„INSPIRATION KOMMT VON ÜBERALL“ – COINFLIP CUTIE IM MICA-INTERVIEW

Eben hat die Grazer Band Coinflip Cutie ihr drittes Album „Horizons“ veröffentlicht. Im Interview mit Jürgen Plank erzählt Bandleader Tom Reiterer, dass seine Lieder oft wahre Begebenheiten und Erlebnisse zugrunde liegen. Das gilt auch für den Song „Wasted Day“, zu dem es ein Video gibt, in dem Ballett getanzt wird. Im Interview geht es auch um eine Tournee durch die U.S.A., die Reiterer mit Lamexcuse gemacht hat, das ist die Vorgängerband von Coinflip Cutie. Im Herbst stehen einige Auftritte an, Tom Reiterer erzählt außerdem, welche Bezüge die Band zum Pokern hat und dass er sein Pokerspiel demnächst in Las Vegas verbessern möchte.

Coinflip ist ein Begriff aus dem Pokerspiel. Hast du eine Affinität zum Pokern und wie ist der Bandname entstanden?

Tom Reiterer: Ja, ich selbst spiele sehr gerne Poker, hauptsächlich Turniere und ich tauche in der Grazer Poker-Community immer wieder auf. Bisher nicht sehr erfolgreich. Aber nachdem ich bald nach Las Vegas fliege, wird sich das ändern. Dort werde ich das Pokerspiel üben und mit Kniffen und Tricks zurückkehren, damit alle hier mit den Ohren schlackern. Der Bandname ist ans Pokern angelehnt.

Was ist bei Coinflip Cutie anders als bei deinen bisherigen Bands, du warst ja zum Beispiel bei Lamexcuse?

Tom Reiterer: Nachdem ich der einzige aus der Lamexcuse-Ära bin, der übrig geblieben ist, war ich hauptverantwortlich für Text und Komposition. Bei Lamexcuse gab es immer mehr Einfluss von den anderen Bandmitgliedern, Coinflip Cutie war alleine mein Baby. Das zieht sich von den Liedern bis zum Artwork und zur Homepage und den social media-Auftritten. Und das hat sich über lange Zeit auch nicht geändert, weil es immer wieder neue Schlagzeuger gab, und neue Bassisten. Die längste Periode, in der niemand die Band verlassen hat, läuft jetzt gerade, zwischen 2020 und 2024. Und das merkt man auch an der Kontinuität und am Zusammenhalt und daran, wie wir an Lieder heran gehen. Das war ein großes Thema für mich und bei den ganz neuen Songs, die noch nicht am Album drauf sind, bringen sich vor allem der Schlagzeuger und der Bassist ein. Beim Arrangement und auch beim Songwriting.

Inwiefern würdest du sagen, erlebt man als Musiker auch einen Lernprozess in Bezug auf Bandgefüge, Live-Spielen, Organisation von Konzerten etc.? Oder wiederholen sich Situationen eher? Wie erlebst du deine eigene Entwicklung als Musiker?

Tom Reiterer: Ich will nicht nach Jammerei klingen, aber ich habe seit vielen Jahren das Gefühl, ich sollte eigentlich was die Rezeption der Musik und den Erfolg betrifft weiter sein. Ich habe das Gefühl, dass ich seit Jahren Musik produziere, die für eine Indie-Rock-Nische perfekt passt. Manchmal denke ich mir: dieses Lied könnte ein richtig geiler Hit sein, der allen gefallen könnte. Dann gehe ich damit nach außen und bekomme die Ohrfeigen zurück und werde meistens vollkommen ignoriert. Dagegen habe ich kein Rezept. Manchmal treffe ich schon auf Leute, denen die Musik gefällt. Wir wurden etwa wieder auf die ORF Hör & Seebühne in Graz eingeladen. FM4 etwa hat 15 Jahre lang Lamexcuse ignoriert, weil es meines Erachtens extrem Wien-lastig ausgerichtet war und nach wie vor ist. Und Coinflip Cutie wird genauso ignoriert.

Im März 2024 gab es rund 100 Millionen Lieder zur Auswahl auf der Streaming-Plattform Spotify. Angeblich kommen jeden Tag rund 100.000 neue Titel dazu. Wie siehst du das: wie kann man da noch zu neuen Fans durchdringen?

Tom Reiterer: In meinem Fall durch persönliche Kontakte. Ich trete seit dem Jahr 2020 jede Woche bei der open stage am Citypeach in Graz auf. Dort war früher mal ein Stadtstrand geplant, mittlerweile gibt es jeden Mittwoch eine open stage und dort habe ich mit anderen Musiker:innen Kontakte geknüpft, die zum Teil Türen geöffnet haben und mit denen der Austausch gut funktioniert.

„ICH BIN EIN RIESIGER FAN VON GARTH BROOKS,DER IN EUROPA KOMPLETT UNTERM RADAR FLIEGT“

Einflüsse von Countrymusic sind in eurer Musik ebenfalls enthalten. Gerade diese Richtung ist ein weites Feld, in dem sogar Taylor Swift mal unterwegs war. Wovon lasst ihr euch inspirieren bzw. welche Bezüge stellt ihr in diese Richtung her?

Tom Reiterer: Swift war sogar ausgezeichnet unterwegs. Ich persönlich docke bei Musikern wie Steve Earl an, den ich über den Soundtrack zum Film „Dead Man Walking“ kennen gelernt habe. In diese melancholische, balladenartige Erzählweise seiner Lieder habe ich mich sofort verliebt. Ich bin ein riesiger Fan von Garth Brooks,der in Europa komplett unterm Radar fliegt. In den U.S.A. ist er einer der best-selling artist aller Zeiten. Und es gibt John Hiatt, der für mich einer der ganz großen Country-Rock-Songwriter ist, er hat auch in Richtung Bluegrass-Platten gemacht. Von den Damen verehre ich Alison Krauss, sie hat melancholische Songs, die aber auch tröstlich sind.

Ein Song eures neuen Albums heißt „Wasted Day“, im dazu gehörenden Video lümmelt der Protagonist zunächst nur herum und landet am Ende als Tänzer auf einer Bühne – inwiefern hat das Lied einen wahren Kern?

Tom Reiterer: Absolut, autobiographischer geht es eigentlich gar nicht. Der Song ist so wie ich es beschreibe in mir entstanden. Wie ich es vorhin beschrieben habe: man tut und macht Musik und irgendwann beginnt man ein wenig zu resignieren und darüber nachzudenken, was man in den letzten 20 Jahren eigentlich gemacht hat. Ich mache seit meinem sechzehnten Lebensjahr Musik, das sind schon fast 30 Jahre und ich habe mir mit diesem Lied Gedanken über die sinnvolle Nutzung meiner Lebenszeit gemacht. Es klingt einfach zu sagen, dass man seine Zeit nutzen soll. Es kann schon Phasen geben, in denen man deprimiert oder frustriert und motivationslos ist. Aber wenn man sich aufrafft und diesen Dreh findet, sich selbst zu pushen und zu motivieren, dann kommen tolle Sachen dabei heraus. Und sei es nur, um sich selbst eine Freude zu bereiten. Auch wenn es bedeutet, Balletttanz zu erlernen.

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In diesem Songtext – da zeigt ihr Humor – kommt auch der Name deiner letzten Band, Lamexcuse, vor.

Tom Reiterer: Ja, richtig. Es geht um die Aussage, dass man immer wieder faule Ausreden dafür sucht, warum man etwas nicht angeht. Warum man etwas nicht einfach macht. Auch: riskiere es, ziehe dir ein Tutu an und gehe tanzen. Es hat sich ergeben, dass diese faule Ausrede, diese lame excuse im Text vorkommt. Auch mit Lamexcuse ist nicht alles rund gelaufen, aber ich wüsste keine Grazer Band außer Opus, die den kompletten amerikanischen Kontinent bereist hat. Wir sind mit Lamexcuse im Jahr 2007 rund 7 Wochen lang von Los Angeles bis New York und retour unterwegs gewesen.

Wie war diese Tour in den U.S.A. für dich?

Tom Reiterer: Unfassbar geil. Leider war das noch in den Anfangszeiten von social media, damals gab es noch kein Facebook oder ähnliche Plattformen. Das heißt: es war richtig mühsam die Tour zu promoten und die einzelnen Gigs zu bewerben. In der Kleinen Zeitung wurden wir mit einer Art Tour-Tagebuch gefeatured. Wir hatten vor Ort Interviews mit Lokalzeitungen und College Radios, das hat die Agentur, die die Tour gemacht hat, organisiert. Heute könnte man so eine Tour ganz anders promoten und wenn mir jemand eine Tour anbietet, würde ich das sofort wieder machen.

„IN DEUTSCHER SPRACHE GELINGT ES MIR NICHT MEHRDEUTIG ZU SEIN OHNE SCHLÜPFRIG, BANAL ODER SCHLAGERESK ZU SEIN“

Melancholie ist ebenso eine Ebene bei euch, inwiefern ist Musik für dich ein Ventil für positive wie weniger positive Erfahrungen, Erlebnisse etc.?

Cover Horizons
Cover Artwork & Foto Tom Reiterer

Tom Reiterer: Rückblickend habe ich inzwischen schon drei oder vier Lieder über den Alkoholismus meines Vaters geschrieben. Mir fällt es prinzipiell leichter traurige Songs und traurige, nachdenkliche Texte zu schreiben als fröhliche Party-Songs. Zwischendurch gelingt es zwar immer wieder kleine, humorvolle und lustige Lieder zu machen, aber mir fällt die melancholische, nachdenkliche Schiene leichter. Es gibt da immer auch doppeldeutige Zeilen, deswegen schreibe ich lieber in englischer und nicht in deutscher Sprache. In deutscher Sprache gelingt es mir nicht mehrdeutig zu sein ohne schlüpfrig, banal oder schlageresk zu sein. Auf Englisch kannst du I love you singen und niemand denkt sich etwas dabei, auf Deutsch ist das für mich gleich ultra-schnulzig.

Abgesehen von der U.S.A.-Tournee mit Lamexcuse: gibt es für dich sonst noch besondere Auftritte?

Tom Reiterer: Ein großes Thema ist für mich die November-Depression, das ist seit Jahrzehnten ein Traditions-Konzert von uns. Das machen wir in der Bar 28in Graz, die hat früher Café Prost geheißen. Dort habe ich die Schule geschwänzt, ich bin dort quasi aufgewachsen. Dort gibt es einen Gewölbekeller, damals mit Teppich-Boden und Holzvertäfelung. Einmal im Jahr erzähle ich dort ein Märchen, das geht ein bisschen in Richtung Musik-Kabarett und das Ziel ist, dass die Leute fröhlich hinkommen und weinend hinaus gehen. Auch dort passen traurige Songs natürlich gut hin, deswegen ist die Versuchung oft da, etwas Trauriges zu schreiben.

Worum geht es in deinen Liedern neben traurigen und melancholischen Themen noch?

Tom Reiterer: Manchmal geht es in meinen Liedern auch um ganz banale Dinge des Lebens. So wie beim Song „Promises“ vom letzten Album, in dem es um die tägliche Hausarbeit geht. Solche Themen habe ich auch gerne. Inspiration kommt von überall. „Burning bridges“ ist von einem großen Streit inspiriert, den ich mit einem meiner besten Freunde hatte, weil ich das Gefühl hatte, ungerecht behandelt worden zu sein. Ich hasse Ungerechtigkeit. Positiv an dem Streit war, auch wenn wochenlang Funkstille geherrscht hat, dass ich daraus zumindest einen sehr coolen Song gemacht habe. Ich dachte, dass die Freundschaft zerbricht, aber es gab ein happy end: wir sind wieder vereint.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Live:
29.08.2024: ORF Hör & Seebühne, Graz, 17 Uhr
13.09.2024: GLAM, mit:Love God Chaos, My wicked wicked ways, Feldbach, 20 Uhr
21.09.2024: Grieskram, Graz

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Links:
Coinflip Cutie
Coinflip Cutie (Facebook)
Pumpkin Records