Interview mit Daniel Lercher

Eine jahrzehntelange Tradition brechend, konzentriert sich das musikprotokoll heuer auf einen Ort, das Festivalzentrum des steirischen herbst. Nur einmal geht es hinaus in die nahe gelegene Heilandskirche zu Daniel Lerchers missa brevis. Der Kirchenraum ist für Lercher der ideale Konzertraum, nicht nur wegen seiner speziellen Akustik, sondern auch weil er zur Ruhe gemahnt, Konzentration einfordert und die Wahrnehmung schärft. Der musikalische Schaffensprozess ist für Lercher so wie die Messe ein Ritus, der im besten Fall sowohl ihn als auch das Publikum an einen Ort bringt, an dem der Gedankenfluss für einen Augenblick versiegt, während sich die im Raum befindlichen Schwingungen zur kollektiven Musik vereinen – durch ihn, mit ihm und in ihm. Das Interview führte Susanna Niedermayr

Susanna Niedermayr: Dein Wunsch war es, in einer Kirche aufzutreten. Was ist für dich das Interessante an diesem Raum?

Daniel Lercher: Die Akustik. Die Kirche ist ein sehr halliger Raum. In meiner Musik arbeite ich oft mit Obertonstrukturen von Klängen und da ist ein halliger Raum sehr von Vorteil.

SN: Geht es auch um diese spezielle Stimmung, die in der Kirche herrscht? Du hast dein Stück ja missa brevis, also kleine Messe, genannt, ein direkter Verweis…

DL: Ja, ein Konzert zu spielen hat für mich immer etwas Rituelles. Es geht mir um diesen Prozess, um diesen Ritus, den man hier abhält. Und die Kirche ist ein Raum, in dem sehr viel Konzentration herrscht; wo Leute in sich gehen und genau zuhören. Das ist neben der Akustik der zweite wichtige Aspekt für mich. Auch deswegen spiele ich gerne in einer Kirche. Der Raum hat immer eine Auswirkung auf die Art und Weise, wie sich die Zuhörerschaft der Musik annähert.

SN: Wenn du sagst, dass ein Konzert zu spielen für dich etwas Rituelles hat, dann bezieht sich das auch auf deine eigene musikalische Praxis. Ein Ritus ist ja etwas sehr Persönliches, etwas, das mit dem eigenen Geisteszustand zu tun hat…

DL: Ja, ich glaube es hat schon sehr viel mit meinem Geisteszustand zu tun und diesen versuche ich, dem Publikum zu vermitteln. Ich versuche, die Leute in einen gewissen Zustand zu versetzen, darum geht es mir eigentlich.

SN: Aber in welchen Zustand versetzt du dich zuerst einmal selbst?

DL: Ich versuche mich vor jedem Konzert in einen Zustand zu versetzen, in dem es mir dann möglich ist, wirklich in der Musik zu sein. So kann ich das vielleicht beschreiben. Vor einem Konzert ziehe ich mich zurück, um mich zu konzentrieren und um leer zu werden. Musik zu machen hat für mich etwas sehr Medita- tives. Es geht darum, mich in einen Zustand zu versetzen, der fernab der mich umgebenden alltäglichen Realitäten liegt. Ich kann da irgendwo anders hingehen. Also, ich trete quasi aus der Realität heraus, um in einen anderen seelischen Zustand einzutauchen.

SN: Spielt da auch Spirituelles mit?

DL:
Naja, ich glaube, ich bin jetzt nicht wirklich so ein spiritueller Mensch. Aber ich lebe schon in dem Bewusstsein, dass alles, was um uns herum existiert, was für uns wahrnehmbar ist, dass all das Schwingung ist. Das ist für mich schon ein sehr wichtiger Punkt. Vielleicht ist das ja ein spiritueller Ansatz.

SN: Und im Idealfall gelangst nicht nur du in diesen Zustand, sondern nimmst das Publikum auch dorthin mit…

DL: Ich glaube, dass dieser Zustand für jeden sehr individuell ist. Mit meiner Musik versuche ich einen Rahmen zu bieten, der es der Zuhörerin, dem Zuhörer ermöglicht, in diesen eben jeweils sehr individuell erlebten Zustand einzutreten.

SN: Wenn du die Gedanken also tatsächlich ausschalten konntest, wie machst du dann Musik? Ist das dann alles total intuitiv?

DL: Das kommt immer auf die Situation an. Für das Konzert in der Kirche habe ich mir schon gedacht, dass ich da etwas vorbereiten werde, auch weil es eine zeitliche Vorgabe gibt. Also, ich möchte das wirklich wie eine Messe strukturieren oder mich daran zumindest anlehnen. Die Gedanken auszuschalten, wie du gerade gesagt hast, das finde ich aber schon einen wichtigen Punkt. Die Musik passiert dann einfach und da fängt es für mich eigentlich erst an. Ich versuche eine Struktur zu bauen, in der dann alles Mögliche passieren kann. Es passieren ja dann auch immer Dinge, die man nicht vorhergesehen hat, die man gar nicht vorhersehen konnte und das sind für mich die schönsten Punkte. Wo ich das Gefühl habe, dass die Musik jetzt nicht aus meinem Kopf kommt. Es ist nichts Überlegtes, nichts Konzeptionelles, sondern die Musik ergibt sich einfach, entsteht aus der Situation heraus, im Moment. Die Musik passiert dann quasi und ich bin eigentlich nur mehr da und versuche sie irgendwie in mich aufzunehmen. Also es ist so ein Gefühl, als würde die Musik nicht wirklich von mir kommen.

SN: Wo es jetzt aber natürlich schon spirituell wird…

DL: Genau.

SN: Weil ein Atheist würde jetzt sagen: Naja, woher soll sie denn sonst kommen, die Musik, außer aus deinem Kopf…

DL: Ich sehe das eher so vielleicht: Wir sind ja, wie bereits vorhin erwähnt, ständig von Schwingungen umgeben und für mich ist das so eine Art Kanalisation von diesen Schwingungen, die in dem Moment gerade da sind. Auch jede Zuhörerin, jeder Zuhörer sendet eine Schwingung aus und ich glaube, das sind diese Momente, in denen es einem irgendwie möglich ist, diese Schwingungen eben zu kanalisieren. Da entsteht etwas, das mit mir als Person überhaupt nichts mehr zu tun hat. Das ist vielleicht schon spirituell.

SN: Wenn ich das jetzt richtig verstehe, dann nimmst du also die Schwingungen auf, die um dich herum passieren, und übersetzt sie, während sie durch dich hindurchfließen, in Musik.

DL: Ja, so könnte man das ausdrücken.

SN: Und du freust dich schon darauf, die Orgel einzubinden. Was ist für dich das Besondere an diesem Instrument?

DL: Es ist ein sehr altes Instrument und von der Größe her ist es ziemlich enorm. Leider ist die Orgel sehr an den katholischen Kontext gebunden, das finde ich ein bisschen schade. Obwohl es für Orgel natürlich auch neue Musik gibt, aber ich finde, dass da auf jeden Fall noch sehr viel mehr möglich wäre. Ich arbeite viel mit Sinustönen und die Orgel verhält sich ein bisschen so wie ein Sinustongenerator. Das finde ich spannend. Ich möchte daran arbeiten, diese Dinge miteinander zu verbinden, diesen elektronisch erzeugten Klang mit dem Klang eines so massiven Instruments, das schon so alt ist. Die elektronische Musik ist im Vergleich dazu ja noch relativ jung.

Das Interview wurde dem mica – music austria vom musikprotokoll zur Verfügung gestellt.

http://lercher.klingt.org/
http://musikprotokoll.orf.at/de/2012/intro/musikprotokoll-2012
http://www.steirischerherbst.at/2012/deutsch/