In Berührung mit einer professionellen Musikwelt – VALENTÍN PELISCH im mica-Interview

Im Rahmen seines Artists-in-Residence-Programms stellt das BUNDESKANZLERAMT in Kooperation mit KULTURKONTAKT AUSTRIA ausländischen Kulturschaffenden Stipendien zur Verfügung. Von Oktober bis Dezember 2015 ist der argentinische Komponist VALENTÍN PELISCH zu Gast in Österreich. Christian Heindl sprach mit dem Künstler.

Herr Pelisch, was war für Sie ausschlaggebend, sich als Composer in Residence des österreichischen Bundeskanzleramts und von KulturKontakt Austria zu bewerben, und mit welchen Erwartungen sind Sie hierhergekommen?

Valentín Pelisch: Ausschlaggebend war vor allem die Neugierde. Die Neugierde, mit Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt zusammenzutreffen und die Erfahrung des Arbeitens in einem anderen Kontext zu erleben – mit Menschen, die ich nicht kenne und die unterschiedlich agieren. Ich sage auch deswegen Neugierde, weil es keinen zwingenden Grund gab. Das heißt, ich bin glücklich, in Buenos Aires zu leben und zu arbeiten. Andererseits hat Wien mit seiner langen Tradition natürlich meine Aufmerksamkeit erregt: die Möglichkeit, an einer Geburtsstätte der westlichen Musik zu leben und zu arbeiten. Aber die Hauptgründe waren Fragen wie: Wie wird meine Arbeit durch die Erfahrung, in einem der wichtigsten historischen und kulturellen Zentren der Geschichte zu leben, beeinflusst werden? Wie wird sich mein Arbeiten entwickeln, wenn ich mich unmittelbar mit Künstlerinnen und Künstlern auseinandersetze, die im österreichischen Kulturleben verwurzelt sind? Welche Beziehung wird es zwischen meiner Arbeit und dem österreichischen Kulturkreis geben? Hier in Wien sind eine Menge musikhistorischer Dinge passiert. Und natürlich hat mein Schaffen – wie vermutlich jede Musik – auf irgendeine Weise mit dieser Tradition zu tun. Buenos Aires hat eine andere Geschichte und insofern ist es für mich interessant, wie die aktuelle Musik hier zu ihrer eigenen Tradition in Bezug steht – in derselben Stadt, denselben Straßen, denselben Theatern und so weiter.
Meine Erwartung war, hier eine Menge an kulturellen Aktivitäten vorzufinden. Und das hat sich voll erfüllt. In den ersten Tagen sperrte ich mich zu Hause ein und suchte nach Möglichkeiten, die extreme Menge kultureller Information, die es in Wien gibt, zu managen und zu filtern.

„[…] Kutschen, Perücken und Leute, die wie Mozart gekleidet sind […]“

Waren Sie zuvor schon einmal in Österreich und hatten Sie bereits ein Vorwissen über die zeitgenössische österreichische Musikszene?

Valentín Pelisch: Ich war zuvor noch nie in Österreich. Ich habe allerdings 2013 in Argentinien mit dem wunderbaren Ensemble Platypus arbeiten können. Ich kenne einige Musikerinnen und Musiker sowie Komponistinnen und Komponisten persönlich, und ich kenne ein paar berühmte Namen, aber ich weiß noch sehr wenig über die gegenwärtige Situation der Musik in Wien.

Obwohl ich wusste, dass es nicht wahr ist, hatte ich vor meinem Kommen die Vorstellung von aristokratischen Kutschen, Perücken und Leuten, die wie Mozart gekleidet sind, mit Strümpfen bis zu den Knien. Als ich hier war, war ich dankbar, dass ich das nicht so vorgefunden habe – obwohl es die Kutschen immer noch gibt, und vor ein paar Tagen sah ich einen Mann, der wie Mozart angezogen war und irgendetwas zu verkaufen versuchte!

Wenn Sie nach Ihren ersten Wochen hier Österreich bzw. Wien mit Argentinien vergleichen: Sehen Sie die Situation der zeitgenössischen Musik ähnlich oder gibt es da gravierende Unterschiede?

Valentín Pelisch: Ich bin erst vor einigen Wochen angekommen und bin sicher, dass es Unterschiede gibt, aber ich konnte sie noch nicht genau ausmachen. Das wird wohl die Menge an Angeboten und Möglichkeiten und die dabei eingesetzten finanziellen Mittel betreffen. Andererseits wird ein Vergleich schwierig, weil sich meine Situation hier als Composer in Residence mit einem Platz zum Leben, einem Stipendium und so weiter sehr von der Art unterscheidet, wie ich in Buenos Aires lebe, wo ich zusätzlich zu meiner künstlerischen Arbeit zum Beispiel auch einen weiteren Job habe. Das ist, glaube ich, anders als die Situation von Komponistinnen und Komponisten, die hier leben.

Gibt es spezifische Probleme oder Vorteile für Komponistinnen und Komponisten im heutigen Argentinien?

Valentín Pelisch: Überall gibt es Probleme, sogar in Städten wie dieser, auch wenn es nicht danach aussieht. Die Musikszene in Buenos Aires wächst kontinuierlich, und das ist etwas Gutes. Es gibt wirklich ausgezeichnete Musikerinnen und Musiker sowie Ensembles mit einer Menge sehr interessanter Projekte. Aber gerade jetzt gab es Präsidentschaftswahlen und man weiß ja nie, was danach kommt. Für mich ist es ein großer Vorteil, dass ich dort arbeiten kann, wo ich auch leben will.

Können Sie bereits irgendwelche Vorteile österreichischer Komponistinnen und Komponisten gegenüber argentinischen feststellen?

Valentín Pelisch: Sicherlich haben sie viele ökonomische und politische Vorteile, obwohl ich nicht glaube, dass das dafür ausschlaggebend ist, wie sie schreiben. Es dürfte auch ein großer Vorteil für österreichische Komponistinnen und Komponisten sein, dass sie in physischer Nähe zu und fließender Kommunikation mit anderen wichtigen Kulturzentren im übrigen Europa stehen.

Glauben Sie, dass die argentinische Musik außerhalb Ihres Landes gut repräsentiert ist? Generell kennen wir hier die Namen Ginastera, Gardel, Piazzolla und Kagel – aber das ist es dann auch schon.

Valentín Pelisch: Ich glaube, es gibt eine Menge argentinischer Komponistinnen und Komponisten, die in der ganzen Welt wahrgenommen werden. Ich weiß nicht, ob sie mit ihrer Arbeit etwas spezifisch Argentinisches repräsentieren, aber mir fallen doch eine Menge Namen von Komponistinnen und Komponisten ein, die in Argentinien geboren wurden und deren Werke auch andernorts gespielt werden.

Konnten Sie bereits österreichische Kolleginnen und Kollegen treffen, Konzerte oder Theater besuchen?

Valentín Pelisch: Ja! Ich war in einem großartigen Konzert des Ensembles Platypus im sehr schönen Ambiente des Echoraums, ich ging ins Tanzquartier, um „Körper“ von Sasha Waltz zu sehen, und ich war bei „Sisifos“ im großen Festsaal der Universität Wien. Ich habe auch schon einige Theaterbesuche und Ausstellungen geplant. Und natürlich erwarte ich mit Spannung den Beginn von Wien Modern.
Dieser Tage habe ich mit den tollen Leuten des Ensemble Reconsil gearbeitet, das am 27. Oktober im Arnold Schönberg Center ein Konzert mit Werken von Arnold Schönberg und mit Werken der bisherigen und aktuellen Artist-in-Residence-Stipendiatinnen und -Stipendiaten Aurélio Edler-Copes, Diana Rotaru, Agata Zubel, Elvira Garifzyanova und mir gegeben hat.

Dank des KulturKontakt-Programms bin ich in Kontakt mit hervorragenden Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt. Aber ich konnte noch nicht viele lokale Künstlerinnen und Künstlern treffen.

„[…] alle diese Stücke werden ihre österreichische Komponente haben […]“

Woran arbeiten Sie gerade? Wird es ein konkretes „österreichisches“ Stück geben?

Valentín Pelisch: In den ersten Tagen hier musste ich ein vierhändiges Klavierstück fertigstellen, das im November in Buenos Aires uraufgeführt wird. Jetzt schreibe ich ein Stück für Klarinette, Kontrabass und große Trommel. Ich möchte auch ein Videostück komponieren, das einerseits Bilder der Stadt aufgreift und andererseits Mikrofragmente aus Werken berühmter Wiener Komponisten – etwas in dieser Art, genau konkretisiert hat sich das noch nicht. Ich denke, alle diese Stücke werden ihre österreichische Komponente haben, weil ich hier daran arbeite. Ich möchte auch ein weiteres Ensemblestück schreiben, von dem ich noch gar nichts weiß, außer dass es einen Dialog mit der historischen Musik dieser Stadt darstellen soll – in einer Weise, dass meine Musik versucht, mit einer anderen zu kommunizieren.

„Das Rituelle, das die Musik umgibt, generiert auch seine eigene Geschichte.“

Können Sie allgemein etwas über Ihr musikalisches Credo sagen, Ihre bisherige Arbeit und darüber, wie sich das hier neu Entstehende dazu verhält?

Valentín Pelisch: Ich „komponiere“ gerade einen Text. Das wird eine Art Manifest aus einer Menge an Zitaten sehr verschiedener Autoren, Künstler, Komponisten, Filmemacher und so weiter. Diese Zitate werden rekontextualisiert und vermischt, damit dieser Text das sagt, was er sagt. Bei Musik arbeite ich ähnlich. Ich versuche, auditiv, visuell, szenisch, konzeptuell und so weiter mit der Wiederverwendung, Transformation, Kontaminierung, Manipulation, Rekontextualisierung und Ausbreitung von Elementen zu arbeiten, die ich aus anderer Musik entnehme. Diese ist im Allgemeinen Bestandteil der westlichen Tradition. Aber im Gegensatz zu diesem erwähnten Manifest ist meine Arbeit keine Musik aus Zitaten. Es ist vielmehr eine neue Sache, die aus unkenntlichen Brocken von Rohmaterial aus einem anderen Werk entsteht. Ich versuche, verschiedene Methoden zu generieren, um neues Material zu entdecken, das aus traditionellen Elementen entsteht.
Aber ich glaube, dass die Tradition der Musik nicht nur aus ihren Klängen besteht. Das Rituelle, das die Musik umgibt, generiert auch seine eigene Geschichte. Diese Suche nach dem Neuen richtet den Fokus auf die Beziehung der Musikerin beziehungsweise des Musikers zum Stück und seinem Kontext – dem Publikum, Konzertsaal, der Stadt und so weiter – und auf die Person der Musikerin beziehungsweise des Musikers als in diesem Augenblick anwesender Mensch, der während des Stückes eine Verhaltensweise, einen Zustand, eine Situation, eine Erfahrung durchmacht, die mit jemand anderem geteilt werden soll; nicht als eine theatralische Ergänzung, sondern als Parameter, als Teil der Natur der Musik.

Diese Neugierde motiviert mich, mit Dramatikern, Schriftstellern, Choreografen und bildenden Künstlern zu arbeiten und auch Vertrauen in die Zusammenarbeit mit Musikerinnen und Musikern zu haben, die ein Teil des Kompositionsprozesses sind. Ich verstehe es so, dass meine Beziehung zur Kultur der klassischen und zeitgenössischen Musik auch eine Kombination verschiedener Traditionen ist, die aus der räumlichen Distanz von den ursprünglichen kulturellen Zentren der westlichen Musik, der Zeit, den eigenen Erfahrungen und natürlich dem soziokulturellen Kontext herausgefiltert und – im positiven Sinn – kontaminiert wird. Die Idee ist, dass alle diese Konzepte neben einem Ausgangspunkt und einer zeitlichen Transformation auch einen kompositorischen Prozess anbieten, der etwas aus dieser Essenz in ein Musikstück übersetzt, das zwangsläufig für eine Bühne gedacht wird. So etwa in dieser Art.

Was fällt Ihnen bisher positiv an Österreich auf?

Valentín Pelisch: Bisher … Außer dem schon erwähnten unglaublichen Angebot an kulturellen Aktivitäten sind meine Nachbarinnen und Nachbarn sehr ruhig und leise, und der Wein ist sehr wohlschmeckend. Ich habe allerdings entdeckt, dass ich Alkohol nicht ohne Schuhe trinken kann und dass ich, wenn ich wo drinnen bin, keinen Kaugummi kauen darf. Alle Menschen, die ich bislang getroffen habe, waren besonders nett, und ich liebe diese Griffe zum Öffnen der U-Bahn-Türen. Das Einzige, was mich verwirrt: Ich höre nicht viele Vögel oder Insekten wie zum Beispiel Grillen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Christian Heindl

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Zur Person:

Valentín Pelisch, 1983 in Buenos Aires geboren, studierte in seiner Geburtsstadt Komposition bei Gerardo Gandini und Marcelo Delgado sowie elektroakustische Komposition an der Nationalen Universität von Quilmes. Außerdem nahm er an mehreren Kursen, Residenzen, Seminaren und Workshops mit verschiedenen Komponisten, Ensembles, Künstlerinnen und Künstlern teil. Seine Arbeit untersucht die räumlichen, visuellen und klanglichen Aspekte der Kammermusik. Derzeit arbeitet er an der Entwicklung szenischer Musikwerke und anderer audiovisueller Formate. Seine Werke gelangten u. a. in Argentinien, Uruguay, Brasilien, Paraguay, Panama, Costa Rica, den USA, der Ukraine, Griechenland, Italien, Deutschland, Österreich und den Niederlanden zur Aufführung. Einige dieser Werke wurden von verschiedenen Jurys ausgezeichnet und hervorgehoben.