JOHANNA MAYR-KEBER kennt man bereits als Host der FM4-Sendung „La Boum De Luxe“. Am 28. Februar 2019 veröffentlichte sie unter dem Namen JOJA ihr Debüt „STILL“ auf dem Wiener Label DUZZ DAWN SAN. Darauf zu hören sind düstere Beats, stets minimalistisch gehalten und mit knarrenden Synths versehen. Mit Benji Agostini sprach sie über die schwierige Aufgabe, zwischen ihren vielen Berufen noch Zeit zu für ihre eigene Musik zu finden, sowie darüber, welchen Gefühlen sie damit Ausdruck verleihen will und wie sie das Entkommen aus den chauvinistischen Strukturen ihrer jüngeren Jahre darin verarbeitet.
Sie sind Architektin, Grafik- und Webdesignerin, Radiohost und DJ. Wie kriegen Sie das alles unter einen Hut?
Johanna Mayr-Keber: Das ist eine gute Frage. Ich frage mich das auch immer wieder. Aber ich strebe nicht an, jedes Wochenende live zu spielen. Das wäre mir zu anstrengend. Ich bin keine zwanzig mehr, aber der Druck, ein erfolgreiches Album zu schreiben, ist nicht mehr da. Das ist auch der Grund, warum ich es erst jetzt veröffentliche. Es schaffen wenige Leute, gut von Musik zu leben, und das fällt bei mir nun weg.
Was gab Ihnen den Anstoß, selbst Musik zu machen?
Johanna Mayr-Keber: Michael Jackson. Hip-Hop war meine Schule, also deutscher beziehungsweise vor allem österreichischer Hip-Hop. Damals habe ich auf Deutsch gerappt – daher habe ich auch meinen langen Atem. Das konnte ich gut allein praktizieren, zu Hause mit Hip-Hop-Instrumentals. Neben Hip-Hop war auch der „Dub-Club“, der jeden Montag im Flex stattfand, meine zweite Musikerziehung – da war es vor allem die Vielfalt der Musik, die mich geprägt hat. Und weil ich ein Nerd bin, hat es nicht lange gedauert, bis ich mich selbst mit Musikprogrammen gespielt habe.
„Ich glaube auch stark an die Besonderheit des „Echtzeit-Recordings“, also dieser Erste Take. Da ist meistens eine Ehrlichkeit dabei, die sich so nie wiederherstellen lässt.“
Wie ist Ihre Herangehensweise ans Produzieren?
Johanna Mayr-Keber: Ich habe für „STILL“ keine fertigen Loops verwendet. Das mache ich grundsätzlich nicht, weil ein fertiger Drum- oder Synth-Loop schon so viel Eigendynamik mitbringt. Ich baue also meine Beats aus einzelnen Wave-Dateien zusammen. Alle Synths spiele ich selbst ein. Aufgenommene Loops kommen bei mir also nur aus meinen Synths – einem microKorg und einem Roland Gaia – oder sind eigene Field Recordings, wie zum Beispiel auf dem Track „OK“ eine Aufnahme aus Marrakesch aus dem Jahr 2012. Ich verwende sehr gerne Geräusche. Die Stimme kommt meistens erst später dazu und ich habe auch keine vorgeschriebenen Lyrics, daher ist es auch tatsächlich so, dass ich erst oft viel später verstehe, warum ich etwas so ausgedrückt habe. Die Worte entstehen spontan, natürlich aus meinen Emotionen heraus und inspiriert von der Farbe des Tracks.
„Das Fehlerhafte ist auch ein Thema für mich.“
Johanna Mayr-Keber: Ich habe mich auch nie mit klassischen Songstrukturen beschäftigt, wie man unschwer erkennen kann – und das auch ganz bewusst, vielleicht würde es besser „funktionieren“, aber so wie auch beim Auflegen oder Veranstalten war das für mich noch nie ein Argument.
Schon Schiller sagte: „Kannst du nicht allen gefallen durch deine That und dein Kunstwerk – mach es wenigen recht. Vielen gefallen ist schlimm.“ Klimt hat das auf seiner „Nuda Veritas“ verewigt.
Vorbildlich ist für mich diesbezüglich auch definitiv Arthur Russell, der ja stundenweise Tapes mit mehr oder weniger einfachen Loops seines Cellospiels mit seiner Stimme zu Hause aufgenommen hat. Ich glaube, da gibt es wohl unendlich viele unveröffentlichte Schätze.
Und ich glaube auch stark an die Besonderheit des „Echtzeit-Recordings“, also des „First Take“. Da ist meistens eine Ehrlichkeit dabei, die sich so nie wiederherstellen lässt. Und so habe ich mich auch für Vocals entschieden, die fehlerhaft sind, weil die später neu aufgenommenen „fehlerfreien“ Recordings einfach nicht mehr denselben Charakter mitbringen. Das Fehlerhafte ist auch ein Thema für mich. Fehler sind gut, sie gehören dazu. Ich bin so müde von unserer aalglatten, perfekten Social-Media-Welt. Der Fehler ist immer der Moment, in dem es spannend wird. Er macht etwas menschlich.
Seit wann produzieren Sie selbst Musik?
Johanna Mayr-Keber: In Wahrheit mache ich schon recht lange still und heimlich Musik. Wahrscheinlich habe ich mit dem Produzieren angefangen, als ich begonnen habe aufzulegen. Auch weil ich ein Nerd bin und keine Scheu vor Software habe. Deswegen war das immer schon ein Begleiter für mich, also seit Anfang 2000 etwa.
Welche Musik legen Sie am liebsten auf?
Johanna Mayr-Keber: Das kommt natürlich immer auf das Umfeld an, in dem ich auflege, aber mir wird schnell langweilig. Deswegen mische ich gerne verschiedene Sachen. Das kann von Hip-Hop bis Techno und House gehen oder auch UK Bass und Grime.
Liegt hier die Schnittstelle, die Sie mit „Duzz Down San“ haben?
Johanna Mayr-Keber: Genau. Und dass ich zu „Duzz Down San“ gestoßen bin, ist typisch Wien: P-Tah kenne ich wahrscheinlich am längsten, aber mehr vom Sehen. Die eigentliche Connection kam aber über Anna Schauberger, also The Unused Word, die auch bei ihnen veröffentlicht. Ihr habe ich meine Sachen vorgespielt, worauf sie meinte, ich sollte sie veröffentlichen. Ich wäre nicht von mir aus auf die Idee gekommen, ein Label zu fragen. Sie hat dann letztendlich auch mein Album gemischt und Patrick Pulsinger hat es gemastert. Produziert habe ich es aber im Alleingang.
Sind Sie Bedroom-Produzentin oder nehmen Sie im Studio auf?
Johanna Mayr-Keber: Eine Mischung daraus. Es ist nicht direkt in meinem Schlafzimmer, aber ich habe meinen Arbeitsplatz zu Hause. Ich arbeite viel am Computer und dementsprechend ist es schon ein kleines Studio geworden.
Hat Ihre Arbeit beim Radio oder als DJ ihr Musikschaffen beeinflusst?
Johanna Mayr-Keber: Auf jeden Fall. Ich lege schon selbst so lange auf und liebe Clubs. Es gibt nichts Besseres als einen Clubabend. Darum bin ich auch im Zwiespalt, wenn mein Sound so melancholisch und düster klingt. Da dachte ich mir, dass ich schon auch gerne so etwas Lustiges machen möchte, und vielleicht wird das auch mal passieren. Es ist ja auch ein Ventil für etwas.
„Ich finde das Leben nicht nur lustig. Ich bin schon gelangweilt von der Instagram-Kultur, in der alles geil ist.“
Ein Ventil für etwas Persönliches?
Johanna Mayr-Keber: Ja, ich habe das Gefühl, dass ich mit der Musik schlechte Gefühle kanalisieren kann. Ich finde das Leben nicht nur lustig. Ich bin schon gelangweilt von der Instagram-Kultur, in der alles geil ist. Alle, die in dem Kulturbereich tätig sind, in dem man Herzblut reinsteckt, wissen, dass es relativ anstrengend ist. Dort Sicherheiten zu finden, ist nahezu unmöglich. Deswegen wurde das Album auch zu dem, was es jetzt ist.
Spiegelt sich also Frustration auf dem Album wider?
Johanna Mayr-Keber: Eher Traurigkeit, würde ich sagen. Ich habe nie aufgegeben weiterzumachen und empfinde mich selbst nicht als frustriert. Ich habe lange weggesehen, denke ich. Ich war lange antifeministisch, im Sinne von „Das Binnen-I ist dem Lesefluss so schädlich“. Die Jungs fanden das cool und ich war fast stolz darauf. Ich habe erst spät kapiert, dass es überhaupt nicht unbedeutend ist und ein Teil meiner Traurigkeit daher stammt, dass ich Teil chauvinistischer Strukturen war. Als junge Frau wird einem eingeredet, dass es cool sei, wenn man es nicht so sieht.
Also hat das Erkennen dieser Strukturen die Traurigkeit ausgelöst?
Johanna Mayr-Keber: Auch schon vorher. Viele meiner Tracks sind recht alt. Ich finde es interessant, dass viele Songs erst später mehr Sinn ergeben. Ich habe damals etwas geäußert, von dem ich nicht wusste, was ich meine. Im Rückblick ist mir das aber klar.
„Ich merkte, dass ich langsam müde geworden bin, immer fünfmal so viel zu leisten, um die Hälfte der Anerkennung zu bekommen.“
Wie sind Sie aus den angesprochenen chauvinistischen Strukturen ausgebrochen?
Johanna Mayr-Keber: Für mich ging es gar nicht so sehr darum auszubrechen, sondern vielmehr darum, die patriarchalen Strukturen wahrzunehmen. Ich habe mich mit vielen Männern sehr gut verstanden und tue es auch heute noch, aber ich habe gar nicht gesehen, dass es hier Missstände gibt. Es ging sogar so weit, dass ich Feminismus unnötig fand und – das ist mir unangenehm zuzugeben – sogar stolz darauf war, dass ich das „nicht brauche“. Aber über all die Jahre merkte ich, dass da irgendetwas nicht passte, dass es mir nicht gut ging, das war in etwa die Zeit, in der ich „Faster“ aufgenommen habe. Ich merkte, dass ich langsam müde geworden bin, immer fünfmal so viel zu leisten, um die Hälfte der Anerkennung zu bekommen. Es hat mich traurig gemacht, dass das Interesse oft nur aus sexuellen Hintergedanken bestand und ganz schnell weg war, wenn ich das nicht wollte.
Es ist anstrengend, wenn einer Frau grundsätzlich mal nichts zugetraut wird. Ich habe erkannt, dass das Patriarchat davon profitiert, dass Frauen sich als Konkurrenz wahrnehmen. Gibt es bei zehn Personen nur Platz für eine Frau, dann ist jede andere die Feindin – um es vereinfacht darzustellen. Dann wurde mir klar: „Damn, we need four more to be fair!”
Auch vermute ich, dass manche Männer Angst haben, Frauen zu unterstützen, um sich nicht nachsagen zu lassen, dass sie auf sie stehen. Da unterstützt Mann doch lieber seinen Buddy. Es ist ja auch jetzt in Deutschrap-Texten zu hören oder auch in deren Videos zu sehen: Frauen sind dafür da, Männer zu bejubeln, sie sollen das Ego von Männern pushen, sie bestätigen. Sie sollen sich ficken lassen und damit den Wert des Mannes steigern. Frauen sind Trophäen, nicht Inspiration. Aber gut, es ist halt auch schon so lange so. Früher waren die Damen die Musen, hatten keinen eigenen Intellekt. Wurde ein Bild als Meisterwerk von jemand Unbekanntem deklariert, wurde es, sobald klar war, dass eine Frau es kreiert hatte, deklassiert. „Es ist ja gar nicht so besonders, man kann sehen, dass es von einer Frau gemalt wurde.“ Es gibt dafür unendlich viele Beispiele in der Geschichte. Auch heute noch: Der weibliche Stil in Musik, Malerei, Literatur, was genau ist das?
Es ist auch klar, dass sich historisch gewachsene Strukturen nicht über Nacht ändern können. Daher ist es für mich kein Ausbrechen, sondern der Versuch, in den vorhandenen Strukturen etwas zu verändern. Es muss einfach normal sein, dass in einem Line-up die Hälfte weiblich oder „divers“ ist, und das soll nicht deklariert oder kommentiert werden. Sobald es normal ist, wird es gut sein!
Spiegelt sich diese Erkenntnis auch in Ihrem Sound wider?
Johanna Mayr-Keber: Definitiv. Ich will keinem weißen, heterosexuellen, schönen Mann absprechen, es im Leben auch mal schwer zu haben. Und ich kann auch nicht im Geringsten nachvollziehen, wie es sich anfühlt, eine schwarze homosexuelle Frau oder „inter“ zu sein oder andere „Minderheiten-Merkmale“ zu verkörpern. Ich selbst genieße unglaublich viele Privilegien. Das Leben ist einfach nicht immer einfach. Für uns alle, aber für manche eben mehr oder weniger beziehungsweise öfter oder seltener, je nach „Merkmal“. Und in unserer Hochglanz-Online-Persona vermisse ich oft diese Ehrlichkeit, weil ich es einfach nicht glauben will, dass es allen so supertoll geht, wie es immer aussieht. Vor allem wenn ich von Personen, die sich so cool inszenieren, aus persönlichen Begegnungen weiß, dass die Realität oft ganz anders aussieht. Lieber noch was Schlaues, Schönes, Cooles, politisch Korrektes posten, um mit den Likes das Ego für kurze Zeit über Wasser zu halten, ist halt leider nicht von Dauer. Uns so wird das Reward-Rad wunderbar am Leben gehalten und Facebook dankt es uns! Aber von den Härten des Lebens will niemand was wissen. Das ist unsexy, bringt keine Likes, berührt aber womöglich andere auf einer viel tieferen Ebene und hilft ihnen, eine tatsächliche Veränderung in ihrem Leben herbeizuführen, aber liken werden sie den für sie prägenden Status wohl kaum, weil sie sich genieren. Vielleicht wäre es aber gar nicht so verkehrt, Schwächen und Ängste zuzugeben, weil wir alle damit zu kämpfen haben.
Für mich ist meine Musik eine Möglichkeit, mit den dunklen Gefühlen umzugehen, sie zuzulassen. Sie ist wie ein Ventil.
Drückt sich das auch in den Texten aus?
Johanna Mayr-Keber: Auf jeden Fall. Ich habe heute über die Texte nachgedacht. Dass ich auf Englisch singe, obwohl ich eigentlich aus dem deutschsprachigen Rap komme, wirft mich zurück in eine Einfachheit, weil ich es nicht so gut beherrsche. Aber genau das gefällt mir.
Dieser Minimalismus lässt sich auch in Ihrer Musik wiederfinden.
Johanna Mayr-Keber: Ja, ich bin auch ein Loop-Baby. Sowohl in der Produktion als auch bei den Vocals. Der Loop macht mir Spaß. Ich gebe es zu, das entspringt auch meiner Faulheit. Meistens fange ich mit einem Geräusch oder Instrument an und dann wird das geloopt. Auf dem baue ich dann auf.
Würden Sie gerne mit Rapperinnen und Rappern zusammenarbeiten?
Johanna Mayr-Keber: Ich muss zugeben, dass ich asozial bin. Es fällt mir schwer, mit anderen zusammenzuarbeiten. Aber es wäre sehr schön, mit jemandem zu arbeiten, mit der bzw. dem es passt. Nur bin ich in meinem Geschmack so speziell. Aber das gefällt mir.
Was kann man als Nächstes von Ihnen erwarten?
Johanna Mayr-Keber: Vorerst nur meine Release-Performance am 9. März im Celeste im Rahmen des „Club Duzz“.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Benji Agostini
Termin:
9. März 2019 – Celeste, Wien
Links:
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Joja (Soundcloud)