„Jeden Tag ein Song” – MYNTH im Mica-Interview

Das Duo MYNTH veröffentlicht ihren vierten Langspieler mit dem schlichten Titel „Four” am 31.03.2023 auf dem hauseigenem Label ASSIM RECORDS. Das Geschwisterpaar Giovanna und Mario Fartacek sprechen über den Entstehungsprozess, die Relevanz von aufwendigen Musikvideos und darüber, ob Albumförderungen noch den Anforderungen der Zeit entsprechen. Sind die Konzertgeher zu faul geworden, oder die Veranstalter zu vorsichtig? Auch dieser Frage gehen wir in diesem Gespräch auf den Grund. Denn abgesagte Konzerte, aufgrund schwachen Kartenvorverkaufs, sind heutzutage an der Tagesordnung vieler Bands mittlerer Größe. Daher fragen wir nach bei denen, die nicht nur auf der Bühne stehen, sondern gleichzeitig auch das Business aus der Perspektive eines Festivalveranstalters kennengelernt haben. Das Gespräch führte Dominik Beyer.

Wie ist das neue Album entstanden?

Mario Fartacek: Giovanna am Klavier und ich an der Gitarre. Wir haben die Chords zuvor festgelegt und beschlossen, dass wir immer alles gleich aufnehmen, um diesen Demo-Vibe zu behalten. Bislang hatten wir immer eine Vorproduktion gemacht, was zur Folge hatte, dass man beim finalen Recording den Song schon zu oft gehört. Das kann ein Stimmungskiller sein. Folglich haben wir in Studioatmosphäre gejammt, um alles gleich mitschneiden zu können. 

Giovanna Fartacek: Wir sind auch bewusst vom Computer weg. Früher haben wir oft mit einer Synthfläche und einem Drumloop am Computer gestartet. Diesmal haben wir die Emotion eingefangen, die wir selber am Instrument und der Stimme spielerisch erzeugten. Das galt es dann als Grundidee fortzuspinnen. Diese Vorgangsweise hat unser bisheriges Songwritingmuster gebrochen.

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Mario Fartacek: So war auch klar, dass es kein vorrangig elektronisches Album wird. 

Inwieweit denkt man die Wünsche vom Zielpublikum bei der Produktion mit? 

Mario Fartacek: Nachdem wir keine riesige Fanbase haben, die uns primär wegen eines großen Hits kennen zum Beispiel, sind wir natürlich auch sehr frei und relativ unbeeinflusst in der Gestaltung. Die Leute, die zu unseren Konzerten kommen, freuen sich auch darüber, dass wir abwechslungsreich sind. Das macht uns auch aus, hoffe ich. 

Giovanna Fartacek: Wir haben vergangenen Sommer ein paar Duoshows in einem downtempo Elektroset gespielt. Das hat schon Spaß gemacht, aber irgendwie fehlte mir das Organische, um auch emotional reinzukommen. Daher vielleicht auch der Entschluss eine akustische Richtung einzuschlagen. Ich habe in der Produktionsphase ehrlich gesagt gar nicht daran gedacht, an wen ich das richten möchte. Dadurch war ich in einem Flow, der sowas auch völlig irrelevant gemacht hat. Das war schön. Uns ist schon auch bewusst, dass wir nicht mehr den riesengroßen Karrierestep machen werden. Gleichzeitig wissen wir auch, dass wir immer Alben schreiben werden. Weil es uns einfach Spaß macht. 

es wurde nicht mitbedacht, dass ein Künstler im Entstehungsprozess auch Geld zum Leben braucht.”

Die Songs hattet ihr aber schon vor dem Produktionsmonat geschrieben oder?

Giovanna Fartacek: Nein, alles in einem Monat. 

Das ist ja Hochleistungssport!

Mario Fartacek: Da hätte natürlich nicht viel schief gehen dürfen.

Giovanna Fartacek: Jeden Tag ein Song.

Mario Fartacek: Die Tour im April hatten wir schon vor langer Zeit gebucht. Mit den Veranstaltern ist vereinbart, dass ein Album kommt. Davor sind wir einfach nicht zum Schreiben gekommen. Unser Festival war ein größerer Arbeitsaufwand als angenommen. Nach dem Festival haben wir bei Austrovinyl angerufen, um uns zu informieren, bis wann wir das Master übergeben müssen, um das Vinyl noch rechtzeitig vor dem Tourstart zu bekommen. Die hätten das eigentlich schon gebraucht, zur Zeit des Telefonats. 

Alles gut gegangen. Danke für das Exemplar! Die waren aber dann auch schnell. Ich war bislang schon auf eine Wartezeit von bis zu sechs bis neun Monaten eingestellt. 

Mario Fartacek: Das war bislang auch so. Mit dem neuen Werk geht es jetzt scheinbar ein wenig schneller. Aber mehr Zeit hätten wir uns auf jeden Fall nicht nehmen dürfen.

Bild Mynth
Mynth (c) Paul Vincenth Schütz

Mario, du hast auch viele andere Bands produziert. Was lernst du dabei für die Eigene?

Mario Fartacek: Wenn man als Band im Studio ist, wird man innerhalb dieser intensiven Arbeitszeit oft betriebsblind. Beziehungsweise gerät man schnell in gewohnte Muster. Meiner Meinung nach ist die Aufgabe eines Produzenten, diese Muster regelmäßig aufzubrechen, um frisch zu bleiben. Man muss dafür sorgen, dass man kreativ bleibt und trotzdem hin und wieder Zufallsmomente herbeiführt. Das macht für mich die Arbeit eines Produzenten aus. Diese Denkweise hilft uns als Mynth natürlich genauso. 

Findet ihr das Budget, das für Musikförderungen im Schnitt ausbezahlt wird, noch zeitgemäß? 

Mario Fartacek: Alle Förderungen sind Wirtschaftsförderungen. Kurzum, wer den Musikfond bekommt, beglückt in erster Linie alle Beteiligten. Denn das Geld fließt direkt in den Tonträger. Aber es wurde nicht mitbedacht, dass ein Künstler im Entstehungsprozesses auch Geld zum Leben braucht. Außer bei ganz wenigen Staatsstipendien, die einen Künstler für ein Jahr bedingungslos finanziell unterstützen, sind die Förderungen immer an Ausgaben gekoppelt. Wenn man bedenkt, dass man in dieser Zeit eigentlich nicht arbeiten gehen kann, ist ein Album machen zu können schon auch eine Frage der Klasse. Das könnte man schon auch bedenken.

Warum habt ihr euer eigenes Label gegründet? Wart ihr unzufrieden mit der österreichischen Label Landschaft?

Mario Fartacek: Am Anfang war es eher als Kollektiv gedacht. Wir hatten erstmal nur Releases aus dem Freundeskreis. Valentin Eder hat mit seinem Engagement daraus ein professionelles Label gemacht. Zusammen mit Ilias Dahimène und Theresa „Therry“ Langner zu Beginn. 

Besetzt ihr eine bestimmte Nische? Nehmt ihr neue Artists auf? Was sollte man mitbringen für die Assim Family? 

Mario Fartacek: Wir haben viel darüber gesprochen, ob wir ein bestimmtes Genre besetzen wollen. Für uns ist eher ausschlaggebend, ob die Musik bei uns was auslöst. Gehen die Songs unter die Haut? Nach diesem Kriterium hören wir uns die Demos an. 

„Es ist schon paradox, dass einerseits das Visuelle in unseren Medien so essentiell ist wie nie zuvor. Und gleichzeitig das Medium Musikvideo scheinbar zu lang ist. (lacht)”

Ihr habt bereits einige aufwändige Musikvideos mitproduziert bzw. in Auftrag gegeben. Haben Musikvideos noch eine große Relevanz in Zeiten von Streaming?

Giovanna Fartacek: Wir haben auf dem Weg hierher gerade darüber gesprochen. Weil unsere Hauptsingle noch ansteht. Wir haben uns da immer sehr ins Zeug gehängt, weil uns das Visuelle sehr wichtig ist. Auf der anderen Seite ist ein aufwändiges Video mit vielen Kosten und Zeit verbunden. Dafür, dass es dann im besten Fall ein paar tausend Leute sehen. Die Aufmerksamkeitsspanne ist seit Tiktok und Instagram auf maximal 30 Sekunden gerichtet, und daher stellt sich die Frage berechtigterweise: Warum?

Da klicken viele schon weg, während der Werbeclip noch läuft…

Giovanna Fartacek: Ja genau. So ist es wirklich oft. Das ist bitter, und die Realität. Gleichzeitig möchte man aber auch da irgendwie dagegen steuern. Unsere Streamingzahlen sind jetzt aber auch nicht so massiv, dass man auf das Visuelle verzichten könnte.

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Mario Fartacek: Es ist schon paradox, dass einerseits das Visuelle in unseren Medien so essentiell ist wie nie zuvor. Und gleichzeitig das Medium Musikvideo scheinbar zu lang ist. (lacht)
Ich finde es schon nach wie vor stimmig, wenn jemand eine coole visuelle Idee zu einem Song hat. Deswegen haben wir auch immer noch Videos gedreht. Das hilft uns eben auch eine Geschichte zu erzählen. Uns ist es also schon noch wichtig. Es war aber vermutlich schonmal wichtiger in der Vergangenheit.

Ist es dann überhaupt ratsam viel Arbeit und Geld in Musikvideos zu stecken?

Giovanna Fartacek: Also irgendeine Art visueller Unterstützung würde ich auf jeden Fall empfehlen. Mit einem Soundcloud-Link ein Label zu suchen, ist aus meiner Sicht nicht sehr ratsam. Es muss nicht unbedingt das aufwendige Hochglanz Video sein. Man kann auch mit DIY-Videos sehr kreativ sein. 

Manche Leute behaupten die Menschen seien nach der Pandemie faul geworden, und schauen jetzt lieber Netflix als auf Konzerte zu gehen. Könnt ihr das bestätigen?

Mario Fartacek: Das können wir erst nach der Tour sagen. 

Giovanna Fartacek: Leider ja. 

Mario Fartacek: Die spontanen Sachen, wie zum Beispiel ein Konzert am Gürtel funktioniert schon wieder. Die ganz großen Events funktionieren auch bestens. Acts wie Helene Fischer füllen die Stadthalle an fünf Abenden in Folge. Das Mittelsegment funktioniert im Vorverkauf viel schlechter als noch vor der Pandemie. Scheinbar möchte keiner mehr planen. 

Giovanna Fartacek: Der Vorverkauf ist quasi nonexistent, derzeit. 

„Denn Acts die kein volles Haus garantieren, werden nicht mehr gebucht. Das trägt nicht gerade zur Diversität der Kultur bei.”

Mario Fartacek: Die Veranstalter sind aber trotzdem teilweise noch so eingestellt, dass Konzerte abgesagt werden, wenn der Vorverkauf nicht stark war. Eigentlich sollten sie ja wissen, dass das gerade nicht funktioniert. Die Leute kommen schon spontan. Aber da ist ihnen das Risiko vermutlich zu groß. 

Giovanna Fartacek: Bei unserem Festival war das auch nicht anderes. Man kann als Veranstalter nicht mehr planen. Man muss sich darauf verlassen, dass der Act Leute zieht, die dann bei der Abendkasse erscheinen. Ich versteh natürlich die Unsicherheit. Aber da leidet die Subkultur schon sehr. Denn Acts, die kein volles Haus garantieren, werden nicht mehr gebucht. Das trägt nicht gerade zur Diversität der Kultur bei. 

Bei eurem Festival in Hallein war volles Haus. An zwei Abenden hintereinander habt ihr drei Bühnen parallel bespielt. Eine davon war die große Festspielbühne auf der Pernerinsel.

Giovanna Fartacek: Am Anfang der Woche waren, glaub ich, nur fünfzig Karten verkauft. Da haben wir wirklich geschwitzt. Selbst bei hundert verkauften Tickets sähe es im Publikum der Festspielbühne verschwindend leer aus. 

Also wird es eine Fortsetzung geben?

Giovanna Fartacek: Auf jeden Fall

Mario Fartacek: Im Mai 2024

Giovanna Fartacek: Ich glaub auch, dass das Format sehr erfrischend war. Weg vom Schnelllebigen. 

Wie kann man der Schnelllebigkeit noch entgegenwirken?

Giovanna Fartacek: Indem man den gegensätzlichen Weg einschlägt. Weg von Streaming. Man muss der Musik wieder in der pursten Essenz den Stellenwert geben, den sie verdient. 

Wobei die Absenz auf Streaming-Plattformen eher undenkbar ist, oder? 

Giovanna Fartacek: Ja, vermutlich. Trotzdem stellt man sich die Frage, ob man jeden TikTok-Trend mitmachen muss. Instagram machen ja alle mit. Aber auch hier müsste man sich Algorithmen unterwerfen, um eine gute Reichweite zu bekommen. 

Mario Fartacek: Das muss einem schon auch richtig taugen. Tiktok ist schon ein anderes Format. Wenn man das betreibt. wie unsereins Facebook, wird es dort eh keinen interessieren. 

Welchem Newcomer sollte man in Zukunft mehr Aufmerksamkeit richten? 

Mario Fartacek: Einer der großartigsten Livebands im Moment sind die Siamese Elephants. Mit denen haben wir zusammen auch im Kairo gespielt. Das sind aber keine Newcomer mehr. 

Giovanna Fartacek: Elsa bekommen meiner Meinung nach auch zu wenig Aufmerksamkeit. 

Mario Fartacek: Amelie Tobin genauso.

Giovanna Fartacek: Die ist so unermüdlich und lässt sich nicht unterkriegen. Auch wenn kein Airplay passiert, weil FM4 mal wieder ablehnt. Die macht ihr Ding.  

Vielen Dank für das Gespräch

Dominik Beyer

mica – music mustria verlost 2×2 Tickets für die Album Release Show “FOUR” am Freitag, den 06. April 2023 im Fluc. Bei Interesse bitte bis zum 04.04.2023 eine E-Mail an office@musicaustria.at – Betreff: “Mynth”

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Mynth Live:

04-06 / AT Wien Fluc
04-12 / DE Stuttgart Café Galao
04-13 / DE Karlsruhe Kohi
04-14 / DE Rorschach Treppenhaus
04-15 / DE Offenbach Hafen2
04-16 / DE Regensburg Heimat
04-17 / DE Berlin Kantine am Berghain
04-18 / DE München Milla
04-20 / AT Graz Orpheum Extra
04-21 / AT Salzburg Rockhouse
04-22 / AT Linz Stattwerkstatt
05-13 / AT Klagenfurt Kammerlichtspiele

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Links:
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Assim Records