International Rostrum of Composers: Sieg für Polen und ein Erfolg für Österreichs Einreichung

Den Eurovision Song Contest gibt es seit 1956. Bereits zwei Jahre früher hat ein ähnlicher Wettbewerb erstmals stattgefunden, allerdings im Bereich der zeitgenössischen Musik: das International Rostrum of Composers. Das Wort „rostrum“ ist lateinischer Herkunft und steht hier für die Tribüne, die man neuesten Kompositionen bieten will. Eine Tribüne mit großer Breitenwirkung: Alle teilnehmenden Radiostationen verpflichten sich, zumindest zwölf Werke, darunter auch die Siegerstücke, zu senden.

Die 70. Ausgabe des Rostrum of Composers hat vom 14. bis 17. Mai 2024 in Litauens Hauptstadt Vilnius stattgefunden. 21 Länder aus drei Kontinenten haben insgesamt 31 Mitschnitte eingereicht. Als „selected work“ wurde ein Werk aus Polen ausgezeichnet: „Totentanz“ von Rafał Ryterski. Dieser Rostrum-Sieg hat auch gesellschaftspolitische Aspekte: Die Musikredaktion von Polskie Radio wollte das Stück bereits 2023 einreichen, die Redakteurin Joanna Grotkowska bekam aber von ihrem Radiomanagement dazu ein klares Nein zu hören. Der Grund: Ryterski ist auch als Aktivist in Sachen LGBTQ+ in Polen bekannt – für das damalige Radiomanagement zur Zeit der konservativen PiS-Regierung offenbar ein No-Go. Für Grotkowska aus heutiger Sicht „ein klarer Akt der Zensur“. Nach dem jüngsten Regierungswechsel und dem Umbau des polnischen Rundfunks konnte die polnische Delegierte Joanna Grotkowska das Stück „Totentanz“ ein Jahr später doch noch einreichen – und gewinnen.

Das „selected work“ der Kategorie von Komponierenden unter 30 Jahren kommt aus den Niederlanden: „Rocailles de l’après-vie…“ von Thomas van Dun. Sieger Rafał Ryterski bekommt einen Kompositionsauftrag des schwedischen Norrlandoperan Symphony Orchestra, U30-Gewinner Thomas van Dun einen Geldpreis vom portugiesischen Rundfunk RTP-Radio Television Portugal/Antena 2.

Eine von zwei Ö1-Einreichungen hat es unter die prämierten Top Ten geschafft: „Micrographies“ von Otto Wanke, im Jahr 2023 aufgenommen im Rahmen der Reihe Ink Still Wet in Grafenegg. Der Komponist hat dabei das Tonkünstler-Orchester selbst geleitet. Wanke, geboren 1989 in der Tschechischen Republik, hat in Wien unter anderem bei Iris ter Schiphorst, Wolfgang Liebhart und Karlheinz Essl studiert. Er lebt in Wien und unterrichtet an der Janáček Academy of Performing Arts in Brünn.

Die Wahl in die „recommended works“ bedeutet reichlich Airplay, denn das Rostrum of Composers ist ohne Zweifel die größte Plattform für den Austausch von Musik der Gegenwart, wie die Statistik beweist: Mehr als 650 Mal ist ein Werk des letztjährigen Rostrum of Composers weltweit gesendet worden.

Das jährlich stattfindende Rostrum of Composers ist ein Programm des International Music Council der UNESCO unter Mitwirkung der European Broadcasting Union (EBU). Ziel ist eine möglichst umfangreiche Verbreitung von Aufnahmen zeitgenössischer Werke. Co-Organisator der heurigen Jubiläums-Ausgabe des Rostrum of Composers waren der Litauische Rundfunk LRT und der Litauische Komponistenverband.

Das Rostrum hat in seiner langen Geschichte bereits eine sichere Hand für Komponistinnen und Komponisten auf dem Weg zu internationalem Erfolg bewiesen. Zu den Gewinnerinnen und Gewinnern zählten etwa Luciano Berio, Tōru Takemitsu, Witold Lutosławski, György Ligeti, Erin Gee und Georg Friedrich Haas.

Rainer Elstner

Links:
Ö1: Das gesamte Siegerstück zum Nachhören
Ö1: Bericht vom 70. International Rostrum of Composers