TANJA ELISA GLINSNER wurde von einer Jury ausgewählt, um aus Anlass von Schönbergs 150. Geburtstag im Auftrag von Wien Modern, RSO Wien, ACOM Austrian Composers und Arnold Schönberg Center ein Orchesterwerke für das Claudio Abbado Konzert am 29. November 2024 zu verfassen. Auf die Bühne gebracht wird es vom ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Susanne Blumenthal. Im Gespräch mit Ania Gleich geht TANJA ELISA GLINSNER auch auf die emotionalen Zustände ein, in die sie sich während des Komponierens begibt.
Du bist Komponistin, Dirigentin und Sängerin. Stimmt das?
Tanja Elisa Glinsner: Ja, das stimmt, allerdings würde ich die Reihenfolge etwas angleichen: Komponistin, Sängerin und Dirigentin.
Warum?
Tanja Elisa Glinsner: Weil ich zurzeit als Komponistin und als Sängerin am aktivsten bin. Ich hatte mit vierzehn meinen ersten Dirigierkurs besucht, der Gesang kam zur gleichen Zeit dazu. Mit sechs Jahren begann ich Violine zu spielen, später folgten Saxofon, Klavier und Akkordeon. Die ersten Kompositionsversuche habe ich mit neun Jahren unternommen. Später folgten dann meine Gesangs-, Kompositions- und Dirigatsstudien an der mdw–Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien sowie an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz.
Kommst du aus einer musikalischen Familie?
Tanja Elisa Glinsner: Zuhause haben wir viel musiziert, und ich wurde sehr jung in die musikalische Früherziehung geschickt, wo ich meine spätere Geigenlehrerin kennenlernen durfte. Als Kind wollte ich immer am liebsten Klavier lernen, da es aber eine Weile dauerte, bis ich einen Platz in der Musikschule bekam, wurde für lange Zeit die Violine mein Hauptinstrument.
Parallel dazu hast du noch Saxofon und Akkordeon gespielt?
Tanja Elisa Glinsner: Ja, das kam mit neun dazu. Da meine Mutter Akkordeon gelernt hatte, ergab sich das wie von selbst.
Wenn du einen roten Faden durch all deine musikalischen Tätigkeiten ziehen müsstest, wie würdest du ihn beschreiben?
Tanja Elisa Glinsner: Den roten Faden brachte das Komponieren sozusagen ins Spiel. Ab diesem Zeitpunkt ergaben alle zuvor getroffenen Entscheidungen eine natürliche und logische Verbindung. Durch das Dirigieren erhielten die unterschiedlichen Tätigkeiten eine strukturelle Gliederung, als auch Vertiefung, während der Gesang mir immer half, eine eine körperliche Balance und Leichtigkeit zum oftmals sehr intellektuell angelegten, beinahe kopflastigen Komponieren zu finden.
Du machst klassischen Gesang …
Tanja Elisa Glinsner: Ja, ich verspürte früh den Wunsch, Opernsängerin zu werden und auf den „Brettern, die Welt bedeuten” stehen zu dürfen und hatte früh eine besondere Leidenschaft zur Oper entdecken dürfen. Mit der populären Gesangstechnik habe ich mich nie wirklich beschäftigt.
Wie war es, mit neun Jahren das erste Mal etwas Eigenes zu komponieren?
Tanja Elisa Glinsner: Als Kind empfand ich besondere Freude daran, etwas zusammen zu „bauen“. Ich habe mit einem Uhu-Stick kleine Elemente aneinandergeklebt, woraus dann ein Geigenstück entstand. Das waren meine ersten Kompositionsversuche. Interessanterweise bedeutet ja „komponieren“ ursprünglich auch „zusammensetzen“. Das hat mir niemand beigebracht, ich habe es aus Spaß neben meinem Instrumentalunterricht einfach gemacht …
„WENN MAN ETWAS NUR TUT, UM DIE EIGENE REPUTATION ZU VERBESSERN, BEEINFLUSST DIES NEGATIV DIE ART UND WEISE, WIE MAN AN DIE ARBEIT HERANGEHT ODER HERANGEHEN KANN.“
Mit neunundzwanzig hast du schon einige Preise und Stipendien erhalten. Was bedeuten sie für dich?
Tanja Elisa Glinsner: Sie sind für mich Teil einer linearen Entwicklung, aber kein „Ankommen“. Ich habe mit kleineren Stipendien und Wettbewerben begonnen, woraus sich mit der Zeit allmählich ambitioniertere Projekte und Vorhaben entwickelten. Wie als Sängerin, baut man sich so allmählich das eigene künstlerische Profil bzw. Portfolio auf. Letztens durfte ich an der mdw einen kleinen Vortrag über meine kompositorische Arbeit halten, wobei mich Studienkolleg:innen fragten, wie man sich denn eine Karriere aufbauen sollte. Meine Antwort darauf war: Ich glaube eigentlich nicht, dass ich eine Karriere habe – ich habe bisher nur Schritt für Schritt meinen Weg verfolgt.
Der Karrieregedanke wird einem oft früh eingeimpft. Wie stehst du dazu?
Tanja Elisa Glinsner: Ich versuche, mich davon zu distanzieren. Natürlich ist man geradezu automatisch karriereorientiert, wenn man sich intensiv mit seiner Arbeit und den unterschiedlichen Weiterbildungsmöglichkeiten und Herausforderungen beschäftigt. Allerdings empfinde ich es als energetisch schädlich, ständig über Karriere nachzudenken. Es tut mir nicht gut und hat dazu noch einen etwas opportunistischen Beigeschmack.
Inwiefern?
Tanja Elisa Glinsner: Wenn man etwas nur tut, um die eigene Reputation zu verbessern, beeinflusst das negativ, wie man an die Arbeit herangeht oder herangehen kann. Man engt sich ein und zwängt sich dabei in die am Markt vorhandenen und gehandelten „Schubladen“.
Karriere lässt sich oft erst im Rückblick verstehen.
Tanja Elisa Glinsner: Absolut. Außerdem setzt man sich unnötig unter Druck, wenn man sich vornimmt, bis dreißig dieses oder jenes erreicht zu haben. Es führt oft entweder zu Enttäuschung, weil man sich an unrealistischen Erwartungen misst, oder zur Ignoranz und Blindheit für die eigenen Möglichkeiten, die der eigene Weg einem vor die Füße legt.
Kannst du von der Entstehung und dem kreativen Prozess deines Stückes „Ein Baum. Entwurzelt. Der ins Leere fällt…“ für Wien Modern erzählen?
Tanja Elisa Glinsner: 2021 habe ich für das Ensemble Reconsil im Auftrag von Manuela Kerer ein Stück geschrieben: „…von Funken rot umtanzt…“ oder ENTWURZELUNG. Dafür habe ich mich mit zwei Gedichten beschäftigt: „Der brennende Baum“ von Bertolt Brecht und „Ebene Landschaft“ von Maria Luise Weissmann. Beide behandeln auf unterschiedliche Weise die Entwurzelung eines Baumes. Bei Brecht ist der Prozess destruktiv, rot-schwarz – durch Feuer. Weissmanns Gedicht wirkt tröstlicher, fast ruhig, mit grauen Tönen – der Baum wird durch den Fluss des Wassers aus der Erde gerissen.
Dabei interessierte mich besonders, wie ich ein Stück schaffen könnte, das ebendiese Gegensätze verbindet: ruhige, linienartige Passagen einerseits und das Knistern brennender Äste und das Krachen des brechenden Stammes andererseits Mit gepressten Bläserakkorden und übermäßig starkem Bogendruck auf den Streichinstrumenten wurde zum Beispiel das Krachen des Holzes dargestellt. Nach der Uraufführung des Ensemblestücks habe ich ein neues Konzept entwickelt, welches auf das Material des zu Grunde liegenden Ensemblestücks zurückgreift. Dieses reichte ich 2022 für Ink Still Wet ein, woraus schließlich das neue Orchesterstück entstand.
Gab es auch eine persönliche Motivation zu dieser Idee?
Tanja Elisa Glinsner: Der Ausgangspunkt der Idee war sehr persönlich: In meiner Kindheit gab es einen riesigen Kirschbaum in unserem Garten, der für mich höchst identitätsstiftend war. Als wir das Haus verkauften, wurde der Baum gefällt, ohne dass ich dabei war. Dieses Erlebnis, dieser nicht erlebte Umstand floss ins Stück mit ein.
Bei „Ein Baum. Entwurzelt. Der ins Leere fällt…“ habe ich deshalb auch einige neue Elemente hinzugefügt oder herausgearbeitet, wie etwa die knackenden Holzklänge oder das Prasseln des Feuers. Neu hinzugekommen sind zwei Sirenen, um die Zäsur des Baumfällens hörbar zu machen. Um das Erlebnis zu verarbeiten, war es mir wichtig, ihm eine hörbare Präsenz zu geben.
Daher die Verwendung der Sirenen und die Stimmen der Masse, die den Baum teilweise schreiend kommentieren.
Also das Ereignis, das du in der Realität selbst nicht miterlebt hast?
Tanja Elisa Glinsner: Ja, genau! Mir war wichtig, dass am Ende des Orchesterstücks das Knacken der Äste immer intensiver wird, bis es wirklich kulminiert und man den Baum letztlich in sich zusammenbrechen hört. Am Schluss fließt das Stück dann nur noch aus: Er ist in die Leere gefallen
Schönberg hat ja für seinen Liederzyklus „Das Buch der hängenden Gärten“ (auf den sich dein Werk auch bezieht) nur einen Teil der Gedichte von Stefan George vertont. Inwiefern hängt das Motiv des Baumes in den „Hängenden Gärten“ mit deinem Interesse an den nicht vertonten Gedichten zusammen? Mir kam vor, dass eben diese Gedichte die Schattenseiten thematisieren, über die man nicht so gern spricht.
Tanja Elisa Glinsner: Das sehe ich genauso! Der Garten ist bei Schönberg etwas Wunderbares, aber auch etwas Surreales, das schließlich zerfällt … Ich glaube, hätte Schönberg die anderen Gedichte von George vertonen wollen, hätte der gesamte Zyklus eine ganz andere Dramaturgie erhalten und wäre viel dramatischer geworden. Ebendas wollte er nicht. Er wollte das Paradiesische, das Surreale, den emotionalen Kern der George-Gedichte – die Gärten bewahren.
„DURCH DIE BALANCE ZWISCHEN DIESEN EBENEN KANN SICH DAS SYMBOL DES BAUMES HEILEN.“
Bei dir steht aber die Entwurzelung im Fokus?
Tanja Elisa Glinsner: Genau, es geht bei mir um die Entwurzelung und die Klammer, die alles zusammenhält. Deswegen auch mein besonderes Interesse an den nicht-vertonten Gedichten.
Und was bedeutet diese Klammer für dich?
Tanja Elisa Glinsner: In den beiden genannten Stücken werden extreme Gegensätze thematisiert – etws Feuer und Wasser. Durch die Kombination dieser Gegensätze heben sie sich gegenseitig auf, sodass eine Art Negation eintritt und alles wieder ins Gleichgewicht kommt. So wollte ich auch eine Art Balance zwischen dem ersten Ensemblestück und dem Orchesterstück schaffen. Ich musste das Orchesterwerk schreiben, um eine Balance zum Ensemblestück zu schaffen. Wenn man Schönbergs „Buch der Hängenden Gärten“ betrachtet, bleiben der Anfang und das Ende der eigentlichen Geschichte unvertont. Der vertriebene, heimatlose Prinz wird nicht thematisiert, nur die Liebesgeschichte in den Gärten. Dieses Ausklammern war mir nicht von Anfang an bewusst, aber es machte immer mehr Sinn für mich: Durch die Balance zwischen diesen Ebenen kann sich das Symbol des Baumes heilen. Selbst wenn das Stück destruktiv ist, entsteht dadurch eine energetische Ordnung.
Wie würdest du das zusammenfassen?
Tanja Elisa Glinsner: Man könnte sich vorstellen, der Baum steht in der Mitte der Gärten und wird herausgerissen – aber wenn man alle Ebenen verbindet, wird er symbolisch wieder heil.
Gibt es eine Art Flow-Zustand, in dem du am besten arbeitest?
Tanja Elisa Glinsner: Ich meditiere viel über die Texte und Themen, die ich mir für das jeweils nächste Werk vornehme. Manchmal schreibe ich wochenlang nichts, sondern zeichne einfache Linien auf Papier – die mir später auch oft als energetische Skizzen dienen –, während ich über die Texte nachdenke. Oder rezitiere die Gedichte, während ich gefühlt stundenlang in meiner Wohnung quasi im Kreis laufe.
Kommt dabei ein Fließen zustande?
Tanja Elisa Glinsner: Ja, bei Stücken, die mir besonders nahegehen, entsteht eine Art energetischer Fluss – allerdings ist das oft auch sehr anstrengend. Um den energetischen Fluss aufrechtzuerhalten, ist es oft nötig, dass ich mich so lange mit einem Thema triggere, bis der energetische Zustand so hoch – ergo: auch so unerträglich geworden – ist, dass ich ihn auf das Blatt kanalisieren kann. Das Schwierige dabei ist, diesen Energiefluss aufrechtzuerhalten, bis eben alles Schwarz auf Weiß festgehalten ist. Beim Komponieren ist das besonders fordernd, weil ich sehr detailreich schreibe – jeder Ton hat oft eine eigene Dynamik oder/und Spielweise. Für mein letztes 15-minütiges Orchesterstück benötigte ich insgesamt zwei Jahre.
Hast du feste Routinen?
Tanja Elisa Glinsner: Als Komponistin – nein. Als Sängerin – ja. Besonders wichtig ist hier meine Routine vor jedem Auftritt. Ab einer Stunde vor dem Auftritt gehe ich nur ungestört die Form einer Acht nach und wiederhole meinen Text, was einen hypnotischen Effekt haben kann.
Wie gehst du damit um, dich bei emotionalen Themen nicht überwältigen zu lassen?
Tanja Elisa Glinsner: Als Komponistin? Ich lasse mich bewusst überwältigen, weil ich einer Kette intuitiver Symbole folge. Jedes Symbol arbeite ich aus, auch wenn es Schmerzen oder schwierige Erinnerungen hervorruft. Nur wenn ich mich dem ganz öffne, kann ich die jeweils nächste Ebene erreichen, die mich zu neuen Entwicklungsmöglichkeiten führt.
Das klingt wie ein energetisches Level-System.
Tanja Elisa Glinsner: Genau! Bei einer meiner letzten Uraufführungen war ich zum Beispiel überglücklich mit dem Ergebnis und der Resonanz des Stücks, wurde aber in den Folgetagen immer unruhiger. Ein sehr guter Freund und Mentor fragte mich, was denn los sei, und ich meinte: „Ich weiß einfach nicht, ob das Symbol gesendet hat.“
Manche meiner Werke sind für mich eben Kommunikationsversuche mit etwas Höherem – spirituell gesehen – oder auch mit einem energetischen Gegenüber. Wenn das jeweilige dem Werk übergeordnete Symbol nicht „erfüllt wird“, bekomme ich das Gefühl, nicht weiterzukommen – oder noch Spezifischer nicht „nach Hause kommen zu dürfen“ – und dieses Gefühl beunruhigt mich immer wieder zutiefst.
Geht es dir darum, dass das Publikum etwas Spezifisches energetisch empfängt?
Tanja Elisa Glinsner: Ja, aber es geht auch darum, intuitiv vorauszuspüren, was das Stück im Außen auslösen könnte und wohin es mich wiederum als Mensch führen könnte. Bei meinem letzten Werk war das Symbol ein Schrei – in der Hoffnung, dass die Stimme, mit der ich energetisch kommuniziere, mich endlich erkennt und hört. Vielleicht bin ich diese Stimme aber auch einfach selbst.
Das klingt wie Rätsel lösen.
Tanja Elisa Glinsner: Ja, es fühlt sich an, als ob ich Aufgaben lösen muss, um „nach Hause“ – oder zu mir selbst – zu kommen. Das zieht mich an, führt mich einerseits, setzt mich andererseits unter Druck. Allerdings nach den vielen Jahren, in welchen ich mich mit dem Individuationsprozess bei C. G. Jung auseinandergesetzt habe, bin ich schon für all des Rätsels Lösungen offen – und das schafft wiederum eine große gedankliche wie auch emotionale Freiheit, für die man auch dankbar sein darf.
Wie ist es für dich, wenn deine Musik von einem Ensemble zum Leben erweckt wird?
Tanja Elisa Glinsner: Es ist immer wieder ein besonderes Gefühl. Wenn ich an meine ersten Uraufführungen denke, war es wie eine Verstärkung dessen, was ich am Schreibtisch gespürt habe – nur um ein Vielfaches intensiver. Gedanken werden real erlebbar und nehmen ihren eigenen Raum ein. Das ist oftmals ein sehr kraftvolles, energetisches Erlebnis.
Es ist etwas anderes, einen Song über Kopfhörer zu hören, als ihn live im Konzert zu erleben.
Tanja Elisa Glinsner: Ich würde es sogar noch anders formulieren: Wenn du nur den Text eines Songs liest und ihn dann live hörst, liegt dazwischen nochmal eine ganz andere Dimension. Und desto mehr Gedanken ich mir über jeden einzelnen Ton gemacht habe, desto intensiver wird das Erlebnis.
„ICH HABE GELERNT, DASS MAN AUCH VIELES BEOBACHTEN UND MITNEHMEN KANN, WENN MAN EINFACH NUR STILL BLEIBT“
Wie arbeitest du mit den Ensembles zusammen?
Tanja Elisa Glinsner: Das hängt von der Dirigentin bzw. dem Dirigentenab oder davon, ob ich selbst dirigiere. Bei Wien Modern wird Susanne Blumenthal das RSO dirigieren. Das heißt, ich bin in diesem Fall bei den Proben dabei, und darf Wünsche bezüglich der Ausführung und Interpretation äußern und stehe jederzeit für Fragen oder Vorschläge seitens der Musiker:innen und der Dirigentin bereit.
Hast du das Gefühl, dass deine verschiedenen Rollen – Sängerin, Komponistin, Dirigentin – in der Arbeit miteinander in Beziehung stehen?
Tanja Elisa Glinsner: Sie sind eigentlich immer alle gleichzeitig präsent. Es geht vielmehr darum, bewusst zu entscheiden, welche Rolle im Vordergrund steht bzw. stehen darf. Das hängt stark vom Ensemble und den Menschen ab, mit denen ich arbeite. Es gibt Situationen, in denen ich eine jeweilige Rolle sehr zurücknehmen muss oder mich sehr auf die jeweilige gefragte Funktion meinerseits berufen muss, um – zum Beispiel – eventuelle Fettnäpfchen zu vermeiden. In Frankfurt, mit dem Ensemble Modern, war die Zusammenarbeit wunderbar und offen. Aber ich habe auch schon erlebt, dass mich ein:e Dirigent:in vor dem Ensemble nach meiner Meinung fragt, ich meine musikalischen Vorstellungen erkläre – und er:sie dann genau das Gegenteil umsetzt. Das kann demütigend sein.
Das hat auch den Beigeschmack sehr starker Hierarchien.
Tanja Elisa Glinsner: Wenn ich selbst mit einem Ensemble arbeite, bin ich als Sängerin und Dirigentin relativ frei und kann vieles steuern. Als Komponistin hingegen bin ich oft abhängig davon, ob mir der Raum für Input gegeben wird. Noch schwieriger ist es, wenn ich „nur“ als Sängerin engagiert bin – dann wird meine Meinung in allgemeinen musikalischen Fragen oft gar nicht gebilligt bzw. ist leider auch mit Kollegen:innen gewisse Vorsicht geboten. Das finde ich schade, und ich hoffe, dass sich das irgendwann ändert.
Es klingt, als wäre diese Zurückhaltung manchmal schwer auszuhalten.
Tanja Elisa Glinsner: Absolut, und es ist oft frustrierend. Aber ich habe gelernt, dass man auch viel beobachten und mitnehmen kann, wenn man still bleibt. Die Herausforderung ist, in Balance zu bleiben. Wenn ich zu sehr in einer Rolle bleibe, vergesse ich manchmal meine anderen Facetten. Es passiert dann, dass ich mich zurücknehme und nur die Meinungen anderer über meine eigene stelle. Das kann einengend sein. Die Integration aller Facetten zu einem Ganzen und als diese Akzeptanz erwarten zu dürfen, wäre mein Wunsch für die Zukunft.
Gibt es ein Stück – von dir oder jemand anderem –, das dir in schwierigen Momenten Kraft gibt?
Tanja Elisa Glinsner: Wenn ich wirklich Ruhe brauche, höre ich gerne Haydn-Symphonien oder Händel-Ouvertüren. Wenn ich in eine positive, zuversichtliche Stimmung kommen möchte, höre ich gerne Bach-Kantaten, insbesondere „Vergnügte Ruh“. Bei J. S. Bach finde ich Ruhe und Trost. Meine eigene Musik höre ich in solchen Momenten nicht – sie ist oft zu persönlich und intensiv, und ich möchte mich nicht selbst triggern. Es liegt mir schließlich viel daran, in meinen Stücken etwas aufzuarbeiten. Zum Entspannen ist das dann nicht so ideal.
Gibt es in deiner künstlerischen Laufbahn eine Erfahrung, die dich besonders geprägt hat?
Tanja Elisa Glinsner: Ja, der prägendste Moment war der 12. März 2020. Das war der erste Tag, an dem der Musikverein auf Grund von Corona geschlossen wurde – meine „Medea“ hätte dort genau an jenem Tag uraufgeführt werden sollen, mit Caroline Peters als Medea. Ich selbst habe dirigiert, mein Frack hing schon in der Garderobe, und ich war gerade beim Mittagessen, als ich nach der Generalprobe zurückkam und von den Technikern hörte, dass alles abgesagt wurde. Ich hatte ein Jahr an diesem Stück gearbeitet, und dieser Moment war ein Schock.
Zum Glück hatte ich während der Generalprobe ganze vier Geräte laufen, um eine Aufnahme zu machen – Handy, iPad, Kamera, alles. Am Ende hat wegen Akku- und Speicherproblemen nur eine Aufnahme überlebt. Diese konnte ich einreichen, und so habe ich damals den Kompositionspreis der „Ö1 Talentebörse“ ergattern können! Ohne diese Aufnahme wären die darauffolgenden Preise und Erfolge – wenn man das so sehen will –, nicht möglich gewesen. Mein Leben hätte sich vermutlich grundlegend anders entwickelt.
Es war eine kleine Intuition, die mich dazu gebracht hat, auf Nummer sicher zu gehen.
Was für eine unglaubliche Geschichte! Vielen Dank für das Gespräch.
Ania Gleich
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