„Irgendwann muss man wieder etwas sichtbar machen“ – MIMU MERZ im mica-Interview

Bei MIMU MERZ scheint alles in Konversation zu münden: jene zwischen den Musikerinnen und Musikern in ihren Songs, zwischen den Musiken, in denen sie sich bewegt, zwischen den Zuschauerinnen und Zuschauern, die sie zum Spielen auffordert, zwischen den Tönen einer Sprache, zwischen den Lauten eines Worts. Sylvia Wendrock im Gespräch mit MIMU MERZ.

Entweder bin ich schlecht geworden in der Recherche oder es gibt nicht viel zu finden über dein Schaffen in den vergangenen zehn Jahren … 

Mimu Merz: Das ist eine Kritik, die mich oft erreicht: dass ich wirklich mein Bestes tu, um mich zu verheimlichen. Ich halt es leider überhaupt nicht aus, meine eigenen Sachen aufzubereiten und darzustellen. Aber dieses Jahr ist ja so ein leap year, wo wenig passiert. Ich arbeite an mir. Vielleicht ist ja wieder mal eine Website dran – man wünsche mir Glück …

Also muss ich ganz profan fragen, was du so tust in deiner Zeit. 

Mimu Merz: Es fällt mir schwer, die Dinge einzuteilen. Mein Fluch und mein Segen sind, dass ich sehr viele verschiedene, oft interdisziplinäre Projekte mache. Das reicht von Musik und Lesung über Medienkunstkonzepte, Audio- und Videoregie bis zu Illustration und Grafikdesign. In den letzten Jahren habe ich mich dann mehr auf Theater und Performance konzentriert.

„Theater ist eben die Königin der Situationen.“

Dort passt die Bündelung deiner Fähigkeiten aber auch am besten hin, eigentlich eine zwangslogische Entwicklung … 

Mimu Merz: Das habe ich auch so empfunden. Bei meinem ersten Stück war ich total beeindruckt, dass alles tatsächlich so aufgegangen ist, wie ich es angedacht hatte. Dieses Projekt hatte sich eigentlich nur ergeben, weil meine Schwester meinte, ich solle ihr gefälligst ein Stück schreiben, in dem sie dann auch mitspielt. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt nichts in die Richtung gemacht, fand den Wunsch jetzt auch nicht gerade klein. Aber ich war angefixt. Bin dann zu dem Theater, wo es stattfinden sollte, gefahren, hab mir angehört, was sie am liebsten hätten – z. B. im öffentlichen Raum und so –, und habe  „A nach B“ in Oberzeiring, einem kleinen Dorf in der Obersteiermark, entwickelt.
Ich bekleide oft den Posten der Außenseiterin, die in etwas Bestehendes eindringt. Das hat Vorteile, wenn man etwa unerwartete Dinge in einem bekannten Genre machen kann, aber auch extreme Nachteile, wie die enorme Verausgabung, sich immer wieder neu zu bewähren, immer wieder neu anzufangen, dazuzulernen. Theater ist für mich auch deshalb interessant geworden, weil es halt fixe Budgets gibt, in deren Rahmen man arbeitet und weil es ein team effort ist – da entstehen plötzlich völlig neue Möglichkeiten. Theater ist eben die Königin der Situationen. Aber es ist auch ein wunderbares Rezept für den nächsten Burn-out.

“A nach B” (c) Markus Zahradnik

Und es ist eine Institution, in die einzutreten einen Kraftakt bedeuten kann. 

Mimu Merz: Oh ja, so viel ist fix. Letztes Jahr kam Covid-19 auch noch dazu – quasi als black cherry on top. Produktionen verschleppten sich, Nerven lagen blank, Arbeit unter Sicherheitsbedingungen, Kontaktkreise, Maskenpflicht … nicht wissen, ob die Premiere, auf die man ein Jahr lang hingearbeitet hat, stattfinden wird. Das war schon außergewöhnlich zach. Dennoch bin ich sehr stolz auf „Fahrenheit 451“, welches 2020 aus genannten Gründen seine schwere Geburt am TAG Theater Wien und auch nur ein paar wenige Vorstellungen erlebte, bevor ein Lockdown nach dem anderen es aus der öffentlichen Wahrnehmung drängte.

Obwohl dem Stück ein Text von 1953 zugrunde liegt. 

Mimu Merz: Ray Bradbury will ähnliche Dinge wie heute, wenn man sagt, das Lesen ginge kaputt und meint unsere „Kultur“ und darum Mündigkeit nähme Schaden. Die digitale Kulturpraxis ist an sich ja nicht zu verachten. Bei aller Suderei ist die digitale Informationskultur schließlich ein unglaublicher Fortschritt. Das Miteinander leidet halt an der Medientechnologie und daran, wie sie genutzt wird, um jeweiligen monetären und politischen Interessen zu dienen, welche halt oft nicht im Interesse der Gemeinschaft stehen. Bei meiner Performance „Instant Choir“ zusammen mit dem Cellisten Lukas Lauermann aus dem Jahr 2018 ging es tatsächlich darum, mithilfe der Technologie übergriffige Situationen im „Realraum“ zu erzeugen, die die Leute dazu bringen, sich einander direkt auszusetzen. Zum Beispiel, indem man deren Smartphone hijackt. Das ist ja mittlerweile quasi eine Extension deines Selbst. Die Besucherinnen und Besucher bekamen neue Identitäten, neue Namen, wurden in Pärchen geordnet, mussten einander im Raum finden und dann Konversationsaufgaben erledigen. Wir sind es gewohnt, uns in einem diskretisierten Leben aufzuhalten, wo alles messbar und getaktet ist. Mit der Aufgabe, möglichst höflich mit deinem Gegenüber in 90 Sekunden Schluss zu machen, wirst du dann gezwungen, in der Eile deine Floskeln auszupacken, was zum Teil dein Funktionieren offenlegt. Es macht mir wahnsinnige Freude, das zu beobachten. Ein Projekt gefällt mir tatsächlich dann am besten, wenn sich eine Situation manifestiert, die ich sehen will. Ich bin eine ganz dreckige Voyeurin.

Es ist doch genau dieser Knackpunkt: Die Künstlerin bzw. der Künstler macht’s. Ich habe vielleicht den Gedanken auch, aber nie den Mut, irgendetwas davon auch nur zu benennen oder so weit auszuarbeiten, dass es sichtbar wird, sich selbst dermaßen auszusetzen.  

Mimu Merz: Es ghört mehr gredt – sag ich mal. Meine Hoffnung, Menschen ein wenig zur Konversation anzuregen, bedient auch das Projekt „Asif Erotik“, bei dem ich mit jeweils wechselndem Lesepartner collagenartig Liebesromane verlese. Ich bin zu einer Unmenge dieser Schmuddelbüchlein gekommen, die einer älteren Nachbarin in Judenburg, wo ich aufgewachsen bin, gehörten. Das Zeug ist teilweise so schräg, die Geschlechterrollen so konservativ und überzeichnet, dass man nicht umhinkommt, drüber nachzudenken wie das eigentlich heutzutage, im „echten Leben“ quasi, wirklich rennt. Das sind schon nette, dezent feministische Abende, diese Lesungen. Es wird dann viel geplaudert. Und vielleicht sogar ein bisserl mehr gschmust als normal…

Soziokulturelle Arbeit quasi … 

Mimu Merz: Ja! Könnte man so betrachten. Das ist aber eh immer der gar nicht so kleine Wunsch an Kulturschaffende, wenn zum Beispiel zur Residency mit Aufenthaltsklausel geladen wird: dass man, wenn möglich, das zwischenmenschliche Raumklima doch etwas verbessern möge und sich sehen lasse. Mhm ja, warum auch nicht. Wenn es denn möglich ist.

Begegnet bin ich deinem Namen aber erstmals als Part bei Ritornell … Wie arbeitet ihr zusammen? 

Mimu Merz: Uns verbindet eine schon langjährige Zusammenarbeit. Die Texte, die ich auf das Material von Richard Eigner und Roman Gerold arrangiere, schreibe ich natürlich selbst. Mittlerweile ist das eher ein Remote-Schaffensprozess geworden: Jeder arbeitet allein und dann trifft man sich im Studio, wenn’s gut geht.
Da ich zusammen mit Miriam Schmidtke beim diesjährigen Ö1-Hörspielpreis die Publikums-Trophäe erhalten habe und Roman [Gerold, Anm.] gleichzeitig in einer anderen Kategorie, nämlich Track 5‘, gewonnen hat, schauen wir beide, dass wir uns da jetzt mal gemeinsam was in Richtung Radiokunst ausdenken. Den Wunsch, wieder direkter miteinander zu arbeiten, gibt es jedenfalls.

Du singst und schreibst doch aber viel in der englischen Sprache …

Mimu Merz: Österreich ist ein Kulturimportland, da liegt das nahe. Die meisten musikalischen Vorlagen, die mich prägten, waren halt auch auf Englisch. Man kann sich hinter der anderen Sprache natürlich auch prima verstecken. Als ich vor Jahren zum ersten Mal – und zum einzigen Mal – zu einem Poetry-Slam eingeladen war, habe ich meine erste deutsche „Prosa“ verfasst und mich damit zunehmend für meine Muttersprache zu interessieren begonnen. Es ist zwar ein richtiger Kampf, da die eigene Kunstsprache zu finden, aber ich glaub, das ist es schon wert. Auf meinem Album „Elegies In Thoughtful Neon“ gab es genau ein deutsches Lied, nämlich „Politik der Liebe“, und ich finde das am besten, weil es eine Härte aufweist, die man nur in der eigenen Sprache erreichen kann. Und das wiederum erreicht die Leute.

Zwischenmenschliche Interaktion ist meinem Empfinden nach ein essenzieller Bestandteil deiner Arbeiten. Allein lässt sich schwer etwas ins Leben holen.

Mimu Merz: Das find ich auch tatsächlich im Alltag sehr schwierig. Die Entwicklung eines Projektes, bis es förderfähig ist und man damit andere Leute ins Boot holen kann, bedeutet viel anstrengende alone time. Was letztes Jahr endlich einmal große Thematisierung fand, halt unter dem Begriff „Homeoffice“: keine Wege mehr, sich selbst motivieren müssen usw. Rein inhaltlich ist es beim allein Arbeiten schon eine Herausforderung, an einer Idee so lange festzuhalten, bis sie Ergebnisse zeigt. Du glaubst gar nicht, wie viele Ideen wie nasse Enten auf den Boden gefallen und da auch geblieben sind. Die meisten eigentlich.

Mimu Merz / How to protect you internal ecosystem (c) Markus Zahradnik

„Nach zehn Jahren weiß keiner mehr, dass ich Musik mache.“

Ob Ideen auch Leben innewohnt, welches erlischt, wenn sie nicht bewegt werden? 

Mimu Merz: Ich habe die Tendenz, gern mit anderen Leuten über Ideen zu reden, weil ich Privates und Berufliches offenbar sowieso nicht voneinander trennen kann. Da ist es auch ein bisschen entertaining, wenn man seine Spinnereien besprechen kann, auch wenn es nur für den Augenblick ist. Die Ideen, die mir sehr lieb waren, aber niemals ihre Erlösung gefunden haben, bauen sich in mich ein. Aber irgendwann muss man wieder etwas sichtbar machen. Bei „How to protect you internal ecosystem“, das eben den Ö1-Hörspielpublikumspreis 2020 gewann, wird ja ein Leidensdruck beschrieben, der nicht unwesentlich mit diesem Sichtbarkeitszwang zusammenhängt, der bedeutet, dass man die ganze Zeit das, was in einem drinnen vorgeht, nach außen bringen muss, um überhaupt künstlerisch zu existieren. Nach zehn Jahren weiß keiner mehr, dass ich Musik mache.

Bild FLMNT
FLMNT (c) Alexander Gotter

Wie trittst du dann mit deinen Sachen auf bzw. wie hast du es getan? 

Mimu Merz: Früher war es tatsächlich nur die kaputte Ziehharmonika, auf der wenige Töne klangen, aber ich viel dazu gesungen und erzählt habe. Manchmal im öffentlichen Raum, manchmal in Stiegenhäusern von Zinshäusern und Universitäten. Mit viel Interaktion mit dem Publikum. Dann kamen die Studioproduktionen, wo die Sachen auch live mit Gastmusikerinnen und -musikern enorm an Komplexität gewannen. Jetzt bin ich am ehesten solo mit digitalen Sets anzutreffen, wo ich vorgefertigte Field-Recordings oder Samples live bearbeite. Mit viel Live-Stimme und Stimmbearbeitung. Ich nenn es immer „Ambient Singer/Songwriting“.
Das gabs in gleicher Machart allerdings auch im Duo mit Lukas Lauermann als FLMNT. Lukas und ich arbeiten sowieso öfter zusammen, bei „Fahrenheit“, bei „How to protect“, und letzten Sommer haben Markus Zahradnik und ich ihm ein Musikvideo gebastelt.

Du bist eine Schatzhüterin. 

Mimu Merz: Es ist schrecklich. Ich habe schon wahnsinnig viel produziert, aber es liegt irgendwo herum und irgendwann ist es weg. Als letztes Jahr so viele Konzerte wegfielen und alles auf Streaming umgestellt wurde, hat mich die Stadtwerkstatt Linz im Rahmen der Reihe „Future Sounds“ um einen Streaming-Beitrag gebeten. Mein Beitrag war dann „Future Sounds of the Past“, wo ich meine Rohrkrepierer ausgegraben habe und dazu erzählt habe, wann, warum sie waren und warum sie nichts geworden sind. Das hat die Idee geboren, ein Format zu suchen, wo all das, was keine Verwertung findet, in irgendeiner Form eingebracht werden kann. Ich hoffe, dass ich 2021 noch die Idee verwirklichen kann, zusammen mit Sandro Nicolussi die geheimen Schätze anderer Musikerinnen und Musiker in Form unveröffentlichter Skizzen und Stücke auszuheben und die Schwierigkeiten mit ihnen oder die Liebe zu ihnen zu besprechen. Als Podcast. Es ghört mehr gredt.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Sylvia Wendrock

 

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