Ausgehend vom Falterartikel “Wir wollen ein Haus” von Andreas Felber (Falter 30.11.2011, Ausgabe 48/2011) diskutierten die in diesem Artikel zitierten Vertreter der Wiener Jazzszene am 23. Dezember im mica-music austria zu den Themen Jazz in Wien, Auftrittsorte, Plattformen junger Musiker, Publikum, Verbreitung und Sichtbarkeit aktueller Jazzmusik in Wien sowie Zukunftsvisionen für den Jazz in Wien. Sind Artikel, wie der oben genannte, eine Verkürzung der wahren Situation? Oder sind solche journalistische Analysen der perfekte Katalysator einen konstruktiven, kreativen und ergebnisorientierten Diskussionsprozess in Gang zu setzen? Es diskutierten Christoph Huber (Veranstalter, Porgy& Bess), Andreas Felber (Journalist, Falter, Ö1), Clemens Wenger (Musiker, Jazzwerkstatt Wien), Daniel Riegler (Musiker, Studio Dan), Georg Vogel (Musiker, Verein Freifeld), Alexander Yannilos (Musiker, Verein Freifeld), Lukas Kranzelbinder (Musiker, Polyamory Sound Festival) und Mathias Rüegg (Musiker, Vienna Art Orchestra)
Auf die Frage warum der Jazz in Wien 2011 sich auf demselben Niveau befindet wie in den 70er Jahren, meint Mathias Rüegg, dass mit der Ausnahme vom Porgy & Bess man dort angelangt sei, wo man schon einmal war. „Es gab, bis auf ganz wenige Ausnahmen, keine gesellschaftliche Wahrnehmung, es gab keine kulturelle Wahrnehmung, es gab kein Geld für den Jazz, oder wenn dann nur minimalst. Die Kulturpolitik hat den Jazz schlicht noch nicht wahrgenommen.“ Nach seiner Meinung haben sich zudem die finanziellen Rahmenbedingungen aufgrund diverser Wirtschaftskrisen in den vergangenen Jahrzehnten, beginnend mit dem Börsencrash 1987, europaweit massiv verschlechtert. Eine jede Wirtschaftskrise zog Einsparungen mit sich, die natürlich in Folge auch einen negativen Effekt auf die österreichische Jazzszene hatten. Die immer wieder gekürzten Budgets und Förderungen sind trotz mancher Hochkonjunktur-Phasen, die es in dieser Zeit natürlich auch gegeben hat, nicht wieder erhöht worden. Die kleinen Budgets, mit denen man immer wieder Projekte oder Konzerttourneen starten hätte können, sind einfach weggefallen. Klarerweise führten diese Entwicklungen nach Rüegg auch zu einem Wandel im Denken der Musiker. „Für einen Musiker ist Jazz heutzutage zum großen Teil einfach nur noch Liebhaberei. Schlicht, weil es einfach fast nichts mehr zu holen gibt“, so der ehemalige Leiter des Vienna Art Orchestras. „Das Letzte, was ein junger Musiker damals werden wollte, war Jazzlehrer. Wir haben das gehasst. Und wir fanden es völlig absurd, wie es ein Institut für Popularmusik in Hamburg (1982 gegründet) geben hat können. Dass eine Musik, die gestern Subkultur und Underground war, plötzlich an einer Hochschule unterrichtet worden ist. Das Bewusstsein, vor allem als junger Musiker einmal zu unterrichten, war einfach nicht da. Eher noch stellte man sich vor, dies zu tun, wenn man bereits ein ganzes Leben lang gespielt hat“. Heute, meint Rüegg, ist es so, dass die Leute, kaum haben sie ihr Studium abgeschlossen, möglichst schnell unterrichten wollen. „Es ist komisch, dass Musiker, die nie wirklich unterwegs waren, die nie wirklich gespielt haben, nur unterrichten. Und wen unterrichten sie? Musiker, die in weiterer Folge wieder andere unterrichten werden. Die gesamte gesellschaftliche Situation, die ein junger Musiker heute vorfindet, ist eine mehr als schwierige. Wenn er Glück hat, bekommt er im Jahr zwei Gigs im Porgy, was schlicht einfach zu wenig ist. Man hat immer gesagt, die eigene Stadt ist nicht da, um den Musiker zu ernähren, er lebt davon, dass er auf Tournee fährt, davon, dass es internationale Begegnungen gibt“.
Ganz schließt sich Christoph Huber, seines Zeichens künstlerischer Leiter des Porgy & Bess, Mathias Rüeggs Meinung nicht an. „Ich sehe es nicht so, dass die aktuelle Situation die gleiche ist wie in den siebziger Jahren. Ich glaube schon, dass die gesellschaftliche Relevanz eine höhere ist, wiewohl es richtig ist, dass die finanziellen Zuwendungen den Bach hinuntergehen“. Was natürlich den Druck auf die Eigenleistungen des eigenen Hauses erhöht. „Man muss in Bezug auf Projekte, auf Ökonomie und Programmierung einfach sehr vorsichtig sein, welche man aus dem finanziellen Hintergrund heraus machen kann.“ Trotz allem aber, so Huber, hat sich das Porgy & Bess, auch trotz der Einfrierung der Subventionen von Seiten der Kulturpolitik (seit der ersten Kürzung 1994 wurden diese nicht mehr erhöht), als bedeutender Club in Europa etablieren können. Erfreulich ist auch, dass in der Programmierung, trotz allen finanziellen Drucks, nicht auf die heimische Jazzszene vergessen wird, wie diverse Kooperationen, wie etwa jene mit der Jazzwerkstatt Wien zeigen. Dennoch ist die Zahl der MusikerInnen hierzulande inzwischen eine sehr hohe, was die Möglichkeiten für jeden einzelnen wiederum, mehrmals im Jahr aufzutreten (und das nicht nur im Porgy & Bess), einfach einschränkt. Auch, weil sich das Haus als internationaler Club mit dementsprechendem Programm versteht. „Man kann aber trotzdem dazusagen“, so der künstlerische Leiter des Clubs, „dass der Anteil der heimischen Szene über 50 % liegt.“ Um österreichischen MusikerInnen auch weiterhin Raum für Auftritte bieten zu können, haben sich die Betreiber des Hauses dazu entschlossen, mit der von den verschiedenen Szenen kuratierten „Strengen Kammer“ eine Plattform zu schaffen, auf der all das stattfindet, was die große Bühne nicht mehr zulässt.
Lukas Kranzelbinder, ein Vertreter der jungen Generation, will das Problem der heimischen Jazzszene auch nicht am Porgy & Bess festgemacht wissen. Vielmehr liegt dieses außerhalb von Wien vor, wo es mit Auftrittsmöglichkeiten, seiner Meinung nach, sehr schlecht aussieht. „ Es gibt in Restösterreich, aber auch europaweit keine Veranstalter, zu denen es sich lohnt hinzufahren. Es gibt in Österreich kaum einen Club mehr, der für junge MusikerInnen ordentliche Gagen, Fahrtkosten oder Unterkunft finanzieren kann. Es ist ganz einfach so, dass die ganzen Tour-Möglichkeiten einfach wegfallen.“
Dem stimmt Mathias Rüegg voll zu. „Eine internationale Präsenz kann einfach nicht mehr garantiert werden. Die aktuelle Schuldenkrise hat verdeutlicht, was eigentlich die letzten dreißig Jahre bereits Realität ist. Der ganze Jazzbereich in Europa wird eigentlich über die kommunalen Budgets finanziert. Und genau in diesem Bereich fällt das Geld aufgrund der Kürzungen weg. Es handelt sich eigentlich um ein riesiges Strukturproblem.“
Dem entgegnet Lukas Kranzelbinder, dass natürlich immer weniger Geld vorhanden ist. Das Problem seiner Meinung nach liegt aber auch darin, dass die Jazzveranstalter europaweit zum großen Teil die Marketingrevolution der letzten 15 Jahre verschlafen haben und ihre Programm immer noch so bedienen wie zu dieser Zeit. „Ich verstehe, warum sie keinen Gig mit mir machen wollen. Da erscheinen zehn Leute, aber nicht weil die Musik so schlecht ist, sondern weil sie immer noch gleich beworben wird. Da kommt jeden Monat ein Flyer raus, der liegt immer in den gleichen Lokalen usw. Das Beste wäre, wenn es überhaupt in Bezug auf die Strukturen eine Art „Reload“ oder „Restart“ geben würde.“
„So einer wäre überhaupt für den gesamten Kulturbereich interessant“ so Christoph Huber. „Das haben wir schon vor zwanzig Jahren gesagt. Wenn niemand mehr Subventionen bekommen würde in diesem Bereich, würde es der österreichischen Jazzszene perfekt gehen. Natürlich dürfte das nicht auf diese alleine begrenzt bleiben“. Mathias Rüegg bläst in das gleiche Horn und meint, dass immer noch die Meinung vorherrsche, Kultur müsse von Staat gefördert werden. „Was passiert aber, wenn der Staat die Kultur nicht mehr fördert? Die Frage ist, wenn man Kulturförderung steuerlich absetzen könnte, als Institution wie auch als Privatperson, dann wird es wieder spannend. Es gibt genügend Ärzte oder Rechtsanwälte, die das Geld mit Freude einer jungen Band geben würden, als dem Staat. Das wäre die einzige Möglichkeit, mit den weniger werdenden Subventionen umzugehen.“
Für Andreas Felber waren der Grund den Artikel zu schreiben zwei auf den ersten Blick entgegengesetzte Beobachtungen. „Einerseits, dass von den bisherigen Strukturen der heimischen Jazzszene einiges weggebrochen ist. Man denke nur an das Birdland, die Jazzzeit, das Vienna Art Orchestra oder den Hans Koller Preis. Rückblickend kann man sagen, dass es in Bezug auf die Entwicklung der Jazzszene Mitte der Nuller-Jahre einen Höhepunkt gegeben hat. Die meisten Institutionen waren da, die Szene war am dichtesten, es hat Interesse seitens deutscher Medien gegeben, die alle neidvoll nach Wien geblickt haben usw. Mittlerweile sind 5, 6 Jahre vergangen und viele dieser Institutionen gibt es nicht mehr.“ Dennoch sieht der Journalist die Wiener Jazzszene nicht in der Krise, weil sich seiner Meinung nach gerade jetzt sehr viel tut. „Gerade in der jungen Szene. Die Jazzwerkstatt Wien etwa war in diesem Bereich Modell für die anderen Kreise junger Wiener MusikerInnen, die sich organisiert haben, Vereine und Netzwerke gegründet haben.“ Für Felber stellt die aktuelle Entwicklung einen Generationswechsel dar. Es sind im Moment besonders jüngere MusikerInnen, die in den Vordergrund treten, während jene, die schon länger in der Szene aktiv sind, eher den Schritt zurück machen. Grund dafür sind die Mittel, derer sich die VertreterInnen der jüngeren Generation bedienen, sowie die Wiederentdeckung des Netzwerkgedankens. „Ich sehe darin einen Ansatz, der in Zukunft noch stärker praktiziert werden muss.”
Interessensgemeinschaften zu bilden, ist in einer Zeit, in der die Mittel knapper werden, notwendig. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Zahl der praktizierenden MusikerInnen immer größer und die Chance für den einzelnen, sichtbar zu werden, immer geringer wird.“ Wobei das alleine, nach Meinung des Experten, in Österreich noch nicht genug sein wird. Es bedarf zusätzlich einer Art Lobbying-Plattform für die heimische Jazzszene, über welche die aktuellen Fragen, wie die vorher angesprochenen, vorgebracht werden könnten. „Wenn die Jazzszene einmal in einer Willensbildung übereinkommt, kann man die Anliegen gegenüber der Kulturpolitik und der Politik generell viel nachdrücklicher vertreten“, so Felber.
Der Pianist und Mitbegründer des Vereins Freifeld Georg Vogel versucht diese Fragenbewusst auszuklammern. „Müsste ich mich damit auseinandersetzen, würde ich auf keinen grünen Zweig kommen. Ich müsste mich, mit dem Fokus auf das Geld verdienen gerichtet, verändern. Die Kunst, die ich mache, müsste eine sein, die jemandem passt.
Für Clemens Wenger (Jazzwerkstatt Wien) ist es die Gegenwart, die zählt. „Wir sind Musiker, die im Jetzt 2011 leben. Ich kenne viele Sachen einfach aus Erzählungen. Was nicht alles in den 70er, 80er oder 90er Jahren entstanden oder weggebrochen ist. Entscheidend ist aber die Situation, mit der wir aktuell zu Recht kommen müssen. Ich habe noch nie ein Budget für eine Plattenproduktion bekommen, ich habe noch nie viel aus Lizenzen verdient. Das ist alles Taschengeld, welches wahrscheinlich irgendwann wegbrechen wird, wenn die Gesetzeslage so bleibt. Es wird bald keine Förderungen aus den SKE Töpfen mehr geben usw. Wir als Jazzwerkstatt sind in der glücklichen Lage, noch Gelder zu bekommen, wobei da der Ausblick auch da nicht rosig ist. Aber zumindest stagnieren wir auf unserem Budget“.
Den Mitgliedern der Jazzwerkstatt Wien geht es sehr wohl darum, in der Gesellschaft, in der sie sich bewegen, Relevanz zu finden. Und das kann nur passieren, wenn, so Wenger, jeder einzelne Player der Szene mehr Verantwortung übernimmt. „Darüber wird bei uns laufend diskutiert. Wie schaffen wir die Strukturen, mit denen wir auch neue Publikumsschichten erreichen? Rückblickend kann man sagen, dass dies uns mit der Jazzwerkstatt auch gelungen ist. Wir konnten durch unsere Aktionen neue Leute für uns gewinnen und damit haben wir indirekt auch Zugang zu Geldern der öffentlichen Hand erhalten.“
Generell gilt es, neue Dinge erschaffen, welche die Leute wieder „auf den Nerv treffen“, ist man sich doch sehr wohl bewusst, dass man vom Publikum lebt. „Wobei wir ein Programm machen, das alles andere als modisch ausgerichtet ist. Wir versuchen zu experimentieren und unsere Kunst zu machen, natürlich mit dem Blick darauf, mit welchen Mitteln wir unsere Idee zukünftig weiterspinnen können.“ Das Ziel ist, genau jene Relevanz zu finden, die es dem Fördergeber unmöglich macht, über die Jazzwerkstatt Wien hinwegzusehen.
Michael Ternai