abgesagt. Die Frage, mit welchen Acts ich zusammenarbeiten möchte, war eine Zeitlang echt nicht einfach. Geht man nach kommerziellen Interessen? Geht man nach persönlichen Interessen? Interessiert die Musik außer mir selbst noch jemand anderen? Wozu eine Platte rausbringen, wenn die nicht mal Hundert Stück verkaufen wird? Diese Gedanken muss man aushalten. Oder sich die Frage stellen: “Wofür macht man das wirklich?”
Und, wofür?
Bernhard Kern: Diesen Sud habe ich mal mit Carsten Friedrichs besprochen. Also, dass keine Leute zu den Shows kommen und dass es sich nicht auszahlt und so weiter. Er hat gesagt, dass das immer schon so gewesen sei. Die interessanten Bands sind die kleinen, zu denen keine Leute kommen. Die großen Bands waren immer schon scheiße. Das ist natürlich überspitzt formuliert. Aber irgendwas ist da schon dran. Der Ruhm, auf dem diese Bands fußen, sind nämlich genau die Gigs, die sie irgendwann vor 150 Leuten gespielt haben. Wenn Iggy Pop vor 5.000 Leuten auftritt, sagen die meisten: Eh geil, aber früher war es geiler.
Was heißt das?
Bernhard Kern: Man sollte die Musik machen, weil es für einen im Moment wichtig und dringlich ist. Und auch damit zufrieden sein, wenn nicht so viele Leute kommen wie bei anderen Acts. Vielleicht sollte man auch aufhören, sich immer vergleichen zu wollen. Man muss es machen, weil man es machen will. Und nicht, weil man auf der Straße erkannt werden möchte.
Siluh ist also auch … Sinnsuche?
Bernhard Kern: Siluh sollte Musik sein, die Nerds woanders auch gut finden. Ich mein, Siluh-Bands haben von Schottland bis Subotica gespielt. Die Sex Jams waren sogar zwei Mal auf US-Tour. Das ist schon cool, weil man merkt: Es gibt immer ein paar, die das geil finden. Und die sich dann später daran erinnern.
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Ist das heute anders als vor 20 Jahren?
Bernhard Kern: Na ja, früher hätte man gesagt, Heinz aus Wien machen das Chelsea voll und das ist super. Inzwischen muss man sagen: Wenn man die Arena-Halle nicht vollmacht, ist man kein bedeutender Indie-Act. Die Sinnfrage verändert sich also auch. Manche hören deswegen auf. Wahrscheinlich weil sie nicht einsehen, dass man nur kleine Brötchen backen wird und nicht gegen den Ströck konkurriert. Das denke ich mir mit dem Plattenladen ja auch, der ist …
Ein Grätzlversorger?
Bernhard Kern: Eher ein kompletter Schwachsinn. Nein, im Ernst: Ich sehe den Plattenladen schon als sozialen Ort, wo man sich auch gut über Musik austauschen kann. Damit hat das Label einen öffentlichen Part mit Öffnungszeiten. Ich denke das so als eine Art Jugendzentrum.
Spielt das für dich in deinen ursprünglichen Indie-Gedanken hinein?
Bernhard Kern: Ja, auch deshalb mache ich zum Label-20er einen Sampler: Siluh-Bands covern Siluh-Bands, der wird nur auf Vinyl erscheinen. Das werden dann ganz wenig hören, weil die Leute ja keine Platten mehr hören.
Danke für deine Zeit!
Christoph Benkeser
++++
Links:
Siluh Records (Homepage)
Siluh Records (Bluesky)
Siluh Records (YouTube)
Siluh Records (Instagram)
Siluh Records (Bandcamp)