„Je gegenwärtiger man arrangiert, umso schneller ist es wieder gestrig.“ – Voodoo Jürgens im Mica-Interview

„Based on a true Story“ könnte bei jedem seiner Songs in Klammern stehen. Wenn es Episoden einer Filmserie wären, sowieso. Und dass Geschichten mit einem wahren Kern, Hörer:innen mehr in den Bann ziehen, wissen nicht nur Regisseure wie die Coen-Brüder. Mit Sicherheit ist VOODOO JÜRGENS neue Platte „Wie Die Nacht Noch Jung War“ näher am Original als manche Serie. Aber wichtiger noch, als die erzählte Geschichte, ist die Authentizität der erzählenden Instanz. VOODOO JÜRGENS ist so ein authentischer Erzähler. Eine „True Story“ in Person sozusagen. Seine street credibility hat VOODOO JÜRGENS zu Beginn seiner Karriere einfühlsam unter Beweis gestellt hat. Im „Tulln“-er Lied erzählt er biographisch seine Rolle als frühkindlicher gesellschaftlicher Außenseiter. Er kommt in die Schule, der Vater in den Knast. Aussöhnung folgt. Manifestiert durch den „Vater in Cowboystiefeln“ auf dem Cover der ersten Platte. Diese ist gefüllt mit einer Menge an nüchtern interpretierter rauschiger Lieder, deren Protagonisten die Kontrolle mit dem sorgenfreien Umgang verbotener Substanzen verloren haben. Über die Entwicklungen im dritten Album „Wie Die Nacht Noch Jung War“ (Lotterlabel), und wie man als Künstler den Drogen gegenübersteht, nachdem sie ein Teil seiner (Erfolgs-) Geschichte geworden sind, erzählt Voodoo Jürgens bei einer gemeinsamen Melange im Café Weidinger in Wien. Das Gespräch führte Dominik Beyer.

Wann hast du gemerkt, dass die Nacht nicht mehr so jung war? 

Voodoo Jürgens: Naja. Sie ist eh immer wieder aufs Neue jung. Das ist nicht so final, wie es klingen mag. Das ist eher der Titel für einen Zeitabschnitt? Dann kommt der nächste Tag, und die folgende Nacht ist wieder jung. 

Es klingt wie eine Zensur. Man wird älter, und die Nächte sind vielleicht nicht mehr so jungfräulich…

Voodoo Jürgens: Es ist schon in einer zachen Zeit entstanden. Während der Pandemie hat man wenig Input von außen bekommen. So spielt es schon in der Zeit vorher. Da waren die Nächte tatsächlich noch jünger. Es ist aber nicht so melancholisch gemeint, wie man glauben könnte.

Also kein Album über die Corona Zeit?

Voodoo Jürgens: Das wäre fatal 

Wie würdest du selbst die Entwicklung im Vergleich zum letzten Album beschreiben? Gab es etwas, dass du anders machen wolltest als bei den letzten beiden?

Voodoo Jürgens: Alicia Edelweiss (Akkordeon) ist ausgestiegen. Die Bläser sind in den Vordergrund gerückt. Wir sind allgemein als Band mehr zusammengewachsen. Im Studio haben wir alle eine bessere Vorstellung gehabt, wie wir funktionieren. Das waren die Unterschiede zur zweiten Scheibe, von der man ja sagt, die sei die Schwierigste. Und es ist tatsächlich sehr viel entspannter abgelaufen, als zuvor.

Man hört, dass sich musikalisch was entwickelt hat. Sound und stilistische Bandbreite. Ungerade Taktarten wie in “Beses End” oder Reggaeton in „Es Geht Mir Ned Ein“…

Voodoo Jürgens: Die hat lange „Lambada“ als Arbeitstitel geheißen. Musikalisch haben wir das aber nicht abgegrenzt, was darf und was nicht. Mit der Zeit probiert man auch mal Neues. Aber man hört eine Entwicklung. Denn alle drei Alben haben immer die gleichen Leute aufgenommen.  

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Von wem geht die stilistische Entwicklung aus?

Voodoo Jürgens: Zum Teil natürlich von der Besetzung. Jazz ist aber in den letzten Jahren auch mehr in mein Leben gestoßen. Allem voran die Impro-Szene. Jetzt habe ich das ein wenig ausleben können. Genauso wie die Band. Die Leute sollen natürlich auch das spielen, was sie selber können und mögen. Sie sind ja keine Dienstleister.

„Ich bin privat kein wesentlich anderer, als der auf der Bühne.“

Ist Voodoo Jürgens eine Kunstfigur oder ein Pseudonym?

Voodoo Jürgens: Eher ein Pseudonym. Es ist sehr viel von mir drin. Ich bin privat kein wesentlich anderer, als der auf der Bühne.

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Das Milieu, dass aus deinen Alben spricht, klingt nicht immer nach lustigen Partys. Ist das Schreiben darüber auch eine Rechtfertigung der eigenen Vergangenheit. 

Voodoo Jürgens: Ich arbeite es sicher irgendwie auf, indem ich es thematisier.

Wenn man die Sucht zum Thema in seiner Kunst macht, und damit Erfolg hat, wie steht man ihr dann gegenüber?

Voodoo Jürgens: Ich glaube, man muss ein wenig aufpassen, dass man es nicht verherrlicht. Das stört mich schon bei manchen Künstler:innen, die genau das tun. Aber es ist, wie du sagst, natürlich ein Teil von mir, das mich dorthin geführt hat, wo ich jetzt bin. In „Fast wie Ans“ geht’s um diese Verbundenheit mit der Sucht.

Könnte auch ein Lied über ein Liebespaar sein.

Voodoo Jürgens: Eben. Das ist die Gefahr. In meinem Fall ist es auch halbwegs gut ausgegangen. Hätte auch anders sein können.

Schreibt man bessere Lieder, wenn man älter wird?

Voodoo Jürgens: Verallgemeinern kann das nicht. Von sehr vielen Musiker:innen taugt mir das Frühwerk mehr. Mir macht es jedenfalls immer mehr Spass, Musik zu machen.

Also hat die Schauspielerei die Musik in der Prioritätenliste noch nicht abgelöst?

Voodoo Jürgens: Nein, gar nicht. Das war jetzt mal ein netter Ausflug. Das wollte ich schon immer mal machen. Aus eigener Kraft habe ich es nicht geschafft, eine Schauspielschule zu besuchen. Vielleicht wäre es dazu gekommen, wenn mir jemand eine Brücke gelegt hätte. Umso schöner, dass ich jetzt über die Musik die Möglichkeit bekommen habe. Die Abwechslung bringt einen auch wieder auf neue Ideen. Musik bleibt aber meine Hauptbeschäftigung. 

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Bislang warst du eher der Erhalter der Wiener Mundart, und deine Texte waren wie Zitate aus dem Jargon gesellschaftlicher Außenseiter.  Mit „Federkleid“ schlägst du lyrische Töne an. Ist das eine neue Facette an dir?

Voodoo Jürgens: Früher habe ich bewusst versucht, klassisches Songwriting zu vermeiden. Ich wollte bestimmte Situationen sehr detailreich und unverblümt erzählen. Da gibt es aber kein bestimmtes System. Das ändert sich bei jeder Nummer.

„Klare politische Botschaften kommen von mir keine.“

Viele Songs drehen sich bei dir um Beziehungen. Bist du kein politischer Mensch?

Voodoo Jürgens: Es sind schon auch politische Themen drin. „Lassallestraßn“ geht um den immer teurer werdenden Wohnungsmarkt. Aber ich möchte nicht sehr meinungsbildend wirken. Mir gefällt es, wenn zu den Geschichten, die ich erzähle, die Hörer:innen ihre Meinungen selbst bilden können. Ich will das nicht so klar formulieren. Wenn die eine oder andere Geschichte zum Nachdenken anregt, ist das für mich das Schönste, das passieren kann. Klare politische Botschaften kommen von mir keine. Das können andere vermutlich besser als ich auf den Punkt bringen. Das wäre aus meiner Sicht unauthentisch.

Macht man sich als authentischer Mensch Gedanken über Authentizität?

Voodoo Jürgens: Wenn man es zu sehr versucht, wird es sicher auffällig. Ich hatte das Glück, dass ich das Vertrauen hatte, dass ich viel positives Feedback, über das, was ich die letzten Jahre so gemacht hab, bekam. Das ebnet einem den Weg. Die erste Platte war mit Sicherheit am unbefangensten. Mit der zweiten Scheibe beginnt man mehr darüber nachzudenken. Generell mach ich mir nicht viele Gedanken darüber. Schön, wenn man mich als authentisch wahrnimmt. 

Dein Stil ist optisch wie musikalisch eher dem „retro“ zuzuordnen. Machst du dir darüber Gedanken, oder kommt das auch eine Bauchentscheidung?

Voodoo Jürgens: Also visuell ist das sicher eine bewusste Entscheidung. Als wir begonnen haben, war der Ansatz, nur akustische Instrumente zu verwenden. Auf der neuen Platte sind aber auch Synthesizer. Da gibt es kein Gesetz für mich. Die veraltete Sprache führt vermutlich auch eher zu dieser Soundästhetik. Obwohl die Themen sehr zeitlos sind. Sie könnten in der Vergangenheit spielen. Müssen es aber nicht. Je gegenwärtiger man arrangiert, umso schneller ist es wieder gestrig. 

Ein „Voodoo Jürgens Elektro-Platte“ wird also eher nicht geben? 

Voodoo Jürgens: Die Kunst bei Elektroproduktion ist ja, auch eine gewisse Zeitlosigkeit zu erreichen. Die erste Daft Punk-Scheibe klingt immer noch sehr modern.

Welcher/m noch unbekannten Künstler:in sollte man in Zukunft mehr Aufmerksamkeit schenken?

Voodoo Jürgens: Ora et Labora

Vielen Dank für das Gespräch.

Dominik Breyer

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