„In den Tracks kommt schon sehr viel aus meiner inneren Seele raus.“ – KID PEX im mica-Interview

Man kennt PETAR ROSANDIĆ als KID PEX, als einen Rapper, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt, Missstände anprangert und sich für die Schwächeren und Ausgegrenzten der Gesellschaft engagiert. Er ist jemand, der Worten Taten folgen lässt. So gründete der Wiener mit kroatischen Wurzeln die Initiative SOS Balkanroute, um geflüchteten Menschen, die in Lagen an den EU-Außengrenzen feststecken, zu helfen. Er organisierte zahlreiche humanitäre Transporte, baute Küchen und Tageszentren auf usw. Kein Wunder also, dass man in letzten Jahren musikalisch eher wenig von ihm gehört hat. Umso erfreulicher ist, dass sich KID PEX nun mit seinem neuen Album „Pexit“ (Deine Mutter) zurückmeldet. Im Interview mit Michael Ternai erzählt der Rapper darüber, warum es für ihn wichtig war, ein persönliches Album zu machen, über seine gewonnene Reife und warum der neuen Generation des österreichischen Hip-Hop eine besondere Vorbildrolle zukommt.

Musikalisch ist es in den letzten beiden Jahren still um dich geworden, was vor allem an deinem Engagement für Flüchtlinge und deiner Arbeit mit der Initiative SOS Balkanroute liegt. Da blieb wohl wenig Zeit für Musik.

Kid Pex: Ich hatte nie geplant, eine Organisation zu gründen und die ganze Sache professionell anzugehen. Ich war davor schon länger in der Flüchtlingsbewegung in Österreich aktiv. Unter anderem 2013 im Refugee Protest Camp Vienna, wo ich mit den Flüchtlingen, die in der Votivkirche ausharrten, das Lied „Recht auf Leben“ gemacht habe. Ich war einige Zeit so etwas wie das musikalische Sprachrohr der Bewegung und habe ab und zu mit meiner Kleidung und den „Wien Oida“-Badges Flüchtlings-Fußballmannschaften und -Basketballmannschaften unterstützt. Dabei habe ich viele Freundinnen und Freunde gewonnen. 2015 bin ich dann mit dem Auto nach Röszke an die ungarisch-serbischen Grenze gefahren, um Spenden dorthin zu bringen. 2019 haben wir dann von der Lage in Bosnien erfahren und sind in Kontakt mit deutschen Aktivist:innen in Kontakt getreten. Wir haben damit begonnen, im privaten Umfeld etwas zu sammeln, und haben die Sachen im VW-Kleinbus runtergeführt. Wie ich dann unten war und vor allem die dort ansässige Bevölkerung sah, wie sie trotz eigener Probleme und eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten den Flüchtlingen an der Grenze geholfen hat, war ich sehr beeindruckt. Ich entschied, meinen Brotjob – ich war zehn Jahre lang Journalist bei Kosmo – an den Nagel zu hängen und mich voll in diese Aufgabe zu stürzen. Und das tue ich seit mittlerweile zwei Jahren.

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Das hört sich nach einem sehr zeitintensiven, aufreibenden und aufwühlenden Job an. Wie ist es dann trotzdem zum Album gekommen? Brauchtest du Ablenkung oder kurz einmal eine andere Geschichte, mit der du dich beschäftigen kannst?

Kid Pex: Die Dinge sind halt so verlaufen. 2015 hatte ich mit einigen privaten Rückschlägen zu kämpfen. Unter anderem musste ich mich an der Bandscheibe operieren lassen und bekam Titan in die Wirbelsäule. Ich war auf jeden Fall länger außer Gefecht und gefühlt für ein Jahr im Krankenstand. Wirklich keine Musik gemacht habe ich die letzten zwei Jahre. Davor hat es schon noch die eine oder andere Single bzw. auch die EP gegeben. Und ich hatte auch schon das Album halbwegs fertig. Es ist eben jetzt, zwei Jahre lang in der Schublade gelegen. Finalisiert habe ich es dann während des ersten Corona-Lockdowns. Ich hatte aufgrund der Situation – die Grenzen waren alle quasi zu – plötzlich viel Zeit. Außerdem dachte ich mir, wenn ich das Album nicht bald herausbringe, tue ich es nie. So habe ich mich hingesetzt und es fertig gemacht. Und darüber bin ich jetzt echt froh, denn irgendwie verspüre ich jetzt schon eine Erleichterung. Auch weil ich glaube, dass es mein bislang persönlichstes Werk ist. Klar, ist es auch politisch, aber diese beiden Welten verschwimmen bei mir eh sehr stark.

„Die Tracks auf diesem Album sind mir wichtig und bedeuten mir viel […]“

Dieses Album ist dein persönlichstes, wie du sagst. Deine früheren Sachen dagegen waren zumeist offensiv politisch. Du hast dir nie ein Blatt vor den Mund genommen. Warum diese Hinwendung zu einer persönlichen Ebene in den Texten?

Kid Pex: Ich habe einfach die Reife entwickelt. Musikalisch genauso wie menschlich. Du verarbeitest mit Mitte 30 einfach andere Themen. Ich wollte für dieses Album Tracks machen, mit denen ich mich auch auf lange Sicht identifizieren kann. Daher ist es auch etwas Tieferes und Persönlicheres, das ich auf „Pexit“ abliefere. Politische Tracks sind natürlich immer gut und haben immer ihre Berechtigung. Aber für mich ist es inzwischen zu wenig, nur politisch zu sein und in meinen Nummern einfach nur Namen zu nennen, die in diesem System sowieso meist vergänglich sind und schnell altern.
Die Tracks auf diesem Album sind mir wichtig und bedeuten mir viel, weil sie zum Teil auch meine Familie und meine Freunde behandeln. In den Tracks kommt schon sehr viel aus meiner inneren Seele raus. Und ich bin ganz glücklich damit, weil, wenn ich mir Tracks von vor zehn, fünfzehn Jahren anhöre, kann ich mich mit manchen von denen vor allem wegen der Texte nicht mehr identifizieren. Und ich glaube, das ist bei diesem Album schon gegeben. Es wird mich auf lange Sicht begleiten, weil es nicht vergänglich ist und nicht nur Momentaufnahme abbildet, sondern wirklich eine Lebensgeschichte erzählt.

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Jetzt, wo ich hier dir gegenübersitze und mit die plaudere, gewinne ich immer mehr den Eindruck, dass du so gar nicht dem Klischee eines Rappers entsprichst.  Du wirkst eher nachdenklich und introvertiert, denn irgendwie extrovertiert, wie viele deiner Kolleginnen und -Kollegen.

Kid Pex: Ich bin auch gealtert und habe mich in dieser Hip-Hop-Extrovertiertheit mittlerweile wahrscheinlich ausgelebt. Wobei das nicht heißt, dass ich nicht gerne auf der Bühne aufgehe und Aktionen starte, die nicht alltäglich sind. Meine Videos waren ja für manche Leute schon auch mal grenzwertig. Denk nur an das Video zur Nummer „Norbert Hofer“, in dem ich mit einer Maske von Norbert Hofer im öffentlichen Raum herumspaziere. Das hat dann schon Staub aufgewirbelt. Es gab da schon einige Dinge von mir, die wahrscheinlich nicht jede Rapperin oder jeder Rapper machen würden. Aber wie gesagt, ich bin gealtert, ich habe mittlerweile viel gesehen. Ich sehe heute vieles einfach relativer. Ich habe schon einen Anspruch an Hip-Hop, aber ich halte ihn nicht mehr für das Wichtigste in der Welt. Und das war er sehr lange Zeit für mich. Heute habe ich eine gesunde Liebe zu dem Ganzen. Ich habe jetzt nicht mehr das Bedürfnis diese Extrovertiertheit zu toppen.

„Ich verkehre nicht nur in einem Milieu und habe auch nicht nur mit Gleichgesinnten zu tun.“

Das Album fällt auch musikalisch dem klassischen Hip-Hop-Rahmen. Es ist zum Teil sehr melodisch. Zudem hast du viele Leute aus unterschiedlichen musikalischen Ecken als Features auf dem Album. Du kennst wohl auch musikalisch keine Berührungsängste.

Kid Pex: Das kommt wahrscheinlich daher, dass ich als Person eine Art Melting-Point bin. Nicht nur in der Musik, sondern auch im Leben. Ich verkehre nicht nur in einem Milieu und habe auch nicht nur mit Gleichgesinnten zu tun. Ich denke, ich gehe offener durch die Welt als viele andere. Auf die SOS Balkanroute bezogen, habe ich mit Imamen, mit Nonnen, mit Punks, mit lesbischen Pärchen, also mit allen möglichen Leuten zu tun. Und genau so ist es auch in der Hip-Hop-Szene. Es war schon immer so, dass ich genauso mit den Strebern wie auch mit den Gangstern gechillt und versucht habe, auch da eine Brücke zu sein.
Die Konzertreihe Gürtelsquad zum Beispiel, die ich zwei Jahre vor Corona mit Esrap, Dent und DJ Rosetta Diamond veranstaltet habe,war so eine Brücke.Die Reihe bot eine Bühnefür jungen österreichischen Hip-Hop.Und da sind sehr viel unterschiedliche Charaktere aufgetreten. Viele von den damals noch jungen Mädels und Burschen, die davor keine Bühnenerfahrung hatte, konnten sich mittlerweile auch einen Namen machen. Es begeistert mich einfach, mit vielen Leuten zu tun zu haben.

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Ein interessantes, weil sehr ungewöhnliches Feature ist Bernhard Rabitsch. Wie ist es dazu gekommen?

Kid Pex: Bernhard Rabitsch ist 2018 zu einem Gig von mir gekommen. Wir hatten damals gerade die Nummer „So viel Polizei“ veröffentlicht, in der wir Andreas Gabalier gedisst haben, und die letztlich auch zu einer Anzeige von diesem besagten Künstler geführt hat. Es war so eine Art Hip-Hop-Staatsaffäre. Auf jeden Fall hat sich Bernhard Rabitsch bei diesem Gig als ein Fan von mir geoutet. Er hat gemeint, dass der Stefan Weber es gut finden würde, was ich mache. Und ihm selber gefällt es auch. Mir taugt an ihm, dass der seinen Drahdiwaberl-Wurzeln ewig treu bleibt. Auf jeden Fall ist das Ganze so zustande gekommen. Wir haben uns in Folge mehrmals getroffen und sind Freunde geworden. Ich finde seine Weltoffenheit sehr cool und seine Geschichte mit Dradiwaberl und Falco einfach beeindruckend. Er ist einfach nun bodenständig und in keinster Weise abgehoben. Und das schätze ich an ihm sehr.

Wer sind eigentlich die Leute, die für dich die Tracks produziert haben?

Kid Pex: Das sind alles Leute, mit denen ich schon in der Vergangenheit vermehrt zusammengearbeitet habe und die schon des Öfteren Nummern von mir produziert haben. Es sind zwei junge Produzenten aus Serbien und Bosnien dabei. Rope und Drap. Die sind auch für die Mehrheit der Tracks verantwortlich. Dann ist noch Albino aus Belgrad dabei. Ich habe überhaupt sehr viel auf die Talente des Balkans gesetzt. Einerseits, weil ich dort vor ein paar Jahren einen gewissen Namen hatte, was darauf zurückzuführen war, dass ich früher auch auf Kroatisch gerappt habe. Aus dieser Zeit sind etliche Verbindungen übriggeblieben, die jetzt ganz hilfreich waren. Andererseits – und das muss man auch sagen – ist es schlicht auch günstiger Beats von Topqualität dort produzieren zu lassen.

Vielleicht ein wenig zu deiner Person. Du stammst ja aus Kroatien und bist mit deinen Eltern aufgrund des Jugoslawienkriegs nach Wien gekommen. Wie war es für dich hier auszuwachsen?

Kid Pex: Am Anfang, wie wir hierhergekommen sind, war es natürlich erst einmal ein Schock. Die Mentalitätsunterschied zwischen den Ländern ist schon sehr groß. Dann haben mich meine Eltern aus Angst, weil zu dieser Zeit auch viele Menschen aus Serbien und Bosnien hier in Wien waren, in eine katholische Privatschule gesteckt. Ich sollte eher wenig Kontakt zu diesen Leuten, die damals als Gegner galten, haben. Zum Glück war ich aber nur zwei Jahre in dieser Schule. Insofern war der Start hier schon schwierig. Dieser Switch von den letzten Tagen des kommunistischen Jugoslawiens, das wir doch noch mitbekommen haben, hin zum Zerfall mit all seinen Folgen, wie eben der Flucht nach Österreich, war eine sehr einprägsame Erfahrung. Aber ich muss sagen, dass ich in den 30 Jahren, die ich jetzt hier bin, in manchen Sachen schon auch sehr österreichisch geworden bin. Ich würde sagen, dass wenn ich irgendwo zu Hause bin, dann bin ich es wohl hier. Auch weil hier natürlich auch sehr viel Balkan ist und Österreich in gewisser Weise der balkanisierte Teil des deutschen Sprachraums ist. Aber auch sonst gefällt mir, wie sich Wien in den letzten 20 Jahren entwickelt hat. Ich mag den Mix von Leuten, die hierhergekommen sind, sehr.

Bild Kid Pex
Kid Pex (c) David Pichler

Weil du gerade von 20 Jahren gesprochen hast. Um die Zeit ist es mit Hip-Hop in Österreich zum ersten Mal so richtig losgegangen. Man denke nur an Acts wie Texta. Was aber lange Zeit etwas unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung gelaufen ist, war Hip-Hop von Leuten mit migrantischem Hintergrund. Das hat sich erfreulicherweise geändert. Was waren deiner Meinung nach die Gründe. Sind die Leute selbstbewusster geworden?

Kid Pex: Ich glaube, es hat unter anderem damit zu tun, dass Rapperinnen und Rapper mit Migrationshintergrund ein viel größeres soziales Mitteilungsbedürfnis haben. Das sind ja auch die Wurzeln von Hip-Hop. Insofern sind in deutschen Sprachraum Migrantinnen und Migranten prädestiniert für Hip-Hop, weil die Musik das Sprachrohr für diejenigen ist, die mit Rassismus, Ausgrenzung und Benachteiligung zu kämpfen haben. Und es ist einfach schön zu sehen, dass es mittlerweile wirklich viele Künstlerinnen und Künstlern mit Migrationshintergrund gibt, die selbstbewusst auftreten und auch wahrgenommen werden. Als ich mein erstes Album „Gastarbeiterlife“ 2008 veröffentlicht habe, gab es vielleicht drei, vier sichtbare Rapperinnen und Rapper, die in der Szene präsent waren und die man gekannt hat. Heute ist es eine Vielzahl. Zudem übernehmen diese Rapper:innen auch die Rolle von Hoffnungsträger:innen, vor allem auch Rapperinnen. Denk nur an EsRap, Yasmo, Gazal oder Schwesta Ebra. Sie erobern Bühnen, Räume, sie gewinnen Leute für sich. Und das nicht mit diesem komplett asozialen Rap, den es aus der migrantischen Ecke auch gab, sondern mit Inhalten. Solche Leute – und die müssen nicht nur aus der Musik stammen – geben Hoffnung, dass man es genauso schaffen kann.

Du bist ja schon sehr lange dabei. Seit 2008. Und du arbeitest viel mit Vertreter:innen der jungen Genration zusammen. Fühlst du sich da vielleicht irgendwie wie der ehrenwerte weise alte Mann der Szene?

Kid Pex: Nein, als so einer fühle ich mich nicht, auch wenn mich Esra „Babo“ nennt. Von den Skills her gibt es sicher weitaus bessere Rapper:innen als mich. Und auch sicher solche, die für manche interessanter sind als ich. Ich mache mir da auch in keinster Weise Druck. Ich veröffentliche das Album, weil ich das Gefühl habe, dass es jetzt Zeit dafür ist. Ich will mit dem Album in erster Linie einfach einen musikalischen Abdruck von mir hinterlassen. Was sonst noch kommt, kommt halt. Ich erwarte mir jetzt auch nichts Großes, ich habe jetzt nicht alles auf meine Hip-Hop-Karriere gesetzt. Die spielt im Moment in meinem Leben, um ehrlich zu sein, eher nur eine sekundäre Rolle. Wobei diese Rolle nach wie vor wichtig ist, weil ich Hip-Hop einfach schon so lange mache und die Gestik und Attitude dieses Genres einfach meine sind.

Herzlichen Dank für das Interview!

Michael Ternai

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