„In der Computermusik bin ich zuhause.“ – Christof Ressi im Porträt

Christof Ressi verbindet in seinen Kompositonen Internetkultur und Computerspiele mit neuer Musik, Jazz und Elektronik. 2022 erhielt er den Erste Bank Kompositionspreis, am 4. November 2023 widmet ihm die Jeunesse in Zusammenarbeit mit dem ORF Radiokulturhaus und ORF Ö1 und in Kooperation mit Wien Modern ein Porträtkonzert. Kaum ein Ensemble würde dafür besser passen als das Black Page Orchestra.
Aus diesem Anlass bringen wir ein Porträt über Christof Ressi, das Hanna Bertel im Rahmen der Lehrveranstaltung „Ästhetischer Diskurs, Reflexion, Kritik: Schreiben und Sprechen über Neue Musik“ von Monika Voithofer im Wintersemester 2022/23 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien und als Teil einer Kooperation mit mica – music austria verfasste.

Elektronik – Jazz – Neue Musik: Das musikalische Spektrum des Komponisten und Softwareentwicklers Christof Ressi ist vielschichtig und reicht von experimenteller Computermusik bis hin zu improvisierter Medienkunst. Seine künstlerische Arbeit zeichnet sich durch individuelle Tonsprache und Erschaffung neuer Klang- und Bildwelten aus. In seinen Werken vereint Ressi Theorie, Form, Klang und Bild mit einer Portion Witz und zeigt dadurch die Vielfalt seines kompositorischen Könnens. Als Musikproduzent, Sounddesigner und Arrangeur für zahlreiche Ensembles, renommierte Instrumentalist:innen sowie Theater- und Tanzproduktionen zeigt sich die Bandbreite seines musikalischen Wirkens.

„Ein Kindheitstraum wird wahr.“

Der 1989 geborene und in Hermagor aufgewachsene Ressi machte bereits in seinen Jugendjahren einige Instrumentalerfahrungen, bei denen sich seine Begeisterung für Musik schon früh abzeichnete. Beginnend mit dem Spielen des Violoncellos im Alter von sechs Jahren, wechselte er bald zum Klavier: „Für mich selbst hat die Intonation immer falsch geklungen, wenn ich Cello gespielt habe. Ich war dann froh, dass ich zum Klavier gewechselt bin, das war eine große Erleichterung.“ Als Teenager hat Ressi die E-Gitarre für sich entdeckt und war Teil der Schulband. „Von Toto, Deep Purple über Mariah Carey bis zu James Brown war alles dabei“, so Ressi. Seine Faszination für Jazz konnte er vorerst nur im Klavierunterricht ausleben, da es in Hermagor keine gleichgesinnten Jazz-Liebhaber:innen gab.

Die Affinität zu Computern, insbesondere das Programmieren von Computerspielen, entwickelte sich im Laufe seiner Schulzeit. Das Erstellen von Computermusik und künstlerische Zusammenbasteln von Instrumentalklängen, Patterns und Beats stand für Ressi als Jugendlicher schon auf der Tagesordnung und zieht sich bis heute als Konstante durch sein Schaffen: „Schon als Kind wollte ich immer Computerspiele programmieren, das war ein großer Traum, der in mir schlummerte. Jetzt mache ich das im künstlerischen Kontext, das ist ein bisschen so wie ein Kindheitstraum, den ich mir jetzt quasi erfülle“.

Ressi kann auf ein vielfältiges Studium zurückblicken, das ihn als Künstler prägte. Nach seinem Bachelor in Komposition und Musiktheorie bei Gerd Kühr und Alexander Stankovski in Graz und Wien war es ihm durch Ed Partyka möglich, einen Master in Jazzkomposition an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz (KUG) zu beginnen. Im Zuge des Masters zog es Ressi über das Erasmus-Programm an die Hochschule Luzern, wo er sich intensiver mit Pure Data auseinandersetzte, eine Audio-Programmiersprache, die er mittlerweile auch mitentwickelt: „Das hat mich voll interessiert, und da bin ich dann richtig reingekippt.“ Diese Auslandserfahrung sieht Ressi auch als Geburtsstunde seiner Begeisterung für Computermusik an. Für ihn war klar, dass seine künstlerische Ausbildung am IEM der KUG unter Marko Ciciliani seinen weiteren Lauf nehmen sollte, denn die Leidenschaft für Computermusik habe immer schon in ihm „geschlummert“.

Game Over: Verknüpfungen auf absurde Weise

Durch Zufall lernte Ressi den Klarinettisten Szilárd Benes kennen, mit dem er im Jahr 2016 das Duo Ressi/Benes gründete, das unter anderem durch das Projekt „Game Over“ Bekanntheit erlangte. Im Zuge des künstlerischen Forschungsprojekts GAPPP (Gamified Audiovisual Performance and Performance Practice), baute Ressi das ursprünglich als Soloversion für Klarinette entwickelte Konzept „Game Over“ zu einem Duo aus. Aus einer linearen Form wurde mithilfe eines Bewegungssensors für die Klarinette die Werkidee erweitert: „Es gibt Szenarien oder Objekte, die auf seine Tonhöhen oder Lautstärken reagieren. Es ist ein Wechselspiel zwischen Benes’ Instrumentalklang und dem Computerspiel.“ Die visuellen Komponenten der Games werden von Ressi selbst gestaltet, dabei orientiert er sich stark an klassischen Nintendo-Spielen: „Im Prinzip nehme ich Elemente von verschiedenen Spielen und baue eine Collage daraus.“

Dass Humor in diesem Projekt eine zentrale Komponente einnimmt, ist unübersehbar. Ressi stellt klar, dass Kunst ernstgenommen werden muss, dass der Moment der Absurdität in seinen Werken aber eine große Rolle spielt: „Ich mach gern Sachen, die absurd sind, die man sich nicht vorstellen kann und nicht erwartet hätte.“

GIF Frenzy: Wechselwirkung zwischen komisch und verstörend

Ein weiteres Projekt, das Ressi bereits in verschiedensten Formationen auf die Bühne gebracht hat, ist „GIF Frenzy“. Und auch hier kommt die Ironie nicht zu kurz: Im Gegensatz zu „Game Over“ liegt dem Stück eine bestimmte Dramaturgie zugrunde, wobei die Interaktion der Musiker:innen mit dem Bild im Zentrum steht: „Die Idee ist, dass die Grafik selbst die Partitur ist“. Laut Ressi handelt es sich um einen dreieckigen Feedback-Loop durch die Anweisungen der Partitur, der Improvisation zu den projizierten Bildern und dem Dialog zwischen den Instrumenten selbst, wodurch ein Kollektiv entsteht. Bei genauerer Betrachtung seiner Werke fällt auf, dass sich der Komponist oft auf bereits Exstierendes bezieht: „Ich verwende oft Material, das die Leute kennen, und pervertiere es auf eine absurde Art und Weise“.

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„Oper Avatara“: ein Monsterprojekt

Eine weitere Passion des Künstlers ist das Komponieren für Theater- und Tanzproduktionen, wobei die Musik zwar hauptsächlich dem Stück dient, aber trotzdem seine eigene künstlerische Sprache zum Ausdruck kommt. Ressis letztes großes Projekt war die Kammeroper „Avatara“, die er im Zuge des 8. Johann-Joseph-Fux-Opernkompositionswettbewerbs komponierte. Durch sein zunehmendes Interesse an virtueller Realität und Dreidimensionalität entschied er sich, eine VR-Oper zu kreieren. Im Mittelpunkt der Handlung stehen zwei Menschen, die sich in unterschiedlichen imaginierten Welten befinden und auf eine besondere Art und Weise verbunden sind.  „Die Kunstuniversität war wahnsinnig genug, das Projekt anzunehmen“, so Ressi über die Realisierung des Konzepts. Im Gespräch klingt an, dass der Komponist von der Gattung Oper und ähnlichen Projekten in dieser Größenordnung in Zukunft kürzertreten möchte, da ihm diese astronomischen Zeiträume und Langzeitplanungen als zu träge erscheinen. Die Kurzoper „Avatara“ feierte ihre Uraufführung am 9. Oktober 2022 im MUMUTH in Graz und brachte eine Irrfahrt durch Raum und Zeit auf die Bühne.

Christof Ressi: Avatara
Christof Ressi: Avatara (c) Alexander Wenzel, KUG

Auch wenn sich Ressi nach diesem Monsterprojekt erstmals wieder auf kleinere Besetzungen konzentriert, bleibt die Verbindung zum Musiktheater aufrecht: „Ich denke schon auch sehr theatralisch.“ Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass die Gesamtdramaturgie eines Stücks für Ressi zentral ist.

„Man kann diese starren Techniken aufbrechen“

Beim Komponieren selbst, insbesondere mit Einbindung von Elektronik, nimmt das Experimentieren für Ressi einen hohen Stellenwert ein: „Man kann Sachen ausprobieren und hat ein unmittelbares akustisches Feedback.“ Was seine Kompositionen unverwechselbar macht, ist die Kombination mehrerer Genres – von Neuer Musik über Jazz bis hin zu Elektronik. „Ich denke pluralistisch“, beschreibt Ressi seine Herangehensweise an die Musik und stellt klar, dass er Musikrichtungen nicht voneinander abgrenzen möchte. Nichtsdestotrotz gibt er im Interview eine Tendenz an: „Am wohlsten fühle ich mich in der Computermusik, da bin ich wirklich zuhause“.

Charles Mingus, Bernd Alois Zimmermann und René Magritte sind nur einige der Künstlerpersönlichkeiten, die Ressi auf die Frage der Inspirationsquellen für seine Werke nennt. Nicht nur Musik, sondern auch die bildende Kunst, insbesondere der Surrealismus und seine Theorien beeinflussen Ressi stark, so können „die Traum-Logiken der Surrealisten verschiedene Realitätsebenen miteinander kombinieren, wodurch dann Neues und Unerwartetes entsteht.“

Auch das Medium Film beschäftigt und inspiriert den Künstler, wobei Ressi ein zwiespältiges Verhältnis zur Filmmusik selbst hegt. Der Mainstream-Musik in Hollywood-Filmen steht er kritisch gegenüber und bezeichnet sie als „emotionalen Kleister, den man über einen Film drüberpinselt“. Musik solle stattdessen eine neue Ebene im Bild schaffen und nicht nur als permanente Untermalung dienen. Je länger Ressi über Filmmusik spricht, desto mehr zeigt sich, dass es sich nicht um sein präferiertes Genre handelt: „Filmmusik für irgendwelche Standard-Fernsehdramen oder Krimis interessiert mich überhaupt nicht. Wenn ich Geld brauche, würde ich lieber Software schreiben.“

„Ich muss nicht alles machen, was mir zur Verfügung stünde.“ Der seit November 2022 in Wien lebende Komponist wird sein Hauptaugenmerk im folgenden Jahr auf sein Doktorat an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz legen. Im Zuge dessen beschäftigt er sich intensiv mit der Nutzung von Computerspielumgebungen als Komponierwerkzeug für audiovisuelle Kunstwerke. Trotzdem sind nebenbei auch kleinere Projekte im In- und Ausland geplant, sofern „die freien Strukturen“, die Ressi am liebsten hat, eingehalten werden können. Ein Soloalbum mit selbst eingespielter elektronischer Musik ist ein weiteres Zukunftsvorhaben Ressis. Dabei lautet sein Motto: „Ich kann auch allein ganz viel Krach machen.“

Hanna Bertel

Dieses Porträt von Hanna Bertel entstand im Zuge der Lehrveranstaltung „Ästhetischer Diskurs, Reflexion, Kritik: Schreiben und Sprechen über Neue Musik“ von Monika Voithofer im Wintersemester 2022/23 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien und wird als Teil einer Kooperation mit mica – music austria hier im Magazin veröffentlicht. Für diese Aufgabenstellung konnten die Studierenden frei eine aufstrebende Persönlichkeit aus dem Bereich der neuen Musik wählen.

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Termin:
Porträt Christof Ressi
Samstag, 4. November 2023, 20:00 Uhr
ORF RadioKulturhaus
Argentinierstraße 30a, 1040 Wien

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Links:
Christof Ressi
Christof Ressi (Musikdatenbank)
Duo Ressi/Benes (Musikdatenbank)
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