JAZZ FEST WIEN 2011

Der Planet ächzt, Menschen und Natur leiden. Die Katastrophengeschichte scheint unendlich zu sein. Wenn in dieser Zeit Jazz erklingt – und er wird in Wien vom 15. Juni bis zum 17. Juli auf dem Jazz Fest Wien lautstärker denn je erklingen – trägt er die Erinnerung mit sich, dass die Geburt des Jazz aus dem Geist der Katastrophen, aus dem Leid und dessen Überwindung, aus der Lust am Leben geschah.

Gleich das Eröffnungskonzert am 15. Juni im Austria Center Vienna mit der Chanteuse Marianne Faithfull steht unter einem guten Stern, der in Zeiten der Not umso heller scheinen muss: sie wird ihr neues Album vorstellen und im Vorprogramm die kanadische Jazzhoffnung Matt Dusk das swingende Erbe von Sinatra & Co. antreten lassen. Darüber hinaus wird das Konzert ein Charity-Event für die United Nations Women`s Guild sein. Diese Organisation hält ihren Schutzschild über alle weltweit in Not geratenen Kinder und Mütter, und dass das Eröffnungskonzert des Jazz Fest Wien als Charity-Gala im Zeichen dieser Organisation stattfindet, ist ein Hoffnungszeichen.

Schon am 23. Juni setzt eine weitere Diva das Engagement fort: Cesaria Evora. In ihrer Heimat, den Kapverden, wegen ihrer schuh- und strumpflosen Auftritte als „barfüssige Diva“ ebenso bekannt wie für ihr soziales Gewissen, singt sie ihre grandiosen Lieder voller Wehmut, Weltschmerz und Hoffnung nun im Wiener Konzerthaus. Mit ihren sozialkritischen Liedern und ihrem Engagement u.a. für Kinderhilfsprojekte, hat sie sich Weltruhm ersungen. Sie nach ihrem 2008 erlittenen Schlaganfall in Wien begrüßen zu dürfen, ist ein Glück für alle Anwesenden.

Dabei ist ihre Musik allemal von einem bittersüßen Weltschmerz geprägt, der Sodade. Dieser ursprünglich aus dem Portugiesischen stammende Begriff bezeichnet die sehnsuchtsvolle Gemütslage der auf die Kapverden von Portugiesen verschleppten westafrikanischen Sklaven, die sich in ihrer Not ein neues Paradies erträumten. Das ist genau der Gemütszustand, geboren in den Knochenkathedralen millionenfach in die Welt verschleppter Afrikaner, aus dem in Amerika Blues, Gospel, Soul, Jazz und HipHop entstanden.

Keine Frage, dass in diesem Sinne das Jazz Fest Wien mit diesem 21. Jahrgang die Maschen des globalen Musiknetzwerkes enger knüpft: die afrikanischen Roots des Jazz, die überbordende Lebenslust, die alles Leid besiegt, wird Seun Kuti & Egypt 80 am 8. Juli im Arkadenhof des Wiener Rathauses mit viel Kraft im Gebläse und rhythmischen Feuer beschwören. Wie sein Vater, der legendäre Fela Kuti, ist auch er ein Hoffnungsträger des jungen, neuen Afrikas, das um seine Freiheit kämpft.

Der Arkadenhof des Wiener Rathauses wird in den Tagen vom 7. Juli bis zum 10. Juli zu einem Aufmarschplatz von Africana, Blues-, Soul und Jazz werden, wie er nicht schwärzer sein kann. Am Anfang (7. Juli) stehen der legendäre Bluespianist Dr. John und der junge Shooting Star Trombone Shorty, beide aus New Orleans, auf der Bühne. Die Mixtur aus
deftigem Funk-, Soul, Blues und Jazz wird nicht vergessen lassen, dass der Hurrikan Katrina 2005 eine Katastrophe für New Orleans bedeutete; beide Musiker haben sich in Hilfsaktionen mehrfach engagiert. Beide Musiker wissen um den alltäglichen Rassismus in Amerika, der sich auch im Umgang mit der Naturkatastrophe bewies. Die Soullegende Betty LaVette kann davon ebenso ein Lied singen wie am gleichen Abend, dem 9. Juli, die legendären Blind Boys of Alabama, die wohl älteste Gospelgruppe der Welt. Sie werden das Tal der Schmerzen singend und hoffnungsfroh durchwandern, mit Gospelsongs, aber auch mit Songs von Dylan oder den Rolling Stones.

Und am Ende der Konzertreihe im Arkadenhof wird der indonesische Jazz-Pianist Dwiki Dharmawan mit seinem World Peace Ensemble in einem Freikonzert am 10. Juli den Weltfrieden mit Musik beschwören und dabei den Jazz als eine internationale Sprache der Hoffnung benützen. Den 10. Juli eröffnet ein Konzert der südkoreanischen Sängerin Sun Nah mit dem dänischen Gitarristen Ulf Wakenius.

Jazz wäre keine Musik fürs Leben, wenn er das Überleben nicht in prunkvollsten Farben schildern würde. So gehört zur lauten Sozialkritik am „american way of life“, wie sie sich die Voices of Harlem mit ihrem HipHop-Gesängen am 14. Juli im Porgy & Bess“ leisten, eine Superdiva wie Lisa Minnelli. Ihre im amerikanischen Showbiz gehärtete Karriere hat
sie reifen lassen, mit Glanz und Gloria wird sie in der Wiener Staatsoper am 17. Juli zeigen, was es heißt, „on top“ des „american way of showbiz“ zu sein. Dagegen wird die Art des Jazz-Gesangs, wie sie der aus der Klassik bekannte Thomas Quasthoff zelebrieren wird, auf eine ganz andere Weise faszinieren. (Wiener Staatoper, 6. Juli)

Auf eben diese Weise halten sich weitere Höhepunkte des Jazz Fest Wien die Waage. Brit-Folk-Legende Richard Thompson und Singer/Songwriter William Fitzsimmons werden im WUK (30./1. Juli) eher Töne zur inneren Einkehr anschlagen, ebenso wie Al Di Meola und Earl Klugh am 1. Juli in der Wiener Staatsoper die hohe Kunst des leisen Gitarrenspiels zelebrieren werden. Im Vergleich robustere Töne versprechen die Black Country Communion mit dem Krachbluesgitarristen Joe Bonamassa (Wiener Staatsoper, 16. Juli), der ebenso handfeste Bluesgitarrist Walter Trout (Reigen, 6. Juli), der soulig groovende John Lee Hooker Jr. (Reigen, 5. Juli) und die einstige New-Wave-Göre und diesmal mit einem Bluesprogramm am 15. Juli in der Staatsoper auftretende Cindy Lauper. Die Eleganz eines Jazz-Fans wie Bryan Ferry (Wiener Staatsoper, 3. Juli) wird auf die bodenständig-groovende Intelligenz eines promovierten Jazzwissenschaftlers Ben Sidran (Porgy&Bess, 28. Juni) treffen. Und wie vertragen sich wohl die Coolness der Diva Madeleine Peyroux (Wiener Staatsoper, 4. Juli) und der Jazz-Legende Lee Konitz (Porgy&Bess, 9. Juli) mit den lateinamerikanischen Hitzegraden, die Sergio Mendes am 2. Juli in der Fernwärme Wien beim Open Air Spittelau entfachen wird?

Ob sich diese pure Lebensfreude ins Fernwärmenetz der Stadt Wien einspeisen lässt? Die Frage sei mit dem Blick auf Schlagwörter wie „nachwachsende Energien“ und „Nachhaltigkeit“ beantwortet: das Jazz Fest Wien findet zum wiederholten Mal an bewährten Spielorten wie der Wiener Staatsoper, dem Wiener Konzerthaus, dem Austria Center Vienna und in den Clubs der Szene, dem Porgy&Bess, dem Reigen, dem Jazzland, dem WUK, und an der Fernwärme Wien, dem Arkadenhof im Wiener Rathaus und am Rathausplatz statt. Auf der Summerstage haben sich die Frauen ein festen Stammplatz erkämpft, dieses Jahr mit Konzerten von Sabina Hank, Clara Blume und Maria Ivanova. Neben Konzerten mit Musikern der österreichischen Szene, dieses Mal u.a. das radio string quartet vienna, Saxofour, Wolfgang Muthspiel, Fritz Pauer, lassen sich musikalische Gäste aus aller Welt begrüßen. Zu den Gästen aus Amerika, Kanada, Asien oder Afrika kommen zunehmend Gäste aus dem Norden Europas. In diesem Jahr sind es u.a. Terje Rypdal oder Magnus Östrum (Ex-Esbjörn Svensson) Mit anderen Worten: im Herzen Europas ist eine Musik nachgewachsen, die Hoffnung macht. Ganz ohne Restrisiko. (Pressetext/Harald Justin)

http://www.viennajazz.org/