Interview mit Philip Dorfmeister (Soulseduction)Philip Dorfmeister von Soulseduction plaudert im Gespräch mit Martin Aschauer aus dem Nähkästchen und erläutert seine Meinung über das Geschäft von Content-Aggregatoren und Distributoren, deren Probleme, faire Musik und die Chancen der Creative Commons.
FM5: Online-Distribution heißt ja mehr oder weniger nichts anderes als Auslieferung digitalisierter oder digitalisierbarer Produkte, meist über das Internet. Worin unterscheidet sich das von den bisherigen sogenannten alten Systemen? Die Value Chain wird ja nicht kürzer.
Dorfmeister: Naja, es unterscheidet sich mal ganz primär durch die kürzeren Wege in der Auslieferung an den Endkonsumenten, die vermeintlich zeitlich kürzer sein sollen, weil man es innerhalb von ein, zwei Wochen direkt an den Endverkäufer oder Shop liefern kann. Die eigentliche Problematik dahinter ist, dass bei der physischen Distribution der Distributor, der die Information bereits aussendet, sagen kann: “Zu diesem Zeitpunkt ist diese Platte oder CD bestellbar.” Im Online-Bereich muss es aber zu diesem Zeitpunkt bereits schon verfügbar sein. Da liegt einmal ein großer Unterschied. Dementsprechend sind eigentlich die Vorlaufzeiten im digitalen Bereich ein bisschen länger als im physischen, wo man gerade bei Vinyl sehr kurzfristig arbeiten kann. Aber digital möge es doch bitte weltweit bei den zehn, zwanzig wichtigsten Plattformen am selben Tag online verfügbar sein. Das ist einmal ein großer Unterschied zwischen den beiden. Noch einmal die Frage.
Online-Distribution: Das neue System verglichen mit dem alten, das heißt Vinyl, CDs, Verkaufen im herkömmlichen Sinn. Wo liegen die gravierendsten Unterschiede – weil die Value Chain hat sich durch Online-Distribution ja nicht unbedingt verkürzt.
Es ist schon von der Wertschöpfungskette her um einen Schritt kürzer. Also der lokale Zwischenhändler ist eben nicht dazwischen.
Nur weil man in einem Shop drinnen ist, heißt das ja noch lange nicht, dass man gekauft wird oder dass man etwas verkauft. Platzierung und Werbung ist ebenfalls wichtig. Ich habe mir notiert, dass ihr u.a. mit dem 2003 gegründeten Vertriebsnetzwerk IODA arbeitet. Wie schauen eure Erfahrungen mit Ioda aus, wieviel wird dabei wirklich verkauft?
Meine persönlichen Erfahrungen mit IODA: Wir haben IODA zusätzlich für den amerikanischen Raum genommen, weil sie dort zusätzlich noch Plattformen abdecken können, die wir dann in weiterer Folge schon nicht mehr abdecken können. Dadurch ist einmal grundsätzlich die Zusammenarbeit mit IODA erklärt. Allerdings vertreiben wir nicht nur mittels IODA, sondern in erster Linie vertreiben wir mittels eigenem technischen Equipment aus dem eigenem Haus. Wir kooperieren hier in manchen Bereichen mit Konsumentenshops und manchen Promotionplattformen.
Wie viel verkauft man jetzt wirklich, weil nur weil man in einem Shop ist, heißt das noch nicht, dass man gekauft wird?
Unabhängig davon, ob wir aus dem eigenen Haus oder mithilfe des IODA-Netzwerks ausliefern, liegen die digitalen Verkaufszahlen stets in Relation zu den Retail-Marketing und Promotionmaßnahmen und natürlich dem Bekanntheitsgrad. Beispiel Netlabels: Es ist leider von einem Netlabel falsch zu glauben oder zu hoffen, dass durch den Wegfall der physischen Tonträgerproduktion (Vinyl oder CD) man jetzt günstiger produzieren kann. Stattdessen sollte ein Label, das – wie oft im Indie-Bereich – unter den Herstellungskosten und der langen Mittelbindung dieser Kosten leidet – den gesamten freiwerdenden Betrag 100% ins Marketing und Promo stecken, um den digitalen Release promomäßig zu stützen. Manchmal ist aber das genaue Gegenteil der Fall: jene Künstler, die es sich früher aufgrund der Herstellungskosten nicht leisten konnten ein Label zu gründen, haben jetzt dazu die Möglichkeit. d.h also: noch viel mehr Produzenten als früher, noch mehr kleine Labels und viele, viele neue Tracks, die früher maximal als Demo oder Test gelaufen sind. Dadurch wird es dann wieder um einiges schwieriger sich als Label zu positionieren und herauszustechen. Für etablierte Labels ist das ein geringeres Problem, weil sie sich ja bereits im physischen Sektor positioniert haben. Daher sind auch die Umsätze in der Regel höher. – Wobei wir noch auf niedrigem Niveau sind, bei ca. 7 bis 10% der physischen Zahlen.
Und wie gewährleistet ihr, dass eure Produkte gut platziert und vermarktet werden? Kann man das steuern?
Bedingt. Wir haben einen eigenen Mann für Retail-Marketing, der die jeweiligen Plattformen bemustert und mit ihnen spricht und Banner-Werbungen, bzw. was auch immer die jeweilige Plattform anbietet, versucht zu platzieren. Aber da das keine gekauften Anzeigen sind, liegt das doch auch immer im Interesse der einzelnen Plattformen auf diese Bemusterungen einzugehen oder nicht, das heißt, man untersucht das und man selektiert natürlich vor und sagt: “Bei dieser Plattform versuche ich ganz speziell das rein zu bekommen, während auf einer anderen natürlich etwas Anderes besser gehen kann.”
Was sind die Hauptprobleme des Aggregators?
Das Fehlen von Metadaten-Standards in der Branche. Durch eine Standardisierung der Metadaten und der Abrechnungsdaten könnte einfacher und schneller gearbeitet werden. Ansonsten die üblichen “Problemchen”, die man einfach hat, wenn man eine Firma betreibt. Wenn täglich irgendetwas zwar angeliefert wird, aber dann doch nicht online geschalten wird, wo man nachfragen muss und ähnliches. Aber die zwei Punkte sind eigentlich das Gravierende.
Es gibt ja eigentlich relativ viele Content-Aggregatoren, die ja auch größer sind als Ihr. Wodurch und worin unterscheidet Ihr euch, was macht euch besser?
Unsere Philosophie ist einmal grundsätzlich kein Geld dafür einzuheben, dass wir gemeinsam mit dem Kunden arbeiten. Und im Gegensatz zu anderen Firmen, die für die Digitalisierung, unabhängig davon, wie erfolgreich das später sein wird, mal Digitalisierungsfees verlangen. Da sagen wir: “Nein, das machen wir nicht!” Wir arbeiten da auf der Basis eines Glücksgeschäfts, das heißt, wir gehen diese Verträge ganz bewusst ein, ohne im Vorfeld Geld von den Labels zu verlangen. Das Zweite ist: Wir haben relativ kurzfristige Verträge, das heißt es ist bei uns ein Ein-Jahres-Vertrag zum Ultimo möglich, das gewährleistet eine gewisse Kurzfristigkeit bzw. wenn sich das Label das anschaut und sagt: “Das ist kein Problem!” Und drittens gewährleisten wir mit einem “geringen”, aber doch renommierten Repertoire Prozentsätze, die, wenn möglich, immer oberhalb des Standardsatzes der vorgegeben Shops liegen. Das Platzieren von Retailmarketing ist durch das renommierte Repertoire (G-Stone Rec, Pulver Rec, Sunshine Rec, Mo Horizons mit dem neuen Label gogo Records, Etage Noir mit PArov Stelar, Dope Noir mit Waldeck, aber auch kulturell wichtige Arbeiten von Roedelius sind in unserem Repertoire) einfacher. Dadurch kann man auch weniger bekannte Werke leichter platzieren.
Content-Aggregatoren oder -Distributoren arbeiten im Business-Bereich bereits mit einer überschaubaren Anzahl an Formaten. Im Bereich der Metadaten, der Geschäftsmodellen und der Abrechnungssysteme sind die im Alltag verwendeten Modelle recht unterschiedlich. Ist es in letzter Zeit zu Standardisierungen gekommen oder wird das immer komplexer?
Es ist zu Pseudo-Standards gekommen. Auf Basis der Metadaten haben sich ein paar mehr oder weniger “Größere” durchgesetzt. Wobei das eigentlich nur deshalb gemacht wird, weil man sagt: “Okay, das kann ich bereits, das hat mehr oder weniger Hand und Fuß, für diesen Bereich kann ich das verwenden, dann schicke ich es dem Betreiber in dem Format. Der kennt es in der Regel auch schon, sagt “Ja, nehme ich an”, dann geht es schon. Das geht ganz gut für den Independent-Bereich Europa, auch im Independent-Bereich USA gibt es ein paar Formate oder Themen, die man eventuell wählen kann. Auf der Seite der Abrechnungen ist noch viel im Argen, also da kommen die Abrechnungen eigentlich sehr unstrukturiert da
Gerade bei den Metadaten scheint es ja, zumindest in nächster Zeit, so zu sein, dass noch mal “etwas” dazukommt. Derzeit sind so Dinge wie Moody gerade im Entstehen, das heißt es ist eine Frage der Zeit bis emotionale Suchsysteme und Emotagging kommen wird. Wie geht man an seinen Klienten oder Kunden ran, dass er/sie Metadaten strukturiert aufbereitet?
Das ist bis zu einem gewissen Grad ein Lern- und auch Erziehungsprozess. Man muss seinen Kunden, also Labels, klar machen, dass die Metadaten ein gewisses Format haben müssen, dass sie gewisse Anforderungen erfüllen müssen und sobald als möglich, wenn neue Anforderungen dazu kommen, das den Labels auch begreiflich machen, was gar nicht einfach ist. Es ist ein Haufen Arbeit und manche Labels, ich sage jetzt nicht, dass sie diesbezüglich überfordert sind, aber oftmals habe ich das Gefühl, dass der Produktionsprozess, oder der Prozess, bei ihnen nach wie vor noch bei dem physischen Bereich stehen bleibt und diesem Metadatenbereich manchmal noch nicht der nötige Stellenwert eingeräumt wird, vor allem solange, solange sie eben keine Verwertungsgesellschafts-Anmeldungen abgegeben haben, weil spätestens dann bekommt das eine gewisse Struktur, mit der ich auch arbeiten kann. Aber gerade kleineren Labels, die leichter strukturiert sind, ist es entsprechend schwierig, klarzumachen, was man benötigt.
Retailer-Arbeiten am Ende der sogenannten Supply Chain haben also direkt mit den Kunden zu tun, Kundenagitatoren stehen nie in Verbindung mit den Kunden. Ihr macht beides. Warum?
Wir machen nicht unmittelbar beides. Das sind zwei voneinander unabhängige Firmen. Wobei ich gemeinsam mit meinem Bruder die digitale Distribution der einen Firma mache (Soul seduction digital distribution – ORDIS GbR) und auf der anderen Seite seit Februar auch die Geschäftsführung von Soulseduction.com. Ich als Person nehme beide Positionen ein, das ist richtig. Auf der einen Seite die Sichtweise auf das Geschäftsfeld des Endverkäufers, auf der anderen Seite aber auch des Distributors.
Wo liegen da die großen Unterschiede, wenn man direkt mit dem Kunden draußen arbeitet oder im Vergleich zu?
Naja, in der Arbeit mit dem Kunden sehe ich mich doch dem Kunden verpflichtet und habe großes Interesse daran, dass er zufrieden ist. Insofern soll die Musik, die er hat, perfekt sein. Sowohl was die Qualität der Lieder anbelangt, als auch die Qualität der Metadaten, die drinnen sind. Das heißt, mein Interesse ist es, dass die angelieferten Lieder eine Mindestqualität haben. Auch meinen Labels wiederum zuliebe, weil es gibt eigentlich nur eine Chance: Du gibst es raus und es muss perfekt sein. Adaptierungen und Anpassungen vorzunehmen ist wirklich sehr viel Arbeit.
Auf der anderen Seite sehe ich als Betreuer von Endkunden was wirklich gekauft wird – ohne dass sie von Marketingmaßnahmen geschönt wurden. Ich sehe die Tendenzen in die es geht. Ich kann Trends ablesen. Ich kann hier schneller und flexibler reagieren. Ich kann beispielsweise sehen, dass ich vielleicht höhere Qualitäten bräuchte. Wir haben beispielsweise Ende Juni angefangen auch wav-Files anzubieten. Die Notwendigkeit war einfach gegeben, da wir viele DJ´s als Kunden haben.
Wie könnte man die Verwertungsketten fairer gestalten, so dass beim Künstler/in mehr Geld tatsächlich ankommt?
Von Seiten des Distributors ist das relativ schwierig. Es handelt sich hier um einen Deal zwischen einem Label und einem Künstler, in den ich ja natürlich keine Einblicke habe. Ich gehe davon aus, dass die Künstler mit den Labels halbwegs gute Deals haben – und dass sie dabei nicht schlecht aussteigen. Ich habe auch Fälle gesehen, wo das Copyright bei den Künstlern bleibt, wo die Labels praktisch die Abwicklung machen. Das dürften Fälle sein wo mehr Geld bei den Künstlern bleibt.
Unseren Anteil versuchen wir eben durch die Aggregation und die dadurch möglichen besseren Prozentsätze bei den Kundenverhandlungen zu erreichen, welche wir ja an die Labels und dadurch auch an die Künstler weitergeben. Weiters haben unsere Labels mit uns in den Verträgen Gebührenabstufungen, bei denen sie ab bestimmten Verkaufszahlen im darauffolgenden Kalenderjahr für ihre Verkäufe größere Prozentsätze erhalten, unsere Gebühr also kleiner wird. Ansonsten: Preise anheben oder senken auf der Endkonsumentenseite hat im Endeffekt keine große Auswirkung. Der Prozentsatz bleibt dabei nahezu immer konstant.
Beeinflussen neue Geschäftsmodelle wie bsp. amiestreet.com, wo der Preis gemäß Angebot und Nachfrage schwankt, eure Arbeit sehr?
Unmittelbar mal nicht. Ich bin kein großer Freund von Preisgestaltungseinflüssen die von Distributorseiten auferlegt werden. Ein Shop hat Preisgestaltungsideen. Innerhalb dieser soll er/sie sich auch bewegen. Ich gehe davon aus, dass Shops gewisse Ideen und Philosophien haben und darauf beruhend ihre Preisgestaltung treffen. Solange die Metadaten noch so im “Argen” hängen ist es gar nicht möglich eine Änderung schnell durchzubekommen. Wenn ich als Distributor alle drei Monate eine Preisänderung vorgeben würde, dann kann ich davon ausgehen, dass sie nicht vollzogen wird.
Der Bereich der Creative Commons wird derzeit immer stärker. Es gibt jamendo.com oder Plattformen wie beatpick.com. Ist für euch Creative Commons ein Zukunftsfeld?
Ich denke es ein zusätzliches Modell zu den bisherigen Modellen zu sehen. Als Zusatzmodell ist es natürlich sinnvoll. Weil es Labels und Firmen, die nicht in von Majors vorgegebenen Strukturen arbeiten wollen, die Möglichkeit gibt innerhalb eines Rahmens arbeiten zu können. Es ist auch sicher ein Ansatz, der in Zukunft immer mehr Bedeutung bekommen wird, weil es den Künstlern ermöglicht, ihre Musik rechtlich unproblematisch anzubieten und ihre jeweiligen Auflagen bekanntzugeben. Letztlich wird das Konzept auch lukrativ werden, sobald die Verwertungsgesellschaften mitarbeiten und Aufführungen entsprechend abrechnen. Labels werden ihrerseits dadurch eher unter Druck geraten.
Foto Philip Dorfmeister: D. Bär