„IN ÖSTERREICH IST MAN IMMER ANTRAGSTELLER:IN” – ZAHRA MANI IM MICA-INTERVIEW

Mit ZAHRA MANI einen Termin für ein Gespräch zu finden, ist nicht so einfach. Die Komponistin, Kuratorin und Kulturarbeiterin hat – man ahnt es schon – viel zu tun. Als wir uns zwei Tage vor Weihnachten dennoch im Zoom-Call gegenübersitzen, putzt sie sich erstmal die Nase. Verkühlt, verschnupft, verschriebene Ruhe, die es sonst nicht gibt. Denn MANI spielt nicht nur regelmäßig Konzerte in elektroakustischen Kreisen. Sie leitet mit Mia Zabelka auch das steiermärkische Klanghaus Untergreith. Außerdem ist ZAHRA MANI seit 2022 Vizepräsidentin der European Composers & Songwriters Alliance, kurz ECSA – eine gemeinnützige Organisation in Brüssel, die sich für die Rechte von Musiker:innen einsetzt. MANI erklärt, was dieser Job mit sich bringt und warum er irgendwann eine Deadline braucht. Sie spricht aber auch über ihre künstlerischen Bilder, Pauline Oliveros und das Weltall.

Hast du eine Ahnung, wie viele Stunden du 2023 im Zug gesessen bist?

Zahra Mani: Überhaupt nicht. Vielleicht sollte ich alle Reisen mal zusammenrechnen. Es ging ja nach London, Brüssel und Marokko. Allein auf den Wegen zwischen Kärnten, der Steiermark und Wien kommen aber so viele Kilometer zusammen, dass ich sofort den Überblick verliere. 

Du arbeitest seit vielen Jahren künstlerisch, bist Kuratorin. Seit 2022 steht in deiner Vita auch: Vizepräsidentin der European Composers and Songwriters Alliance (ECSA).

Zahra Mani: Es klingt nach viel. Und es ist viel. Aber die Arbeit füttert sich gegenseitig, vor allem die verschiedenen Level der Advocacy-Arbeit ergänzen sich. Gleichzeitig hat meine Arbeit als Künstlerin einen großen Anspruch auf Offenheit. Sie muss Fragen stellen oder sie zumindest aufwerfen, eventuell sogar Lösungswege postulieren. Beides funktioniert – künstlerisch und politisch. 

Wie?

Zahra Mani: Manche Themen, die wir in der ECSA behandeln – zum Beispiel der Fokus auf kulturelle Vielfalt sowie Fair Pay und Fair Practice – interessieren mich besonders. Ich kann vergleichen, wie es auf Bundesebene in Österreich, auf regionaler Ebene in der Steiermark und Kärnten sowie auf europäischer Ebene läuft. Ich sehe also, was sich tut. Und wo es besser funktioniert. In Frankreich muss zum Beispiel jeder Verein, der öffentliche Förderungen bezieht, eine Ombudsperson für Verhalten einsetzen. Diese Personen müssen einen Kurs belegen, ein Zertifikat erhalten. Davon …

… spricht in Österreich niemand. 

Zahra Mani: Ja, mein Eindruck ist, dass manche Bereiche wie Gender-Fairness und persönlicher Umgang hier schwieriger zu besprechen sind als in anderen europäischen Ländern. Der Gender-Report des Bundes steht jetzt am Anfang. Auf Landesebene und innerhalb der jeweiligen Kulturstrategien wird Gender-Fairness auch behandelt. Ich denke da an unsere kuratorische Arbeit im Klanghaus Untergreith, wo wir diese Themen aktiv einbringen und vorleben.

Wo nimmst du die österreichische Kulturarbeit im internationalen Kontext positiv wahr?

Zahra Mani: Im Bereich Fair Pay. Die Guidelines dafür waren früher da als in anderen Ländern. Die Gespräche werden prominenter geführt. Da ist Österreich ein Beispiel, auf das man schaut.

Du arbeitest auf regionaler und europäischer Ebene – wie beeinflussen sich diese Bereiche?

Zahra Mani: Vor der ECSA habe ich zum Beispiel selten über Streaming nachgedacht. Auch weil mich das als Komponistin sehr wenig betrifft. Die kommunalen Erfahrungen des kollektiven Kämpfens und der Solidarität untereinander wirken sich aber auf meine Position als Vizepräsidentin aus. Dazu kommt die wirtschaftliche Wichtigkeit. Meine Advocacy-Arbeit hat mir tatsächlich Mut gemacht.

„Der Austausch auf europäischer Ebene führt mir regelmäßig vor Augen, wie wichtig wir wirtschaftlich sind.“

Kannst du das ausführen?

Zahra Mani: In Österreich ist man immer Antragsteller:in. Man ist also abhängig von anderen Meinungen. Die Frage dabei ist: Was ist Kunst und Kultur wert? Der Austausch auf europäischer Ebene führt mir regelmäßig vor Augen, wie wichtig wir wirtschaftlich sind. Wir generieren Wirtschaftszweige, ermöglichen Umwegrentabilität – diese Erkenntnis lässt mich wohler fühlen als meine Position als Bittstellerin.

Seit 2022 ist Zahra Mani Vizepräsidentin der European Composers and Songwriters Alliance
Seit 2022 ist Zahra Mani Vizepräsidentin der European Composers and Songwriters Alliance

Welches drängende Thema sollte uns gegenwärtig beschäftigen?

Zahra Mani: Es gibt viele Initiativen und Gespräche zum Thema Status of the Artist. Das Problem ist: Die Europäische Union kann dafür nicht zuständig sein, weil sie keinen Mindestlohn für Künstler:innen aussprechen. Policy-Empfehlungen können dennoch dazu beitragen, dass sich die Diskussion auf nationaler Ebene weiterentwickelt. 

Das heißt: Viele Positionen der ECSA sind inzwischen auf EU-Ebene anerkannt?

Zahra Mani: Sehr, ein Beispiel: Der EU-Abgeordnete Iban García del Blanco hat das Parlamentspapier für Streaming entworfen. Wir konnten wichtige Änderungen einbringen. Dadurch werden nicht nur unsere Bedürfnisse gehört, sondern auch unser Know-how anerkannt. Das ist wichtig, weil viele Positionen viele Einblicke ermöglichen. Ich war im vergangenen Jahr beispielsweise beim Visa for Music Festival in Rabat, wo ich ein Panel zum Thema Streaming gehostet habe. Für mich war der afrikanische Input wertvoll, weil: Musiker:innen dieses Kontinents fühlen sich zu Recht ausgebeutet, resignieren aber nicht, sondern etablieren ihre eigenen Streaming-Plattformen oder entwickeln andere Lösungen. 

„ES IST ETWAS, DAS ICH IN MEINEM LEBEN GEMACHT HABEN MUSS, ABER IRGENDWANN GEMACHT HABEN WERDE.”

Du generierst noch alles selbst. Wie sehr musst du deinen künstlerischen Output gegenüber deiner politischen Arbeit zurückfahren?

Zahra Mani: In die Arbeit bei der ECSA bin ich ein wenig hineingestolpert, erstmals bei einem Meeting in Stockholm 2019. Die Idee war aber bereits, dass ich Österreich zurück in den Vorstand bringe. Als der Lockdown kam, konnte ich im Advocacy-Bereich viele Gespräche auf regionaler Ebene führen. So bin ich kumulativ reingerutscht. Dazu kam die ARGE kulturelle Vielfalt. Durch diese Mitarbeit wurde ich zum Fachbeirat kulturelle Vielfalt eingeladen, wo die Zivilgesellschaft direkt auf Politik trifft. 2022 wurde ich schließlich Vizepräsidentin der ECSA. Ich setze mir aber bewusst eine Deadline.

Für deine politische Arbeit?

Zahra Mani: Ja, es ist etwas, das ich in meinem Leben machen muss, aber irgendwann gemacht haben werde.

Du siehst dich als Berufspolitikerin?

Zahra Mani: Das nicht, aber ich kann mit meiner Stimme etwas beitragen. Es ist auch alles ehrenamtlich. Aber in der Steiermark werden die Fokusgruppen für die Kulturstrategie inzwischen aber nach Fair-Pay-Grundlagen bezahlt – übrigens ein Modell, das auch außerhalb des Kunstbereichs funktionieren würde.

Wechseln wir zu deiner künstlerischen Arbeit. Du hast kürzlich ein Hörspiel von Daniel Wisser vertont.

Zahra Mani: Ein musikalisches Neuland! Und so erfreulich – der Prozess, das Entstehen, die Zusammenarbeit mit der Regisseurin Ursula Scheidle. Anfangen hat es fast germanistisch, wir haben den Text kreativ analysiert und sind da weitergegangen.

Zahra Mani
Zahra Mani (c) privat

Du bringst viel Erfahrung im Kunstradio mit, wie unterscheidet sich diese Arbeit dazu?

Zahra Mani: Ich habe es mir ähnlicher vorgestellt, als es eigentlich war. Das Hörspiel besteht zwar aus Originalkompositionen, sie haben aber einen Zweck, denn: Sie dienen dem Stück und der Idee von Ursula, die mit diesen Stücken umgeht. Kunstradio ist wiederum das Wasser für meinen Fisch. Sowohl in kompositorischen Werken als auch in Live-Sendungen fühle ich mich am wohlsten, weil ich komplett frei bin. Und mich ganz auf die Vision eines Motivs konzentrieren kann.

Ist diese Vision an die Improvisation gebunden?

Zahra Mani: Manchmal. Es ist eher der Output, der stärker an die Improvisation gebunden ist. Meistens habe ich aber Visionen, die kleine Bilder sind – ich stelle mir zum Beispiel oft einen hohen, filigranen Klang vor, der aus verschiedenen Richtungen kommt. Diesen Klang habe ich noch nicht realisiert. Ich schleppe seine Vorstellung mit mir mit …

Und näherst dich Stück für Stück an.

Zahra Mani: Oder ich entferne mich, weil die Welten, die ich mir vorstelle, sich immer anders entwickeln.

Deine Suche nach dem unendlichen Klang.

Zahra Mani: Man taucht in das Elementare eines Klangs ein, ja. Weil ein einziger Klang aber so komplex ist, weicht die Vorstellung meistens von dem Ergebnis ab.

Zahra Mani
Zahra Mani (c) Petra Cvelbar

Ich stelle mir das sowohl ernüchternd vor als auch die Neugierde animierend, man sucht immer weiter – wie ein zeichnendes Kind vor einem Blatt Papier.

Zahra Mani: Ja, es ist eine Freude an der Offenheit und ihrer Entdeckung. Ich muss dabei immer an Pauline Oliveros denken, die ihr ganzes Leben die Neugierde behalten hat, um an Klängen zu forschen. Aber auch an eine Maryanne Amacher, die keine Musik mochte, sondern nur den Klang. Sie hatte eine ernste Herangehensweise und war dennoch eine der witzigsten Personen, der ich je begegnet bin.

Wie ist das bei dir? Steht der Klang über der Musik?

Zahra Mani: Nein, ich liebe Musik. Ich bin mit ihr aufgewachsen. Höre von italienischem Pop bis zu experimentellen Stücken alles, weil ich die Vielfalt von Musik genieße. Mir geht es dabei auch immer um die Frage, was der ontologische Wert von Ästhetik ist. Was ist schön? Was ist hässlich? Wie weit können wir gehen, damit es noch Sinn ergibt?

Ist das eine Frage nach dem Ursprungsklang, einem reinen Klang?

Zahra Mani: Schon. Diese Frage beinhaltet aber auch das Gegenteil, den verschmutzten Klang. Wenn ich an den ersten, reinen Klang denke, bin ich im Weltall. Ich höre ein Knistern, das genauso wertvoll ist wie der klare Engelsgesang.

Hast du Angst, dass die ernste politische Arbeit deinen freudigen Zugang zum Klang stören kann?

Zahra Mani: Im Gegenteil! Ich genieße die Musik eher mehr, weil der Austausch mit anderen Menschen dazu beiträgt. Ich weiß aber, was du meinst: Als ich vor langer Zeit begonnen hatte, mich mit Harmonie auseinanderzusetzen, hatte ich die Sorge, dass ich kein Stück mehr unschuldig hören kann, ohne es zu analysieren. Und so ist es, aber: Diese Analyse bereichert meinen Zugang. Zur Musik. Aber auch zu meiner politischen Arbeit.

Danke für deine Zeit!

Christoph Benkeser

Links:
Zahra Mani (Homepage)
Zahra Mani (European Composer & Songwriter Alliance)
Klanghaus Untergreith (YouTube)