„Interstellar ist ein Kampf um Unabhängigkeit gegenüber den immer mehr abhängig machenden Systemen.“ – RICHIE HERBST (INTERSTELLAR RECORDS) im mica-Interview

Das vor 20 Jahren gegründete Label INTERSTELLAR RECORDS gehört zu den umtriebigsten und facettenreichsten Drehscheiben experimenteller Musik zwischen Noise, Free Jazz, Ambient, Post-Rock, Electronica und was es sonst noch an „Randständigem“ und sich permanent im Prozess befindlichen Stilen gibt. Dabei steht das Label auch für eine D.I.Y.-Ideologie, bei der es dezidiert um kollektive Praxen auch jenseits der Musik geht. Für mica hat sich Didi Neidhart mit Label-Mitbegründer RICHIE HERBST zum Interview getroffen. 

Wie kam es zur Gründung von Interstellar Records und welche „Labelphilosophie“ stand da dahinter?

Richie Herbst: „Wir machen, was uns und den Artists gefällt, und nicht, um zu gefallen“, diese Philosophie tragen wir seit jeher in uns. Wirtschaftlich streben wir einen Break-Even an und betreiben ein Label mit jener Leidenschaft, mit der vieles andere auch sonst in unserem Umfeld passiert, wie z.B. eine Band, eine Sendung beim freien Radio, Veranstaltungen usw. Interstellar Records hat sich 2001 aus dem Vorgängerlabel Jurassic Punk Records [mit Christian Reitmann, Anm.] entwickelt. Mit Interstellar waren wir dann schnell mal zu dritt [gemeinsam mit Markus Merzinger und Aina Niemetz; Anm.] und waren anfangs in Linz beheimatet. 

„Wir waren schon immer D.I.Y.“ 

Mittlerweile gehört D.I.Y ja zur Verkaufsstrategie nicht nur jedes kleinen Hipster-Start-Ups. Im Internet ist man beim Generieren von Content oder an Ticketautomaten als Prosumer quasi zu D.I.Y. verpflichtet, und dann aber auch selber schuld, wenn da was schief geht. Inwieweit hat sich in den letzten 20 Jahren für euch „D.I.Y“ als Ideologie ver- und gewandelt?

Richie Herbst: Wir waren schon immer D.I.Y. und sind es immer noch, weil die Produktionen günstiger kommen. Und auch, weil sich durch das Selbermachen viel mehr Möglichkeiten ergeben. Von Anfang an haben wir selbst gefaltet und verpackt, die Poster selbst aufgehängt, bei Konzerten gekocht, die Homepage selbst programmiert usw. Einerseits, weil wir es uns anders nicht leisten konnten bzw. wollten, oder der Aufwand, das auszulagern, zu hoch war.
Wir haben somit natürlich so auch ökologischer produziert und auch die lokalen Strukturen stärker genutzt. Wir machen das noch immer so, einzig die Versandkartons schneiden wir uns nicht mehr selbst, da sind wir bequem geworden. Und ja, wenn D.I.Y. auch bedeutet, selbst schuld zu sein, dann sehr gerne, wir lernen gerne dazu. Ein Produkt fix und fertig konfektioniert aus dem Presswerk zu bekommen, da würde mir tatsächlich die aktive Begleitung bzw. Beteiligung an einigen Produktionsschritten und somit die Verbindung fehlen. Andererseits macht das ja alles auch Spaß und Freude. Das sollte man auch nicht vergessen. Wir versuchen vor allem, auch mit unserem D.I.Y.-Konzept so viel Unabhängigkeit und somit Entscheidungsfreiheit wie möglich zu behalten.

Gerade die letzten 20 Jahre haben ja enorme Umbrüche gebracht. Speziell Musik wurde durch Social Media, Streamings, Bandcamp, TikTok, Youtube, Spotify gleichzeitig überall verfügbar, hat aber gleichzeitig enorm an Wert verloren, weil ja „kostenlos“. Wie sehr ist ein Label wie Interstellar von solchen Entwicklungen betroffen? Auf Spotify entscheiden bekanntlich die ersten 30 Sekunden über Gefallen/Nicht-Gefallen. Oder tangiert euch das gar nicht?

Richie Herbst: Danke, dass das angesprochen wird. Genau diese 30 Sekunden sind das Problem, deshalb haben wir uns lange geweigert, solche Wege einzuschlagen. Viele der Releases, vor allem jene der letzten 10 Jahre, sind bei Interstellar Konzept-Alben. Da gibt es dann nicht die sogenannte Hitsingle. Sehr oft passiert es, dass sich diese Alben aufbauen und sich erst gegen Ende erschließen. Da haben dann 30 Sekunden Auszug wenig Aussage.
Ein weiterer Aspekt ist die furchtbare Streaming Klangqualität. Darum forcieren wir Streaming nicht. Zum Reinklicken kann man sich schon auf bandcamp reinhören, aber zum digitalen Anhören muss man sich das Album auf unserer Homepage runterladen, was auch den Vorteil hat, dass Userinnen und User einen File-Container öffnen müssen. Das mag ein wenig patschert sein, aber dafür steigt auch die Chance, dass das Album dann auch auf einer guten Abhöre gehört wird. Wir alle stecken soviel Zeit, Energie, Aufmerksamkeit und auch Geld in die Produktionen, damit die gut klingen. Dann möchten wir natürlich auch, dass das so wahrgenommen wird. Ein Smartphone-Speaker schafft das schon mal technisch nicht.
Grundsätzlich ist es aber erstrebenswert, Content allen Menschen zu Verfügung zu stellen und die Möglichkeit dafür zu bieten. Da ist natürlich das World Wide Web eine großartige Möglichkeit.
Zum anderen hängen wir dem Ganzen jetzt ein wenig nach. Wir haben da schon einige Trends und Versuche miterlebt, was irgendwann mal auch zu Frust führt. Denn, was sich durchzieht, ist die Tatsache, dass solche Tools irgendwann nicht mehr nutzbar sind und schon kommt das nächste neue Teil. Vielleicht ist das auch ein Fehler von uns. bandcamp halte ich schon für eine gute Sache. Das habe ich zuerst unterschätzt. Myspace und Facebook waren und sind eher Ergänzungen zu unserem eigenen Internet-Auftritt, mehr aber schon nicht.

Bild Richie Herbst
Richie Herbst (c) Anatol Bogendorfer

Interstellar war ja immer schon eine Art Netzwerk und eine Drehscheibe für befreundete, gleichgesinnte Acts, wodurch sich dann ja auch Releases ergeben haben. Aber wie findet ihr aktuell Acts? Wenn ich mir die aktuelle Unübersichtlichkeit im Netz auch was total unkonventionelle und abgefahrene Musik anschaue, dann freue ich mich zwar darüber, fände aber eine Auswahl schon schwerer als früher. Gibts da mittlerweile auch schon sonische Overkills? 

Richie Herbst: Ja, den Overkill gibt es definitiv. Aber wir suchen nicht nach den Acts. Bisher hat sich jedes Release nachvollziehbar ergeben, weil Menschen, die wir kennen und kennenlernen, oft Musikerinnen und Musiker sind. Und es gibt dann immer diesen gemeinsamen Zeitpunkt, wo alles zusammenläuft und so ein gemeinsames Release entsteht. So nach dem Motto, „Mach ma?“, „Mach ma!“. 

„Musik als Sprachrohr, unberechenbar und somit auch ‚gefährlich‘“. 

Das Wort „Interstellar“ (und einige andere Aspekte) verweisen ja auch auf den kosmischen Free-Jazz afro-diasporischer und afro-futuristischer Prägung von Sun Ra. Was verbindet euch damit und was würdet ihr in diesem Zusammenhang zu aktuellen Debatten rund um „cultural appropriation“ und der Frage, was unterscheidet „Aneignung“ von „Anerkennung“, sagen?

Richie Herbst: Anfangs waren wir nur Science-Fiction-Fans und sind so über den Begriff gestoßen, der so viel bedeutet, wie zwischen den Fix-Sternen. Diese Metapher war – neben dem Wortklang – ausschlaggebend, noch bevor wir Sun Ra und den Afro-Futurismus mitbekommen und uns später intensiv damit auseinandergesetzt haben. Sun Ra war sicher ein großer Einfluss, vor allem in den letzten Jahren.
Auch uns geht es um die Zeitlosigkeit und die Reise, die ja auch im Afro-Futurismus sehr wichtig ist. Interstellar ist ein Kampf um Unabhängigkeit gegenüber den immer mehr abhängig machenden Systemen. Musik als Sprachrohr, unberechenbar und somit auch „gefährlich“.

Bleiben wir noch bei Fragen des „Politischen“? Inwieweit kann Musik hier überhaupt noch dissidente Positionen einnehmen, die dann eh nicht gleich wieder – z.B. von der Hochkultur – vereinnahmt werden? Oder geht es hierbei nicht eher grundsätzlich um Fragen nach Produktionsweisen, Vertriebsstrukturen und den alltäglichen Umgang miteinander?

Richie Herbst: Es geht in erster Linie um den alltäglichen Umgang miteinander, um den gegenseitigen Respekt für und zueinander, um Toleranz und Neugierde und einer Integrität. Leider funktionieren Vereinnahmungen ja ganz gut. Wenn ich mir z.B. die Red Bull Music Academy ansehe, da haben sich einige kaufen lassen. Solche kurzfristigen und kurzsichtigen – und privatfinanzierten – Blendungen sehe ich als Gefahr, weil es dadurch dem Kulturstaat immer einfacher gemacht wird, sich zurückzuziehen oder nur noch Prestige-Projekte zu fördern. Musik war immer schon ein Sprachrohr, und sich nicht einnehmen zu lassen, ist die große Herausforderung.
Aber dadurch, dass Interstellar Records „nur“ die Produktionskosten und kaum Infrastrukturkosten deckeln muss, wird uns niemand mit Geld erfolgreich bedrohen. Es geht ja darum, so wenig Kompromisse wie möglich einzugehen und auch mal nein sagen zu können. Persönlich entscheide ich ja auch, wo ich Musik einkaufe bzw. konsumiere, das deckt sich dann auch mit den Orten, wo ich unsere Produkte verortet haben möchte.

„Genreübergreifend fand ich schon immer spannender und erfrischender.“

Eine akustische Reise durch eure Veröffentlichungen hinterlässt den sehr sympathischen Eindruck, es hierbei mit einem wilden „buntscheckigen Haufen“ zu tun zu haben. Wie schafft ihr es, bei all dem nicht x-beliebig zu klingen? 

Richie Herbst: Dadurch, dass wir zwischen 1 bis 4 Releases im Jahr veröffentlichen, bleibt sowohl für uns die Aufmerksamkeit immer aktuell und des Weiteren bewahrt das auch für alte und neue Mitreisende eine gewisse Frische. Genreübergreifend fand ich schon immer spannender und erfrischender. Damit meine ich nicht die feinen Grenzen wie bei Hardcore, Grindcore, Deathcore, Power Violence, etc., sondern, so wie z.B. beim neuen Album von Gigaldi, auf dem sich Freejazz, Postrock und experimentelle Lyrik in etwas komplett Neues transformiert haben.

Ihr veröffentlicht das Meiste noch auf Vinyl. Ist das dann nicht doch auch tendenziell so eine Art (nostalgische) Liebhaberinnen- bzw. Liebhaber-Nische oder bedeutet das Format Vinyl für euch mehr?

Richie Herbst: Wir wollten von Anfang an immer Premium-Releases herausbringen und das Format dafür ist definitiv Vinyl. Vom Klang bis zu den Covers, das schafft kein anderes physisches Tonträgerobjekt, zumindest aus unserer Sicht.

Wie ist Interstellar Records eigentlich international aufgestellt? Gibt es da Vertriebsdeals, etc.?

Richie Herbst: Inzwischen sind die internationalen Vertriebsstrukturen schon sehr eingebrochen. Die Plattenläden verkaufen viel Bekanntes und immer weniger Unbekanntes. Das Unbekannte sind wir. 

„Aufhören geht eben auch nicht, weil Interstellar spiegelt ja auch eine Haltung.“  

Du machst das jetzt schon seit 20 Jahren. Wie hält man da durch? Reich wird man damit ja wohl nicht, und Aspekte wie Selbstausbeutung oder „dafür habe ich ‚symbolische/kulturelles Kapital‘“ können einem ja durchaus mal erdrücken?

Richie Herbst: Da hat sich in den 20 Jahren natürlich viel verändert. Aber nachdem wir immer noch mit so unglaublich großartigen Menschen zusammenarbeiten, wurde bisher jeder Gedanke ans Aufhören dann doch wieder weggefegt. Aufhören geht eben auch nicht, weil Interstellar ja auch eine Haltung spiegelt. Klar ist es sehr oft sehr anstrengend, aber im Endeffekt siegt immer die Begeisterung. Und diese ist gewichtiger Teil unseres Antriebes. 

Gibt es eigentlich Förderungen für eure Projekte und Releases? 

Richie Herbst: Ja, seit rund 10 Jahren bekommen wir von der SKE eine jährliche Klein-Label-Förderung und dieses Jahr das erste Mal eine Förderung von der Stadt Graz.

Neue Releases gibt es von STIRB und Didi Kern. Was erwartet uns da?

Cover elliptical overtone study & field recordings
Cover “elliptical overtone study & field recordings”

Richie Herbst: Vinyl! STIRB ist das Projekt des Wiener Künstlers Arnulf Rödler. Es ist wunderschön ambientig mit einer klaren Noise-Ästhetik. Arnulf Rödler ist dabei auch für das Artwork zuständig. Im 10inch-Format gibt es dieses Minialbum, das voll ist mit Sound- und Graphik-Details. Ich kenne die graphischen Arbeiten von Arnulf schon länger, vor allem für die beiden Labels Trost (Wien) und Skin Graft (Chicago).
Und Didi Kern hat ja schon einiges auf Interstellar veröffentlicht. Sei es mit Bulbul, Bulbultumido, broken.heart.collector, Kern / Quehenberger oder gemeinsam mit Reflector. Auf der LP „elliptical overtone study & field recordings“ hat Didi mit seinem umfassenden (Field-)Recordings-Archiv gearbeitet und dieses teilweise mit seinem außergewöhnlichen Schlagzeugspiel noch erweitert. Wir haben tatsächlich nur noch eine Handvoll Kopien von dieser Platte, von einem außergewöhnlichen großartigen Menschen und Musiker. 

Wie siehst du die Zukunft von Interstellar Records?

Richie Herbst: Hoffentlich echt einmal irgendwo zwischen den Fixsternen zu landen. Aber tatsächlich waren wir da schon knapp dran, die Anekdote muss noch sein: Ich war vor bald einem Jahrzehnt Teil eines Kollektivs in Graz, wo wir knapp dabei waren, einen Mini-Satelliten ins All zu schießen. Diesem hätten wir auch befohlen, Sounds runter zur Erde zu schicken (http://sat.mur.at/) Und diese hätte es dann auch auf Tonträger geben sollen. Aber so lange es immer wieder so spannende Projekte, Möglichkeiten und Menschen gibt, wird sich Interstellar Records weiterhin seinen Missionen widmen. Es geht ja gar nicht anders.

Vielen Dank für das Interview! 

Didi Neidhart

 

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Links:
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