Interkulturelle Moderne und zeitgenössische Musik – ein Paradoxon?

Im Rahmen der jährlich von einem anderen Land veranstalteten Weltmusiktage werden von einer wechselnden Jury ausgewählte zeitgenössische Kompositionen aus den rund 60 Mitgliedssektionen der ISCM aufgeführt. 2006 wurden neue Auswahlkriterien beschlossen, die dazu führten, dass die jeweilige Jury verpflichtet ist, von jedem Land mindestens ein eingereichtes Werk auszuwählen, und zwar unabhängig davon, ob sie die eingereichten Werke für qualitativ, ästhetisch und/oder handwerklich für gelungen befindet oder nicht. Diskussionen über ästhetische Fragen, mögliche Wertkriterien, Fragen nach Handwerk oder z.B. auch Ziele der Vermittlung in Kompositionsstudien in unterschiedlichen Ländern (und Kulturen) wurden in den vergangenen Jahren intern gar nicht erst gestellt, sondern eher abgeblockt. Damit wurde zugleich eine interkulturelle Debatte oder gar Verständigung über unterschiedliche ästhetische Positionen, divergierende Philosophien neuer oder auch moderner Kunst/Musik vermieden. Bei den vergangenen Weltmusiktagen 2012 in Belgien war denn auch eine langsame Sensibilisierung für dieses Problem der unhinterfragten Akzeptanz alles Ausgewählten und Dargebotenen oder, besser gesagt, für solcherlei Fragestellungen zu beobachten.

Die österreichische Sektion der IGNM nimmt diese Fragen und Probleme zum Anlass, um nicht nur intern über Auswahlverfahren zu diskutieren, sondern diverse Fragen und Probleme eines  gegenseitigen Missverstehens in einem zweitägigen, international besetzen Symposium zu erörtern. Ziel dieses Symposiums ist es, Fragen nach Moderne, nach Ästhetik, nach Qualität nicht nur zu diskutieren, sondern vor allem die Grundlagen für eine fundierte Diskussion darüber zu schaffen. Und zwar im Rahmen eines interkulturellen Kunst/Musik-Verständnisses. In Zeiten der zunehmenden Globalisierung sind solche Fragen längst nicht nur für eine Gesellschaft intern relevant, sondern ebenso für eine an zeitgenössischer Kunst/Musik interessierte Öffentlichkeit – ob für WissenschaftlerInnen, JournalistInnen, VermittlerInnen oder interessierte MusikhörerInnen.

Das Wiener Symposium im Rahmen der Weltmusiktage der ISCM setzt seinen Schwerpunkt ganz bewusst auf grundlegende Fragen, die mit Vorträgen, die zum Teil fundamentale Fragen erörtern, zum Teil konkrete Beispiele aus verschiedenen Ländern verhandeln und den Ausgangspunkt für Diskussionen geben. Dazu gehört es, exemplarisch unterschiedliche Musikkulturen umfassend zu vergleichen – Funktion, Ästhetik, Image, Musiker- und KomponistInnen-Ausbildung, Ausbildungsziele von zeitgenössischer Musik, aber auch (post)koloniale Einflüsse, um nur einige zu nennen. Auf einer solchen Basis können dann Fragen gestellt werden, die auf den ersten Blick provokativ wirken mögen, letztlich aber gezielt eine Debatte um Kernfragen anregen. Ziel ist es auch, immer wieder anzutreffenden Spontanreaktionen und Pauschalurteilen entgegen zu wirken wie z.B. folgenden:

1. Europäischen Veranstaltern, Schreibenden etc. wird europäischer Zentrismus unterstellt.
2. Oder aber es wird unterstellt, ein abendländisch geprägter Kunstgedanke sei generell nicht kompatibel mit Kunstformen anderer Kulturen.
3. Oder aber sämtliche „andersartige“ oder mit (aus westlicher Sicht) „exotisch wirkenden Zutaten versehene“ zeitgenössische Musik wird als gleichwertig betrachtet, jeweils ohne über allgemeine und eventuell besondere, lokale Wertkriterien und v.a. musikalische und soziale Kontexte zu reflektieren.

Wie also wird ein und dasselbe Musikstück von Menschen unterschiedlicher Kulturen gehört, wie interpretiert? Lassen sich trotz möglicher Divergenzen Gemeinsamkeiten in der Interpretation finden? Lassen sich allgemeingültige Grundthesen einer (Kunst)Moderne im 21. Jahrhundert formulieren? Dies sind nur einige Fragen, die auf das Kernthema des Symposiums hinweisen, nämlich auf die Frage, inwieweit es, um mit Rolf Elberfeld zu sprechen, „multiple (Kunst)Modernen“ gibt, wie sie zu verstehen sind und v.a. welches Grundverständnis aufgebaut werden muss, um in einen verstehensorientierten interkulturellen Dialog eintreten zu können.

Nina Polaschegg

P.S.: Im Rahmen des ISCM-Symposiums wird komponierte Musik im Vordergrund stehen. Denn unter dem Blickwinkel einer „Interkulturalität“  adäquat die jeweiligen gemeinsamen, aber durchaus auch divergierenden Entwicklungen von „freier“ Improvisation und Komposition zu vergleichen und miteinander in Beziehung zu setzen, ist ungleich komplexer als, wie hier gewählt, zunächst die Fokussierung auf einen, in sich schon vielverzweigten Traditionsstrang musikalischen Schaffens.

12.+13. November, Konservatorium Wien Privatuniversität, je 9.30 bis 13 Uhr
www.iscmwnmd2013.org

 

http://www.ignm.at/