„IN MIR SCHLÄGT EINFACH EIN PERFORMERHERZ“ – ESTHER GRAF IM MICA-INTERVIEW

Man kennt sie aus chartplatzierten Collabs mit deutschen Rappern und von unzähligen Heartbreak-Songs – ESTHER GRAF hat in den letzten zwei Jahren die deutschsprachige Musikwelt erobert wie keine andere. Die gebürtige Kärntnerin zieht 2021 nach Berlin, landet im Label von Sony Music, und veröffentlicht wenig später ihre erste EP, in der sie eine Trennung verarbeitet. Die zweite EP „nach den schlechten tagen“ bringt sie im Frühjahr 2023 raus und beendet damit auch musikalisch ihre Trauerphase. Anlässlich der EP-Veröffentlichung geht die Sängerin im April auf ihre erste eigene Tour und zieht dabei durch Deutschland, Österreich und die Schweiz.

Wenige Stunden vor dem Tour-Auftritt in Wien sitzt ESTHER GRAF in der Maske, spricht mit Katharina Reiffenstuhl darüber, welcher Radiosender sie wäre, welcher Festivalauftritt seit Ewigkeiten auf ihrer Bucketliste steht, wie sie den Einstieg in die Berliner Musikwelt empfunden hat, und erinnert sich gegen Ende hin panisch, dass der Soundcheck noch gemacht werden muss.

Dein letztes mica-Interview ist jetzt ungefähr 1,5 Jahre her, das war im Herbst 2021. Was hat sich seitdem bei dir so getan?

Esther Graf: Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch kein gebündeltes Projekt rausgebracht. Und es war noch vorm ersten richtigen Festival-Sommer. Aber eigentlich ist alles gefühlt erst danach gekommen. Ich glaube, zu der Zeit ist so die wichtigste Vorarbeit passiert. Da dachte ich mir auch das erste Mal: „Okay, jetzt geht das in eine Richtung, dass ich auch davon leben kann”. Ich hatte vor 1,5 Jahren auch gerade mein Signing bei Sony Music hinter mir und damit ist es so richtig losgegangen. Aber ich wusste da noch gar nicht, was mich erwarten wird. Sehr viel Stress zum Beispiel. [lacht] Aber auch ganz viele gute Sachen. Ich bin so dankbar, dass ich eine eigene Tour spielen kann. Das war etwas, was ich mir nie erträumen hätte können. Ich habe vor ca. einem Jahr eine Solo-Show in Berlin gespielt, in einem 250er-Laden. Da hat das noch nicht ganz so geklappt mit dem Vorverkauf und ich dachte mir: „Wie zur Hölle soll ich bitte eine Tour verkaufen?”. Und jetzt sitzen wir hier. In der Szene Wien. Das ist doch geil.

In deiner letzten EP ging es viel um Break-ups, die aktuelle EP klingt da mehr nach Frühlingsgefühlen. Hast du aus deinem Liebesleben wieder Hoffnung schöpfen können?

Esther Graf: Ja, absolut, da ist auf jeden Fall viel Neues passiert. Es gibt viele Künstler:innen, die nur über Break-ups schreiben und was ich da immer so traurig finde, ist, dass viele dann auch in so einem Muster bleiben und da so ein toxischer Rhythmus reinkommt. Für mich war wichtig, dass ich das durchgemacht habe, aber ich will auch daraus lernen und jetzt nicht wieder mit derselben Herangehensweise in eine neue Beziehung gehen. Aber ich kann so viel verraten, mir geht es jetzt sehr gut. [lächelt] 

Bild Esther Graf
Esther Graf 1 (c) Shanti Joan Tan

Auf der EP gibt es nur ein einziges Feature, das ist mit FOURTY. Wie ist das zustande gekommen?

Esther Graf: Der Song ist eigentlich schon ein Jahr alt gewesen und lag so ein bisschen in der Dropbox rum. Ich habe meinem Team immer erklärt: „Leute, dieser Song ist voll geil, warum seht ihr das nicht?”[lacht] Und dann dachte ich mir, um die zu überzeugen, hole ich da jetzt ein fettes Feature drauf, dann kann keiner mehr nein sagen. So habe ich es gemacht. Mir hat mal jemand gemunkelt, dass FOURTY Bock hätte, was mit mir zu machen. Ich habe FOURTY dann einfach geschrieben, er hat mir zwei Minuten später geantwortet, war direkt dabei und eine Woche später stand der Song. Der kam da einfach ins Studio und hatte seinen Part schon im Flieger geschrieben. Er ist sowohl menschlich als auch musikalisch gesehen richtig cool.

„ES IST DAS GRÖßTE KOMPLIMENT, WENN ANDERE ARTISTS EINEN FEIERN“

Was man über dich vielleicht nicht sofort weiß: Du schreibst auch bei Songs von anderen Musiker:innen mit, darunter zum Beispiel Hava, Selmon oder auch Katja Krasavice. Wie kommst du zu diesen Gastauftritten als Autorin?

Esther Graf: Das ist in der Corona-Phase entstanden, weil ich da sehr viel im Studio war. Ich habe ein relativ großes Netzwerk mit Produzenten, mit denen ich zusammenarbeite, die mich dann irgendwann einfach dazu geholt haben, weil sie mal hier und da noch irgendwo Hilfe beim Writing gebraucht haben. Also bin ich da eigentlich recht zufällig reingerutscht, was für mich aber zu der Zeit auch wirklich cool war, um da nicht nur in meinem eigenen Artist-Projekt hängen zu bleiben.

Ich finde es auch sehr gesund, diese Ego-Künstler-Perspektive mal für jemand anderen zu schreiben und sich über deren Erfolge dann mitzufreuen. Es ist einfach voll schön, gemeinsam an Sachen zu arbeiten. Ich würde sagen, es war vermutlich einfach eine Mischung aus Glück und guten Tagen – und vielleicht auch bisschen Talent [lacht] -, dass da am Ende ein paar coole Platzierungen rumgekommen sind. Ich konnte dann auch einen Verlagsdeal unterschreiben als Songwriterin und da bin ich sehr dankbar. Das hat mich sehr weiter gebracht und mir kommt einfach vor, man macht sich dadurch ein bisschen einen Namen in der Musikindustrie, was mir persönlich nicht unwichtig ist. Es ist das größte Kompliment, wenn andere Artists einen feiern und die Art und Weise, wie du bist und wie du schreibst, mögen. 

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Ich weiß nicht, ob du das öfters hörst, aber du erinnerst vom Stil her total an Avril Lavigne – punkig, rockig und emotionsgeladen.

Esther Graf: Ohh – danke! Ich bin ja ein Ultra.

Ach echt?

Esther Graf: Ja. Wir haben sie immer zuhause ganz viel gehört. Diese ganze Punk-Pop-Richtung ist ja die letzten Jahre in Amerika voll groß gewesen und es hat mir einfach immer schon Spaß gemacht, rockige Sachen zu singen. Ich habe mir immer schon gedacht, dass es eigentlich ganz gut zu meiner Stimme passt, aber es hat sich lange nicht angefühlt, als wäre es der richtige Zeitpunkt. Irgendwann hatte ich auch inhaltlich mal die Motivation, wütend zu sein in meinen Songs. Also wollte ich es probieren. Dann bin ich zufällig auf diesen Sound wieder gestoßen, im Studio mit Johannes Römer, mit dem ich „Red Flags” geschrieben habe. Das war mein erster punkiger Song. Von da an war ich so „Ich glaube, ich hab da grad was für mich gefunden”. Das hat mir auf jeden Fall sehr viele Türen geöffnet – und macht auch einfach live so übertrieben Bock.

Was dich als Sängerin auszeichnet, ist definitiv die Attitude und die selbstbewusste Art, mit der du deine Tracks raushaust. Woher kommt die?

Esther Graf: Weiß ich gar nicht so wirklich. Ich muss sagen, ich bin vom Herzen gern Musikerin, ich schreibe vom Herzen gern Songs und bin gern im Studio, aber am allermeisten liebe ich am Musiker-Dasein das Performen. In mir schlägt einfach ein Performerherz. Ich glaube nicht, dass ich so überzeugt von mir bin, ich struggle genauso oft mit mir. Es ist eher so „Ich habe jetzt Bock, die Leute so gut ich kann mitzureißen”. Wenn ein Song sexy ist, fühle ich mich auch sexy. 

„DURCH DEN UMZUG NACH BERLIN HABE ICH IN ERSTER LINIE GELERNT, DASS ICH WAS EIGENES MACHEN MUSS“

Du lebst jetzt in Berlin. Wie ist das Leben als Musikerin dort, vor allem im Vergleich zu Österreich?

Bild Esther Graf
Esther Graf (c) Shanti Joan Tan

Esther Graf: Tatsächlich habe ich mir mein ganzes Team ja in erster Linie in Berlin aufgestellt, dort ist mein Verlag, Management, Label. Ich bin dort fast noch mehr vernetzt als in Österreich. Musikalisch ist Deutschland bzw. Berlin auf jeden Fall mehr mein Zuhause, aber ich würde ja gern Wien mehr und mehr zu meiner musikalischen Heimat machen. Deswegen freue ich mich immer so, wenn ich irgendwas in Österreich machen kann. Berlin ist schon cool, dort gibt es so viele Möglichkeiten, aber als ich das erste Mal für eine Session nach Berlin gekommen bin, dachte ich mir am Ende schon so „Esther, du kannst gar nix!”[lacht] Dort gibt es so viele krasse Leute und da werden die Karten einfach neu gemischt. Aber es war gut zu sehen, dass Individualität so ein ganz großes Thema ist. Durch den Umzug nach Berlin habe ich in erster Linie gelernt, dass ich was Eigenes machen muss. Ich musste mir meine Daseinsberechtigung erkämpfen, und da hat es mir nicht geholfen, mehr Gesangsunterricht zu nehmen, zum Beispiel. 

Wie ist der Start als Musikerin in Österreich?

Esther Graf: Ich hatte am Anfang das Gefühl, dass man mich besser einordnen muss. Bin ich Ö3 oder FM4? Ich mache nicht straight Pop, weil ich gerne mit rockigen Sounds arbeite. Aber vom Songwriting her liebe ich einfach Pop. Da fand ich es anfangs ein bisschen schwer, hineinzufinden. Aber ich muss sagen, meine Heimat liebt es übelst. Die feiern das richtig und das ist so schön, wenn irgendwo ein Zeitungsartikel veröffentlicht wird oder ich im Radio gespielt werde, da freut sich jeder Nachbar mit. Der local Stolz ist auf jeden Fall da.

Aber um die Frage zu beantworten: Bist du Ö3 oder FM4?

Esther Graf: Ich glaube, mehr Ö3. Live vielleicht mehr FM4, aber auf Platte mehr Ö3.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Was ist für dich für die Zeit nach der Tour und dem Festival-Sommer geplant?

Esther Graf: Ich muss ein Album schreiben, ey. [lacht] Ich habe eine wirklich geile Festivalsaison vor mir, aber ich bin von Mai bis September jedes Wochenende unterwegs und habe immer Auftritte. Jetzt muss ich mal schauen, dass ich zwischendurch wieder ins Studio gehe. Im Sommer möchte ich gern wieder was releasen. Auf Tour ist es aber super schwierig, da zwischendurch noch was reinzuschieben und auch im Kopf da zu sein, um Songs schreiben zu können. Nach der Tour bin ich jetzt erst mal für eine Woche in Kroatien in einem Songwriting-Camp, wo auch andere Musiker und Produzenten sind. Im besten Fall werde ich aber dieses Jahr noch ein Album schreiben, damit ich nächstes Jahr wieder auf Tour gehen kann.

Gibt es irgendein Festival, auf dem du echt gern mal im Lineup wärst?

Esther Graf: Donauinselfest!!! Ich warte jedes Jahr darauf, dass die schreiben „Esther Graf, wir wollen dich am Donauinselfest”. Und zwar auf der Hauptbühne. Oder am Frequency. Aber der Tag wird kommen. Ich habe auch voll coole Festivals in Deutschland und so, aber für nächstes Jahr wünsche ich mir, dass ich auch in Österreich mehr spielen kann. 

Wie ist deine Stimmung jetzt so kurz vorm Auftritt?

Esther Graf: Gerade bin ich nicht so aufgeregt, weil ich so viele Sachen im Kopf habe, die ich noch machen muss. Oh Gott, ich habe auch noch keinen Soundcheck gemacht. Aber heute sind voll viel Family und auch Freunde da, darauf freue ich mich sehr. Ich habe ja eine Zeit lang in Wien gewohnt, und viele meiner Freunde hier kennen mich gar nicht so als Musikerin. Das wird lustig, wenn die mich da mal in Action sehen.

Danke für das Interview!

Katharina Reiffenstuhl

++++

Links:
Esther Graf (Instagram)
Esther Graf (Facebook)