JAZZ FEST WIEN 2012

Stimmen die Werte? Oder wie wertvoll sind Stimmen? Mit beiden Fragen lässt sich trefflich auf das musikalische Großereignis des Jazz Fest Wien (25. Juni bis 9. Juli) hinweisen, dass seit über zwei Jahrzehnten traditionell im Sommer aus Wien einen internationalen Treffpunkt der Stars und Musikfans macht. Das Jazz Fest Wien , bei dem die Grenzen zwischen Jazz, Blues, Soul, Pop und Worldmusic erfreulicherweise immer schon recht durchlässig waren, präsentiert heuer ein Programm, das dieses Mal besonders mit Altbewährtem triumphiert. Sicherlich nicht die schlechteste Wahl in stürmischen Zeiten ist folglich, dass der Stimme, diesem jeden Menschen eigenen und deshalb so vertrauten und bewährtem Organ, großer Raum zugestanden wird und mehr Sängerinnen und Sänger als je zuvor den Ton beim Jazz Fest Wien angeben.

So wird das Eröffnungskonzert in der Wiener Staatsoper am 1. Juli Eric Burdon bestreiten. 1955 saß der Brite bereits mit Louis Armstrong in einer Garderobe, er sang sich mit einer Version von „House of the rising sun“ in den sechziger Jahren in die Hitparaden, erklärte mit der Gruppe War der Ungerechtigkeit der Welt den Krieg und sang mit Jimi Hendrix und Jimmy Witherspoon. Momentan ist sein Uralt-Hit „Don’t let me be misunderstood“ im Hintergrund von Beckhams Unterhosen-Kampagne zu hören, und er selbst, wie neuere Konzertberichte belegen, ist immer noch ein tobender und rau singender Bühnenderwisch, der den R&B mit britischer Herzlichkeit in die Wiener Staatsoper bringt.

So vertraut wie Burdons Stimme eigentlich jedem sein müsste, der die letzten fünfzig Jahre nicht taub war, so gern ist Bobby McFerrin aufWiens Bühnen gesehen. Zum wiederholten Mal tritt der Vokalakrobat beim Jazz FestWien auf, und wenn er mit seinen Gästen webe3 und The Philharmonics zum Konzert am 2. Juli in der Staatsoper antritt, verspricht der Abend ein garantierter Erfolg für Freigeister des Gesangs zu werden. Joe Bonamassa, der einen Abend später den Gitarrensaiten und seinen Stimmbändern den Blues entlocken wird, überzeugte bereits beim vorjährigen Jazz Fest mit der Black Country Communion die Freunde des Heftigen und Harten. Geradezu leise wird es dann wieder beim Doppelkonzert von Melody Gardot und Gregory Porter am 4. Juli. Auch Melody Gardot ist eine Vokalistin, die bereits beim Jazz Fest zu hören war. Ihr bejubeltes Konzert beim zwanzigjährigen Jazz Fest Jubiläum 2010, bei dem sie mit ihrer feingezirkelten Mixtur aus Chanson, Jazz und Folk überzeugte, ist eine Wiederholung wert. Dass Rufus Wainwright zum ersten Mal auf der Bühne der Wiener Staatsoper steht, sollte kein Grund sein, seinen Auftritt nicht mit Freude entgegen zu sehen, denn als Performer und Singer/Songwriter ist er so exaltiert und emotional, wie es sich für eine Ikone der Schwulenbewegung gehört. (6. Juli)

Die Gesangskunst für sich entdeckt hat auch einer von mehreren Vertretern der österreichischen Szene beim Jazz Fest. „Vienna Naked“ heißt das Projekt,mit dem Gitarrist Wolfgang Muthspiel sich nackig macht, also seine eigene Stimme im Singer/Songwriter-Kontext erklingen lässt, nachdem er als Gitarrist schon 2010 überzeugte. Am 30. Juni tritt er im WUK auf, fünf Tage nach Charles Bradley, der im vorigen Jahr mit tiefschwarzem afroamerikanischen Soul den Rathausvorplatz in eine tanzende Schwitzhütte verwandelte. Diesmal singt er im WUK (25. Juni), und seine Stimme wird mit Sicherheit nichts von ihrer Kraft und Dramatik verloren haben. Als Soulistin folgt ihm dabei Sharon Jones mit ihren Dap Kings am 9. Juli imArkadenhof des Rathauses. Die quirlige Soulsängerin singt erstmals beim Jazz Fest Wien, aber ihre Musik gilt Insidern schon seit Jahren als Inbegriff des schwarzen weiblichen Soulgesangs.

Bei aller Stimmgewalt, die die Kanadierin Térez Montcalm mit ihrem Anspruch, eine Jazz-Sängerin mit Rock-Attitüde zu sein, bei ihrer ebenfalls zweiten Jazz Fest Verpflichtung am 2. Juli im Porgy & Bess noch verstärken wird, darf der Jazz als instrumentale Kunstform natürlich nicht vergessen werden. Georg Breinschmid und Thomas Gansch bürgen mit Gesang, Bass und Trompete für einen vergnüglichen Abend im Porgy & Bess zwischen Dadaismus, Jazz und Wienerlied (26. Juni). Am 28. Juni spielt dort der Altsaxophonist Benjamin Koppel auf, dem am 9. Juli Ambrose Akinmusire folgt. Der mit Preisen hochdekorierte Trompeter hat mit Vijay Iyer und Esperanza Spaulding gespielt, erst kürzlich wurde der Afroamerikaner mit nigerianischen Wurzeln zum „besten Trompeter des Jahres“ gekürt. Was er in Wien seiner Trompete entlocken wird, gehört zum Spannendsten des modernen Jazz.

Neben den Trompeten und Saxophonen, die Atem einmal nicht in Gesang, sondern in instrumentale Kunstwerke verwandeln, sind es noch zwei andere Instrumente, die auf diesem Jazz Fest im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Neben dem Bluesgitarristen Joe Bonamassa und Wolfgang Muthspiel konnten die Gitarristen John Scofield und Marc Ribot für ein Doppelkonzert im Arkadenhof des Rathauses gewonnen werden (7. Juli), um das weite Feld zwischen Rüpelgitarre und Funkblues-Stilistik abzustecken. Und während Mike Stern beim Konzert mit Richard Bona (3. und 4. Juli) die sechs Saiten in Richtung Fusion zieht, streut Harri Stojka, Wiens eigenes Gitarrenwunderkind, mit flinken Fingern eine magische Portion Rock-Jazz über das Publikum im Porgy & Bess (25. Juni). Keine Frage, dass alle Gitarristen Wiederholungstäter beim Festival sind: sie sind einfach zu gut, um sie nur einmal zu erleben.

Doch bei aller Liebe zu Bläsern und Gitarren, was wäre der Jazz ohne das Königsinstrument, das Klavier? Mit Herbie Hancock (Staatsoper, 5. Juli), Keith Jarrett gemeinsam mit Gary Peacock und Jack DeJohnette im Konzerthaus (8. Juli ) und den sagenhaften „A Soulful Night Of Keys“, in denen gleich drei Keyboardstars die 88 Tasten zum souligen Tanz bringen (Arkadenhof, 8. Juli), wird der Königsweg der instrumentalen Erkundung des Jazz beschritten.

Die Verpflichtung des Österreichers Fritz Pauers im Jazzland gehört zu den liebgewordenen Traditionen beim Jazz Fest Wien. Denn sie ist Teil eines Programms, in dem natürlich auch Österreichs Anteil am Jazz gewürdigt wird. Pauer, Gansch & Breinschmid, Muthspiel, Stojka gehören zu einer Jazzszene, die mit Joe Zawinul einen der ganz Großen des Jazz hervorbrachte. Deshalb spielt Travel Image zu einem „Tribute to Joe Zawinul“ im Porgy & Bess auf (6. Juli), während Quadrat:sch ebendort mit Zithern und Zeena Parkins, Harfen und Hackbrett alpenländische Kammerjazzmusik zelebriert. (8. Juli).

Und selbstverständlich gehört das Open-Air-Konzert auf dem Gelände der Fernwärme, neben den Konzerten in der Staatsoper, dem Konzerthaus, im Reigen und im Jazzland, auf dem Rathausvorplatz, im Arkadenhof oder im Miles Smiles, ebenfalls zu den traditionellen Höhepunkten des Jazz Fest Wien. Wie so oft verbinden sich an dem Nachmittag auf der Bühne unter dem Hundertwasser-Kamin die besten Traditionen des Jazz Fest Wien: Mit Till Brönner steht noch einmal ein Meister der instrumentalen Zunft auf der Bühne, der seinen Jazz heuer wohl weniger kammermusikalisch anlegen wird als auf seinen Tonträgern. Mit Count Basic feat. Kelly Sae, dem einstigen Acid Jazz Projekt des österreichischen Gitarristen Peter Legat, ist noch einmal ein Gitarrist mit Heimvorteil zu hören, der seine Musik aber ebenso international anlegt wie die deutsche Jazzkantine, die ihre Musik ebenso locker mit HipHop wie mit R&B und Jazz verbinden. Ausgelassene Stimmung ist folglich vorprogrammiert, und die gehört halt zum Jazz wie der wedelnde Schwanz zum Hund.

Niemand dürfte den Geist dieser lebensfrohen Musikmixturen besser verkörpern als Mother’s Finest. Die Band aus den Siebzigern, Mutter aller lebenslustig-tanzbaren Fusionen zwischen Funk, Rock, Jazz und Soul, ist es keinesfalls wert, nur an ihren alten Hits gemessen zu werden. Am 8. Juli, im Doppelkonzert mit „A Soulful Night of Keys“ (Arkadenhof), wird die Band das Zelt aufheizen.

So kann eine Voraussage gewagt werden: dieses Jazz Fest ist eine Ehrbezeugung an die Stimmen der Herzen, an Musikerinnen, die sich bereits erfolgreich in die Herzen des Publikums gesungen haben. Es ist eine Absage an die bloß neumodische „Neu-ist-besser“- und „Ex und Hopp“-Mentalität und eine wunderbare, klare Option für eine Nachhaltigkeit des musikalischen Eindrucks.
Harald Justin (Jazzfest Wien)

Foto Eric Burdon: Marianna Proestou
Bobby McFerrin: Ann Mardsen
Wolfgang Muthspiel: Laura Pleifer
Harri Stojka: Andreas Müller


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