Interview mit Franz Hautzinger

“Es gibt immer eine individuelle Möglichkeit” Man erkennt sie sofort. Der Trompeter Franz Hautzinger hat eine ganz persönliche und unverwechselbare Spieltechnik entwickelt und zählt heute zu den international gefragtesten Musikern seines Fachs. Für das MODERNISTMOZART Festival hat Hautzinger gemeinsam mit Patrick Pulsinger das Projekt “Go Disappearences” erarbeitet und präsentiert sich dabei von einer selten gehörten Seite, nämlich als Komponist.

Was habt ihr für das MODERNISTMOZART Festival vorbereitet?

Franz Hautzinger: Wir haben uns sehr über den gemeinsamen Auftrag gefreut. Ich schätze den Patrick sehr, er ist ein außergewöhnlich verlässlicher Mensch. Man kann mit ihm wirklich über Musik reden und konzentriert arbeiten. Wir haben mehrere Monate lang Ideen ausgeheckt, verschiedene Musiken imaginiert und nach der passenden Besetzung gesucht und letztendlich haben wir uns dann auf die jetzige recht konventionelle Besetzung geeinigt, – mit Cello, Posaune, Bass, Schlagzeug und eben Trompete und Synthesizer. Die Arbeit haben wir uns dann so aufgeteilt: Also, ich habe mehr komponiert, am Klavier, dann habe ich Patrick meine Kompositionen vorgespielt, der hat sie gleichzeitig aufgenommen und anschließend die Aufnahmen weiterprozessiert. Das haben wir eine Zeit lang betrieben und jetzt steht eine Endvorstellung fest. Es wird viel in verschiedener Art notiert sein. So eine archaische Musik wird das werden, glaube ich, aber nicht brachial, sondern ganz leicht. Sie wird viel mit Geschichte zu tun haben, die mich zurzeit sehr beschäftigt.

Bei eurem gemeinsamen Projekt handelt es sich ja um eine Auftragsarbeit, wie habt ihr das Festivalthema umgesetzt?

Franz Hautzinger: Im Kern geht es um die Kraft der Vorstellung. Mir gefällt mit welcher Leichtigkeit ein Kind Phantasie behandeln kann. Für Erwachsene ist Phantasie gleich mal motiviert. Und in diesem Punkt haben Patrick und ich uns getroffen. Wir sind wie Kinder an die Arbeit herangegangen. Also ich plündere kompositorisch hemmungslos die Geschichte. Es geht darum sagen zu können: Heute bauen wir eine Sandburg und die finden wir dann auch schön, aber am nächsten Tag finden wir eine Holzburg besser und die Sandburg wird zerstört.

Du hast gesagt, dass du in der gemeinsamen Arbeit mit Patrick Pulsinger vorwiegend komponiert hast, eine wenig bekannte Seite von Franz Hautzinger.

Franz Hautzinger: Im Moment steht die kompositorische Arbeit total im Vordergrund. Ich beschäftige mich gerade viel mit der Musik von Giovanni Pierluigi da Palestrina und Orlando di Lasso und mit der Harmonik des Mittelalters. Meine Klavierstücke sind sehr von dieser Zeit, von den Instrumenten, die in dieser Zeit verwendet wurden und von der nicht temperierten Stimmung beeinflusst. Ich freue mich auch sehr, dass mir das Leben nun wieder den Komponisten in mir gezeigt hat. Ich habe beobachtet, wie er langsam verschwand und dann plötzlich weg war und jetzt ist er wieder voll da, das finde ich sehr bemerkenswert. Es war mir schon klar, dass man auch wenn man lange Zeit nichts aufschreibt, unbewusst ja doch weiter sammelt und arbeitet. Und irgendwann kann man dann plötzlich auf dieses unterbewusst Erarbeitete zugreifen und ein paar Monate lang ganz leicht schreiben. So erleb ich das gerade.

Bekannt bist du vor allem als Trompeter. Wieso hast du dir genau dieses Instrument ausgesucht?

Franz Hautzinger: Das war eine nette Geschichte. Mit elf Jahren bin ich in Eisenstadt ins Internat gegangen. Da gab es einen Musiklehrer, Julius Koller hieß dieser liebe Mensch und der hat an alle Musikinstrumente herangetragen. Ich ging also mit ihm in einen Raum voller Instrumente und er macht einen Koffer auf, in dem eine goldene Trompete liegt, gebettet auf rotem Samt. Da hab ich mir gedacht: Das ist es! Dieses Instrument ist mein Weg. Und es ist noch immer mein Weg, daran hat sich nie etwas geändert, auch nicht in schweren Zeiten. Nur den roten Samt brauch ich heute nicht mehr.

Kurz nach dem Erscheinen deiner ersten Solo-CD Gomberg 1999 kam es zum internationalen Durchbruch. Wie ist Gomberg entstanden?

Franz Hautzinger: Gomberg hat sich langsam entwickelt. Ich habe an einer speziellen Trompetentechnik gearbeitet, geschrieben, gezeichnet, graphische Partituren verfasst, langsam ist so eine respektable fiktive Künstlerpersönlichkeit entstanden und irgendwann hat diese dann den Namen Gomberg bekommen. Ich hatte kein konkretes Ziel, wusste nicht, dass letztendlich alles zu einem Ganzen werden wird. Und als schließlich die CD und das Buch heraußen waren und ich etwa hundert Solo-Konzerte gespielt hatte, hat sich Gomberg auf einmal ausgelöscht. Was geblieben ist, ist diese spezielle Trompetentechnik die ich durch Gomberg für mich entdeckt habe, die Vorstellung einer gewissen Klangmalerei.

Du arbeitest gerade an der Fertigstellung einer zweiten Gomberg CD. Welchen Entwicklungsschritt wird deine Musik damit erfahren?

Franz Hautzinger: Gomberg 2 ist eine Trompeten- und Blechklangstudie. Und es hat mich vor allem auch das Zusammenklingen mehrerer Trompeten interessiert und auch konventionelle Fragen, wie etwa die nach der reinen Stimmung bei Bläsern.

Ein Projekt für mehrere Bläser? Wird es also GastmusikerInnen geben?

Franz Hautzinger: Auf der CD nicht. Es wäre viel zu aufwendig gewesen, jemandem anderen meine Technik zu erklären. Und dann der ganze Stress mit dem Studio! Und außerdem kenne ich meine Tücken. Ich weiß wann ich einatme und wo ich Intonationsprobleme habe. Es war einfach am besten, alle Spuren selber einzuspielen. Demgegenüber wäre es natürlich schön, wenn ich bei der Live-Präsentation von Gomberg 2 selber nicht mitspielen würde, wenn Gomberg 2 live von anderen MusikerInnen präsentiert würde.

Mit Hilfe von Gomberg hast du dir also auch die für dich so charakteristische Spielweise erobert?

Franz Hautzinger: Es gab ein Konzert vorher. Christian Scheib hat mich zum Musikprotokoll eingeladen. Aber damals wussten wir noch nicht, dass sich diese Spieltechnik, dieser Klang als ein absoluter Hit in einer gewissen Musikszene herausstellen sollte. Ich habe ja einfach nur eine Untersuchung von etwas gemacht. Die Gomberg CD ist in vielen Zeitungen und Musikmagazinen besprochen worden, hat sich auch gut verkauft und plötzlich hatte ich irrsinnig viele Angebote auf der ganzen Welt. Überall konnte ich mein Ding machen. Das war ein unglaubliches Geschenk. Dann erst viel später habe ich realisiert, dass Gomberg eigentlich ziemlich große Wellen schlug, denn ich war ja immer auf Reisen, immer am Tun und Konzerte spielen. Ich bin auch froh, dass ich vorerst gar nicht gewusst habe, was ich da eigentlich mach. Aber natürlich, als ich schließlich draufgekommen bin, woran ich da dran war, war auch gleich klar, dass ich weiter musste. Mich interessiert nicht so sehr etwas zu haben, um mit dem dann irgendwohin gehen zu können. Aufregend ist es, wenn sich etwas entwickelt, wenn man an einem Punkt angelangt ist, an dem man nicht weiß wie etwas geht und was sein wird. Diese Aufregung mag ich sehr gern. Sonst wird’s langweilig und das mag ich überhaupt nicht.

Was ist es genau, das du untersuchst? Ich habe das Gefühl, dass du nach wie vor versuchst, die Möglichkeiten des Instruments Trompete auszuloten, dass du ständig auf der Suche bist nach bislang ungehörten Klängen.

Franz Hautzinger: Man muss vielleicht noch ein bisschen mehr über meine persönliche Geschichte mit diesem Instrument sagen, die ja auch sehr tragisch und dann durch diesen Gomberg so befreiend geworden ist. Ich habe an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz Trompete studiert und nach einem Jahr war meine Lippe kaputt. Darauf hin war es mir für zehn Jahre nicht vergönnt einen einzigen Ton zu spielen, was mir sehr leid tat, weil ich die Trompete ja geliebt habe und nach wie vor liebe. Umso interessanter war es, wie ich gemerkt habe, dass es doch eine Möglichkeit für mich gibt, mich mit dem Instrument mitzuteilen. Nach diesen zehn, fünfzehn Jahren hatte ich auf einmal eine völlig eigene Spieltechnik entwickelt, die eigentlich auf Entspannungsübungen basierte, im Muskulaturbereich, Rachen, Lunge, Atmung. Ja, und auf einmal verspürte ich auch keinen Druck mehr. Ich war der einzige, der so eine Musik machte, das heißt ich konnte überall hingehen, es gab nirgends irgendwelche Reibungspunkte. Also ich konnte ein echt freies Trompeterleben führen, und das ist nach wie vor so. Das war ein unglaubliches Geschenk für diese fünfzehn Jahre letztendlich, in denen ich nie aufgab, in denen ich mir immer gedacht habe: Das gibt es doch nicht, da muss es doch irgendwo einen Weg geben. Das habe ich mir gewünscht und dann kam einfach überraschend diese Spieltechnik dabei heraus.

Zehn Jahre klingt nach einer sehr langen Zeit.

Franz Hautzinger: Zwischen 20 und 30 hat sich das abgespielt und mit 30 konnte ich dann mühsam wieder einen Ton nach dem anderen spielen, aber ich musste immer wieder abbrechen, ich hatte keine Kraft, keine Ausdauer, kein nichts. Allerdings hat mir das gezeigt, dass es immer eine individuelle Möglichkeit gibt. Und je spezieller, eigener, versponnener oder phantasiereicher man ist, umso besser kann man sich abgrenzen und umso stärker wird man auch wahrgenommen, und umso mehr ist möglich, ob nun Konzerte oder Kooperationen. Ich bin froh, dass ich mit einer solch unglaublichen Naivität durch das alles durchgegangen bin, immer mit dem starken Glauben an die Musik.

Und wo stehst du jetzt?

Franz Hautzinger: Ich denke für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre möchte ich an einer konkreten Trompetenmusik arbeiten, in der ich den Ton, den man von der Trompete kennt mit meiner persönlichen Spieltechnik mische, – um in allen Bereichen von Musik, die ich gern habe oder die ich schätze spielen zu können, mit meinem quasi privaten Material und mit meinen Strukturen. Ja, ich möchte wieder Töne spielen. Es ist wahnsinnig hart, weil viele Probleme von damals – physische, psychische – noch immer nicht geklärt sind. Drei Mal im Jahr hab ich das Gefühl wieder bei Null anfangen zu müssen, denk ich mir: Jetzt mach ich das schon 30 Jahre und kann es überhaupt nicht. Aber gut, das macht nichts, das ist so.

Wie sieht nun der konkrete musikalische Prozess aus, wie gehst du bei der Erforschung deines Instruments vor, und wie kommt es schließlich zum fertigen Stück?

Franz Hautzinger: Von meinem Typ her bin ich grundsätzlich so veranlagt, dass ich gerne wo hineingehe, und zwar ewig, unbegrenzt, ohne Ziel. Die Möglichkeiten von so einem Instrument sind ja unbegrenzt. Das hat mir Gomberg gezeigt. Und dann habe ich gesehen, dass wenn man jetzt den Intellekt auch noch einbaut, den Forschungsprozess in den Mittelpunkt stellt, dass es dann total interessant wird. Ich untersuche meine Vorstellungen knallhart, wie ein Wissenschaftler. Ich habe auch viel populärwissenschaftliche Literatur gelesen, von der ich nichts verstanden habe, außer die Struktur, das Herangehen an Materie. Oder wen ich zum Beispiel gerne mag ist Sloterdijk. Ich mag die Art wie er seine Bücher schreibt. Von Persönlichkeiten wie ihm habe ich viel gelernt.

Was hat dir die Lektüre von Sloterdijk für deine musikalische Arbeit gezeigt?

Franz Hautzinger: Wenn man Sloterdijk liest hat man das Gefühl ein Autorennen mit tausenden von Kurven zu fahren und in jeder Kurve findet er das richtige Wort. So empfinde zumindest ich das. Jede Spannungsproblematik löst er mit einer unglaublichen Virtuosität, teilweise auch mit Begriffen die er selber erfindet. Aber es geht mir weniger um den Inhalt seiner Texte, sondern mehr um die Art und Weise, wie er sich ausdrückt, wie er seine Texte strukturiert und wie er seine Geschichten formt. Seine Texte sind sehr verzweigt und auch sehr melodiös, sehr musikalisch.

Und diese Struktur etwa versuchst du dann in die Musik zu übertragen?

Franz Hautzinger: Diese Virtuosität, gekonnt über zehn Seiten einen Satz zu sagen, das interessiert mich in der Musik. Mich interessiert die Art und Weise wie Sloterdijk eine Dramaturgie erschafft – in welcher Form, mit welcher Struktur – und in diese setze ich dann Töne ein.

Du bist sehr aktiv und umtriebig, und das in vielen verschiedenen Szenen, wie du ja vorhin auch schon selber bemerkt hast…

Franz Hautzinger: Das ist aber erst seit ein paar Jahren so, muss ich dazu sagen.

Wie hat sich dieses breit angelegte Interesse für so viele verschiedene Musikstile und soziomusikalische Kontexte entwickelt?

Franz Hautzinger: Also eigentlich habe ich auch schon früher in allen Bereichen gearbeitet, hatte aber irrsinnige Probleme damit, weil ich das Gefühl hatte, ich kann zwar überall mitspielen, aber ich kann nicht wirklich spielen. Eh klar, meine technischen und körperlichen Möglichkeiten waren begrenzt und ich war auch jung. Verschiedene Stile sind ja verschiedene Welten. Durch die Erfahrungen mit Gomberg bin ich dann an einen Punkt gekommen, an dem ich absolut frei war und damit war ich sozusagen mal für mich existent. Gomberg war eine fiktive Wunschpersönlichkeit, aber tatsächlich war es natürlich auch ich. Und auf einmal habe ich gesehen, dass es nun möglich ist, auf hohem Niveau in verschiedenen Stilen zu arbeiten. Ich arbeite aber nur mit Leuten zusammen, die ich schätze, sowohl im künstlerischen, als auch im persönlichen Sinn. Für mich sind Konzerte grundsätzlich immer musikalische Begegnungen.

Wie gehst du vor, wenn du mit anderen MusikerInnen zusammenarbeitest?

Franz Hautzinger: In der Zeit in der ich nicht Trompete spielen konnte, habe ich mich natürlich trotzdem mit Musik befasst, ich habe komponiert, ich habe arrangiert, ich habe sozusagen alle Musikstile mit der Feder für mich bewältigt. Und ich habe viel Zeit gehabt, über Funktionen in der Musik nachzudenken. In der improvisierten Musik gibt es viele Möglichkeiten, zu kommunizieren. Man kann jemanden begleiten, im Vordergrund oder im Hintergrund sein. Es gibt viele Möglichkeiten, wie man mit jemandem zusammenspielen kann und ich kenne viele Möglichkeiten. Es gibt Situationen, in denen ich merke, dass jemand seine Energie verliert, dann werde ich stärker. Und es gibt Situationen, in denen jemand stark ist, dann trete ich in den Hintergrund. Manchmal spiele ich nur mit, wenn ich merke, dass es jemanden braucht, der die Spannung hält, der eine Basis für etwas schafft und manchmal kann man einfach drauf losspielen, nämlich dann, wenn sehr starke Persönlichkeiten aufeinander treffen, die alle sehr fokusiert sind. Dann können alle in einer Art Dadaismus Manier sozusagen gleichzeitig ihre Musik machen und auf sehr hohem Niveau miteinander kommunizieren.

Du unterrichtest auch an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien Komposition und musikalische Strukturanalyse und leitest das Ensemble 3000. Was möchtest du deinen StudentInnen auf den Weg mitgeben?

Franz Hautzinger: Ich möchte ihr Bewusstsein dafür wecken, wie viele verschiedene Musiken es gibt und wie speziell jede Musik ist. Vor allem möchte ich ihnen Offenheit mit auf den Weg geben. Je mehr man weiß von Musik, je mehr man hört, umso mehr Möglichkeiten hat man. Das Wissen über Musik ist eine wahnsinnige Power. Je mehr man über Musik weiß, umso mehr kann man über Musik verfügen. Je mehr ich verstehe, umso mehr kann ich formen, variieren, gestalten und künstlerische Mastership erlangen. Und ich versuche, die Vorstellungskraft meiner StudentInnen zu wecken, denn wenn man erst eine Vorstellung von etwas hat, kann man sie auch umsetzen. Deswegen sind mir auch in meinem persönlichen Leben alle Einflüsse wichtig, weil alles bewirkt etwas und führt zur Weiterentwicklung. Ich glaube, wenn man das erst verstanden hat, dann kann man beruhigt arbeiten.

Franz Hautzinger